Viertes Kapitel

Als Gerrat in das Zelt trat, troff sein Umhang von Regen, und er roch wie ein nasser Hund. Aber das war nicht der Grund, warum Dannen sitzen blieb, anstatt aufzustehen und seinen Bruder zu umarmen. Einen Moment lang beäugten sich sie wie zwei Fremde.
Aber Gerrat verstand es nicht, sah nicht die Mauer, die zwischen ihnen gewachsen war, und fragte nur: »Müde?«
Und Dannen, anstatt es ihm zu erklären, nickte.
Es stimmte, müde war er auch. Er war früh aufgebrochen, lange vor Sonnenaufgang, um auf jeden Fall der erste bei dem Treffen zu sein. Nur, um ein paar ungestörte Worte wechseln zu können… Aber nicht mit Gerrat. Daß Gerrat, ausgerechnet, als nächster kommen sollte, damit hatte er nicht gerechnet. Es gefiel ihm nicht.
Gerrat blickte sich suchend in der bis auf Tisch, Stühle und Dannen leeren Hütte um. »Ist sonst noch jemand da?«
»Bestimmt«, sagte Dannen. »Ich habe das hier nicht aufgebaut.« Er versuchte zu lachen. Ihm war nicht danach.
»Ich meine - hast du Vater schon gesehen?«
Dannen schüttelte den Kopf, und Gerrat legte endlich den Mantel ab und setzte sich, aber er ließ zwei Stühle frei zwischen ihnen. Also war auch er nicht grundlos so früh gekommen… Es gefiel Dannen immer weniger.
»Und nun?« fragte Gerrat, vielleicht unsicher, vielleicht verärgert.
»Wir könnten etwas spielen«, schlug Dannen vor. Sie hatten seit bestimmt zehn Jahren nicht mehr miteinander gespielt… Er zog die Würfel aus der Tasche und ließ sie über den Tisch rollen.
»Du würfelst?« fragte Gerrat, jetzt ehrlich verblüfft.
»Habe ich einem meiner Männer abgenommen.« Der Regen prasselte jetzt noch lauter auf das Bretterdach, und die Wände begannen bereits, von innen feucht zu werden. Es hatte schon Sinn, daß sie diese Jagdhütte lange nicht mehr benutzt hatten.
Gerrat schüttelte den Kopf, belustigt. »Ich wußte nicht, daß du es jetzt mit dem Glücksspiel hast.«
»Ich glaube nicht an das Glück«, sagte Dannen vergnügt. »Die Würfel sind gezinkt.« Er warf noch einmal. Dreimal ein Auge.
Auch Gerrat lachte. »Und dann erzählst du mir das auch noch?«
Schlagartig wurde Dannen wieder ernst. »Ich betrüge meinen Bruder nicht«, sagte er.
Gerrat stand auf, nahm seinen Umhang, und verließ das Zelt. Einen Moment lang wollte Dannen sich schon freuen, er war ihn los, er hatte seinen Frieden, doch das war es auch nicht. Dannen schlug die Handflächen auf die Tischplatte, dann zusammen, dann folgte er seinem Bruder hinaus in den Regen. Seinen eigenen Mantel ließ er zurück - der war noch so durchweicht, innen wie außen, man wurde mit nasser als ohne -
Gerrat stand nur wenige Schritte von der Tür, als habe er gewartet. Hatte er wohl auch… Sie kannten sich eben zu gut. Vielleicht war das gerade das Schlimme.
»Das habe ich nicht gesagt!« schnaubte Dannen, noch bevor Gerrat zum Angriff übergehen konnte. »Aber was erwartest du von mir? Daß ich Freudengesänge anstimme?«
Gerrat schüttelte den Kopf. Auch er trug keine Kapuze. Den Umhang hielt er über dem Arm - auf den ersten Blick nutzlos, aber besser, er hielt den Mantel in der Hand, als sein Schwert. »Ich habe auch nicht erwartet, daß du… Verdammt, es ist nun mal passiert!«
»Fluch nicht!« fuhr Dannen ihn an. »Wenn dich irgend jemand hört - es muß nur einer hier unterwegs sein - und weißt, wie abergläubisch die Leute sind!« Daß es soweit kommen mußte - daß er seinen großen Bruder zurechtwies… Dannen schüttelte den Kopf. »Nichts für ungut, ja?« sagte er. »Ich will keinen Krieg mit dir anfangen. Mir reicht der Krieg, den wir hier draußen schon haben.«
Dann wartete er. Jetzt war es an Gerrat, etwas zu erwidern.
Und Gerrat erwiderte. »Weißt du, Dannen, genau das ist dein Problem. Du gibst einfach zu schnell auf.«
»Was?« entfuhr es Dannen. Was wollte Gerrat - sich prügeln?
»Du gibst auf. Jetzt schon wieder. Bei Hana genauso.«
Dannen verschränkt die Arme, um ruhiger zu wirken, und damit seine Hände etwas zum Festhalten hatten. Ihm war schwindelig . Jetzt ein Schwert haben… »Wärst du nicht gewesen…« , sagte er durch die Zähne.
Gerrat schüttelte den Kopf. »Woher sollte ich wissen, daß es dir ernst war? Wenn du sie sofort freigibst -«
»Ich habe sie freigegeben«, sagte Dannen dumpf. »Aber nicht für dich.« Und fürchtete schon Gerrats Antwort: »Wenn du sie freigibst, ist sie frei.«
Aber das sagte Gerrat nicht. Nur: »Es war nicht so geplant.«
Dannen glaubte ihm; das machte es schlimmer. Gerrat war immer ehrlich, oder sah zumindest immer so aus. Er mußte es. Ein König, der sein Volk in einen Krieg schickte, sollte dabei zumindest glaubwürdig aussehen. Und Gerrat war der zukünftige König. Und niemand, mit dem Dannen sich anlegen wollte.
Dannen war wütend, aber er war hilflos. Er wollte nicht an diesem Tag sein, oder an diesem Ort. Er wollte vor drei Monaten sein und den einzigen Fehler rückgängig machen, den er jemals wirklich bereut hatte. Er wollte Hana wiederhaben, die er verloren hatte, ehe er sie besaß.
Aber er konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Er konnte sie nur loslassen. »Ich habe sie freigegeben«, sagte er, mehr zu sich selbst denn zu seinem Bruder. »Und es ist ihre Entscheidung, wen sie lieben will.«

Als er sie das erste Mal sah, schien die Sonne, und es war Herbst.
Das Licht brach sich im Herbstlaub, bevor es auf Hana schien, und so dachte Dannen zuerst, daß ihre Haare rot waren. Erst bei ihrem zweiten Treffen merkte er, daß sie blond war. Aber da war es schon zu spät. Wann immer sie ihm in den Sinn kam, hatte sie rotes Haar. Aber das war egal. Dannen suchte Frauen nicht nach der Haarfarbe aus… Und dennoch hatte er sich als erstes in ihr Haar verliebt.
Nein, das stimmte nicht. Das Erste war ihr Falke. Ein prachtvolles Tier, und auch seine Federn leuchteten rot und golden im Herbstlicht. Dannen sah den Falken am Himmel und sah ihn niedergehen, und folgte ihm zu dem Baumgrüppchen, wo Hana wartete. Auf den Falken, nicht auf Dannen, aber vielleicht doch.
Der Falke landete auf ihrer Hand, deren zarte Glieder unter dem groben Lederhandschuh nur zu erahnen waren, und dann wandten beide gleichzeitig die Köpfe und blickten zu Dannen hinüber. Frau und Vogel glichen sich in dem Moment, ihre Augen scharf, ihre Gesichter reglos, ohne ein Lächeln, abwartend.
Dannen saß ab, froh, alleine ausgeritten zu sein, ohne Diener oder Jagdgesellschaft. »Was für ein prachtvolles Tier«, sagte er anerkennend. Hier draußen konnte er frei sprechen, ohne jedes Wort dreimal abwägen zu müssen. Die Frau hatte ihn nicht erkannt, oder wollte ihn nicht erkennen, und stand vor ihm wie eine Ebenbürtige, und war es auch, für den Moment.
»Er ist noch jung«, sagte die Frau, fast entschuldigend.
»Wessen Vogel ist es?« fragte Dannen und wußte im gleichen Moment, das Falsche gesagt zu haben.
»Er gehört mir«, sagte die Frau. »Wie auch der Handschuh, und das Kleid, das ich trage, und die Luft, die ich atme, und der Wind in meinem Haar.« Während sie sprach, setzte sie ihrem Falken die Maske auf und kettete seinen Fuß an ihren Handschuh, und als zöge sie die Maske auch über die Sonne, verdunkelte sich das Licht durch eine Wolke, und Gold wurde zu grau.
Dannen senkte den Kopf. »Verzeiht mir«, sagte er leise. »Aber ich habe noch nie eine Falknerin gesehen. Ist Eurer Mann gestorben?«
Und obwohl noch Frieden herrschte an diesem Tag, mußte Dannen doch plötzlich an all die Männer denken, die der letzte Krieg verschlungen hatte, wie lang war es her? Dannen war noch ein Junge im letzten Krieg. Und die Frau wohl noch ein Mädchen…
»Was geht es Euch an?« fragte die Frau. »Wollt Ihr mich heiraten?«
»Nein«, sagte Dannen. Er sagte nicht Später und nicht Ich kenne Euch doch kaum, sondern Nein, schnell und ohne zu zögern. Und damit sie nicht dachte, er habe Übles im Sinn, setzte er hinterher: »Aber ich möchte Euch den Vogel gern abkaufen.«
Es sollte nicht nach Almosen klingen - eine Frau, die einen Falken besaß, bedurfte keiner Almosen. Aber reich konnte sie auch nicht sein.
»Ich handle nicht auf der Heide«, sagte sie. »Und während ich meinen Falken erziehe, sucht Euch eine Frau, die das gleiche mit Euch tut.«
Dannen lächelte und brachte eine Antwort zustande, auf die er in dem Augenblick sehr stolz war, denn er hatte bereits begonnen, sich in diese schöne stolze Falknerin zu verlieben. »Das wird schwer sein«, sagte er. »Denn Ihr habt Euch bereits Eurem Falken versprochen, und sonst wüßte ich keine.«
War das ein Lächeln in ihrem Gesicht? Vielleicht, aber es sprach mehr von Mitleid denn von Herzesliebe. »Dann bittet Eure Schwester um Erziehung, Prinz Dannen, oder vergeßt mich und geht wieder jagen mit Euren Freunden.«
Dannen hielt sich am Halfter seines Pferdes fest, um nicht zurückzuweichen ob der plötzlichen Kälte in ihrer Stimme. Sie wußte, wer er war, und auch wenn er nur als ein Dannen vor ihm stand, nannte sie ihn Prinz - wenn sie es so wollte, sollte sie es haben. Dannen biß die Lippen zusammen, während er den Geldbeutel von seinem Gürtel löste, und warf ihr ein Goldstück zu. Warum nahm er überhaupt Gold mit, wenn er nur ausreiten wollte? »Für den Falken«, sagte er.
Sie fing das Geld in der Luft, sah es nicht an, sondern schloß die Hand darum zur Faust. »Das wird nicht reichen«, sagte sie.
»Nur eine Anzahlung«, sagte Dannen. »Ich kaufe nicht auf der Heide. Kommt auf meine Burg, wenn Ihr mit dem Vogel fertig seid, und ich werde Euch einen guten Preis dafür zahlen, sofern Eure Arbeit gut ist.«
Blitzten ihre Augen? War das nicht etwas, das eine jede Frau sich wünschen konnte - eine Einladung auf eine Burg, wo die Reichtümer warteten?
»Ich werde mir Euer Angebot anhören, Prinz Dannen«, erwiderte sie. »Und wenn es gut ist - dann werde ich meinen Falken um so lieber behalten, denn dann weiß ich, daß meine Arbeit gut ist und eines Königs würdig. Aber bis dahin«, - und sie lachte, und die Sonne kehrte zurück und war wieder in ihrem Haar, und ihrem Lachen - »gehabt Euch wohl.«
Dannen schwang sich zurück in den Sattel. »Nennt mir noch Euren Namen!« rief er, während er schon sein Pferd wendete.
»Wozu? Damit Ihr mich von den Hunderten von anderen Falknerinnen unterscheiden könnte?«
Dannen schüttelte den Kopf und ritt noch eine Volte. »Nein«, sagte er leise. »Damit ich weiß, wer Ihr seid.«
Sie lächelte. »Dann«, sagte sie, »bin ich Hana.«

Es vergingen einige Wochen, in denen Dannen Hana nicht sah, aber auch nicht viel an sie dachte. Es kam ab und an vor, daß er eine nette Frau kennenlernte, ein paar Worte mit ihr wechselte und sich danach wünschte, ein anderer zu sein, einer, der es nicht bei ein paar Worten belassen mußte. Manchmal kam es auch vor, daß er es nicht bei ein paar Worten beließ… Und so sah er zu, wie der goldene Herbst grau wurde, ohne ihm nachzutrauern. Bis die Frau mit dem Falken nach Car Lamanthul kam.
Es war die letzte Woche des Herbstes, die Woche der Jagd auf den Roten Fuchs, mit der sie das alte Jahr zu Grabe trugen und den Winter einläuteten. Es war ein alter Brauch, älter vielleicht noch als die Elomaran und vielleicht auch heidnisch, aber das störte niemanden: Der Fuchs war die Sonne, und je tiefer er sich in seinem Bau verkroch, desto länger und kälter würde der Winter sein. Darum hetzten sie ihn mit Hunden und scheuchten ihn aus seinem Loch und schlugen ihm Kopf und Schwanz und Pfoten ab. Den Kopf vergruben sie in der Erde, damit daraus eine neue Sonne wachsen konnte, und den Schwanz und die Pfoten nagelten sie über die Tür, um die Sonne auch im Winter im Haus zu halten.
Dannen jagte den Fuchs jedes Jahr mit seinen Brüdern, seit sie als Jungen mit ihrem Vater auf die Jagd gegangen waren. Aber nun waren sie erwachsen, führten ihre eigenen Höfe, und jeder von ihnen wollte seinen eigenen Fuchs. Und so war von Dannens Brüdern in diesem Jahr nur Gerrat in seiner Jagdgesellschaft. Ausgerechnet Gerrat war da. Ausgerechnet an dem Tag, als Hana kam und den Falken brachte.
Die Jagd war vorüber. Ein Fuchsschwanz prangte über dem Tor der Burg Car Lamanthul, das Festessen war verspeist, und der Winter durfte kommen, als eine Frau an die Tür klopfte.
Dannen hörte es nicht. Es hatte sich hingelegt, völlig erschöpft nach einem harten Tag und einer nahezu schlaflosen Nacht. Ein Tag auf dem Duellplatz, ein Tag auf dem Schlachtfeld konnte nicht schlimmer sein als diese Nacht, die letzte Nacht des alten Jahres, für einen Fürsten. Die Barone, seine Lehensnehmer, kamen, um an seiner Jagd teilzunehmen… und ihm danach, einer nach dem anderen, ihre Vorratsplanung für den kommenden Winter darzulegen.
Dannen ertrug die Nacht, ohne mit der Wimper zu zucken. Er ertrug seine Lehensmänner, ihre schlechten Witze und ihre Frauen. Er lachte, wenn andere lachten, aber nicht zu laut oder derb - Engelsgeborene mußten ein Vorbild sein können, selbst in einer Nacht wie dieser -
»Du hast dich gut gehalten«, sagte Gerrat und schlug ihm herzhaft auf den Rücken, als endlich der letzte Gast die große Halle verlassen und sich auf den Weg zu den Gästequartieren gemacht hatte. Aber dieser Schlag kostete Dannen das Gleichgewicht. Er schwankte für einen Moment, schluckte, und stützte sich auf der Tischkante ab. Plötzlich war ihm schwindelig. Alle Selbstbeherrschung, alles Zähnezusammenbeißen hielt nur, solange es unbedingt nötig war. Dann forderte der Tag seinen Tribut, und die folgende Nacht, und der Wein, der beides zusammenhielt.
»Ich werde noch ein wenig ausreiten«, sagte Dannen, mit soviel Ruhe und Festigkeit in seiner Stimme, wie seine Konzentration noch zuließ. »Ich brauche frische Luft.«
»Du brauchst Schlaf«, erwiderte Gerrat. »Du reitest heute nirgendwo mehr hin - ich habe keine Lust, nachher durch die Kälte zu laufen und dich zu suchen, weil dein Pferd ohne dich zurückkommt.« Er faßte ihn beim Arm, aber Dannen schüttelte ihn ab.
»Ich kann noch laufen! Wenn du dich abstützen mußt, tu es, aber sonst laß mich los!« Er sprach lauter als beabsichtigt, viel lauter, und aggressiver. Er schüttelte den Kopf. »Ich werde mich jetzt schlafen legen«, sagte er.
Und das tat er dann auch.
Es kümmerte ihn nicht, daß draußen bereits Tag war. Niemand war da, um ihn zu sehen, und am liebsten hätte er mindestens bis zum anderen Morgen weiterschlafen mögen, aber selbst im Schlaf wußte er, daß das nicht ging. So ging es ohnehin nicht. Er wurde gestört.
»Dannen!«
Es klopfte an der Tür. Dannen drehte sich um und brummelte etwas - sollte Gerrat hereinkommen, wenn es wichtig war, oder gehen - er kam herein.
»Dannen, du hast Besuch.«
Dannen stöhnte. »Und dafür weckst du mich?« Die ganze Burg war schon voller Gäste, was kam es da auf einen an? »Laß mich schlafen.«
Gerrat lachte. »Der Gast… ist eine Frau.«
Aber auch das war in diesem Moment nichts für Dannen. Er hatte an diesem Tag genug Frauen gesehen. Und Kinder, was das anging, und betraf. Er versuchte, im Halbschlaf zu lachen. »Eine Frau hätte ich am Nachmittag brauchen können, jetzt nicht mehr.« Frauen waren gut mit Buchführung und dergleichen…
»Und jetzt?« fragte Gerrat. »Soll ich sie wegschicken?«
Dannen schüttelte seinen Kopf, schwer und müde. »Vertritt mich.« Gerrat hatte ein leichtes Händchen mit Frauen. »Schab dir den Bart ab, und tu, als wärst du ich.«
Gerrat antwortete nicht, aber er mußte wohl gegangen sein, denn Dannen konnte wieder einschlafen, ohne noch einmal gestört zu werden. Er schlief nicht mehr gut. Seine Träume waren wirr, wild und wüst, sprachen von zuviel Wein, von wilden Hunden und Füchsen und Falken, ein einziges unzusammenhängendes Durcheinander -
Dannen wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, oder was geträumt, als er plötzlich wach wurde, richtig wach. Einen Moment lang fühlte er Panik. Ein Alptraum? Dannen schüttelte sich. Träume waren egal. Aber was gerade in der Wirklichkeit geschehen mochte…
Dannen sprang aus dem Bett, und froh, in Kleidern geschlafen zu haben, zwängte er sich in seine Stiefel. Unten im Hof hörte er Stimmen, und eine Art Rauschen - Dannen stieß das Fenster auf, warf einen Blick hinaus und griff nach seinem Fellumhang, um hinunterzulaufen und das Schlimmste zu verhindern.
Im Hof waren Gerrat und Hana. Und offenbar gab Gerrat alles, um seinen kleinen Bruder würdig zu vertreten.
Der Falke saß friedlich auf Hanas Hand, den Kopf wieder unter der Maske verborgen. Auf dem Rand des Brunnens lag ein Schneehase, sehr offensichtlich sehr tot. Es war der erste Schneehase, den Dannen diesen Winter sah. Aber es war ja auch der erste Tag in diesem Winter. Es machte Dannen traurig, und auch wütend. So führte Hana ihren Falken also Gerrat vor, wo sie es doch Dannen versprochen hatte!
Er verlangsamte seine Schritte, als er in den Hof trat. Es war eine Sache, mit wirrem Haar und wehendem Mantel eine Treppe hinunterzustürzen, wo ihn niemand sehen konnte, als vielmehr einer Frau zu begegnen, von der er erst jetzt begriff, wie sehr er sie liebte. Dannen rückte seinen Mantel zurecht und wischte sich kurz über das Gesicht, um sich der letzten Fettreste vom Essen zu entledigen, falls er dies noch nicht getan haben sollte. Er war plötzlich sehr unsicher über sein Auftreten. Waren seine Kleider noch sauber? Und sein Haar… Aber das war das Dankbare an Locken, sie waren eigentlich immer in Unordnung.
Dannen rang mit sich. Seine Füße wollten in den Hof stürmen, seine Hände wollten Gerrat ohrfeigen, aber sein Kopf wußte, daß so keine Frau zu gewinnen war, und Hana erst recht nicht. Und so trat er in den Hof, ruhig, ohne seinen Bruder oder die Falknerin zu beachten, ging zum Brunnen und nahm den toten Hasen auf. Mit kalter Geduld untersuchte er die Verletzungen des Tieres. Der Falke hatte es im Genick gerissen, mit einem Schlag getötet - das war gute Arbeit, kein unnötiges Zappeln und Leiden.
»Dannen! Du bist aufgestanden!« Hatte ihn Gerrat wirklich erst jetzt bemerkt, oder tat er nur so?
»Ach, beachtet mich gar nicht«, sagte Dannen gelassen. »Macht einfach so weiter wie bisher. Tut so, als gebe es mich nicht.« Er war ungerecht, das wußte er auch. Aber Vigilanders Kinder waren nicht für ihren Gerechtigkeitssinn bekannt. Gerrat und Hana hatten sich nur unterhalten. Aber mit ihm unterhielt sie sich nicht…
Hana blickte ihn an und sah für einen Moment so aus, als wolle sie ihn schlagen. »Es ehrt mich, daß Ihr geruht aufzustehen - oder sollte ich sagen, es ehrt meinen Falken?«
Dannen blickte nach unten, auf den Hasen, in den Brunnenschacht, überall hin, nur nicht in ihr Gesicht. »Mein Bruder sagte mir nicht, daß Ihr es seit. Für niemand anderen hätte ich aufstehen mögen.«
Sie lächelte, aber in ihren Augen blitzte die Wut. »Das«, sagte sie, »glaube ich euch gern. Aber zumindest habt Ihr Euren Fuchs.«
Dannen nickte. »Ihr werdet Recht haben. Gerrat, ich danke dir.« Erfühlte sich nicht dankbar. »Vertritt mich noch einen weiteren Moment, ja?« Er zog den Mantel enger um sich. Es war kälter als am Vortag. Der Winter kam in diesem Jahr mit schnellen Schritten.
Dannen verließ den Hof, verließ die Burg und ging zum Vortor, wo sie den Schwanz und die Pfoten festgenagelt hatten. Über den Winter verwitterten sie, bis die Überreste irgendwann herunterfielen oder im Frühling von den Fliegen gefressen wurden. Aber noch hielten sie. Dannen rollte ein leeres Faß herbei - waren die alle aus der letzten Nacht? Dannen wurde schwindelig bei der Vorstellung, und noch schwindeliger, als er auf das Faß stieg. Vier Pfoten und ein Schwanz - was für ein Überfluß! Man sollte meinen, daß drei Pfoten reichen sollten, selbst für eine Burg wie Car Lamanthul. Mit einer Hand stützte er sich am Tor ab, mit der anderen zerrte er den langen Holznagel aus der Wand. Es gelang ihm, mit Glück, und mit Glück gelang es ihm auch, oben zu bleiben. Er steckte die Pfote in die Tasche, sprang vom Faß, rollte es wieder beiseite - der Weinhändler würde die leeren Fässer in den nächsten Tagen wieder abholen - und ging in den Hof zurück.
Wo Gerrat immer noch mit Hana plauderte.
Die Pfote in der Hand, stellte sich Dannen mit hinter dem Rücken verborgenen Armen vor Hana hin. »Ihr seid einen weiten Weg bis hier gelaufen - darf ich Euch ein wenig Sonne schenken?«
Verwirrt schüttelte sie den Kopf. »Was meint Ihr?«
»Ein Stück Sonne«, sagte Dannen und reichte ihr die Pfote.
Hana blickte ihn an und hob eine Augenbraue, doch sie lächelte nicht. Sie nahm die Pfote, nichtsdestotrotz, und schloß ihre Finger darum wie damals um die Münze. Mit der anderen Hand löste sie die Kette des Falken von ihrer Schulter. Sie zog ihm die Haube vom Kopf, und wieder überfiel Dannen ein kurzer Schauer, als er in die kalten klaren Raubvogelaugen blickte. Wollte Hana ihm nun -
Der Falke flatterte auf und ließ sich auf Hanas Hand nieder. Er wandte den Kopf wachsam hin und her, als spähe er nach neuer Beute. Hana pfiff kurz und schnell. Und dann schleuderte sie die Fuchspfote in hohem Bogen in die Luft.
Der Falke schoß hinterher, und noch bevor die Pfote in ihrem Fall wieder auf Augenhöhe angelangt war, hing sie in den Krallen des Vogels, eine leblose rotbraune Beute.
Dannen wußte nicht, was er sagen sollte, oder davon halten. Bedeutete ihr das Geschenk nur so wenig? Wollte sie ihm den Falken in all seiner Pracht vorführen? Dannen zögerte einen Moment zu lange, und in diesen Moment hinein begann Gerrat zu applaudieren.
»Einen vortrefflichen Vogel habt Ihr da, Hana! Er vermag sogar die Sonne zu schlagen!«
Hana lachte, und Dannen wünschte sich, es wären seine Worte gewesen. Er beeilte sich, in den Applaus einzufallen. Der Falke legte die Pfote vor Hana nieder, und was eben noch stolz und rot vom Torbogen geleuchtet hatte, war nun etwas unansehnliches, totes. Es tat Dannen im Herzen weh, doch Hana nahm die Pfote auf, strich vorsichtig die Haare glatt und den Staub ab und schob sie dann sorgsam in ihren Beutel. »Danke, Dannen. Ich werde sie in Ehre halten.«
Dannen sagte nicht‘Das habe ich gesehen’, sondern: »Ein Falke, der schneller fliegt, als die Sonne fällt - nennt mir Euren Preis, und ich kaufe ihn Euch ab.«
Hana lächelte. »Jeden Preis?« Ihre Stimme war listig.
Dannen fühlte den Blick seines Bruders auf ihm ruhen, als die Vernunft siegte und er sagte: »Jeden angemessenen Preis.« Es ging ihm nicht wirklich um den Falken. Er hatte schon Jagdfalken, auch gute. Und die Frau konnte und wollte er nicht kaufen.
»Seid unbesorgt«, sagte Hana. »Ich habe nicht vor, sie zu verkaufen.« Und mit diesen Worten zog sie ihren ausgeblichenen Wollmantel zusammen, nahm den Falken, und ehe Dannen ihr noch seine Begleitung anbieten konnte, war sie auch schon fort.

Am Abend saßen die Brüder noch beim Wein zusammen und redeten. Es war der Tag, für den Dannen Gerrat bis ans Ende aller Tage verachten würde, der Tag, an dem Gerrat ihm Hana ausredete.
Dabei war es ein schöner Abend, ein ruhiger Abend, die Gäste waren fort bis auf Gerrat, die Spuren der Nacht beseitigt, und im Kamin prasselte ein Feuer, groß genug, um einer ganzen Kompanie einzuheizen, und mußte doch für niemanden reichen als die beiden Brüder.
Dannen legte sich zurück und schloß die Augen. »Wenn das Jahr so weitergeht, wie es angefangen hat…«, murmelte er.
»Was dann?« fragte Gerrat, wacher und wachsamer als Dannen.
»Na ja«, sagte Dannen. »Meine eigene Burg, eine schöne Frau - was will man mehr?« Er seufzte und nahm einen Schluck Wein, der von der Nähe des Feuers selbst schon ganz warm war.
»Meinst du Hana?« fragte Gerrat zurück, und als Dannen nickte, fuhr er fort: »Sie ist nichts für dich.«
»Wie meinst du das?« fragte Dannen und brauste auf: »Meinst du, ich bin nicht gut genug für sie? Willst du sie lieber selbst?«
Gerrat ließ sich Zeit mit der Antwort, und Dannen nutzte sie, um sich wieder zu beruhigen. »Laß mich ausreden, ja?« sagte Gerrat leise. »Ich erwarte nicht, daß du dich jetzt freust, aber - weißt du, wie viele Frauen du mir schon aus dem Kopf geschlagen hast? Und glaubst du, in den Momenten habe ich mich gefreut?«
Widerwillig mußte Dannen schmunzeln. »Ja, aber das war etwas anderes, deine ganzen Frauengeschichten…«
»Es war nichts anderes. Es war genau das, und du hattest Recht, und jetzt habe ich Recht. Hana ist nichts für dich.«
»Du meinst, sie ist nicht gut genug für mich?«
Gerrat schüttelte den Kopf und schob ihm den Weinkrug zu. »Das ist keine Frage von gut, oder schlecht«, sagte er. »Sie ist einfach keine Frau für unseresgleichen. Daß, was dich an ihr fasziniert, wird sie verlieren in dem Moment, in dem du sie in deine Burg sperrst. Wie ein Falke im Käfig.«
Dannen lachte grimmig, nahm den Wein, doch er trank nicht. Vom Wein hatte er erst einmal genug. »Ich denke, das trifft auf jede Frau zu.«
Nun lachte Gerrat. »Vielleicht. Du solltest dich jedenfalls nicht zu sehr auf sie versteifen. Ich glaube nicht, daß du sie wirklich liebst.«
»So? Bin ich aus Glas? Kannst du durch mich durchsehen?«
»Ich bin dein Bruder«, sagte Gerrat, und sein Tonfall sagte ‘Dein großer Bruder’. »Ich kenne dich.«
»Ich liebe sie aber«, entgegnete Dannen, und seine Stimme wurde unfreiwillig so trotzig wie die von jedem kleinen Bruder, der sich gegen den älteren auflehnte, auch wenn es nur zwei Jahre waren, die sie trennten. »Ich liebe sie mehr, als irgendeiner von uns jemals eine Frau geliebt hat.«
Jetzt lachte Gerrat laut, und vermutlich hatte er Recht damit. Dannen bereute bereits, so dick aufgetragen zu haben, als Gerrat sagte: »Davon hat man aber vorhin nicht viel gemerkt.«
Dannen konnte nicht mehr zurück. Er konnte nur noch vorwärts, und sich lächerlich machen. »Ich habe halt nicht dein Händchen mit Frauen, oder deine Erfahrung.« Hoffentlich saß der Hieb! »Darum habe ich ihr die Fuchspfote geschenkt. Um ihr zu zeigen, was sie mir bedeutet.«
Der Hieb saß nicht. Gerrat schüttelte nur den Kopf. »Was meinst du, woran ich gemerkt habe, daß es dir eben nicht so ernst ist? Du schenkst ihr eine Pfote, gut, damit bleiben dir noch drei. Das ist kein Opfer. Wenn du sie wirklich liebtest, hättest du ihr den Fuchsschwanz geschenkt.«
Dannen schwieg. Er schloß die Augen und ging in sich. Er wollte Gerrat nicht Recht geben, keineswegs, aber er wollte auch keinen Narren aus sich machen. Wie er selbst schon so oft zu Gerrat gesagt hatte: Zu viele Augen lagen auf Vigilanders Haus, als daß sich seine Söhne ohne weiteres irgendwelche Liebschaften erlauben konnten. Vor allem, da sie schon einen Bastard in der Familie hatten, und das war ein Bastard zuviel…
Dannen ging in sich und suchte die Liebe, suchte diese flatterige warme Gefühl, doch alles was er fand, waren Bauchschmerzen und Zweifel. Er versuchte, sich Hanas Gesicht vorzustellen, ihr Lächeln, ihre Augen, doch es funktionierte nicht.
»Wie oft hast du sie getroffen?« fragte Gerrat weiter. »Zweimal, und für wie lange? Keine Stunde jeweils. Nicht besonders viel. Ich glaube, ich weiß schon mehr über sie als du.«
Dannen hätte nun sagen können ‘Wen wundert’s, so wie du dich an sie herangemacht hast’, aber er ließ es sein. Jedes Wort von ihm, jedes Wort von Gerrat konnte nun alles nur noch schlimmer machen. Je länger sie stritten, desto mehr begann Dannen, Gerrat Recht zu geben, und desto weiter entfernte sich sein Herz von Hana.
»Hör auf!« sagte er. »Laß gut sein.«
Gerrat hob eine Augenbraue. »Schon? Du gibst auf?«
»Nein! Ich gebe nicht auf. Es ist nur… vielleicht hast du Recht, vielleicht nicht, ich weiß es nicht.« Dannens Kopf dröhnte und brummte. Das war definitiv genug Wein für die nächsten Tage. »Ich weiß es eben nicht«, sagte er noch einmal. »Vielleicht, wenn ich sie das nächste Mal sehe…«
Gerrat nickte und ließ es gut sein, und sie sprachen nicht weiter von Hana, und es vergingen Wochen, bis Dannen sie wiedersah. Dann wußte er, daß er sie wirklich liebte. Aber es war bereits zu spät.
Denn als er Hana wiedersah, war sie schon Gerrats Geliebte.

Nun war der Winter vorüber, wo einst Schnee lag, fiel nun Regen, und wo einst Frieden war, herrschte nun Krieg. Noch wurde nicht gekämpft, noch zogen die Rekrutierer durch das Land und hoben die wehrfähigen Männer aus, aber all das gehörte schon zum Krieg. Der König versammelte seine Kinder an einem geheimen Ort, um ihnen seine Strategie zu besprechen. Dannen wäre es lieber gewesen, dieser geheime Ort hätte etwas anderes dargestellt als eine kalte feuchte Jagdhütte am Rande von Nirgendwo.
Dannen schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Lust«, murmelte er, nicht, weil er das Bedürfnis hatte, sein Innerstes nach außen zu kehren, sondern weil das Schweigen schlecht zu ertragen war. Wo blieben eigentlich die anderen? Es wurde langsam Zeit…
»Worauf diesmal nicht?« fragte Gerrat.
»Alles«, sagte Dannen. Vielleicht hätten sie doch besser würfeln sollen… »Diesen ganzen Krieg - hätte Vater nicht wenigstens bis zum Sommer warten können?«
»Wie redest du? Vater hatte keine Wahl!«
Dannen lachte. »Ja, das sagen wir immer. Aber im Ernst - glaubst du nicht, die ganze Welt lacht über uns, wenn wir einen Krieg vom Zaun brechen, um einen versoffenen Botschafter zu rächen? Das ist doch kein Grund!«
»Was ist kein Grund wofür?«
Dannen nickte und drehte sich um. Er lächelte ein wenig und senkte den Kopf, um seinen Vater zu grüßen. »Ich sehe wenig Sinn in diesem Krieg«, sagte er dann. Er durfte das sagen, als Sohn. Das war vielleicht ein Privileg. Auch, wenn sein Wort nichts zur Sache tat.
»Darüber reden wir nachher«, sagte der König. »Du mußt nicht glauben, daß ich mich mit Freude in diesen Krieg stürze. Wo sitzt wer?«
»Hier ist dein Stuhl«, sagte Gerrat und kam als erster auf die Idee, dem Vater aus dem nassen Mantel zu helfen. Natürlich saß der König am Kopf des Tisches, auf dem größten Stuhl, und wußte das auch. Aber auch er schien gerne das Thema wechseln zu wollen.
»Wie auch immer der Anlaß, freuen wir uns lieber darüber, endlich wieder einmal die ganze Familie unter einem Dach zu haben.«
»Großartiges Dach«, sagte Dannen. Jetzt tropfte es schon an verschiedenen Stellen durch. Was sollte als nächstes kommen?
Sein Vater lachte. »Immer noch der alte Schwarzseher! Komm her, laß dich umarmen!«
Dannen gehorchte halb widerwillig - er hatte lange darauf gewartet, seinen Vater wiederzusehen, aber unter Gerrats Augen war es ihm unangenehm. Natürlich wurde Gerrat nicht gedrückt - er lebte mit ihm in Car Pentras und sah ihn jeden Tag. Es war Monate her, daß Dannen den König zuletzt gesehen hatte. Und nun konnten sie nicht einmal ruhig miteinander reden. Nur weil ausgerechnet Gerrat ausgerechnet heute einmal zu früh kommen mußte…
Leota war die nächste, die erschien, dann Rul, dann, mit einer Verspätung, die ihm ähnlich sah, Jaro. Das waren dann alle. Nur die Familie - kein Generäle, keine Politiker, keine Diener. Nur eine glückliche Familie, die formlos, in geheimer Umgebung, im gemütlichen Umfeld über einen Krieg plauderte. Dannen hätte ebensogut daheimbleiben können. Wann ließ sich ein Vater schon von seinen Kindern etwas sagen? Von seinen Generälen, vielleicht, die hatten die nötige Erfahrung, aber von fünf Kindern, von denen keines älter war als sechsundzwanzig? Von denen eines eine Frau war, eines ein Bastard, eines ein halbes Kind, und eines viel zu schlechte Laune hatte? Sicher nicht. Der König hätte sie besser nach Car Pentras bestellt, um ein offizielles Familienportrait malen zu lassen, bevor sie alle in Stücke gehackt wurden…
Es war schon gruselig, sie um den Tisch herum sitzen zu sehen: Alle sechs mit den gleichen krausen dunkelbraunen Haaren. Ihren schönen, harten Gesichtern, die man nicht mehr schön finden konnte, wenn es weit und breit kein häßliches zum Vergleich gab. Ihre grünlichbraunen Augen. Der Vater wie seine Söhne, mehr Fleisch auf den Rippen, mehr Grau im Bart, und doch aus einem Guß.
Dannen fürchtete nichts mehr als diese Momente, in denen sie alle gleich waren. Er trug keinen Bart, auch wenn man ihn deswegen verlachte - es machte ihn zu etwas eigenem, zumindest von außen. Aber es reichte nicht. Er würde immer nur aussehen wie der Sohn seines Vaters, seines Großvaters, jedes verdammten Ahn bis hin zu Vigilander selbst. Mehr als zwanzig Generationen von Männern, denen im Leben kein anderes Ziel heilig sein durfte als Rache.
Und dann sollte er seinem Bruder verzeihen?
»So«, sagte der König. »Wir haben uns hier vielleicht nicht aus dem erfreulichsten Grund versammelt, aber es ist immer noch eine Art Familientreffen, und ich bin froh, euch alle hier gesund und munter zu sehen, auch wenn Dannen gleich sagen darf, warum er so grimmig dreinschaut.«
Dannen warf Leota ein verstohlenes Lächeln zu. Im Moment fühlte er sich mit ihr am engsten verbunden - sie war nur ein Jahr älter als er, und sie trug auch keinen Bart, natürlich, zum Glück.
Leota erwiderte das Lächeln nicht, zuckte nur die Schultern.
»Darf ich?« fragte Dannen.
Der König nickte. »Das hier ist eine informelle Beratung. Jeder von euch kann sagen, wo ihn der Schuh drückt, ohne sich um irgendwelche Protokolle sorgen zu müssen.« Er lächelte, doch er hörte rasch damit auf, als Dannen auszuholen begann.
»Also«, sagte Dannen. »Erst einmal das Offensichtliche. Ich bin mehrere Tage und Nächte geritten, um an diesen Ort zu kommen, habe kaum geschlafen, noch weniger gegessen, und es regnet. Und warum das Ganze? Um dir zuzustimmen, daß dieser unsinnige Krieg das Beste für unser Land ist, denn ein Nein willst du nicht hören.«
Das Gesicht des Königs verfinsterte sich. »Habe ich dich zu einem Feldherrn gemacht, damit du unseren Krieg und die Ehre Doubladirs in den Schmutz ziehst?«
Dannen lachte bitter. »Hast du mich gefragt, ob ich Feldherr werden will? Oder ob ich diesen Krieg will? Es ist Frühling, die Bauern gehören auf die Felder und nicht in die Schlacht. Wenn es Herbst wird, verfault die Ernte auf den Feldern, weil kein Mann da ist, sie einzufahren. Wir haben die besten Waffen der Welt, und sonst nichts. Wir schlafen in kalten, zugigen Burgen und hüllen uns im Winter in Felle wie die wilden Tiere, während sie in Loringaril goldene Kutschen fahren. Doch wir führen keinen Krieg, um diese Schätze zu stehlen, sondern um sie zu zerstören, und nennen das Heilige Rache.«
»Wenn du -«, sagte der König, doch jetzt wahr Dannen in Fahrt, und er ließ seinen Vater nicht ausreden.
»Ich bin noch nicht fertig.« Er stand auf, um zumindest für den Moment größer zu sein als alle anderen, und stützte sich mit den Handflächen auf dem Tisch ab, der diesen Namen eigentlich nicht verdient hatte. »Du wolltest wissen, was mich ärgert, also laß es mich gefälligst sagen! Ich habe zuhause einen Haufen Männer, die ich alle deiner großartigen Idee verdanke, einen Feldherrn aus mir zu machen, und die keine Ahnung haben, wie man in eine Schlacht reitet, aber statt daß ich es ihnen wenigstens zeigen kann, zwingst du mich hierher, und dann soll ich auch noch munter sein?« Er schnaubte, als der König seinen Stuhl zurückschob und ebenfalls aufstand. Dannens Geschwister wichen ein Stück zurück.
»Das reicht, Dannen!« rief der König zornig. »Du bist mein Sohn, aber ich lasse dich nicht mit mir reden wie deine Mutter!«
»Wenn ich mit dir spräche wie Mutter«, entgegnete Dannen, »würde ich dir noch ganz andere Sachen sagen!« Er sah nicht auf seinen Vater, als er sprach, nur auf dessen Hände, so angespannt, daß die Knöchel weiß wurden. Niemand mochte es, wenn das Gespräch auf Mutter kam. Sie gaben sich lieber wie ein Witwer und vier Waisen. Aber nicht Dannen hatte das Thema angesprochen…
»Hinaus!« donnerte der König. »Dannen, hinaus! Sofort!«
»Oder was?« höhnte Dannen. »Forderst du mich zum Duell? Erklärst du Car Lamanthul den Krieg? Oder mußt du nicht auch dafür zuerst warten, daß es dir dein Schwert befielt? Seit wann triffst du eigene Entscheidungen?«
Dannen wußte, daß er zu weit ging. Er zitterte vor Wut. Aber auch sein Vater ging zu weit. Und es war zu spät. Jetzt konnten sie nicht mehr einfach aufhören und sich die Hände schütteln. So wurden schon Kriege vom Zaun gebrochen. Aber noch nie innerhalb der königlichen Familie.
Irgendwo war eine Stimme. »Gib auf! Entschuldige dich!« Vielleicht war es Gerrat, aber wahrscheinlicher Dannens Gewissen. Oder seine eigene Feigheit. Dannen biß die Zähne zusammen. Er zitterte stärker.
Langsam, sehr langsam, zog der König das Schwert. Lautlos glitt es aus seiner Scheide - mehr als lautlos, denn in diesem Moment erstarben auch alle anderen Geräusche, alle, jeder Atemzug, selbst der Regen schien einen Moment innezuhalten.
Auch Dannen stand wie gelähmt, seine Augen wie gebannt durch die Heilige Klinge. Das war Angst, nackte Angst; bis Dannen wieder Herr seiner selbst war, reihte er Stoßgebet an Stoßgebet, flehte einen Engel, der nicht vergab, um Vergebung an.
Doch er sprach kein Wort. Dannen kniete vor seinem Engel, nicht vor seinem Vater.
Einen Augenblick lang rührte sich niemand. Dann schob der König das Schwert in die Scheide zurück, so langsam, wie er es gezogen hatte. Dannen konnte nicht anders, als erleichtert aufzuatmen.
»So«, sagte der König. »Du wirst es nie wieder verhöhnen, noch mich, noch mein Land.«
Dannen biß die Lippen zusammen. Jetzt gar nichts mehr sagen!
»Hast du ihn nicht gehört?« Es war ausgerechnet Rul, der das sagte. Ausgerechnet Rul, der aufstand und Dannen beim Arm packte. »Entschuldige dich, oder gehorche ihm zumindest!«
»Rul«, sagte Dannen durch die Zähne. »Halt dich raus!« Das war eine Sache zwischen ihm und seinem Vater. Und wenn sie einen nichts anging, dann den Bastard. Es war schlimm genug, daß er hier zwischen den anderen sitzen durfte, aber daß er sich jetzt auch noch aufführte -
»Laß ihn los!« sagte Gerrat. Ausgerechnet Gerrat. Das war zuviel.
Dannen sagte nichts mehr. Er fegte Ruls Arm beiseite, drehte sich um und stapfte aus der Hütte, hinaus in den Regen.
Was zuviel war, war zuviel. Vielleicht war dieser Krieg doch ganz gut. Er konnte Dannen seine ganze verdammte Familie vom Hals schaffen…
Dannen kniff die Augen zusammen. Der Regen lief ihm über das Gesicht, als er sein Pferd losband, sich in den Sattel schwang und losritt. Blind vor Regen. Blind vor Wut.

Es dauerte nicht lange, da war Dannen in erster Linie nur noch auf sich selbst wütend. Wie konnte er nur! Und dann auch noch! Und so weiter. Der Regen war sehr hilfreich.
Aber etwas war falsch. Und nachdem er zwei Runden um das Wäldchen galoppiert war, begriff Dannen auch, was es war: Er saß auf dem falschen Pferd
Dannen wußte nicht, ob er fluchen oder lachen sollte. Das war ihm noch nie passiert, noch nicht mal im Suff - aber er saß wirklich auf Gerrats Wallach. Es war leicht, die Pferde zu verwechseln, versuchte Dannen sich herauszureden. Die Pferde waren Geschwister aus der selben Zucht, am selben Baum angebunden… Dannen mußte lachen. Zumindest hatte ihm niemand zugesehen. Und die Pferde würden sich nichts verraten.
Und dann fiel Dannen etwas ein. Dieses Pferd konnte ihm doch etwas verraten. Und zwar nicht weniger als Hanas Aufenthaltsort! Pferde hatten ein gutes Gedächtnis für Wege. Wenn Gerrat von dem Hof, auf dem er Hana untergebracht hatte, hergeritten war - und woher sollte er sonst gekommen sein? - dann mußte das Pferd auch dorthin zurückfinden können.
Dannen ließ die Zügel locker. »Lauf zu, Haleon!« Er gab dem Wallach einen Klaps. »Lauf zu! Lauf nach Hause!«
Das Pferd - Haleon - setzte sich in Bewegung. Erst gemütlich im Schritt, dann verfiel es in leichten Trab, vielleicht, um dem Regen zu entkommen? Schneller beim Futter zu sein? Eigentlich wollte es Dannen nicht wissen. Wer begab sich schon gerne auf die Gedankenebene eines Pferdes? Wieder mußte Dannen lachen, wunderte sich noch kurz über seine gute Laune und freute sich wieder über seine gute Idee -
Und fand sich vor der königlichen Jagdhütte wieder, wo Haleon seinen Bruder Horalon mit freudigem Schnauben grüßte. Keine Hana weit und breit. Und ein Pferd, das seine Geheimnisse hütete. Dannen lachte, fluchte, schickte Haleon in den Nilomar und schnappte sich sein eigenes Pferd. Idiot. Trottel. Versager.
Dannen saß nicht auf. Er stand da mit den Zügeln in der Hand, naß bis auf die Haut, und verachtete sich. Vertraute lieber einem Pferd, als seinem Verstand! Konnte nichts richtig machen! Gab immer klein bei. Konnte nicht mal seinem Vater die Stirn bieten, geschweige denn den eigenen Brüdern. Gab die Frau, die er liebte, kampflos auf. Und so weiter. Gerrat hatte Recht. Dannen verdiente Hana nicht.
Von der Hütte her drang Stimmengewirr durch das Rauschen des Regens. Zumindest waren sie auch ohne ihn nicht einer Meinung. Aber das half nicht, Dannen aufzubauen. Er wollte noch nicht wieder zurück. Ein einziges Mal nicht gleich wieder kleinmütig angekrochen kommen… Dannen atmete ruhig durch. Dann saß er auf und ritt los. Einmal die Wut loslassen. Den Kopf freikriegen. Sich einfach treiben lassen. Es ging um die Liebe. Und da konnte er sich, selbst als Vigilanders Nachkomme, einmal von seinem Herzen leiten lassen.
Und so ritt Dannen einfach drauflos, hinaus ins Grüne, in den Wald hinein, an dessen Ende ein Horizont liegen mochte oder sonstwas - vielleicht Hana? Vielleicht eine andere Frau, die ihr ebenbürtig war? Dannen stellte keine Fragen, beschloß nur, die Antwort zu akzeptieren, wie immer sie auch lauten mochte.
Dann geschah das erstes Wunder: Es hörte auf zu regnen - ließ erst nach und endete dann ganz. Dann quoll die Sonne durch einen Riß in der Wolkendecke, und alles begann zu leuchten und zu glänzen. Bestimmt gab es auch irgendwo einen Regenbogen. Doch als Dannen den Kopf reckte und zum Himmel blickte, sah er etwas anderes: Die Silhouette eines Raubvogels.
Es konnte ein Sperber sein oder ein Bussard, aber Dannen wußte, wußte ganz sicher, daß es ein Falke war. Er trieb das Pferd an und galoppierte los, den Weg entlang, dem nächsten Haus entgegen.
Und dort traf er Hana.
Sei stand am Brunnen, blickte zum Himmel und dann in seine Richtung, und wieder war ihr Haar wie rotes Gold in der Sonne.
Dannen fiel in Schritt, langsamen Schritt, er wollte diesen Anblick genießen, nicht zerstören. Sie war schön. Sie war von einer schönen Stärke, die jeden, der ihr verfiel, schwächen konnte. Aber in diesem Augenblick machte ihr Anblick Dannen stark, und froh.
Sie kam auf ihn zu, und einen Augenblick lang hoffte Dannen - oder wünschte es sich zumindest - sie möge ihn mit seinem Bruder verwechseln, doch sie tat es nicht, und doch lächelte sie.
Dannen saß ab. Er fühlte sich strahlen, und traurig war er zugleich.
»Dannen«, rief sie. »Ist etwas passiert?«
Beschwichtigend hob Dannen die Hände. »Nein, keine Angst, es ist alles in Ordnung.«
Irritiert runzelte Hana die Stirn. »Aber - warum kommt Ihr dann?«
Was hatte er erwartet? Daß sie ihm freudestrahlend um den Hals fiel? Jetzt wußte er nicht, was er sagen sollte, außer Um mich endgültig zum Narren zu machen’. Und so blieb er still.
Hana schüttelte den Kopf. »Und wie Ihr ausseht - Ihr seid ganz naß. Wie eine ertrunkene Katze seht Ihr aus.«
Dannen fühlte sich zusammenschrumpfen. Und zittern mußte er plötzlich auch. Auf einmal war ihm kalt. Die nassen Kleider zerrten an ihm. Er schüttelte sich.
Hana trat auf ihn zu und faßte ihn bei der Hand. »Kommt mit! Kommt ins Warme!« Ihr Griff war warm und fest. Sie war mehr als einen Kopf kleiner als Dannen, und auch ihre Hand war viel kleiner als seine, aber er ließ sich widerstandslos ziehen und dachte gerade noch daran, Horalon mit der anderen Hand mitzuführen. Seine Füße berührten den Boden kaum. Wenn das seine Antwort war, wollte er sie gerne akzeptieren.
An der großen Linde vor dem Hof blieb Hana stehen. Sie ließ seine Hand los und senkte den Blick. »Dannen, ich… es tut mir leid.« Sue barg das Gesicht in ihrer Hand.
Dannen widerstand dem Drang, sie an sich zu drücken, und legte ihr nur den Arm um die Schultern. »Was ist denn?« Wenn sie unglücklich war - wenn Gerrat sie unglücklich gemacht hatte -
Doch Hana schüttelte den Kopf und drehte sich aus der Umarmung. »Bitte, Dannen… Ihr tropft mich voll. Es ist nichts.«
»Aber?« fragte Dannen und lehnte sich, etwas trotzig, gegen sein Pferd.
»Ich kann Euch nicht mit hineinnehmen«, sagte Hana leise. »In der Küche ist die Bauersfrau, und - ich weiß nicht, was sie denken wird. Euer Bruder bezahlt die Bauern fürstlich für unseren Aufenthalt, und wenn ich dann mit Euch ankomme…« Es klang wie Ausflüchte. Als habe sie mehr Angst vor Gerrat als vor den Bauern.
»Es ist schon in Ordnung«, sagte Dannen, auch wenn es nicht stimmte. Wir können uns auch hier unterhalten.« Er band das Pferd an den Baum und setzte sich ins Gras. Nasser als naß konnte er ohnehin nicht mehr werden.
Hana drehte sich um und wandte sich zum Gehen. »Wartet hier. Ich hole Euch etwas Warmes.« Dann verschwand sie in Richtung Haus.
Dannen wollte schon wieder aufstehen und davonreiten, aber er blieb sitzen. Einmal mußte er eine Sache zu Ende bringen. Und dies war vielleicht die letzte Gelegenheit, sich in Ruhe und allein mit Hana zu unterhalten. Auch, wenn er sich mehr als nur eine Unterhaltung herbeiwünschte.
Dann kam Hana zurück, mit einem Krug in der Hand und etwas über der Schulter, daß sich als dicke Wolldecke herausstellte. »Hier, vielleicht hilft das, etwas besseres habe ich nicht finden können. Und etwas Warmes ist das hier auch nicht.« Sie reichte ihm erst die Decke, die Dannen sich etwas unschlüssig über die Schultern legte, und dann den Krug. Hana blickte ihn erwartungsvoll an. »Ich drehe mich dann um. Und wenn Ihr soweit seid, meldet Ihr Euch.«
Irritiert schüttelte Dannen den Kopf. »Was?«
»Ihr wollt das nasse Zeug nicht anbehalten«, sagte Hana ruhig. Und drehte sich um.
Selten war Dannen derart schnell aus seinen Kleidern gekommen. Zum einen, weil sie wirklich kaum erträglich naß waren, und zum anderen, weil egal, wo er stand, er immer noch von irgendwo aus sichtbar blieb. Er warf sich die Decke um und die nassen Sachen auf einen Haufen. Barfuß im nassen Gras, nackt unter einer halbfeuchten Decke - er konnte nicht sagen, daß ihm jetzt wärmer war. Aber vielleicht hatte Hana ja -
»Seid Ihr soweit?« fragte Hana.
Dannen raffte die Decke enger um sich. »Das schon«, sagte er. »Aber -«
Hana wandte sich wieder um. Und schüttelte den Kopf. »Also wirklich, Dannen, manchmal muß man Euch einfach gern haben.« Sie hob die nassen Sachen auf, ein Stück nach dem anderen, wrang sie aus und hing sie über die Äste der Linde.
»Es wird eine Weile dauern, bis sie trocknen«, sagte Dannen. »Mögt Ihr mir solange Gesellschaft leisten?« Er hockte sich hin und lehnte sich gegen den Stamm der Linde.
»Habe ich eine Wahl?« fragte Hana.
Dannen seufzte. »Ich zwinge Euch zu nichts. Es ist nur…«
»Nur was?« fragte Hana.
»Ich habe meine ganze Familie gegen mich aufgebracht«, sagte Dannen leise. »Ich bin durch den Regen geritten auf der Suche nach einer Antwort. Ich habe sehr viel Wasser gefunden und Euch, und jetzt sitze ich hier und meine Kleider sitzen da, und eine Antwort habe ich nicht.«
»Vielleicht«, sagte Hana, und setzte sich zu ihm, »weil Ihr nicht fragt.«
Dannen zögerte noch. Eine Frage, eine Antwort, und alles konnte vorbei sein. Die richtige Frage. Und die richtige Antwort. Er nahm einen Schluck aus dem Krug. Kaltes Wasser, sehr kaltes Wasser, aber seltsam erfrischend. Er fühlte sich sehr nackt unter der Decke. Hanas Augen lagen auf ihm. Und sie schienen nicht nur durch die Wolldecke hindurchzuschauen, sondern auch durch ihn.
Eine Weile sagte niemand etwas. Dann, endlich, faßte Dannen sich ein Herz. Er brauchte diese Antwort, egal um welchen Preis. »Ihr liebt Gerrat, nicht wahr?« Obwohl seine Frage eine andere war.
Hana gab sich sichtlich Mühe, nicht allzusehr zu strahlen, und dafür dankte er ihr. »Ja«, sagte sie ohne Zögern. »Ja, sehr.« Mehr sagte sie nicht, und auch dafür war er ihr dankbar.
Dannen schluckte. »Bin ich… so anders als er?«
Er dankte ihr auch für ihre Bedenkzeit, dabei suchte sie wohl nur nach den rechten Worten. »Ja«, sagte Hana. »Und Ihr wärt selbst am unglücklichsten, wenn es anders wäre. Gerrat ist etwas Besonderes. Und Ihr seid es auch.«
Sie wußte es. Sie wußte es, daß er sie liebte. Vielleicht schmeichelte es ihr. Vielleicht störte es sie. Aber sie liebte ihn nicht. Hatte ihn nie geliebt. Würde ihn nie lieben. Es tat weh. Aber zugleich war es auch eine Erleichterung, auf gewisse Weise.
Ohne sich um seine Familie und den Kriegsrat zu scheren, blieb Dannen mit Hana unter der Linde sitzen, bis seine Kleiner trockner waren. Er unterhielt sich mit ihr, über das Wetter, über die Jagd, über den Krieg, und als sie sich verabschiedeten, umarmten sie sich, wie Freunde, auch wenn es weh tat.
Ein kühler Wind kam auf. Es begann wieder zu regnen.
Und Dannen nickte Hana noch ein letztes Mal zu.
Und stieg auf.
Und ritt davon.

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