Wenn Hauptmann Mendrion eines nicht mochte, waren es Aushebungen.
Das stimmte so nicht ganz - Hauptmann Mendrion mochte vieles nicht.
Aber man konnte sagen: Zu den Dingen, die Hauptmann Mendrion am
allerwenigsten mochte, gehörten Aushebungen.
Vor allem im Moment.
Wofür war er Soldat geworden - um von Dorf zu ziehen wie ein
Spielmann oder ein Hausierer und dort laute, unflätige,
grobgeschlachte Burschen einzusammeln? War das der Weg zu Ruhm und
Ehre? Sicher nicht. Aber hatte Mendrion eine Wahl? Auch nicht.
Mendrion entstammte einem alten Rittergeschlecht, dessen Söhne
es in das edle Kriegshandwerk verschlagen hatte, vor allem, seit es
mit dem Raubrittertum nicht mehr viel zu gewinnen gab und
derKönig den Ritterstand aufgehoben hatte. Was war Mendrion
nun? Baron? Noch nicht einmal das. Herr war das Beste, was
er vor seinen Namen hängen konnte. Hauptmann klang da
schon besser. Und so wurde Mendrion ein Hauptmann, wie schon sein
Vater vor ihm, und sein Großvater, und dessen Vater, und mit
jedem Tag, den Mendrion mit seiner Aushebungspatrouille durch die
Berge ritt, wich der anfängliche Stolz doch mehr und mehr dem
Wissen, daß zwar jeder seiner Vorfahren in den letzten
hundert Jahren ein Hauptmann war - aber keiner von ihnen jemals
mehr. Und daß es wohl auch nicht an Mendrion sein sollte, mit
dieser Tradition zu brechen.
Natürlich, er war noch jung - aber so konnte das nichts werden.
Abgestraft mit einer Horde fauler, vorlauter Rüpel. Abgestraft
mit Männern wie Caion dem Schreiber oder Bakonyn dem
Verlierer. Das war nicht der Weg zu Ruhm und Ehre - bestenfalls der
Weg zum Heldentod, und den wünschte Mendrion doch lieber
anderen.
Hauptmann Mendrion konnte Aushebungen nicht ausstehen.
Mendrion mochte seine Männer nicht. Aber seine Männer
mochten Mendrion. Er hatte das richtige Händchen, wußte
mit den Burschen umzugehen. Sie gehorchten besser, wenn sie ihren
Hauptmann mochten. Und dafür gab es ein paar Tricks - Mendrion
mußte sich nur einen, vielleicht zwei, Namen merken. Wenn er
diesen Mann dann persönlich ansprach, fühlten sich alle
angesprochen. Wenn er diesen Mann frotzelte, dachten alle,
daß Mendrion einen Spaß vertragen konnte. Und dann
mochten sie ihn. Viel mehr war nicht nötig.
Aber Mendrion mochte seine Männer nicht, und er achtete
darauf, so wenig Namen wie möglich zu lernen, selbst wenn er
mit seinem Haufen wochenlang quer durch Doubladir marschierte. Am
Anfang war es am schwersten, da waren es nur wenige, und sie
kannten einander, aber mit jedem Dorf kamen neue Hinzu, und Namen
waren nicht mehr nötig. Ein Bauer gab seinen Lämmern auch
keine Namen, wenn er sie zur Schlachtbank führte. Es machte es
leichter, sie zu verlieren.
Mendrion war schon seit ein paar Jahren Hauptmann - aber das war
wohl mehr ein Verneigen des Königs vor der Tradition denn vor
Mendrions strategischem Geschick. Dies war Mendrions erster Krieg.
Und er hatte besseres von ihm erwartet, als eine
Preßpatrouille anführen zu müssen. Männer ohne
Ehre, die von Dorf zu Dorf zogen, die Söhne verschleppten und
die Töchter schändeten - konnte man dafür keine
Söldner nehmen? Es gab doch genug davon. Und der Krieg zog sie
nach Doubladir wie die Scheiße die Fliegen. Aber vielleicht
wollte man gerade deswegen jemanden wie Mendrion. Der König
wollte beliebt bleiben, trotz des Krieges, oder vielleicht auch
wegen des Krieges - den vorletzten hatte er begonnen, um
über den Skandal um seinen Bastard hinwegzutäuschen. Und
den letzten, als ihm die Frau davonlief. Was war es wohl diesmal -
hatte einer der Prinzen eine Magd geschwängert? Oder
vielleicht der König selbst? Es sollte Mendrion recht sein. Er
war gerade im passenden Alter für seinen ersten Krieg.
Aber Mendrion hatte diese Aushebung am Hals. Und seine Männer
bereiteten ihm wenig Freude. Vor allem einer.
Mendrion hatte sich seinen persönlichen Liebling gleich am
Anfang ausgeguckt, unter den Rekruten aus dem Dorf Elad Modran:
Pogge war ein junger Mann, der ein allzu vorlautes Mundwerk
besaß, und der nun damit leben mußte, daß sein
Hauptmann ihn immer als erstes ansprach, schalt und - selten, sehr
selten einmal - lobte. Und alle waren zufrieden: Mendrion, Pogge -
für den es eine seltsame Form von Ehre war - und Pogges junge
Kameraden, die sich mit dem Burschen identifizierten und
gleichzeitig froh waren, selbst nicht der Auserkorene zu sein. Was
Pogge anging, so konnte alles bleiben, wie es war. Aber leider gab
es noch einen anderen Jungen, dessen Name Mendrion im
Gedächtnis bleiben sollte, dessen Gesicht er vor Augen hatte,
wann immer er es gerade nicht brauchen konnte. Der Kohlenjunge aus
Elad Courblaka. Kohlenjunge. Mendrion wollte von ihm nicht anders
denken. Er wollte keinen Namen kennen. Er wollte, daß dieses
Gesicht in der Masse verschwamm wie alle anderen.
Aber in nur drei Tagen regte sich Mendrion über diesen Jungen
mehr auf als über alle anderen Rekruten zusammen in all den
Wochen, seit sie unterwegs waren. Der gebärdete sich wie der
Dorfdepp. Vergeudete alle Kraft durch unsinnige Badeausflüge.
Gab Widerworte - fast konnte man glauben, dieser Varyn wäre
aus keinem anderen Grund geboren, als seinem armen Hauptmann das
Leben schwer zu machen. Varyn - ein Name, den man nicht wieder
vergessen konnte, egal wie sehr man es auch versuchte. Ein Name,
der Mendrion noch in fünfzig Jahren heimsuchen würde,
falls der solange lebte, hieß das. Falls Varyn ihm nicht ein
frühes Grab schaufelte. Er arbeitete ja wahrlich hart
daran…
Drei Tage lang war es ein Machtkampf um Kleinigkeiten. Mendrion
wußte, daß er den Jungen schikanierte, wie er noch nie
einen Rekruten schikaniert hatte. Manchmal tat es ihm fast leid -
das war ja eigentlich noch ein halbes Kind - aber dieses Mitleid
verging sofort wieder, wenn ihm das selbstgefällige
Lächeln wieder unter die Augen kam. Varyn verdiente es nicht
besser. Varyn legte es darauf an. Wer so sehr mit seiner
überschüssigen Kraft angab, mußte belastet werden,
bis er schnaufte wie alle anderen. Doch am Ende schnaufte nur
Mendrion.
Zwischendurch hätte er vielleicht gern einmal in Ruhe mit
Varyn geredet. Ihn gefragt, wo sein Problem lag, warum er die
Gruppe so störte, warum er seinen Hauptmann so quälte.
Doch das ging nicht. Mendrion durfte sich keine Blöße
geben - nicht vor seinen Rekruten, und nicht vor seinen Begleitern.
Er konnte nicht plötzlich anfangen, den Kohlenjungen wie einen
Menschen zu behandeln.
Der vierte Tag, endlich, sollte ein wenig Ruhe bringen. Auf seinem
Weg durch das östliche Bergland hatte Mendrion den
nächsten Ort erreicht, wieder eine Ansiedlung von ein paar
Dutzend Häusern, ein paar hundert Leuten, die sich so sehr
ähnelten und eine solche Unzahl von Kindern hatten, daß
der Stumpfsinn des Berglebens zum Greifen nahe war. Elad Irgendwas
- die Namen der Orte waren Mendrion so egal wie ihren Bewohnern.
Wenigstens wurde hier keine Kohle geschlagen. Und wenigstens gab es
hier ein Gasthaus. Sie würden im Krieg noch genug Nächte
zelten.
Das Siegel des Königs öffnete die Türen. Eine Nacht
lang war dies nun Mendrions Haus. Das Siegel das Königs roch
nach Gold - aber danach konnte es riechen, soviel es wollte. Zahlen
würde der König nicht, und auch nicht Mendrion. Nur der
Wirt. Und solange der noch nichts ahnte von seinem
Glück…
»Bier für meine Männer!« sagte Mendrion laut
und ließ sich in einer Nische nieder, an einem Tisch, an dem
bestenfalls fünf Personen Platz fanden. Er genoß das
fröhliche Johlen der Rekruten einen Moment lang, dann zeigte
er auf seinen Tisch, und auf Bakonyn, Lotar und Caion. »Meine
Männer.« Er grinste. Momente wie dieser entschuldigten
ihn für alles - die Aushebung, sogar für Varyn.
Die Rekruten zogen enttäuschte Gesichter, einige maulten, aber
nur leise. Worte wie ‘Durst’ drangen bis zu Mendrion.
Aber sie sollten ruhig noch ein wenig zappeln. Mendrion blickte in
die Runde.
»Wer hat hier ein Bier verdient?« fragte er streng.
Ganz wie erwartet, brüllte jeder: »Ich!«
Mendrion schüttelte den Kopf und hob eine Hand. Und
genoß die Stille. »Wir machen es ganz einfach«,
sagte er dann. »Jeder von euch tritt vor und nennt einen
Mann, der ein Bier verdient hat. Aber… niemand darf sich
selber nennen.« Das war wieder einer von Mendrions Tricks.
Als ob er ihre ganzen Namen kannte! Aber es wirkte.
Natürlich.
Wie immer getraute sich Pogge als erster vorzutreten. Einen Moment
lang rechnete Mendrion mit dem Schlimmsten, doch dann sagte der
rothaarige Junge: »Ich weiß einen! Unser Hauptmann
Mendrion!«
»Ja!« rief ein anderer. »Der
Hauptmann!«
Glaubten sie, daß sie ein Bier bekamen, wenn sie sich bei ihm
einschleimten? Mendrion hörte es sich zufrieden an, hörte
sie seinen Namen rufen, vier-, fünfmal, und dann sagte er:
»So, Hauptmann Mendrion hat also ein Bier verdient? Na, das
bekommt er jetzt auch.« Und er grinste den Wirt an, und
lehnte sich zurück, und schloß die Augen, und war
zufrieden.
Aber dann dauerte der Spaß lange genug, und Mendrion blickte
die Rekruten an und machte eine abwinkende Geste. »Geht, sagt
dem Wirt, was ihr haben wollt. Ihr mögt faul wie Hunde sein
und dumm wie Brot, und doch ist heute ein jeder von euch wie ich
ein Mann des Königs.«
Der Wirt hatte das gehört, und natürlich beeilte er sich,
das große Faß anzuschlagen. Wofür so ein
König nicht alles gut war! Noch glaubte der Wirt, daß er
am anderen Tag ein reicher Mann war. Mendrion tat nichts, um ihm
diese Freude zu nehmen. Das hatte Zeit bis zum anderen Morgen. Und
warum sollte es dem Wirt dann besser gehen als den Männern des
Königs?
»Meint Ihr, das ist klug, Hauptmann?« fragte Caion
leise.
Mendrion mochte den Mann nicht - hielt sich für was besseres,
weil er schreiben konnte. Fragte nach Wein, wenn die anderen Bier
tranken. Und schaffte es, in der einfachsten Rüstung
verkleidet auszusehen… Warum der König auf Schreiber
bestand, wußte Mendrion nicht. Das mit den Soldlisten konnte
man sicher auch anders regeln.
»Klug?« fragte Mendrion zurück. »Wenn ich
klug wäre, wofür hätte ich dann Euch dabei?«
Er bemerkte ein leichtes Schmunzeln bei Bakonyn, und das freute
ihn. Das Mann lachte viel zu selten, gut, er hatte auch keinen
Grund dazu, aber Mendrion hatte an diesem Abend gute Laune und war
bereit, davon abzugeben. »Was wäre ich denn ohne
Euch?« Er nickte seinen Männern zu. »Ich bin nur
ein gewöhnlicher Hauptmann. Ich kann nicht schreiben«, -
Caion. »Nicht kochen«, - Lotar. »Nicht
trommeln«, - Josten, Bakonyns Sohn, der mit in den Krieg
mußte, weil der Vater sonst daheimgeblieben wäre -
»und wenn es nach mir ginge, würden wir immer nur
über die linke Flanke angreifen.«
Es reichte für ein Lächeln. Immerhin. Mendrion schob den
Männern die Bierkrüge zu. »Trinkt«, sagte er.
»Mit Gruß vom König.«
Seine Offiziere bei Laune zu halten war mindestens ebenso wichtig
wie in der Kompanie beliebt zu sein. Das waren Männer, denen
er im Zweifelsfall seinen Arsch anvertrauen mußte.
Außer Caion, natürlich.
In jedem Fall war es eine gute Idee, die Dorfbevölkerung
auszusperren. Beim letzten Mal war das Gedränge
unerträglich, und Mendrion, nicht zu vergessen, gezwungen, mit
dem ganzen Pack an einem Tisch zu sitzen. Heute dagegen befand sich
zwischen ihm und den Rekruten fast das ganze Gasthaus. Und Mendrion
konnte so tun, als ob sie gar nicht da waren, oder zumindest, als
ob sie nicht zu ihm gehörten. Morgen, da konnten sie wieder
Hauptmann und Soldaten sein. Morgen, und alle Tage danach. Aber
dieser Abend hier sollte heiliger sein als der ganze
Krieg -
Der Krieg. In Gedanken war Mendrion dort, wo er hingehörte.
Plante ihn, als ob es sein eigener war. Träumte davon, die
Reiterei zu befehligen, aber da er wußte, er hatte nur das
Fußvolk unter sich, würde er das Beste daraus machen.
Ein Fußvolk, von dem man noch in hundert Jahren sprechen
sollte. Mendrions Männer. Die Loringarils Truppen am Aleruan
einkesselten und, obwohl in Menge und Ausrüstung unterlegen,
in ihre Heimat zurückprügelten… Es half nicht
viel. Mendrion war kein Stratege. Er konnte führen, er konnte
planen, er konnte eine Situation ausnutzen. Aber ohne einen Mann
wie Bakonyn an seiner Seite, das war die traurige Wahrheit,
hätte der König Mendrion wohl nicht mal einen Trupp von
Bauersfrauen führen lassen. Aber nicht an diesem Abend.
An den Tischen mit den Rekruten schwoll der Lärm langsam an.
Es war den Männern vielleicht egal, ob das Bier nun frei war,
aber sie wußten nicht, wann sie wieder welches bekommen
sollten. Nach harten Tagen mit Brot und Grütze sollte es ihnen
gegönnt sein. Solange sie nicht zu weit gingen, sich
prügelten oder Tische und Bänke zerschlugen…
Bakonyn lehnte sich zu ihm herüber. »Wie ist es,
Mendrion?«
Abwartend blickte Mendrion auf. »Was?«
Der alte Hauptmann sprach leise. »Ich kann ein Auge auf sie
haben. Halte dir den Rücken frei, wenn es muß.«
Bakonyn hatte keinen Hang dazu, offene Kritik an Mendrion zu
üben, sondern fand freundliche, väterliche Worte für
alles. Aber Mendrion hatte gelernt, auf die Zwischentöne zu
hören. In seiner Position konnte er sich nichts anderes
erlauben. Und Bakonyn war, auf seine Art, weise.
So schüttelte Mendrion den Kopf. »Nicht nötig. Ich
habe sie im Griff.« Wenn es sein mußte, konnte er auch
in Untertönen reden. Jetzt bedeutete es soviel wie ‘Ich
habe mich im Griff’ - Mendrion kannte seine Grenzen.
Er trank sein Bier, aber er betrank sich selten, und nie vor seinen
Soldaten. Bakonyn sollte das wissen.
Aber wenn der Mann schon so fragte… »Bedauerst du,
daß es nicht deine Truppe ist?« fragte Mendrion
zurück.
»Manchmal«, sagte Bakonyn. »Zumindest, solange
sie leben.«
Manchmal war dieser Mann Mendrion ein Rätsel. Manchmal fragte
sich Mendrion, warum aus Bakonyn kein Säufer geworden war.
Oder, warum dieser Mann ausgerechnet seinen einzigen Sohn in den
Krieg mitnehmen mußte, welchen er doch so sehr haßte -
Bakonyn war ein glänzender Stratege. Ein brillanter Feldherr.
Und mußte doch damit leben, daß ihn alle Welt nur
Bakonyn den Verlierer nannte. Und, daß er nie wieder eine
Einheit anführen würde. Mendrion bedauerte ihn. Aber es
sollte ihm Recht sein. Im Krieg war Mitleid verfehlt.
»Ich gebe dir einen ab«, sagte Mendrion. »Den
kannst du haben, wenn du ihn mir nur vom Halse
hältst.«
»Du meinst den jungen Varyn?« fragte Bakonyn, und
lächelte.
Mendrion wünschte sich, der Name wäre aus dem Spiel
geblieben. Von einem Moment auf den anderen schmeckte sein Bier
schal. Er nickte, und wußte gleichzeitig, daß Bakonyn
wohl den Namen eines jeden Rekruten kannte. Wenn man dem Mann eines
vorwerfen konnte, dann, daß er aus seinen Fehlern nichts
lernte. Hing sein Herz zu sehr an die Truppe, damals wie heute.
»Du kannst ihn haben«, sagte er.
Vielleicht wollte Bakonyn hierauf noch etwas sagen, aber in diesem
Moment begann einer am Tisch der Rekruten zu singen, und wie es
üblich war bei jungen Männern mit zuviel Bier und zu
wenig Verstand, fielen gleich ein halbes Dutzend mit ein, an
unterschiedlichen Stellen und auf unterschiedlichen Tönen.
Mendrion seufzte. Aber auch das gehörte zu so einem Abend. Man
konnte nur hoffen, daß es nicht bei dem einen Lieb blieb,
denn sonst würde er die ganze Nacht lang nichts anderes mehr
zu hören kriegen…
Mendrion atmete erleichtert auf, als er das Lied erkannte - das
war ein Kriegslied, das war gut an so einem Abend, es
schweißte die Männer zusammen und erinnerte sie zugleich
daran, wer sie waren, und warum hier. Heikel wurde es erst, wenn
sie ihren daheimgebliebenen Frauen hinterhersangen.
»Soll ich die Trommel holen?« fragte Josten
unschuldig.
Mendrion deutete eine Backpfeife an. Bakonyn verwöhnte den
Jungen zu sehr - das endete früher oder später in
Unverschämtheit und einem Ruf, der es Josten nicht leicht
machte, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Besser war
es, ihn zu behandeln wie die anderen dummen Jungen - schlimm genug,
daß er mit Mendrions Männern am Tisch sitzen durfte! So
konnte man Josten schon bald für ein Maskottchen
halten…
»Die Trommel bleibt still«, sagte Mendrion. »Wir
wollen einen netten Abend, keine Schlacht. Aber wenn du dich zu den
Rekruten setzen willst - frag deinen Vater.«
Mendrion selbst hätte es dem Jungen nur allzu gern erlaubt,
und er hoffte inständig auf Bakonyns Zustimmung. Nicht, weil
er es gut fand, wenn ein Knabe von dreizehn Jahren mit einer Gruppe
Halbstarker trank, aber weil er zumindest einen Abend lang seine
Ruhe haben wollte…
Mendrion lauschte einen Moment lang dem anschwellenden Grölen
vom Nachbartisch. An Ruhe war an diesem Abend nicht zu denken, so
oder so. Der Gesang war allgemeinem Johlen gewichen, die Stimmung
war gut, es sah nicht nach einer Schlägerei aus - Mendrion
beschloß, noch dieses Bier aufzutrinken und sich dann auf gen
Bett zu machen. Es war auch für ihn auf Wochen das letzte
richtige Bett. Etwas, das man auskosten sollte. Noch war es nicht
zu spät, sich auf die Suche nach einer geeigneten Frau zu
machen…
Mendrion stand auf und klopfte Bakonyn auf die Schulter.
»Für mich war’s das dann, du kannst sie
haben.«
Bakonyn nickte, sein Blick skeptisch wie immer. »Gut…
Wie lang soll ich sie noch machen lassen?«
Mendrion zuckte die Schultern. »Solange sie wollen - und
solange der Wirt mitspielt, heißt das.«
»Hm«, sagte Bakonyn. »Ein paar sind schon
ziemlich betrunken, hast du gesehen?« Er deutete mit dem Kinn
auf einen Burschen, dem es noch gelang, sich zur Tür zu
schleppen, bevor er seinen Mageninhalt von sich gab.
»Habe ich gesehen«, entgegnete Mendrion. »Aber
sie sind erwachsen.«
Bakonyn hob wortlos eine finstere Augenbraue.
»Erwachsen genug, um in den Krieg zu ziehen«, setzte
Mendrion hinzu. »Dann sollten sie auch erwachsen genug sein,
um zu wissen, wann Schluß ist. Wir ziehen im Morgengrauen
weiter, wie jeden Tag. Wer dann nicht hochkommt, dem mache ich
Beine. Betrinken können sie sich selbst - ich mache sie
nüchtern.«
Am Tisch der Rekruten hielt Mendrion kurz inne. Er wollte noch
einen Blick auf sie werfen, einen letzten Blick, ehe er schlafen
ging, und sich fragen, was bei allen Engeln Bakonyn an so einem
Haufen fand, als er im Vorübergehen seinen Namen hörte,
aus einem sehr betrunkenen Mund, aber immerhin. Mendrion blieb
stehen. Er hörte genauer hin.
»- Hauptmann schafft er auch noch.«
Bevor Mendrion irgendwie reagieren konnte, war es schon zu
spät.
»Da ist er ja, der Hauptmann!« Eine vertraute Gestalt
sprang aus dem Pulk der jungen Leute. Rotes Haar, rotes Gesicht -
Pogge, wieder einmal. Wieviel er getrunken hatte, war schwer zu
sagen: Pogge sah immer so aus, und er redete auch immer zu schnell,
und dann auch noch in diesem gewöhnungsbedürftigen
Dialekt, den man hier sprach - die Leute aus den Bergen klangen
irgendwie immer so, als kämen sie gerade aus dem Wirtshaus.
Wie auch immer, fehlende Scheu konnte man Pogge jedenfalls nicht
vorwerfen, als er Mendrion beim Arm packte und versuchte, ihn an
den Tisch zu ziehen.
»Hauptmann, du mußt dir das ansehen, und deine Ehre
steht auch noch auf dem Spiel!«
Den Angriff auf seine Ehre ignorierte Mendrion. »Was ist,
Pogge?« fragte er laut. »Kannst nicht mehr alleine
stehen, daß du dich an mir festhalten mußt?«
Unter normalen Umständen hätte das gewirkt, aber nun
hörte kaum jemand Mendrion überhaupt zu, bis auf Pogge,
der betrunken genug war, um das vor allem witzig zu finden. Weder
ließ der Bursch los, noch hörte er auf, Mendrion zu
seinen Kumpanen zu zerren. »Komm, Hauptmann, du mußt
dich hinsetzen, ich bin der Schiedsrichter…«
Mendrions Fäuste juckten, er ließ sich nicht
vorführen, nicht von einem Rekruten, nicht vor seinen
Rekruten, aber vor allem nicht vor den Männern des
Königs. Er bedauerte, nicht schon längst zu Bett gegangen
zu sein, den Jungs soviel zugelassen zu haben, aber genug war
genug -
»Und ich habe gewettet, daß du es schaffst, Hauptmann,
wenn einer, dann du.« Pogges Stimme barst fast vor trunkenem
Stolz. Aber wenigstens ließ er Mendrions Arm los.
»Was ist denn los?« fragte Mendrion ungehalten.
Plötzlich schien es in den schummrigen Gaststube viel stiller
zu sein. Als ob alles Mendrion anblickte, und abwartete…
»Drei von den Jungs hat er schon unter den Tisch
getrunken«, sagte Pogge. »Und jetzt sagt er, den
Hauptmann schafft er auch noch.«
»Wer?« fragte Mendrion und ließ den Blick
über die Runde schweifen, erfüllt von einem unguten
Gefühl. Wer die Niedertrunkenen waren, konnte man schwer sagen
- da waren schon mehr als drei, die dieses Schicksal teilten. Aber
wer wagte es - und Mendrion wußte es in dem Moment, als er in
seine Augen sah.
»Ich«, sagte Varyn laut, und erhob sich, ohne dabei den
Blick von Mendrion zu nehmen. Er lächelte ein wenig.
»Hauptmann Mendrion, ich fordere Euch.«
Seine Stimme war so klar wie sein Blick, und er schwankte nicht,
als er sich auf der Gruppe schälte und vor Mendrion aufbaute,
siegesgewiß und würdevoll wie ein Engel selbst,
hätte er dabei nicht gerochen wie eine Destille. Die Burschen
am Tisch johlten, johlten im zu, bewundernd, ihm, nicht
Mendrion.
Mendrion schnaubte geringschätzig. »Was hast du vor,
Kohlenjunge - du willst mich unter den Tisch trinken?«
»Ich will«, sagte Varyn. »Und ich werde.«
Mit herrschaftlicher Geste deutete er auf seine Bewunderer und
benannte drei der Zusammengesunkenen als seine Beute.
»Wenn das alles ist, was du kannst…«, sagte
Mendrion und bemühte sich um ein mitleidiges Lächeln. Ihm
war alles andere als nach Lächeln zumute. Er wußte, er
durfte sich auf dieses Duell nicht einlassen, selbst auf das Risiko
hin, zu gewinnen. Er stand mehr auf dem Spiel als ein
Brummschädel. Mendrion konnte nur verlieren, ob er annahm oder
ablehnte. In diesem Moment haßte er den Kohlenjungen von
ganzem Herzen. Genug, um sein Schwert Vigilander zu weihen, gesetzt
den Fall, Varyn überlebte diesen Abend. Was Mendrion in diesem
Moment bezweifelte.
»Ich kann mehr als Ihr glaubt«, sagte Varyn leise, zu
leise um noch das Publikum zu meinen. Mendrion hatte also Recht: Es
war Absicht. Und es war persönlich. »Jetzt lacht Ihr
noch über mich, aber morgen werde ich derjenige sein, der
über Euch lacht.« Sein Blick sagte ‘Und nicht nur
ich’. Dann wurde sein Lächeln etwas breiter. »Aber
ihr sollt mir nicht vorwerfen können, ich hielte mich nicht an
Regeln. Ihr müßt die Forderung nicht annehmen. Und wenn
doch, überlasse ich Euch die Wahl der Waffen.« Er
schwenkte den Arm in Richtung Tisch, auf dem ein Krug neben dem
anderen stand. Bier und Schnaps durcheinander - wie immer der Junge
es geschafft hatte, nüchtern zu bleiben, er war es. Und er
strahlte Mendrion an wie der Fuchs die Gans. So jung. So
selbstsicher. Und in dem Moment wußte Mendrion, daß er
noch eine Chance hatte.
»Du willst einen Zweikampf?« fragte Mendrion ruhig.
»Gegen mich?«
Er maß mit den Augen das Gesicht des Jungen, als dieser
nickte. Edle, ebenmäßige Gesichtszüge, auf die
manch ein Mann neidisch gewesen wäre. Jung und bartlos, ein
schmaleres Kinn, als bei den Bauern aus dieser Gegend üblich -
kurz fragte sich Mendrion, wo der Junge in Wirklichkeit herkommen
mochte. Er sprach wie die Einheimischen, aber vom Gesicht her
konnte er ebensogut ein Ausländer sein…
»Also gut«, sagte Mendrion. Sahen ihn alle? Hörten
ihn alle? Gut. »Ich nehme an. Und ich garantiere dir,
Kohlenjunge, daß du schneller unter dem Tisch liegst, als
dein Echo zu dir zurückkehrt.«
Varyn lachte noch. Lachte noch für den kurzen Moment, bis
Mendrions Linke ihn umfallen ließ wie einen
frischgefällten Baum. Kinn war Kinn. Und er hatte Mendrion
lange genug Zeit gegeben, Maß zu nehmen.
»So«, sagte Mendrion. »Ich würde sagen,
Kohlenjunge - ich habe gewonnen.«
Dieser Beifall galt ihm.
Einen Moment lang blickte Mendrion
hinunter auf den Jungen, der reglos zu seinen Füßen am
Boden lag, und konnte nicht umhin zuzugeben, daß es ein guter
Anblick war. Kein niedergestreckter Loringarim konnte ihm soviel
Genugtuung vermitteln wie dieses hier. Was für ein
Triumph… Nein, nichts, worauf man in Wirklichkeit stolz sein
durfte.
»Schafft ihn nach draußen«, sagte Mendrion mit
unbestimmten Ziel. Irgendeiner dieser angetrunkenen Tölpel
mußte wohl in der Lage sein, diesen großen, aber
dürren Burschen in den Hof zu schleppen! Mendrion wollte schon
hinzufügen ‘Und laßt ihn dort liegen, bis er zu
Verstand gekommen ist’, aber er ahnte, daß er darauf
lange warten konnte. So sagte er statt dessen: »Und wenn er
wieder da ist, sagt ihm, ich will mit ihm reden.«
Da ging er hin, Mendrions gemütlicher Abend! Aber es half
nichts, früher oder später mußte er sich mit Varyn
auseinandersetzen, und jetzt war es allemal besser, da gab es
weniger Zuhörer.
Zwei Kerle kamen, packten den Jungen bei Armen und Schultern und
zogen ihn hoch, aber da kam er auch schon wieder zu sich. Er
blickte sich um, einen Moment lang orientierungslos, seine Augen
irrten umher, fanden Mendrion, und dann war Varyn auch schon wieder
auf den Beinen. Einen Moment lang schwankte er. Es beruhigte
Mendrion. Er wollte nicht wissen, was der Junge an diesem Abend
alles getrunken hatte, und wenn es nun doch Wirkung zeigte,
gehörte sich das so.
Trotzdem sah Varyn ansprechbar aus. Ansprechbar genug für
seinen Hauptmann, jedenfalls. Mendrion bedeutete ihm, mit in den
Hof zu kommen, und war froh, als der Kohlenjunge ohne Anstalten
folgte. Die Nacht war noch jung, und bereit für ein
Donnerwetter.
Mendrion führte Varyn weg vom Gasthof, aus dem Dorf hinaus,
dorthin, wo er brüllen konnte, ohne daß die anderen
jedes Wort verstanden. Er wollte nur einen Zuhörer, den aber
dafür wirklich -
»Es tut mir leid«, sagte Varyn.
»Was?« entfuhr es Mendrion. Er rechnete ja mit vielem,
aber...
»Gerade. Das tut mir leid.«
Mendrion bleckte die Zähne. »Das sollte es auch
besser«, grollte er. »Das, und noch einiges
mehr.«
»Das tut mir auch leid«, sagte Varyn leise.
Mendrion gab es nur ungern zu, aber er war irgendwie
enttäuscht. Daß der Junge so schnell kleinzukriegen
war... Aber vermutlich war der einfach nur ein Feigling. Brauchte
eine Gruppe, um sich stark zu fühlen. Mendrion hatte mehr von
ihm erwartet.
»Und was erwartest du jetzt von mir?« fragte er.
»Nichts«, sagte der Junge. »Ich wollt’s nur
sagen. Ich bin ein Hundsfott, aber ich mach das wieder
gut.«
Mendrion grinste böse. »Das geht nicht«, sagte er,
kalt vergnügt. »Ich weiß, was ich von dir zu
halten habe, und daran ändert sich nun auch nichts mehr. Soll
ich dir verzeihen?«
»Ihr könnt zumindest meine Entschuldigung
annehmen.« Nun versuchte sich der Kohlenjunge an einem
Lächeln.
Mendrion lachte laut auf. »Ich bin Hauptmann der
königlichen Armee von Doubladir. Wir verzeihen niemals. Hast
du gerade noch gesungen. Also bekommst du kein Mitleid von mir, und
keine Gnade. Bestenfalls noch ein paar Backpfeifen.«
»Kann ich... kann ich trotzdem mit Euch sprechen?«
»Nein«, sagte Mendrion. Es war interessant, wie der
Junge mit jedem Satz, den er sprach, kleiner wurde, und
jünger. Vielleicht lag es am fahlen Licht der Nacht.
Vielleicht war er wirklich nur zwei, drei Jahre älter als
Josten der Trommeljunge. Wenn ja, kam das Mendrion sehr gelegen.
»Du hast Probleme, das seh ich ein, aber sie interessieren
mich nicht. Ich spreche mit dir. Aber das ist etwas
anderes.«
Der Junge nickte nur kurz und blickte Mendrion dann erwartungsvoll
an, kleinlaut vielleicht, niedergeschlagen vielleicht, aber
furchtlos. Er blickte Mendrion direkt in die Augen. Wenn er
wirklich Prügel wollte, sollte er nur so weitermachen. Aber er
wußte offenbar, daß man niemanden anschreien konnte,
der einem in die Augen sah. So nahm er Mendrion alle Argumente.
Sein Blick sagte: ‘Ich weiß schon alles, was du mir
sagen willst.«
Aber er wußte es eben nicht. Mendrion sparte sich den
Hauptteil und kam direkt zum Schluß. »Geh nach
Hause«, sagte er. »Ich kann dich nicht
brauchen.«
Es gefiel ihm zu sehen, wie der junge die Lippen zusammenbiß,
bevor er sagte: »Das könnt Ihr nicht.«
Mendrion lächelte. »Und ob ich das kann!«
Der Junge wuchs vor Mendrions Augen. »Könnt Ihr nicht!
Ich habe die Soldliste unterschrieben. Ich gehöre dem
König, nicht euch. Ich werde Euch nicht wieder herausfordern,
wenn Ihr mich nicht mehr herausfordert. Aber Ihr könnt mich
nicht heimschicken.«
»Ha!« sagte Mendrion. »Glaubst du, der König
braucht Säufer?«
»Ich bin kein Säufer«, sagte der Junge.
»Schaut mich an. Ich bin nüchtern.« Und wurde
nicht mal rot dabei.
Mendrion schnaubte. »Willst du sagen, du hast vorhin
geschummelt? Deinen Krug unbemerkt auf den Boden oder in einen
fremden entleert?«
Jetzt sah er echte Entrüstung. »Ich betrüge nicht!
Das habe ich nicht nötig. Ich kann einfach mehr
vertragen.«
Mendrion schüttelte den Kopf. »Ein Säufer bist du,
durch und durch. Wenn du soviel wegsteckst, ohne betrunken zu
werden, heißt das, du hast Übung, du bist daran
gewöhnt. Und wenn ein Junge von - wie alt bist du in
Wirklichkeit? - vielleicht sechzehn Jahren an so etwas gewöhnt
ist, heißt das, er ist ein Säufer. Du bist
unzuverlässig, ungehorsam, du störst meine Gruppe, und
ich kann dich nicht brauchen, nicht für meine Truppe, und
nicht für meinen Krieg. Wenn du heute Nacht desertierst, wird
niemand versuchen, dich zurückzuhalten. Weil dich niemand
vermissen wird.«
Varyn wurde bleich bei diesen Worten. Alles Leben wich aus seinem
Gesicht. Er begann zu schwanken, hielt sich, da Mendrion die Arme
hinter dem Rücken verschränkt hatte und keine Hilfe
anbot, an einem Baumstamm fest und fing sich wieder, doch sein
Gesicht blieb düster. »Das ist mein Schicksal«,
murmelte er. »Daß mich niemand vermißt. Ich
könnte mich heute Nacht umbringen, und niemand würde es
merken.«
»Ich würde es merken«, sagte Mendrion ruhig.
»Mein Leben wäre danach sehr viel angenehmer.« Ihm
war nicht wohl bei diesen Worten. Das Gespräch lief nicht
dahin, wo er es haben wollte. Er mochte Varyn nicht, er wollte ihn
los sein, aber wenn er sich in dieser Nacht umbrachte, klebte sein
Blut an Mendrions Händen wie das der siebzehnten Einheit an
Bakonyns. Mendrion unterdrückte den Drang, Varyn zu ohrfeigen.
Ruhig bleiben war in dieser Lage das Beste. »Aber mir reicht
es schon, wenn du heimgehst.« Er wußte, daß ihm
der Junge nicht gehorchen würde. Auch jetzt nicht.
»Ich kann nicht«, murmelte Varyn, immer noch gegen den
Baum gestützt. Sein Gesicht war das eines Geistes. »Ich
kann nicht, ich will nicht, ich darf nicht. Ich will nicht sterben,
und ich sterbe heute Nacht.«
»Ich laß dich am Leben«, erwiderte Mendrion, und
um Ruhe mußte er jetzt ringen. Dieser Anblick war
verstörend. Nichts, was er so schnell vergessen konnte.
»Wenn du es auch tust, hast du nichts zu
befürchten.« Er rührte sich nicht.
»Ich sterbe«, wiederholte Varyn. »Wenn ich
einschlafe, sterbe ich.« Seiner Stimme fehlte jede Kraft, sie
war kaum mehr als ein Flüstern. »Helft mir, Hauptmann.
Bitte.«
»Was?«, sagte Mendrion, und »Warum?« und
»Wie?«
»Bitte. Helft mir. Laßt mich wach bleiben. Ich
vergeß es Euch nicht. Ich tu alles, was Ihr wollt. Ich
hör auf zu saufen, versprochen. Alles. Aber helft
mir.«
Mendrion war kalt. Es war nur die Nacht, sagte er sich. Nicht die
Angst. Ein Soldat hatte andere Dinge zu fürchten. Aber er
hatte Angst. Es war die Angst eines kleinen Jungen, der in einer
großen kalten Burg Schlaf sucht nach den
Gespenstergeschichten seiner Großmutter. Es war die Angst
eines Mannes, der glaubt, auf alles vorbereitet zu sein und der in
eine Situation kommt, für die er keine Lösung kennt.
»Warum glaubst du, daß du stirbst?« fragte er
lahm. »Schlaf wird dir guttun. Und mir auch«,
fügte er hinzu, als dezenten Hinweis. »Was soll dich
umbringen?«
»Meine Dummheit«, flüsterte Varyn. »Mein
Hochmut, meine Dummheit, Schlaf, meine Dummheit, und
Alkohol.«
»Und deine Dummheit«, setzte Mendrion hinzu. Jetzt
verstand er. Varyn war nicht betrunken, weil er es geschickt
unterdrücken konnte: Dabei hatte er genug getrunken, um einen
Mann für immer einschlafen zu lassen. Und das war ihm jetzt
bewußt geworden - besser spät, als gar nicht. »Wie
machst du das?« fragte Mendrion.
Varyn zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich
kann es eben. Ich kann vieles und weiß es nicht. Ich kann es
auch umgekehrt, mich an einem Bier betrinken, wenn ich
will.«
»Setz dich hin!« sagte Mendrion. »Hilft dir
nicht, wenn du versuchst, die ganze Nacht lang zu
stehen.«
»Ich kann - im Sitzen schlafe ich leichter ein.«
»Wirst du gehorchen?« fragte Mendrion. »Was hast
du versprochen?«
Wortlos ließ sich Varyn neben dem Baum zu Boden gleiten.
Mendrion nickte. »So ist’s richtig. Ich habe dein
Wort.«
Varyn verzog das Gesicht wie einer, der mit dem Schlaf kämpft.
»Und ich habe Eures. Für Euch steht soviel auf dem Spiel
wie für mich. Wenn ich sterbe heute Nacht, kommt es auf Euch
zurück. Hauptmann Mendrion hat seine Männer nicht im
Griff. Einer von ihnen hat sich totgesoffen, und Mendrion hat nur
zugesehen.« Der Junge gähnte. War er wirklich so
müde, oder war das nur Schau, um seiner Erpressung mehr
Nachdruck zu verleihen?
»Du stirbst heute Nacht nicht«, sagte Mendrion mit
kaltem Nachdruck. »Aber eines kann ich dir versprechen - du
wirst dir noch wünschen, es getan zu haben. Heute Nacht helfe
ich dir, mein Wort drauf. Aber wenn du morgen zusammenklappst,
lasse ich dich auf der Straße krepieren. Wir ziehen in der
Dämmerung weiter. Und dann werde ich auf meinem Pferd sitzen und
ausruhen. Und du wirst marschieren.«
»Ja«, sagte Varyn. Seine Stimme war jetzt ruhiger.
»Wenn ich morgen sterbe, dann, weil ich zu schwach bin.
Morgen ist es nicht mehr Eure Schuld.«
»Heute auch nicht«, grummelte Mendrion. »Du tust,
als wärst du erwachsen. Du tust, als hättest du Grips.
Dann kann ich erwarten, daß du weißt, wieviel ein Mann
trinken kann, bevor es ihn umbringt.«
»Ich wollte, daß sie mich nicht mehr auslachen«,
sagte Varyn leise. Er blickte Mendrion nicht an, sondern hinauf in
die Krone des Baumes, und durch sie hindurch, in den Mond. Es war
zuviel Silber in seinem Gesicht. Kein Anblick, der Mendrion gefiel.
Der Junge sah aus wie ein bleicher, sterbender Engel. Seine Lippen
bewegten sich kaum, und die Stimme schwebte über seinem
leblosen Körper. »Es war so leicht. Ich habe nicht
nachgedacht, und nicht gezählt. Sie haben mich bewundert. Ihr
mögt es, wenn man Euch bewundert, Hauptmann. Versteht Ihr,
daß ich es mag?«
Mendrion antwortete nicht, und wußte, daß der Junge
auch keine Antwort erwartete. Varyn brannte etwas auf der Seele,
eine Last, die er mit sich trug, nicht erst, seit er sich den
Soldaten angeschlossen hatte. Es war eine Nacht für eine
Lebensbeichte, und für ein Geheimnis. Aber ebenso sicher wie
Mendrion wußte, daß es die rechte Nacht war,
wußte Mendrion auch, daß er nicht der rechte Mann war.
Er wollte Varyns Geschichte nicht hören, sein Geheimnis nicht
kennen, nicht wissen, wie dieser Junge Schnaps aus Krügen
trinken und die Wirkung unterdrücken konnte mit nichts als der
Kraft seines Willens. Und so stand er auf und verwandelte sich von
einem Menschen wieder in einen Hauptmann.
»So«, sagte er. »Ich bin gleich wieder da, und
bis dahin machst du Liegestützen soweit du zählen kannst.
Du willst reden - dann schicke ich dir Bakonyn raus. Aber wenn du
mich willst bis zum Morgengrauen, dann wirst du auch machen was ich
sage, und deine Maul halten. Entscheide dich. Jetzt.«
»Nicht Bakonyn«, sagte Varyn ohne Zögern.
»Ich will nicht, daß jemand erfährt, was mit mir
ist.«
»Bakonyn werde ich es sagen, so oder so«, sagte
Mendrion. »Damit er weiß, daß ich heute Nacht
nicht mehr reinkomme.«
»Dann sagt ihm etwas anderes. Bitte. Sagt ihm, Ihr
unterrichtet mich im Schwertkampf. Sagt ihm, Ihr erteilt mir eine
Lektion. Bitte.«
Im Fortgehen lächelte Mendrion. Er hörte den Jungen
hinter sich über den Liegestützen schnauben. Es hatte
nicht gesagt, wann er wieder zurückkommen würde. Und er
ahnte, daß Varyn ziemlich weit zählen konnte…
Aber Mendrion kam zurück, ohne Zeit vergeudet zu haben, ohne
Varyns Geheimnis verraten zu haben, und mit zwei Schwertern. Wenn
das eine Lösung war, um den Jungen vom Reden abzuhalten,
sollte es Mendrion nur recht und billig sein.
Varyn machte seine Liegestützen, als Mendrion zurückkam.
Aber er machte sie langsam und vorsichtig, nicht mehr wie ein
Angeber, sondern wie einer, der nicht weiß, wieviel Kraft ihm
noch bleibt. Aber auch nicht wie ein Faulpelz. Mendrion sah in ihm
den ehrlichen, zurückhaltenden Fleiß eines Soldaten, der
nicht mit kalten Muskeln in die Schlacht ziehen will, aber auch
nicht am Ende seiner Kräfte. Vielleicht, dachte Mendrion kurz,
waren sie doch für einander geschaffen, Varyn und der
Krieg.
Doch dann pfiff er nur. »Hoch jetzt! Kniebeugen! Rumpfbeugen!
Wenn du lernen willst, eines hiervon zu führen, mußt du
es dir verdienen.«
In Varyns schweißglänzendem Gesicht glomm ein Leuchten
auf, als er die Schwerter sah. Er gehorchte, wie nur irgend jemals
ein Mann gehorcht hatte. In dem Moment hätte er getan, was
immer Mendrion auch von ihm verlangen mochte. Nur, um eine Nacht
lang ein Schwert zu führen…
Mendrion setzte sich hin, auf den Platz unter dem Baum, legte die
Schwerter neben sich, und sah dem jungen bei seinen Mühen zu.
Versprochen hatte er ihm nichts, außer, daß er den
nächsten Tag bereuen sollte - aber es war gut, wenn der Junge
in Bewegung blieb; wenn er tüchtig schwitzte, sollte der
Alkohol schon noch aus ihm herauskommen, sonst mochte es noch drei
Tage dauern - es sollte ihm eine Lehre sein… Und über
diesen Gedanken fielen Mendrion die Augen zu.
Später konnte er nicht
mehr sagen, was ihn weckte - keine Träume, und kein
Geräusch, nicht die Kälte, nicht die Feuchtigkeit, die
aus dem Boden kroch. Seit Wochen schlief Mendrion in Zelten, die
eines Hauptmanns nicht würdig waren, und daß er nun im
Sitzen schlief, und in seinen Stiefeln, fiel da kaum ins Gewicht.
Mendrion fühlte bleierne Müdigkeit in seinen Knochen, als
er die Augen aufschlug, und Dunkelheit. Der vorhin noch so helle
Mond war weitergezogen, hinter die Wolken, und hatte dunkle
Kälte zurückgezogen. Wieviel Zeit mochte vergangen sein?
Mendrion gähnte. Aber es half nichts; ehe er sich wieder
schlafen legte, mußte er sich zumindest vergewissern,
daß der Junge bis dahin durchgehalten hatte. Es war so still
- Niemand schnaufte. Niemand schnarchte. Nur ein seltsames
Rascheln, aber das mochte ebensogut ein Igel sein…
Plötzlich war Mendrion klamm, klamm und wach. Es brachte ihn
auf die Füße, aber er vertrieb nicht die Dunkelheit,
daran mußten sich seine Augen erst noch gewöhnen - wenn
der Junge jetzt tot war -
Und dann gaben die Wolken den Mond wieder frei und einen Anblick,
der Mendrion an seinem Wachen zweifeln ließ. Ein Anblick, so
schön und so unwirklich, daß er in einen Traum
gehörte.
Auf der Lichtung kämpfte ein Engel gegen seinen Schatten. Der
Engel war Varyn, und der Schatten auch. Mit langsamen, fast
schlafwandlerischen Bewegungen führte Varyn das Schwert, das
er mit beiden Händen hielt, vor sich und um sich und über
sich, wie in einem stillen Tanz. Doch das allein war es nicht. Das
allein war ein kleiner Junge, der mit einem Schwert spielte. Je
länger Mendrion zusah, je länger sich seine Augen an das
unwirkliche Silberlicht gewöhnten, desto mehr erschien es ihm,
daß dort ein zweiter Mann kämpfte. Unsichtbar und
körperlos, nur ein Flimmern in der Luft, nur ein Schatten -
Mendrion sah Varyn kämpfen, sah ihn angreifen und abwehren,
sah ihn vorwärtsziehen und ausweichen, sah Klinge auf Klinge
treffen, wo doch nur eine war… Es war eine seltsame
Erfahrung in den Bewegungen des Jungen, und eine seltsame Anmut.
Wie oft hatte er heimlich mit dem Schwert seines Vaters trainiert?
Wie oft die anderen Männer im Kampf beobachtet? Die Bewegungen
waren langsam und fließend. Als schwebe er durch eine
große Tiefe. So ruhig. So… schön. Wie ein Engel.
Das aschblonde Haar wie Silber. Das Gesicht ruhig, entspannt, fast
froh. Er hatte keine Flügel, doch er brauchte keine. Atemlos
sah Mendrion ihm zu und suchte Trost in dem Glauben, daß er
nur träumte. Er wußte, daß er keinem Menschen
jemals von diesem Anblick erzählen durfte: Daß ihm in
einer kalten, schlaflosen Nacht ein Engel des Kampfes erschienen
war.
Wieder schob sich eine Wolke vor den Mond, eine einzige nur, und
sie verweilte nicht lange. Doch obwohl das Bild danach noch das
gleiche war wie zuvor, hatte es doch seine Bedeutung geändert.
Es war kein Bild der Schönheit mehr. Es war ein Bild des
Schreckens.
Plötzlich begriff Mendrion, daß Varyn dort nicht mit der
Luft kämpfte, nicht mit einem Traum, und nicht mit einem
Schatten. Er kämpfte mit dem Tod, und er kämpfte gegen
den Tod. Das Gesicht nicht entspannt, sondern leer. Die Augen nicht
froh, sondern starr. Die Bewegungen langsam nicht aus Ruhe, sondern
Schwäche. Varyn kämpfte gegen seinen Tod. Und er
verlor.
Mendrion schüttelte die Ehrfurcht ab, die ihn bleiern zu Boden
drückte wie Müdigkeit, und griff nach dem Schwert, das
neben ihm lag. Der Griff war fremd in seiner Hand - das war
Bakonyns Schwert, das dieser ihm für die Nacht geliehen hatte.
Also kämpfte Varyn mit Mendrions Schwert - ob der Junge das
wußte, oder hatte er einfach das erstbeste ergriffen? Es war
egal. Grimmig wog Mendrion das Schwert in der Hand, richtete sich
auf, und trat hinaus in das Mondlicht, Varyn entgegen.
»Kämpf lieber mit mir«, sagte er laut. »Ich
bin wirklicher als der, den du fürchtest.« Der Nilomar
selbst mußte ihn geritten haben, das zu sagen! Und dabei
wußte er nicht einmal genau, zu wem er sprach: Varyn, oder
seinem ungesehenen Feind.
Doch es war Varyn, der die Einladung annahm. Er lächelte, trat
mit federnden, schwebenden Schritten auf Mendrion zu, das Schwert
wie ein Dach über dem Kopf erhoben. Mendrion ging ihm
entgegen, ruhig, fest, besonnen, Schwert vor dem Körper, die
Spitze der Klinge auf Höhe seines linken Ohres. Nur ein Narr
griff ungedeckt an -
Sie umkreisten sich, langsam, taktierend. Mendrion war bereit,
alles abzuwehren, doch er griff nicht an. Er wollte sehen, was der
Kohlenjunge tat. Hielt das Schwert über dem Kopf wie eine
Fahne - es sah schöner aus als das, was Mendrion tat, aber so
wie Mendrion das Schwert hielt, konnte man kämpfen. Das war
der Unterschied.
Dann drehte sich Varyn zur Seite, die Klinge glitt hinter dem
Körper nach unten, um dann aus der Tiefe des Schattens wieder
aufzutauchen - aber Varyn war nicht der einzige, der sich drehen
konnte. Mendrion wich aus, fing die Klinge ab - vorsichtig, das war
sein Schwert, sie sollte
keine Scharte bekommen - und drehte weiter, einmal um sich selbst,
und berührte mit der flachen Seite Varyn unterhalb des
Rippenbogens. »Du bist tot«, sagte er.
Varyn ließ das Schwert sinken. Seine Augen leuchteten.
»Noch einmal«, sagte er.
Mendrion tötete ihn noch dreimal. Der Junge hatte Talent, aber
er wußte noch nichts rechtes damit anzufangen - wenn man ihn
unterrichten wollte, mußte man ihm als erstes die Flausen
austreiben, und die Schnörkel. Mendrion war ihm an Erfahrung
und Können überlegen. Doch er mußte zugeben,
daß es ihm auf eine unbefriedigende Art Spaß machte,
den Jungen zu entwaffnen und ihm zu zeigen, wo er ihn diesmal
getroffen hätte. Varyn schien es zu genießen, doch
Mendrion fand es zunehmend ermüdend. Er ließ das Schwert
sinken und winkte ab.
»Hör auf«, sagte er. »Was versuchst du da?
Willst du mich zu Tode tanzen?«
Varyn schüttelte den Kopf. »Nein - seid nicht so
ungeduldig mit mir. Das ist das erste Mal, daß ich ein
Schwert halten darf.«
Fast mußte Mendrion lachen bei seinem treuseligen Anblick.
Doch dann schnaubte er nur. »Darf! Darf ist gut! Du hast mein
Schwert genommen, während ich am Schlafen war - so etwas macht
man nicht, das weißt du.«
»Ich weiß«, sagte Varyn. »Aber Ihr habt die
Schwerter geholt, um mich heute Nacht zu trainieren. Ich wollte
Euch nicht wecken - Ihr habt schon genug Scherereien
meinetwegen.«
»Das kann mal wohl sagen!« Mendrion graute vor dem
folgenden Tag, und graute zurecht. »Wenigstens hättest
du das andere Schwert nehmen können, und mir meines
lassen!«
Mit großer Ernsthaftigkeit schüttelte Varyn den Kopf.
»Nein. Das wäre nicht anständig. Das ist Hauptmann
Bakonyns Schwert, er hat es Euch geliehen, nicht mir. Euch kann ich
um Entschuldigung bitten, ihn nicht. Darum habe ich Eures
genommen.«
»Ha!« sagte Mendrion und knüpfte ein Gähnen
geschickt mit ein. »Glaubst, du verstehst etwas von Menschen,
was? Und von Schwertern, und vom Kämpfen?«
Varyn suchte seinen Blick. »Ich verstehe nicht mal mich
selbst«, murmelte er. »Und das Kämpfen - es
fühlt sich richtig
an. Ich habe gemerkt, daß Ihr besser seid, aber« - er
nahm das Schwert wieder mit beiden Händen über den Kopf
und stellte sich auf Zehenspitzen, als wolle er springen -
»kämpft man denn nicht so? Ich konnte schwimmen, als ich
das erste Mal in den Fluß fiel, ich konnte reiten, als ich
auf Eurem Pferd saß - und so will mein Körper
kämpfen. Ist das denn falsch?«
Mendrion schloß einen Moment die Augen. Er sah Bilder vor
sich, alte Bilder, er wußte nicht, woher - alte Bilder von
Kämpfern die standen wie Schwäne… Bilder von
Engeln, das war es, Bilder von kämpfenden Engeln. »So
kann man kämpfen, wenn man Flügel hat«, sagte er
langsam. »Du hast keine Flügel. Du bist ein Mensch, mehr
noch, du bist ein Mann - dann kämpf auch wie ein Mann, und
nicht wie ein verdammter Engel.«
»Wie ein Mann«, wiederholte Varyn und wischte sich eine
schweißtropfende Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich
bin ein Mann - ich kann kämpfen wie ein Engel? Dann will ich
lernen, wie ein Mann zu kämpfen.«
Mendrion nickte. Er wußte wieder, was das für ein Bild
war. Die Elomaran treiben die
Nilomaran für ewig in den Abgrund. Ein Wandgemälde in
einem Gasthaus in Car Pentras. Mendrion war seit Ewigkeiten nicht
dort gewesen. Aber Varyn konnte das Bild nicht kennen. Wo sah ein
ungeschlachter Bursche aus einem Bergdorf jemals einen Engel? Das
waren grobe, ungebildete Leute, zum Teil sogar Heiden - Mendrion
schüttelte den Kopf. Er wollte nicht über Varyn
nachdenken. Es war sein erklärtes Ziel, keinen Gedanken mehr
an den Jungen verschwenden zu müssen. »Erst
einmal«, sagte er, »hält man das Schwert so.«
Er machte es vor. Varyn tat es ihm nach.«
»Dann stellst du die Füße so.«
Gehorsam federte Varyn sanft in den Knien. »Ist das ein
Versprechen?« fragte er leise. »Ihr macht einen
Schwertkämpfer aus mir?«
»Nein«, sagte Mendrion. »Das geht nicht in einer
Nacht.«
»Und morgen?« fragte Varyn - man sollte meinen,
daß er wußte, was morgen auf ihn wartete…
»Nein«, erwiderte Mendrion. »Das war ein Pakt
für eine Nacht. Aber ich kann dir eines versprechen: Wenn du
es schaffst, mit deinem eigenen Schwert vor mir zu stehen, dann
bringe ich es dir bei. Bis dahin halte im Kopf, was du heute Nacht
lernst.«
Das sollte ihn erst einmal ruhig stimmen. Mendrion wußte - so
schnell kam kein Kohlenjunge zu einem Schwert… Bis dahin war
noch Zeit. Und doch nickte Varyn ernsthaft.
»Und jetzt«, sagte Mendrion, und mußte grinsen,
»will ich mein Schwert wiederhaben. Und du machst
Liegestütze. Bis der Morgen kommt.«
Und so kam der Morgen.
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