Die Frau in seinem Arm grunzte leise im Schlaf, und davon wachte
Dannen auf. Er räkelte sich ein wenig und sortierte seine
Rückenwirbel auseinander, doch er achtete darauf, die Frau
nicht zu wecken. Sie lag da ganz gut und konnte ruhig noch einen
Moment lang dort bleiben, den warmen nackten Leib dicht an seinen
geschmiegt, das Gesicht an seiner Schulter verborgen, ihr Kopf ein
Wust von dunkelbraunen Locken. Es war besser, wenn sie
weiterschlief. Solange sie schlief, brauchte Dannen sich nicht zu
verstellen, mußte er nicht entspannt und glücklich
spielen. Es war nicht schlecht. Dannen bereute es nicht, mit dieser
Frau ins Bett gegangen zu sein - aber er hatte sich mehr erhofft.
Mehr Vergnügen. Mehr Zerstreuung.
Dannen seufzte bei sich und starrte an die Decke. Es war schon hell
- wie spät mochte es sein? Warm war es, aber das war keine
Frage - wenn man nackt mit einer Frau im Bett lag, war es sogar im
tiefsten Winter warm. Der Körper der Frau war
schweißnaß. Das gefiel Dannen - Frauen schwitzen nicht
so, wenn sie es nicht genossen. Es gab also doch noch Dinge, die
Dannen konnte, und Frauen, die Gefallen an ihm fanden. War es das?
Mußte er sich das unbedingt beweisen? Dannen zwinkerte und
schüttelte sanft den Kopf. Am liebsten wäre er
aufgestanden, hätte die Frau heimgeschickt und sich selbst auf
den Weg ins Badehaus gemacht. Aber er mußte warten, sonst
machte das alles keinen Sinn. Dannen hatte durch den Beischlaf
nicht gewonnen, was er sich erhofft hatte - nun blieb zumindest
noch die Genugtuung, seine Familie ärgern zu können.
Die Frau regte sich. Sie wachte auf. »Hmhm?« fragte
sie. »Bist du wach?«
Dannen strich ihr über den Arm bis hinunter zu der Stelle, wo
ihre Hand ihren Hintern berührte. »Schon gut. Schlaf
weiter, Mäuschen.«
Mäuschen - so nannte Dannen alle Frauen, deren Namen er
nicht gut genug im Kopf hatte. Diese hieß Mollin, oder so
ähnlich - Dannen wollte nicht fragen. Die Frau konnte nichts
für Dannens schlechte Laune, für seinen Trotz - da
mußte er sie nicht auch noch unnötig verletzen.
Mäuschen, das paßte eigentlich auf alle Frauen,
bis auf Hana. Wie mochte Gerrat Hana nennen, wenn er mit ihr
schlief? Dannen schluckte. Wenn ein Moment ungeeignet war, an Hana
zu denken, dann dieser. Schnell küßte Dannen die Frau
auf die Wange. »Hörst du? Schlaf weiter.«
Er selbst konnte nicht mehr schlafen. Nur warten, grimmig warten.
Dannen wußte, daß sein Vater ihn erwartete, er hatte
für den Vormittag einen Kriegsrat angesetzt, diesmal nicht nur
mit seinen Kindern, sondern mit den hohen Generälen und dem
Kriegsbotschafter. Es war etwas, das man besser nicht
versäumen sollte, und doch hatte Dannen genau das vor. Den
Kriegsrat, und am liebsten gleich den ganzen Krieg. Dannen hatte
einen Plan, und er war bereit, sich dafür um Kopf und Kragen
zu bringen. Aber das war in Ordnung - es war etwas, das Dannen
selbst tat, das Dannen selbst entschieden hatte und für das er
niemandem die Schuld geben konnte als sich selbst. Dannen glaubte
nicht an das Glück, und das Glück glaubte nicht an Dannen
- und nun hatte Dannen beschlossen, auf nichts mehr zu hoffen,
wofür man beten mußte, und die Dinge selbst in die Hand
zu nehmen. Dannen wartete.
Während der Morgen voranschritt, wurde es immer heller in der
Kammer und auch immer wärmer. Mehrmals wachte die Frau auf und
war zunehmend unwilliger, sich wieder schlafen zu legen. Und da es
kaum etwas schwereres gab, als schlechte Laune zu verbergen vor
einer Frau, insbesondere einer, mit der man nackt im Bett lag, fing
sie auch bald an, unangenehme Fragen zu stellen.
»Was ist denn?« und »Hat es dir nicht
gefallen?« und »War ich dir nicht gut genug?« -
Frauenfragen eben. Dannen war schon drauf und dran, ihr in jedem
Punkt Recht zu geben und sie Heim zu schicken, aber das war
ungerecht - sie hatte tatsächlich alles richtig gemacht, und
was konnte sie dafür, daß sie nicht Hana war?
Und so sagte er nur »Nein« und »Es ist
nichts« und küßte sie und ließ sie sich an
ihn kuscheln, bis es endlich an die Kammertür pochte. Dannen
schob die Bettdecke zurecht, daß sie gerade genug zeigte, um
keine Fragen offenzulassen, und grunzte ein
mürrisch-verschlafenes: »Was ist?«
Einen Moment lang fürchtete er, daß ausgerechnet Leota
gekommen sein konnte, um ihn zu wecken - er hoffte auf Gerrat oder
seinen Vater. Wenn Leota ihn so sah, würde sie nie wieder ein
Wort mit ihm wechseln, und sie war die einzige, bei der das schade
war. Aber als dann die Tür mit ärgerlichem Nachdruck
aufgestoßen wurde, war es tatsächlich Gerrat. Und was
immer der auch erwartet hatte: Diese Überraschung war
gelungen.
Dannen lächelte. »Guten Morgen, Bruder.« Er
ließ zu, daß die Frau die Decke zumindest wieder bis
über ihre Brüste hochzog. Er fühlte sie
erröten. »Was gibt es?« fragte er gelassen.
Gerrat schüttelte den Kopf, sprachlos. Er brauchte einen
erfreulich langen Moment, um sich wieder zu fangen. »Du
-«, sagte er schließlich, und dann: »Ich dachte,
du liegst mit dickem Kopf im Bett, statt dessen hurst du
rum?«
»Sie ist keine Hure«, entgegnete Dannen. »Schau,
kennst du sie nicht? War sie nicht mal deine Geliebte?«
Er sah Gerrat erbleichen - ob es nun an der Kälte in Dannens
Stimme lag oder an Mollins vertrauten Augen. Aber Gerrat sagte
nichts, biß nur die Zähne zusammen.
Dannen fühlte die Frau an seiner Seite zittern, sicherlich vor
Wut, und sicherlich auf sie beide. Gerrat hatte sie fallenlassen,
vor ein paar Jahren schon, nachdem Dannen hart mit ihm ins Gebet
gegangen war. Sie grollte Gerrat noch immer. Fast tat es Dannen
leid, daß er sie da hineingezogen hatte, daß er sie
benutzt hatte - sie sollte noch die Gelegenheit bekommen, ihn zu
ohrfeigen, aber jetzt mußte er kalt bleiben.
Doch Mollin schnaubte, warf die Decke zurück und stieg aus dem
Bett. Nackt wie sie war, baute sie sich vor Gerrat auf, und Dannen
konnte nicht anders, als ihren ausladenden Hintern zu bewundern.
»Wenn du dich an mein Gesicht nicht mehr erinnern kannst,
vielleicht hilft dir das hier auf die Sprünge?« Sie
stemmte die Hände in die Hüften und blieb stehen, stolz
und zornig.
Aber Gerrat schüttelte den Kopf und trat an ihr vorbei, ohne
sie und ihren Körper auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Was denkst du dir dabei?« fuhr er Dannen an.
»Hure oder nicht, du kannst sie nicht einfach in die Burg
bringen, wo es jeder sehen kann! So besoffen kannst du doch gar
nicht gewesen sein!«
»Richtig«, sagte Dannen. Er hatte gestern wenig Lust
zum Saufen verspürt - das war einer der Gründe, warum er
sich nach kaum einer Stunde wortlos von der Feier seines Vaters
verabschiedet hatte. Es sah seiner Familie so ähnlich,
ausgerechnet am Tag vor dem Kriegsrat noch einmal die Kuh fliegen
zu lassen! Alles, was man anderorts über Vigilanders Haus
sagte, war unfreundlich und wahr: Kriege führen und saufen -
zwei Dinge, für die Dannen lieber nicht berühmt sein
wollte. »Und was wirst du jetzt tun? Zu Vater rennen und ihm
sagen, daß ich lieber rumhure, als seinen Krieg zu planen?
Oder gehst du ihn gleich holen, damit ihm ja nichts
entgeht?«
Er wußte, was geschehen würde, als Mollin herumfuhr, und
fing ihre Hand ab, bevor sie ihn ohrfeigen konnte. Er hielt ihr
Handgelenk fest und sagte: »Zieh dir was über und geh
heim. Das hier geht dich nichts mehr an.«
Sie spuckte ihm ins Gesicht. »Wenn ich hier wie eine Hure
behandelt werde, will ich wenigstens Geld dafür.«
Dannen lachte. »Kannst du haben. Melde dich am Besten direkt
bei meinem Vater, der ist derjenige mit dem Geld. Wenn du schwanger
wirst, sag, es ist von ihm - er ist bekannt dafür, daß
er gut für seine Bastarde sorgt.« Er ließ sie los
und sah zu, wie sie ihr Kleid und ihre Röcke vom Boden
aufsammelte. Es gefiel ihm - nicht, gemein zu sein, aber die
Kontrolle.
»Du solltest dich schämen, Dannen«, sagte Gerrat
leise. »Vigilander loentos hantas atoi. Tir ym Nilimon vevoi
Myrulas.« Dannen brauchte einen Moment, um den genauen
Wortlaut zu verstehen, aber die Bedeutung war klar. Schande
für Vigilander. Schande für die Familie - getraute Gerrat
sich nicht, das offen vor der Frau zu sagen, oder brachte er die
bösen Worte nur über die Lippen, wenn er Elomond sprach?
Oder wollte er vielleicht nur angeben?
Dannens Elomond war nicht gut genug zum Fluchen, und er hatte auch
keine Lust, lange nach den richtigen Worten für eine Antwort
zu suchen. »Das trifft sich gut«, sagte er daher nur.
»Ich schäme mich auch seiner.«
Er stieg aus dem Bett und begann sich ohne unnötige Hast
anzuziehen. Die Frau suchte derweil das Weite, und als sie die
Tür hinter sich zuschlug, mußte Dannen lachen. Die
sollte sich nur nicht zu sehr aufregen. In Wirklichkeit wollte sie
auch nur das Gleiche wie er, und sie hatten es beide bekommen.
»Was ist nun?« fragte er dann. »Holst du jetzt
Vater, oder muß ich mich erst mit dir duellieren?«
Gerrat schüttelte den Kopf. »Nein. Ich weiß nicht,
auf was du hinaus willst, aber ich spiele da nicht mit.«
»Wie treffend«, sagte Dannen. »Ich habe ja auch
keine Lust mehr, bei euch mitzuspielen.« Er trat ans Fenster
und schaute nach unten. Es fiel ihm schwer, Gerrat anzusehen. Sie
waren immer noch Brüder, und Dannen konnte nicht ewig den
Hundsfott spielen. Dannen schwitzte, aber er mußte
weitermachen. »Wenn du es ihm nicht sagst, tu ich
es.«
Gerrat sagte nichts. Fiel ihm nichts ein, oder hatte er Angst?
»Ein Vater sollte wissen, was in seinem Haus vorgeht«,
fuhr Dannen leise fort. »Vor allem, wenn seine Söhne
Frauen ins Haus holen, nicht standesgemäße Frauen, um
mit ihnen zu schlafen. Ich mache ihm Schande. Das sollte er wissen.
Und auch, daß du es ebenfalls tust.«
»Ich wußte das«, sagte Gerrat dumpf und tonlos.
»Ich wußte, daß du darauf aus warst, von Anfang
an. Du bist ein verdammter Egoist, Dannen.«
»Bin ich das?« Dannen hielt am Himmel Ausschau nach
Vögeln. »Und das sagt der Mann, der mir die Frau
weggenommen hat?« Er drehte sich um.
Gerrats Augen wurden schmal. »Was willst du? Rache? Das hat
doch alles längst nichts mehr mit Hana zu tun. Das geht alles
nur um dich.«
Er hatte Recht. Trotzdem sagte Dannen: »Und was hättest
du getan? Wann hättest du es Vater gesagt? Doch nie. Da
sperrst du lieber Hana weg, damit sie dein Geheimnis bleibt. Und du
hast mir noch erklärt, daß sie nicht in einen Käfig
gehört.« Er war stolz auf sich. So paßte wieder
alles zusammen. Und wenn Gerrat dabei noch ein schlechtes Gewissen
bekam -
»Also gut«, sagte Gerrat. »Ich nehme an. Du wirst
sehen, was du davon hast.« Er schnaubte höhnisch.
»Und ich rede mit Vater.«
Es war schwer zu sagen, wer sich
mehr aufregte: Dannens Vater, der König, oder der König,
Dannens Vater. In jedem Fall war der Ärger groß. Dannen
hatte nichts anderes erwartet, und es schüchterte ihn nicht
weiter ein. Daß er einen zuweilen aufbrausenden Vater hatte,
wußte Dannen seit mehr als zwanzig Jahren. Früher hatte
er den Zorn seines Vaters gefürchtet, wie es wohl jeder Junge
tat, der Angst hatte, daß sein Vater ihn nicht mehr liebte.
Nun aber gab er auf beides nicht mehr viel - weder auf die Liebe,
noch auf das Poltern.
»Schande über dich! Ungehorsamer Hund! Du verdienst
deinen Namen nicht!«
»Meinen Namen?« brüllte Dannen zurück.
»Das könnte ebenso der eines Bauern sein! Und wenn ich
einer wäre, wär’s mir nur um so lieber!«
»Dannen! Was wagst du - wie redest du mit deinem
Vater?«
»Wie mit jedem anderen Narren!« Niemand war da, der
dazwischengehen konnte. Nur Dannen und der König, aber beide
sorgten dafür, daß man sie in der ganzen Burg hören
konnte. Schwester, Brüder, Kriegsrat - sie sollten ruhig
wissen, um was es ging. Nicht um Frauen, nicht um Hana, nicht um
Mollin. Nur um einen Vater, und um einen Sohn.
»Wage es nicht, mich Narr zu nennen! Ich bin immer noch dein
König!«
»Und wenn - siehst du nicht, wie dein Erstgeborener unter
deinem eigenen Dach mit einer Bürgerlichen zusammenlebt?
Siehst nichts, hörst nichts, solange du nur Krieg spielen
darfst!«
»Das glaubst du? Glaubst du, ich hätte nicht längst
von Hana gewußt? Soll Gerrat doch die Frau lieben, die er
liebt - er ist ein braver Sohn, der seine Pflicht tut!«
»Und das ist alles?« Plötzlich mußte Dannen
sich anstrengen um zu brüllen. Die Luft fehlte ihm. Der alte
Mann wußte es längst? Dannen verfluchte ihn, sich,
Gerrat, alle, sogar Hana. »Und wo ist da deine Schande? Dein
großartiger Name? Muß Hana erst schwanger werden? Haben
wir nicht schon genug Bastarde hier?« Er konnte seinen Vater
immer noch zwingen, ein Machtwort zu sprechen und Gerrat
aufzufordern, Hana zu verlassen. Das sollte ein Sieg sein, ein
kleiner, einer, der keinen Spaß machte, aber zum
Spaßmachen gab es ohnehin nicht viel.
Aber Dannens Vater schnaubte nur. »Dann soll er sie heiraten,
von mir aus! Besser eine nette kleine Bürgerliche als eine
häßliche Kuh aus einem Ritterhaus - glaub mir, ich
weiß, wovon ich rede!
Dannen hatte alle seine Trümpfe verspielt. Jetzt konnte er nur
noch zurückschreien. »Sprich nicht so von meiner Mutter!
Immerhin hat sie nicht rumgehurt, und -«
»So, du bist lieber der Sohn deiner Mutter als meiner? Das
kannst du haben! Du wärst kein General ohne mein Blut! Du
wärst ein Nichts!«
»Ich scheiße auf dein Blut!« brüllte Dannen.
»Und auf deinen Namen und auf deinen Krieg und auf deinen
Engel!«
Jetzt hatte er es geschafft. Er hatte die Grenze
überschritten. Sein Vater erbleichte. Wirklich, er erbleichte.
Er war noch niemals erbleicht. Sein eben noch rotes Gesicht war nun
von einem ungesunden Rosa, und seine Augen allzu hell und allzu
grün. Dannen hatte noch nie gesehen, wie sich ihre Farbe
wirklich veränderte. Es machte ihm Angst. Aber er hatte die
Grenze überschritten, er selbst, er allein. Es lag nun alles
in seiner Hand. Seine Selbstsicherheit war dahin. Alles in ihm
krampfte sich zusammen. Es war ein Unterschied, ob er seinen Vater
verfluchte oder seinen Engel. Seinen Vater konnte er um Verzeihung
bitten. Aber der Engel der Rache verzieh niemals.
»Dannen«, sagte sein Vater, die Stimme so bleich wie
sein Gesicht. »Du weißt nicht, was du redest.« Es
war eine Aufforderung in seinen Augen: Dannen sollte nicken,
zustimmen, es gab noch ein Zurück - es gab kein Zurück.
Dannen schüttelte den Kopf.
»Acht Engel gibt es«, sagte er, »und jeden bis
auf einen kann man lieben und verehren, und jeder bis auf einen hat
es verdient, selbst Iriander. Aber ich - du und ich und Gerrat und
meine anderen glücklosen Geschwister sind Vigilander geboren,
einem gehässigen, mißgünstigen Engel, der uns
verbietet glücklich zu sein und uns zwingt zu warten, bis uns
jemand Unrecht tut. Nur dann dürfen wir uns freuen und
müssen Krieg führen - und das soll alles sein? Er hat uns
nichts hinterlassen als sein Blut, keine Gaben, die uns von einem
Bauern unterscheiden - er gibt nichts auf uns, und ich«, hier
mußte Dannen schlucken, »gebe nichts auf
ihn.«
Dannen schwieg und starrte zu Boden. Es war gesagt - aber wenn
Vigilander seine Gedanken lesen konnte, wie angeblich alle Elomaran
bei ihren Kindern, dann wußte er es ohnehin schon
längst.
»So denkst du also«, sagte sein Vater
schließlich.
»So denke ich«, sagte Dannen. »Ich will diesen
Engel nicht, und ich will diesen Krieg nicht. Aber ich glaube
nicht, daß das noch etwas ändern wird. Morgen kehre ich
nach Lamanthul zurück zu meiner Reiterei, und ich werde tun,
was ich tun muß.«
»Nein«, sagte der Vater, und das Blut kehrte in seine
Wangen zurück. »Nein, das wirst du nicht.«
»Nein?« fragte Dannen leise. »Ich denke, du wirst
froh sein, wenn du mich los -« Die Ohrfeige überrumpelte
ihn. Er hätte sie in jedem anderen Moment erwartet, doch sie
kam erst jetzt.
»Nichts wirst du tun! Es ist nicht mehr deine
Reiterei!«
Innerlich tat Dannens Herz einen Hüpfer, aber er sagte nur
trotzig: »Dann ziehe ich eben mit dem Fußvolk.«
In ihm war etwas Warmes, Lebendiges. Vielleicht war es seine Seele?
Bis dahin war Dannen nicht sicher, ob er überhaupt eine
besaß. Es gab ihm die Sicherheit zurück. »Den
Krieg hat mir mein verhaßtes Blut beschert, und du
müßtest jeden Tropfen dieses Blutes aus mir
herausschlagen, bevor du diesen Krieg von mir trennen kannst. Und
das kannst du nicht, du kannst mich nicht töten, nicht ohne
weiteren Grund. Der Krieg und ich sind einander vorbestimmt. Und
wenn mich Vigilander für meinen Frevel bestrafen will, soll
das in diesem Krieg geschehen.« Dannen schaffte es, nicht zu
zittern, als er diese Worte offenen Auges und aufrechten Hauptes
sprach. Er hatte seinen Engel, mehr noch: Sein Schicksal gefordert.
Und wenn es auch nur eines von beiden gab, sollte diese Forderung
wohl ernstgenommen werden. Aber es war Dannen, als ob er nicht mehr
viel zu verlieren hatte.
Sein Vater schnaubte und ohrfeigte ihn nochmals. »Ehe
Vigilander dazu kommt, dich zu bestrafen, wird er warten
müssen, bis ich mit dir fertig bin - und du wirst dir
noch diesen Krieg herbeiwünschen, Sohn, das wirst
du.«
Dannen zuckte eine Schulter. »Nur zu - schlag mich. Aber eh
du dein Schwert holst, erlaube mir, daß ich mich vorher in
mein eigenes stürze.« Er hörte sich sogar lachen
und wußte nicht, wo das herkam. Aber es ging ihm gut.
Wirklich. Er hätte schon längst mit seinem Vater brechen
sollen, und mit Vigilander, wo er gerade dabei war - Das Lachen
hatte Dannen, und es ließ ihn nicht mehr los.
»Du wirst dir noch Schläge wünschen«, sagte
sein Vater. »Dein ehrloses Blut wird mein Schwert nicht
besudeln. Nein, du bekommst deine Strafe, und sie soll schlimmer
sein als alles, was Vigilanders Kinder je erleiden mußten.
Verlaß dich drauf!«
»Gut«, sagte Dannen. »Ich freue mich
darauf.« Und das tat er tatsächlich.
Noch.
Ein wenig hoffte Dannen, daß wirklich
alles vorbei war - daß sein Vater ihn verstieß, aus dem
Haus jagte, ihn nicht länger Sohn nannte und Dannen frei war
für ein karges, neues Leben. Daß er fortan sein eigener
Herr sein durfte. Aber so etwas war unwiderrufbar und wollte gut
überlegt sein, selbst von einem König von Vigilanders
Gnaden. Vielleicht wollte er sich auch mit Gerrat beraten? Oder
gleich mit allen Generälen? Jedenfalls fand sich Dannen
eingesperrt im königlichen Studierzimmer wieder, mit einer
Strafe, die wirklich eine war und einen bitteren Vorgeschmack gab
auf das, was Dannen noch erwarten mochte: Schreibkram.
Wenn es einen Grund zum Heiraten gab, war es der, daß die
Frau dann die lästigen Verwaltungsaufgaben übernahm - all
den Schreibkram und die Berechnungen und jede andere tintenfleckige
Arbeit, vor der sich Dannen nach aller Möglichkeit zu
drücken suchte. Dazu konnte man keine Hure zwingen, und
überhaupt - welche Hure konnte schon schreiben? Nein, das
waren die hochehrenwerten Aufgaben einer Gemahlin, während der
Mann jagte oder die Burg verteidigte…
Der König sah das offenbar ähnlich. Aber da ihm die Frau
davongelaufen war, hielt sie auch nicht mehr sein Studierzimmer in
Ordnung, und offenbar konnte sich auch Leota erfolgreich dieser
Arbeit verweigern. Nun war also Dannen dazu gezwungen, Briefe zu
sortieren, was noch leidlich schnell ging, und alte Pergamente
abzuschaben. Seine Hände, gewöhnt, das Breitschwert zu
führen, hielten nun ein zierliches Federmesser und kratzten
die Schrift von vergeudeten Bögen - oh, Pergament war teuer!
Nicht teurer als ein völlig überflüssiger Krieg,
aber irgendwo mußte ja einmal gespart werden… Dannen
fluchte, die Rollen wollten nicht glatt liegenbleiben und sich
abschaben lassen, sondern kringelten sich zusammen, und das Messer
war ebenso spitz wie scharf.
Nachdem er sich zum dritten Mal schnitten hatte, mußte Dannen
erst mal eine Pause machen, bis sein Finger aufhörte zu
bluten. Ging ja nicht, daß das kostbare Pergament gleich
Flecken bekam! Aber es war wirklich keine Arbeit für einen
kräftigen Kerl wie Dannen. Fast schon ein Wunder, daß
die Klinge nicht längst abgebrochen war - aber das war bester
Stahl, wie er nur aus Doubladir kommen konnte, würdig für
Schwerter und an so ein Spielzeug fast schon vergeudet…
Dannen lutschte das Blut ab, hoffte, daß von dem Schnitt
nichts mehr zu sehen war, und machte sich zähneknirschend
wieder an die Arbeit. Nie im Leben hätte er seinen Vater
für so einen eifrigen Briefeschreiber gehalten! Und daß
war er wohl auch nicht, denn dieser ganze Stapel schien aus den
Entwürfen für einen einzigen Brief zu bestehen. Wenn er
einen Fehler machte oder die Feder kleckste, fegte der König
den Bogen beiseite und fing mit dem nächsten an. Anstatt
daß er ein einzelnes Wort wegschabte, mußte der arme
Dannen jetzt die halbe Seite abkratzen. Als ob der König das
schon damals geplant hatte! Und den Brief neu schreiben dauerte
sicher dreimal so lange wie ein bißchen Korrigieren - was
für ein Brief war das überhaupt, daß er soviel
Arbeit wert sein sollte?
Obwohl Dannen wirklich kein Interesse daran hatte, die Briefe
seines Vaters auch noch lesen zu müssen - denn der hatte die
Handschrift eines Kriegers, selbst wenn er sich beim Schreiben
Mühe gab - machte er sich daran, sie zu entziffern.
Früher hatte Dannens Mutter ihrem Mann die Briefe geschrieben
- wie lang war es jetzt noch wohl hin, bis Gerrat hier saß
und der armen Hana diktierte? Hana, von allen Frauen… Dannen
wußte nicht, ob sie überhaupt schreiben konnte, er
glaubte es nicht -
Und dann erstarrte er. Nicht wegen Hana, nicht weil er sie heute
direkt in ein offizielles Verlöbnis mit einem, der sie nicht
verdiente, getrieben hatte, sondern weil ihm plötzlich
aufging, was für einen Brief da in unerträglich
zahlreicher Ausführung vor ihm lag: Es war die
Kriegserklärung. Oder, genauer gesagt: Die Erklärung der
Kriegserklärung.
Vigilander, der König von Doubladir und von Vigilanders Blute,
schrieb an seinen treuen Kampfgefährten, den Kriegsbotschafter
Ansgar von Car Diuree. Mein hochgeschätzter Ansgar,
schrieb er. Der unerwartete Todesfall am Hofe von Koristan wird
für unser Land weitreichende Folgen haben. - Diesen Satz
hatte Dannen bestimmt schon sechsmal gelesen, ohne sich viel dabei
zu denken außer ‘Oh nein, nicht schon wieder der
gleiche Mist’. Aber nun las er weiter und begriff, daß
es mitnichten um den Tod des Botschafters Selmar ging - als dieser
Brief geschrieben wurde, war dort unten gerade erst der König
gestorben. Denn der Rest des Briefes, soweit noch vorhanden und
nicht Dannens Federmesser zum Opfer gefallen, war nicht, womit
Dannen gerechnet hätte.
Ich habe den Euch nur allzu gut bekannten Selmar nach Koristir
geschickt, um sich der Angelegenheit anzunehmen, er zeigte sich nur
allzu erfreut, noch einmal als Botschafter tätig werden zu
dürfen und ahnt doch nichts von seiner wahren Aufgabe. Auch
ohne ihn einzuweihen weiß ich doch, daß auf ihn
Verlaß sein wird, auf sein aufbrausendes Temperament und
daß er einem guten Schluck nicht abgeneigt ist macht ihn zum
perfekten Instrument.
Dieser Satz war in jeder Fassung anders verwirrt, doch in seinem
Grundgedanken gleich. Und später wurde es dann noch
eindeutiger: Ohne jeden Zweifel wird es nicht lange dauern, bis
es ihm gelingt, einen Streit mit den anwesenden Loringarim vom
Zaune zu brechen, und sollte es dann zum Äußersten
kommen, können wir doch zumindest sagen, daß wir einen
entbehrlichen Mann verloren haben, der sein Leben für eine
gute Sache gegeben hat. Ich bitte Euch, den schnellstmöglichen
Weg nach Car Mentrek einzuschlagen und mich für die weiteren
Kriegsvorbereitungen aufzusuchen, damit wir keine kostbare Zeit
verlieren, denn es wäre schön, wenn der Krieg bis zum
Wintereinbruch unter Dach und Fach ist. Ich leite ferner die
Rekrutierung in die Wege - diesen Satz mußte sich Dannen
mit Müh und Not zusammenreimen, denn er stand nur in einer
einzigen Fassung des Briefs und war halb unter einem großen
Tintenfleck verborgen, den Dannen erst mühsam abtragen
mußte. Danach folgten noch ein paar Grüße an
Ansgars geschätzte Gemahlin und die Hoffnung, das
Söhnlein möge wohlauf sein, doch nichts davon
interessierte Dannen mehr. Er starrte nur auf die Buchstaben vor
seinen Augen, wünschte sich, daß sie verschwammen,
verschwanden, neue Worte bildeten - daß sie irgend etwas
taten, damit er nichts tun mußte. Er wußte nämlich
nicht, was. Saß nur und starrte auf die Briefe und hörte
sein Herz hämmern. Seine Hände zitterten. Dannen
schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen. Ruhig. Ganz
ruhig. Solange er in dieser Kammer eingesperrt war, konnte er
nachdenken, und das sollte er besser auch. Alles hatte Zeit, bis
sein Vater kam, um ihn herauskommen. Alles bis auf eines:
Lachen.
Dannen lachte lange, leise, und hilflos. Er konnte gar nicht mehr
aufhören damit. Er bekam keine Luft mehr. Sein Brustkorb
schüttelte sich, während Dannen sich mit beiden
Händen Mund und Nase zuzuhalten versuchte - sein Lachen durfte
ihn nicht verraten, durfte nicht den König hereinholen, bevor
Dannen wußte, was zu tun war. Er tat weh. Er sah schwarze
Flecken, seine Ohren dröhnten bis zum Kopfschmerz, aber es
half. Langsam kam Dannen zur Ruhe. Nur ein paarmal gluckste es noch
aus ihm heraus. Er schüttelte den Kopf.
»Hundsfott«, murmelte er und meinte seinen Vater damit.
»Hurenbock! Heuchler!« In diesem Moment wußte er
nicht, ob er den alten Mann nun verachten oder hassen oder
bewundern sollte. War das schon immer so - machten Vigilanders
Kinder ihre Kriege selbst, inszenierten sie ihre Rache wie ein
Maskenspiel, wann immer sie gerade lustig waren? Oder blutdurstig?
Nein. Das war nichts zum Stolz sein. Es war schlimm, Sohn eines
Engels zu sein, der keinen Lebenssinn als die Rache kannte, aber
der Sohn eines Lügners zu sein war schlimmer. Und ein
Lügner, der einen Krieg über sein Land brachte und dabei
tat, als habe er keine Wahl, der Männer in den Tod schickte -
das war ein Mann, dessen Sohn Dannen nicht sein wollte. Fast
bereute er die harten Worte, die ihn in dieses Gefängnis
gebracht hatten. Er hätte sie sich lieber für jetzt
aufgespart, wo er die Wahrheit kannte. Alles was er gesagt hatte,
war noch viel zu gut. Den König in einem Atemzug mit
Vigilander selbst zu nennen, war mehr, als der alte Mann
verdiente.
Aber Vigilander - der mußte das doch wissen? Und dann
ließ er es zu? Wieder stieg dieses Lachen in Dannen auf.
Natürlich wußte Vigilander das. Engel sahen alles. Aber
vielleicht interessierte es den Engel der Rache einfach nicht.
Vielleicht plante er auch längst eine schreckliche Strafe
für sein Haus. Vielleicht war es auch genau das, was er
wollte? Oder aber, und das war es, was Dannen glaubte, es gab die
Elomaran längst nicht mehr. Sie waren davongeflogen, gegangen,
wie damals die Götter, und die Menschen konnten tun uns
lassen, was sie wollten - mehr tun als lassen, wahrscheinlich.
Vielleicht hatte es nie einen Engel der Rache gegeben. Vielleicht
hatte Dannens Familie ihn nur erfunden, um sich zu Königen zu
machen - das erklärte, warum sie keine Gaben hatten oder
sonstwas, nur scharfe Schwerter… Und Dannen konnte
Vigilander verfluchen, soviel er wollte - es traf keinen. Was schon
ein Grund war, es nicht zu tun. Es machte keinen Sinn mehr. Aber
seinen Vater, den konnte er verfluchen, und den sollte und
mußte er verfluchen, wenn es sonst niemand wagen
würde!
Dannen lachte in sich hinein, als wären diese Briefe das
Komischste auf der ganzen Welt und der Krieg nur ein Witz. Er malte
sich aus, wie er gleich vor den Kriegsrat treten würde, um mit
kaltem Triumph die Briefe auf den Tisch gleiten zu lassen und dann
zuzusehen, wie seinem Vater vor Schreck der Bart aus dem Gesicht
fiel. Dann hatte dieser ganze Krieg ein Ende und die ganzen
Lügen dazu, und dann -
Das Lachen gefror in Dannens Kehle. Das war eine Falle. Eine Falle
für Dannen. Er saß mittendrin, er saß fest. Und
das ganze böse Wissen würde ihm nichts bringen, niemals.
Falle. Falle. Falle. Was immer Dannen über seinen Vater sagen
mochte - der Mann war kein Narr. Gerissen war er, gerissen genug,
um einen Krieg so vom Zaun zu brechen, daß er alles
vorbereitet hatte, noch bevor es losging, und gerissen genug, um
seinem eigenen Sohn eine solche Falle zu stellen.
Die Briefe lagen dort nicht aus Zufall oder Achtlosigkeit. Sie
lagen dort, damit Dannen sie fand. So viele Abschriften, daß
er sie früher oder später über der Arbeit lesen
mußte. Die ganze Strafarbeit hatte keinen anderen Sinn, als
Dannen diesen Brief, dieses Geheimnis aufzudrängen. Dannen
zweifelte nicht daran, daß die Entwürfe echt waren - der
König konnte nichts von Dannens Racheplänen geahnt haben,
und es dauerte Stunden, wenn nicht Tage, soviel zu schreiben -
keine Falle war das wert. Dannen zweifelte auch nicht daran,
daß der Kriegsbotschafter genau diesen Brief erhalten hatte.
Aber konnte er das beweisen? Oder daß es wirklich die Hand
seines Vaters war? Niemals. Wer seinen Engel zum Lügen
benutzte, der würde auch diesen Brief verleugnen. Und dann
stand Dannen da, der undankbare trotzige Sohn, der seinen Engel
verflucht hatte, die Ehre der Familie zerstören wollte, den
gerechten Krieg verhindern, und der so weit ging, sogar Briefe
seines Vaters zu fälschen - genug Zeit dafür hatte er ja,
seit der König ihn im Studierzimmer eingeschlossen hatte. Nur
der Versuch eines Sohnes, sich an der Familie zu
rächen…
Und selbst wenn man ihm glaubte, was dann? Wenn bekannt wurde,
daß der König sein Volk belog und betrog, um es in den
Krieg zu schicken - das war kein Skandal mehr. Ein Skandal war es,
als der König Rul als Sohn anerkannte und seine Frau ihn
daraufhin verließ. Das war eine Schande, und es war schlimm,
für die Familie, für Dannen, für das ganze Land.
Aber dies hier - das war ein Untergang. Grund genug für einen
Bürgerkrieg, Grund genug für das Volk, sich zu erheben
und seinen König davonzujagen, so wie man es in Koristan
für weniger getan hatte - wenn Korisanders Kinder nicht vor so
etwas gefeit waren, warum sollte Vigilanders Haus es dann sein?
Dannen kannte das schrecklichste Geheimnis seines Landes, und das
schrecklichste daran war, daß es ihm nichts nutzte. Es
mußte ein Geheimnis bleiben, für immer und ewig. Das war
die eigentliche Strafe seines Vaters - dieses Geheimnis mit Dannen
zu teilen, es ihm aufzubürden wie die schwerste aller Lasten.
Wer wußte davon? Ansgar? Der war ein harter, kalter Mann, der
den Krieg mehr liebte als alles andere und der bereit war, alles
dafür zu tun. Ein Bürgerkrieg konnte ihm egal sein, Krieg
war Krieg, es war nicht sein Engel, und ein Gewissen besaß
Ansgar kaum. Dann der König, natürlich.
Und Gerrat, was war mit dem? Er war der Thronfolger, er lebte hier
auf der Burg, er lernte das Handwerk seines Vaters - aber das
wußte er nicht. Dannen mochte Gerrat hassen, manchmal auch
verachten - aber er kannte ihn zu gut. Gerrat hatte nicht unbedingt
ein gutes Herz, aber ein leichtes. Dannen wollte, daß es so
blieb. Nicht, um seinen großen Bruder zu schützen - er
hätte es ihm gegönnt, diese Bürde tragen zu
müssen an Dannens Stelle. Aber Gerrat sollte ein guter
König werden, oder zumindest besser als sein Vater - wenn er
nicht selbst auf diesen Gedanken kam, durfte man ihn nicht noch
künstlich auf die Idee bringen. Und die anderen Geschwister?
Auch die wußten es nicht. Jaro war zu weich, Rul immer noch
nur ein Bastard, und hätte Leota es gewußt, wäre
sie auch diejenige, welche diese Briefe schreiben mußte.
Dieses Geheimnis war Dannens, Dannens allein.
Einen Moment lang zögerte er noch. Spähte zur Tür,
lauschte. Er war allein. Zu hören gab es nur das Dröhnen
in seinen Ohren und seiner Brust. Aber er war, wenn auch
aufgewühlt, klar im Kopf. Er wußte, was er zu tun hatte.
Das Federmesser lag in seiner Hand wie das schärfste aller
Scharfrichterschwerter. Und es flog über das Pergament wie die
heiligen Schwingen der Rache, und es verschlang die Worte, eines
nach dem anderen, bis keines von ihnen mehr übrig war. Nur aus
Dannens Kopf konnte es das Geheimnis nicht herauskratzen. Dort war
es eingebrannt, und würde es eingebrannt sein, solange noch
Leben in ihm war.
Als dann sein Vater kam, um ihn aus dem Arbeitszimmer zu entlassen,
saß Dannen dumpf zusammengesunken am Schreibtisch und starrte
aus sein Werk: Einen Stapel abgeschabter Pergamente, die obersten
hauchdünn, durchsichtig, durchlöchert, unschuldig. Die
Tischplatte, der Fußboden, Dannen selbst, alles war voll mit
kleinen schwarzen Bröseln. Dannen machte sich nicht die
Mühe, sie zusammenzufegen oder abzuwischen. Diese Krümel
waren ohne Bedeutung, konnten keinen Schaden mehr anrichten. Nur
das Federmesser war zerbrochen, sein einziger Komplize und
Mitwisser. Und auch das war keine Absicht, nur ein
Mißgeschick. Den Rest der Arbeit hatte Dannen mehr schlecht
als recht mit seinem Dolch verbracht, und mit seinen eingerissenen,
schwarzen Fingernägeln. Als sich die Tür öffnete,
blickte er auf.
Der König sagte nichts, während er seinen Blick über
Dannens Tagwerk wandern ließ, und dann: »Ich sehe, du
warst fleißig.« Es lag kein Spott in seiner Stimme und
kein Stolz, kein Mitleid, nichts. Nicht einmal Kälte. Er
fragte nicht, ob Dannen die Briefe gelesen hatte. Dannens
Sprachlosigkeit sagte es ihm.
Langsam stand Dannen auf, klopfte sich ab, und dann nahm er sich
zusammen und blickte seinem Vater ins Gesicht. In die Augen. Er
wollte etwas sagen, irgend etwas, er wußte nicht, was. Sein
Vater blickte nicht weg. Einen Moment lang teilten sie wortlos ihr
Geheimnis, starr und gefühllos. Dann, langsam, kehrte dieses
Lachen zu Dannen zurück. Er schnaubte.
»Und was machst du damit?« fragte er und deutete mit
dem Kinn auf das heilige Schwert an seines Vater Seite. Das
Hände konnte er nicht nehmen, sie waren so ineinander
verkrampft, daß er nichts mit ihnen anzufangen wußte.
»Nimmst du Ruß?«
Sein Vater gab ihm hierauf keine Antwort. Aber Dannen hatte auch
nichts anderes erwartet.
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