Dreizehntes Kapitel

Dies war Sharaz.
Fast war es wie in einem Traum. Und das allein war schon merkwürdig genug, denn in Varyns Leben gab es kein fast, nicht im Traum und nicht im Wachen: Alles war ganz, alles war absolut, und nichts war wirklich. Hier war es umgekehrt: Es war wirklich, und es war fast. Vielleicht lag es daran, daß Gaven bei ihm war. Ohne Gaven wäre ganz Traum gewesen, aber mit ihm fühlte er sich sicher.
Dies war Sharaz. Dies war das Land der Steine, und der Steine, und der Steine.
In Varyns Traum hatte der Ort ihn an eine Kohlenhalde erinnert, und tatsächlich war es eine Halde, nur Kohle hatte man hier niemals abgebaut. Es gab hier keine Kohle. Es gab hier nichts mehr außer Steinen, Steinen, Steinen. Aber früher - so lange früher, daß niemand mehr lebte, der auch nur jemanden gekannt hatte, der sich noch an diese Zeit erinnern konnte - hatte man hier Schiefer abgebaut. Dunkelgrauen Schiefer, mit dem Dächer im ganzen Land gedeckt, mit dem Häuser verschindelt wurden, mit dem… Nein, Varyn und auch Gaven sahen beide keinen Sinn im Schieferbergbau. Schiefer war zu nichts wirklich gut. Kohle, die konnte brennen, so heiß, wie es nur Kohle konnte. Aber Schiefer? Dächer konnte man auch mit Holz decken oder mit Reet, Häuser mit Lehm verputzen - niemand brauchte Schiefer. Und doch waren hier die Halden von jahrhundertelangem Schieferabbau, so hoch und so breit wie die Berge daheim - nur die Halden! Wieviel Schiefer mußten sie hier aus dem Fels geholt haben, daß die Halden selbst zu Bergen wurden? Wie viele Bergleute? Wie viele hundert Jahre? Varyn starrte die Steine an. Und er konnte nicht anders, als sich klein und hilflos zu fühlen.
»Weißt du, was ich mich frage?« Es war gut, daß Gaven da war. Ohne Gaven wäre Varyn niemals bis hier gekommen. Und ohne Gaven wäre er jetzt wohl davongerannt. »Ich frage mich, wo ihre Berge hingekommen sind. Die richtigen, meine ich. Die vor den Halden da waren. Die, wo sie den Schiefer rausgeholt haben.«
Varyn dachte nach, schütze seine Augen mit der Hand gegen das malmende Grau. Das mußte er beantworten können! Er war doch immer berühmt im Tal, daß er jede Frage beantworten konnte! »Ich glaube, sie sind unter dem Geröll verschwunden«, sagte er schließlich. Aber er war sich nicht sicher.
Diese Steine schienen einfach alles unter sich begraben zu wollen. Ihr stumpfes Grau wucherte, wie Moosflechte, wie ein Ausschlag. Wieviel Welt es wohl noch verschlingen würde, wenn man es ließ? Wie lange, bis die es nichts mehr gab es ein Meer von schartigen grauen Steinen?
»Unsere zuhause ist nicht mal halb mal halb mal halb so hoch«, sagte Gaven, der mit seinen Zahlen zu schnell am Ende war. Er hätte noch viel öfter halb sagen können, ohne zu lügen.
Varyn gab ihm einen Klaps. »Ja, weil du immer so ein fauler Hund warst! Hättest du schnell geräumt, wie ich gehauen hab - wir hätten so eine Prachthalde mirnichts-dirnichts.«
Dann lachten sie beide, nicht nur, weil sie so ein Haldenmeer gar nicht haben wollten, sondern vor allem, um die Luft mit Geräusch zu füllen. Damit man die Steine nicht mehr hörte. Damit die Steine still waren, oder zumindest übertönt. Steine sollten schweigen.
Da, wo die beiden Jungen herkamen, gab es nichts stilleres als Stein. Die erdrückende Stille im Toten Mann - plötzlich wünschte Varyn, er hätte etwas davon mitbringen können. Die Steine hier schwiegen nicht. Sie flüsterten. Sie murmelten. Sie brummten. Vielleicht taten das alle Steine, so leise, daß kein menschliches Ohr das wahrnehmen konnte: Aber hier, wo tausend und aber-abertausend Steine versammelt lagen, da erfüllten sie die Luft mit etwas, das keine Worte waren und keinen anderen Namen hatte als die Abwesenheit von Stille.
»Gaven«, fragte Varyn vorsichtig, »hörst du das auch?«
Gaven nickte. »Falls du das Gewitter meinst, ja. Da grollt etwas.«
»Das ist kein Gewitter«, sagte Varyn. »Das sind die Steine.« Sein Mund fühlte sich trocken an. Das war nicht nur Angst - das war auch Durst. Gaven und er hatten jetzt seit zwei oder drei Tagen nichts richtiges mehr gegessen, und ebensolang war es her, daß sie den letzten Menschen getroffen hatten. So weit waren sie im Norden, im Niemandsland - vielleicht war Doubladir hier schon zuende. Vielleicht sogar die Welt.
»Für dich sind das die Steine«, erwiderte Gaven ungerührt, »und für mich ist es ein Gewitter. Je nachdem, was da gleich auf uns runtergeprasselt kommt, sehen wir ja, wer Recht hatte - aber du verzeihst mir, wenn ich will, daß ich das ist?« Seine Stimme klang immer noch irgendwie vergnügt, doch das war nicht echt - Gaven spielte Gaven, um es für Varyn leichter zu machen. Und das mußte man ihm hoch anrechnen, wie alles, was er in den letzten Tagen und Wochen geleistet hatte. »Glaubst du, wir finden hier irgendwo eine Hütte zum Unterstellen? Ich meine, hier müssen doch auch mal Leute gelebt haben, und die können doch nicht einfach -«
Ein Blick von Varyn brachte ihn zum Schweigen, so abrupt, daß Varyn vor seinen eigenen Augen Angst bekam.
»Ich will mich nicht unterstellen«, sagte Varyn. »Ich will auf die andere Seite. Dies sind die Steine von Sharaz, aber unser Ziel liegt dahinter, oder dazwischen.« Er hörte seine Stimme, doch wo die Worte herkamen, wußte er nicht. Er fühlte sie nicht aus seinem Mund kommen. Vielleicht dachte er nur. Es war egal, solange Gaven ihn verstand. Ob die Steine ihn hörten oder nicht… Varyn schüttelte den Kopf. Steine hatten ebensowenig zu hören wie zu sprechen. Dieser Ort jagte ihm Angst ein.
»Und was erwartest du jetzt von mir?« fragte Gaven. »Soll ich da vielleicht drüberklettern? Jetzt? Da machst du deine Rechnung ohne mich!« Er schüttelte sich. »Erstmal ist es gefährlich, auf eine Halde zu klettern - nachher gerät alles ins Rutschen, und dann geht es abwärts. Und außerdem wird es bald schon dunkel.«
Sie waren den ganzen Tag über auf den Beinen gewesen. Gaven hatte sicher Recht - aber trotzdem… »Die Dämmerung kommt«, sagte Varyn. »Das ist ihre Tageszeit. Wenn es einen Moment gibt, diese Halde zu besteigen, dann jetzt.«
»Oder morgen früh«, entgegnete Gaven ungerührt. »Das ist doch das Gute an der Dämmerung - da gibt es immer zwei von. Warte bis zum Morgengrauen, oder mach es allein, aber dann ist es mir egal, ob und wenn du unter einem Haufen Geröll begraben endest. Ich such mir inzwischen was zum Unterstellen. Und zum Übernachten.«
Varyn musste zugeben, daß er eigentlich zu müde war und zu hungrig, um ihm da zu widersprechen. Wenn sie jetzt eine Hütte suchten, vielleicht fanden sie dann auch einen anderen Weg in das Herz der Steine? Aus seinem Traum erinnerte sich Varyn an einen Talkessel, nach allen Seiten von Steinen umgeben - kein Eingang, kein Paß, nichts. Aber Träume konnten auch trügen. Und sie zeigten nie die ganze Wahrheit… Varyn schluckte.
»Ich möchte, daß du dabei bist, Gaven«, sagte er. »Damit ich weiß, was geschieht - weil ich nicht weiß, was geschieht - weil ich will, daß du dabei bist. Du hast es dir verdient.«
Mit dem Kopf im Nacken blickte Gaven in den gräulichen Himmel. »Womit ich das verdient habe, will ich gar nicht wissen. Und was deinen Dämmervogel angeht - jetzt sind wir so weit gelaufen, da kann sie ruhig auch mal drei Schritte tun und ihren Hintern aus dem Berg raus bewegen, das ist doch wirklich nicht zuviel verlangt!«
Varyn nickte. Wenigstens in seinen Träumen hätte sie sich in der letzten Zeit einmal wieder Zeigen können, als Bestätigung, daß sie auf dem richtigen Weg waren. Oder so. Er wollte sie einfach gerne wiedersehen. Genauer: Er wollte sie endlich einmal sehen. Ihr Gesicht. Einmal - nein, oft sogar - hatte er Alpträume gehabt mit ihr. Träume, in denen sie sich zu ihm umwandte oder den Schleier hob - und da war kein Gesicht. Nichts. Oder ein Totenschädel. Oder eine scheußliche Fratze mit winzig kleinen schwarzen Augen und einem riesigen Mund voller spitzer Zähne. Oder das eingefallene Gesicht einer uralten Frau. Oder der Abgrund selbst. Träume über Träume. Aber es waren keine richtigen Träume, es waren Träume von ihr, nicht mit ihr. Nur die Ausgeburten von Varyns Einbildungskraft. Varyn dürstete es nach der Wirklichkeit. Aber das einzige Gesicht, daß er für den Dämmervogel hatte, war das einer Elster.
»Schau mal, das dahinten - das sieht mir doch nach was aus!« rief Gaven und zeigte auf ein entferntes dunkles Etwas, das vielleicht wirklich einmal ein Gebäude gewesen war, ein Haus oder ein Schuppen. Und schon lief er los, und Varyn hinterher - wenn er hier allein endete, wenn er Gaven aus den Augen verlor, dann würde der Wahn ihn holen. Hinterher, und das Murmeln der Steine immer in seinem Ohr.
Es war tatsächlich ein altes Haus, auch wenn die Zeit nicht viel davon übriggelassen hatte. Der Boden im Inneren war mit Schiefertrümmern bedeckt - die hatten überlegt, als der Moder das Holz des Daches fraß. Man konnte sich wirklich bessere Schlafplätze vorstellen - alles, was dieses Haus ihnen bot, war ein klein wenig Windschutz. Aber hier drinnen konnte Varyn die Steine nicht mehr hören, und das war eine Menge wert.
»Wenn dir das genügt?« sagte er. »Glaubst du mir, ist das ein sicherer Ort. Aber wenn du auf dein Gewitter warten willst - hier drinnen findet es dich ganz sicher.«
»Also, etwas mit Dach würde mir schon lieber«, sagte Gaven. »Ich werde so ungern naß. Aber ich hab das hier gefunden, und nehmen wir das auch. Hier drin kann man wenigstens versuchen, ein Feuer anzumachen.«
Und beim Versuchen blieb es bei Gaven dann meistens auch. Jeden Abend zeigte ihm Varyn geduldig, wie man mit Flintstein und Stahl Funken schlug und ein Feuer entfachte, aber der Junge hatte den Dreh einfach nicht raus. Außerdem gehörte der Feuerstein Varyn - eine der nützlichen Sachen, die er unterwegs für die Reise gekauft hatte. Wenn es schon noch nicht für ein Schwert reichte - das Leben bestand nicht nur aus Brot und Käse.
»Dann schau mal, ob du Holz findest«, sagte Varyn. »Und ich räume hier in der Zwischenzeit ein wenig auf.«
Gaven entfernte sich nicht ohne Grinsen - so schnell vergaß er sicher nicht, daß Räumen früher immer seine Aufgabe war, und daß Varyn wußte, wie sehr er die Plackerei haßte. Varyn auf der anderen Seite war immer noch froh über alles, was seinen Körper anstrengte - je schneller der zur Ruhe kam, desto schneller ruhte auch der Kopf.
Und während er Schiefer zu sauberen Haufen zusammenschob und schleppte, daß darunter glatter Boden sichtbar wurde, auf dem man liegen konnte, hoffte Varyn doch einen Moment lang, daß gleich der Dämmervogel hereinkommen würde. Vielleicht wartete sie nur darauf, ihn einmal allein und ohne Gaven zu fassen zu bekommen - Gaven war ein guter Schutz, doch vielleicht schützte er manchmal auch zu gut… Aber niemand kam, bis Gaven dann mit einem Arm voll Bruchholz auftauchte.
»Hier, mehr habe ich nicht finden können - zeigst du mir noch mal, wie du das mit dem Stahl machst?«
Varyn nickte geistesabwesend. Draußen verabschiedete sich das Licht von den Bergen. Eigentlich wäre er doch am liebsten schon jetzt auf die Halden gestiegen. Er fürchtete die Nacht im Schatten der Steine. Aber wenn es ihnen jetzt gelang, den Abend zu verbringen wie jeden anderen, mit Hunger und Scherzen - dann durfte diese Dämmerung auch ohne ihn vorübergehen und Platz machen für die Nacht - bis zum nächsten Morgen, bis zur nächsten Dämmerung.
Und sie kam.

Varyn erwachte mit dem Morgengrauen, und Gaven war fort. Da wußte Varyn, daß er nicht wirklich wach war, sondern es wieder einer von diesen Träumen war. Er trat hinaus in das frostkalte Frühlicht und sah sich um. Dort lagen die Steine von Sharaz in ihrer ganzen grauen Pracht, noch halb von Dunst eingehüllt, und alles sah genauso unberührt aus wie am Vorabend. Niemand war sehen. Niemand war zu hören. Selbst die Steine schwiegen.
Varyn ging auf sie zu - wenn der Traum seinen Fortgang nehmen sollte, dann dort, und er mußte seinen Fortgang nehmen, damit Varyn irgendwann erwachen und auch im wirklichen Leben diesen Berg besteigen konnte. Und das Ganze beschleunigen?
»Dämmervogel!« rief Varyn. »Ich bin deinem Ruf gefolgt. Ich bin hier - wo bist du?« Und er ahnte die Antwort schon: Hinter dem Berg… Varyn seufzte. Sollte er also schon im Traum mit dem Bergsteigen anfangen! Aber vielleicht fand er so einen Weg, den sie später im Wachen nehmen konnten -
»Varyn! Bleib stehen, du Blödmann!«
Varyn fuhr herum. Das war nicht die Stimme, mit der er hier rechnete. Das war nicht der Dämmervogel, das klang wie… Gaven? Gaven hier? Gaven jetzt? Gaven, der da hinten angerannt kam…
»Gaven - was suchst du hier?« fragte Varyn verwirrt.
»Na, was schon - dich!«
»Aber du kannst du nicht einfach…«
Gaven verdrehte die Augen. »Nicht schon wieder, bitte! Nicht um diese Tageszeit, das vertrage ich noch nicht.« Er bebte auf und ab und blies sich auf die Hände. Die Kälte schien ihm mehr auszumachen als Varyn - aber Varyn hatte auch noch nie in ein Traum gefroren.
Langsam dämmerte es Varyn, und dann kam die Kälte auch zu ihm. »Kein Traum?« fragte er.
Gaven knuffte ihn vor die Brust. »Kein Traum, Blödmann. Regel Nummer Eins: Wenn ich da bin, ist’s kein Traum.«
»Aber - gerade eben, als ich wach wurde - da warst du nirgends zu sehen.« Varyn fühlte sich lahm und dümmlich. Aber ob er doch noch immer träumte, selbst wenn alles um ihn herum schon wach war.
»Ja, großer schlauer Varyn!« schnaubte Gaven. »Weil ich nämlich schon vor dir aufgestanden bin, schon mal daran gedacht?«
Varyn mußte den Kopf schütteln - er kannte seinen mittleren Bruder ja schon lange, aber noch nie als Frühaufsteher.
»Willst du wissen, warum?« fragte Gaven leise. »Weil diesmal ich etwas geträumt habe. Jawohl.«
»Schlecht geträumt?« fragte Varyn vorsichtig.
Gaven gelang es, selbst mit dem unglücklichen Nicken noch stolz zu wirken. »Glaub bloß nicht, du hast schlechte Träume für dich allein gepachtet!« Er sah plötzlich so klein und verloren und verfroren aus, daß Varyn plötzlich wieder daran erinnert wurde, wie jung sein Bruder doch eigentlich war, und wie jung er selbst.
»So schlimm, daß du es nicht ertragen konntest liegenzubleiben, aus Angst, wieder einzuschlafen und weiterzuträumen?« fragte er.
Wieder nickte Gaven. »Und das gemeinste ist - ich weiß noch nicht mal mehr, was ich überhaupt geträumt habe!« Er versuchte zu grinsen, gab aber schnell auf und hauchte sich statt dessen auf Finger und Lippen. »Aber wie ich dann hier rausgekommen bin, ist mir endlich aufgefallen, was hier mit den Steinen nicht stimmt.«
Er hatte Recht, etwas stimmte hier nicht, aber selbst Varyn konnte es an nichts festmachen - warum die Steine von Sharaz wirkten wie ein Stück, das man aus einem Traum herausgerissen hatte. Aber da Varyn sie ja aus einem Traum kannte, war er blinder für die Wirklichkeit als Gaven, der sie zum ersten Mal sah. »Was denn?« fragte er.
»Hier wächst nichts«, sagte Gaven - vielleicht wollte er düster klingen, doch seine Stimme war zu aufgeregt. »Auf den Steinen, meine ich - denk mal an unsere Halde zuhause, die ist winzig im Vergleich zu dem hier, und sie bekommt dauernd Körbe voll Schotter übergebraten - und trotzdem setzen sich da andauernd Birkenschößlinge rein, und Gras, und Disteln, und Gestrüpp. Aber hier hatte das Zeug über hundert Jahre zum Wachsen, da dürfte man eigentlich vor Gras und Birken gar keine Steine mehr sehen - aber hier wächst nichts. Als ob die Zeit hier still steht.«
Er schwieg einen Moment, und als Varyn nichts erwidern mochte, setzte er hinterher: »Und jetzt wünsche ich mich irgendwie in diesen Alptraum zurück.«
Varyn wollte ihm nicht widersprechen und ihn nicht bestätigen - Gaven sollte Recht haben, aber Varyn war es lieber, jetzt nicht über diesen Ort zu sprechen. Die Steine waren zu nah. Es war, als ob sie zuhörten - und wehe, was sie hörten, gefiel ihnen nicht!
»Ich habe nichts geträumt« , sagte er. »Jetzt, wo wir beide auf sind - wollen wir uns ans Bergsteigen machen?«
»Und mehr hast du dazu nicht zu sagen?« Gavens Stimme quoll über vor Enttäuschung. »Ich habe etwas Wichtiges herausgefunden, und du -«
»Ja, du hast es herausgefunden, und jetzt wissen wir es beide, fiel ihm Varyn schroff ins Wort. »Aber wir können nichts daran ändern, und ich suche nach einem Weg, daß dieser Berg mir weniger Angst macht, nicht mehr, verstehst du?« Er hätte das Wort Angst besser nicht aussprechen sollen - vorher hatte er eigentlich keine. Jetzt war sie wieder da. Ein Ort, an dem die Zeit stillstand - das war etwas Entsetzliches. Das war etwas, das man mit nichts erklären konnte, nicht mit den Engeln, nicht mal mit den Göttern - die Zeit war größer, sie stand über allem, sie würde alles überdauern: Aber nicht, indem sie stillstand…
»Du siehst ganz grün aus«, sagte Gaven mit angestrengter Bestimmtheit, »und ich habe Hunger und Durst, daß ich mich auch schon ganz grün fühle - wir steigen jetzt gleich auf den Berg, aber vorher essen wir was. Ein bißchen haben wir uns ja übriggehalten.«
Varyn nickte, und sie gingen zur Ruine und frühstückten, was an Essen noch da war, aber danach hatten sie keine andere Entschuldigung mehr. Die Morgendämmerung würde nicht endlos andauern, nicht einmal dort, wo die Zeit stillstand. Jetzt mußten sie auf den Berg steigen.

Wer behauptet hatte, das letzte Stück eines Weges wäre immer das längste, der irrte. Das letzte Stück war immer das kürzeste, schon allein, weil es sonst nicht das letzte gewesen wäre, sondern nur irgendwas in der Mitte. Aber Varyn wünschte sich, es wäre wirklich so. Mit jedem Schritt, den sie sich auf der steilen Halde nach oben bewegten, wünschte sich Varyn, daß es noch weit war bis zum Gipfel, endlos weit, so weit, daß kein Mensch es an einem Tag schaffen konnte - Varyn fürchtete sich. Und am meisten fürchtete er sich vor einer Enttäuschung. Daß die Rückseite des Berges genauso aussah wie die vordere. Daß es dort keinen Dämmervogel gab und auch sonst nichts und niemanden, der er wert gewesen wäre, die Heimat zu verlassen und um die halbe Welt zu wandern.
»Eines verspreche ich dir«, sagte er, halb zu Gaven und halb zu sich selbst. »Wenn wir hier fertig sind, gehen wir heim. Wir haben genug von der Welt gesehen.«
Gaven nickte nur wortlos. Das Klettern war für ihn anstrengender als für Varyn, und das, obwohl Varyn schon vorweg ging und ihm zeigte, wohin er die Füße setzen konnte.
Es gab verschiedene Halden - solche, auf denen man klettern und im Winter mit dem Rodelschlitten hinuntersausen, sofern man die Zeit dazu hatte neben all der Arbeit; und solche, um die machte man besser einen großen Bogen. Je steiler eine Halde aufgeschüttet war, desto gefährlicher wurde sie - die Steine lagen loser und gaben sich nicht soviel gegenseitigen Halt, als wenn sie fest ineinander verkanteten. Die Zeit kümmerte sich um solche Halden. Irgendwann waren so viele Steine von oben hinuntergerutscht, daß die Halde viel flacher war und in sich stabil: Eine Halde und nicht nur eine Ansammlung von einzelnen Steinen. Je älter eine Halde war, desto freier konnte man darauf herumturnen. Zumindest für normale Halden galt das. Nicht aber für diese.
Die Steine hier hatten kein Interesse an einem Bündnis miteinander. Jeder kämpfte für sich, und jeder kämpfte gegen Varyn und Gaven. Vor allem gegen Gaven. Stellen, die Varyn eben noch für stabil befunden hatte, rutschten unter dem Jungen war. Schon ein paarmal war Gaven richtig übel hingefallen und mit dem Schotter bergab gerissen worden; er hatte Schrammen an den Händen und im Gesicht, seine Knie lagen blank und blutig, und er hatte - wollte man es ihm verdenken? - wirklich kein Vergnügen an der Sache.
»Ich sag dir was«, grummelte Gaven atemlos. »Mit dir redet dieser Drecksberg, und mich mag er nicht. Warum fällst du nicht auch mal hin, so zur Abwechslung?«
Varyn zuckte die Schultern. »Damit wäre dir doch auch nicht geholfen.« Er hielt ihm die Hand hin - so konnte er Gaven wenigstens auffangen und festhalten, wenn der das nächste Mal abrutschen sollte. »Oder weißt du was - geh vor mir, dann fällst du höchstens in mich, und mit Glück haut’s mich dann auch um.«
Gaven lachte angestrengt. »Ich weiß… was besseres. Ich kletter hier wieder runter und laß dich alleine machen - ich weiß, wo ich nicht erwünscht bin.«
Varyn packte ihn beim Handgelenk und hielt ihn fest, bevor der Junge sich tatsächlich an den Abstieg machen konnte. »Du bleibst!« befahl er. »Auf wen hörst du, auf den verdammten Berg oder auf mich?«
Gaven schnaubte. »Auf den, der mir mehr wehtut, was sonst.«
Varyn lockerte seinen Griff nicht, packte sogar noch fester zu. »Paß auf, ich geh jetzt nicht vor dir auf die Knie, und ich trag dich auch nicht nach oben.« Es waren Momente wie dieser, in denen Varyn wieder die Wut in sich brodeln fühlte, und wenn Gaven wollte, daß man ihm wehtat, konnte er das haben! Varyn ballte die andere Hand zur Faust und versuchte, etwas von der Kraft darüber anzugeben, er durfte Gaven nicht schlagen, nicht hier, wo er hundert Meter und tiefer abstürzen konnte. Er atmete durch. Langsam. »Aber das ist nicht mehr nur mein Ziel, das ist längst auch deines - und ich lasse nicht zum daß du so kurz vor dem Ende aufgibst.« So weit wie sie jetzt waren, hatten sie es nach oben ebensoweit wie runter. Und so schnell würde Varyn seinen Bruder jetzt nicht wieder loslassen.
Gaven schüttelte den Kopf und spuckte aus. »Lüg mich nicht an, Varyn! Wenn du ohne mich Schiß hast, sag es, aber erzähl mir nichts über meine Ziele!«
Varyn schluckte einen schalen Geschmack hinunter. »Also gut, ich habe Schiß ohne dich - bist du jetzt glücklich? Können wir jetzt weiter? Oder willst du immer noch lieber unten warten?«
Gaven verzog das Gesicht. »Ehrlich, ich hab ja keine Wahl - nachher steigst du noch auf der anderen Seite runter, und ich sehe dich nie wieder. Aber ich will eine Pause. Hab mir die Knie aufgeschlagen, alle beide.«
»Tut mir leid«, sagte Varyn. »Ich passe nachher auf, daß du nicht mehr fällst.«
»Von mir aus«, sagte Gaven. »Aber jetzt kannst du meine Hand wieder loslassen, ja?« Er grinste. »Ich hau auch nicht ab, versprochen. Wär doch gelacht, wenn ich mir von so einem Berg was sagen ließe.«
Varyn nickte. Eine Pause brauchte auch er. Selbst wenn das Bergsteigen nicht das Schwerste war, selbst wenn er das Flüstern der Steine kaum noch bewußt wahrnahm und es nicht mehr war als ein rauschender Baum oder ein säuselnder Wind, den man ignorieren konnte - es war anstrengend, die ganze Zeit über seinen Kopf ausschalten zu müssen und nicht drüber nachzudenken, was sie, was ihn hier erwarten mochte. Diese Angst und Unsicherheit brachte Varyns übelste Seiten zum Vorschein - seine Ungeduld, seinen Jähzorn, und zum ersten Mal seit Wochen dachte er wieder an Alkohol und war froh, daß es hier weit und breit keinen gab. Aber es wäre ein Fluchtweg gewesen, kein schöner, aber ein Fluchtweg…
Es gab nur wenig, was sie über die Steine von Sharaz in Erfahrung hatten bringen können: Nur daß mit dem Schieferabbau, und daß es hier einmal ein Orakel gab. Wußten die Leute sonst nichts - oder wollten sie es lieber nicht wissen? Und wollte Varyn?
Erst als Gaven und Varyn endlich den Gipfel erreichten, nachdem das Zwielicht lange vergangen war und die Sonne hoch am Himmel stand, ihnen auf die schattenlosen Köpfe brannte und das Knurren ihrer Mägen und Jammern ihrer Füße längst das Murmeln des Berges übertönte, bekam Varyn eine Antwort zum Geheimnis der Steine. Und mit ihr eine neue Frage, und ein neues Geheimnis.
Der Gipfel war kein Gipfel. Er war der obere Rand eines gewaltigen Kraters. Und was Varyn im Traum für einen Talkessel gehalten hatte, war der Boden eines steinernen Schlundes. Aber das war nicht das, was ihn eigentlich erschütterte. Das Erschütterndste war, daß sie den ganzen Krater gut überblicken konnten - und dort unten war kein Mensch zu sehen. Es war niemand da.
Varyn strauchelte. Seine Knie fingen an zu zittern, wollten unter ihm nachgeben, während Varyn noch versuchte, sie durchzudrücken und aufrecht zu stehen, als hätte er einen Stock vom Nacken bis in die Fersen.
»Varyn…« Gaven zögerte nur einen Moment, dann packte er Varyn beim Arm, gerade noch rechtzeitig, bevor der vorwärts in den Krater stürzen konnte. »Hinsetzen, aber sofort!« bellte er.
Aber selbst dafür brauchte Varyn die Hilfe seines Bruders, bis es ihm gelang, sich auf dem schmalen Grat niederzulassen. Der Kraterrand war gerade breit genug, um dort zu stehen oder zu balancieren, aber schon beim Setzen musste Varyn seine Beine in die Tiefe baumeln lassen. Die Innenwände des Kraters fielen nicht senkrecht ab, aber sie waren ein viel steilerer Trichter als die Außenwand, auf der sie hochgeklettert waren. Varyn war schwindelig, er sah schwarze Flecken vor Sonne, Hunger und Enttäuschung.
Und Gaven fiel nichts besseres ein zu sagen als: »Also, Varyn, gib es zu, du hast verloren.«
»Es tut mir leid«, murmelte Varyn. Alles für nichts, der ganze Ärger, die ganze Anstrengung, nur damit der Dämmervogel ihn jetzt auslachen konnte! Und Varyn hatte das alles auch noch Gaven zugemutet, der nichts dafür konnte und nichts zu gewinnen hatte - und dieses Gefühl der Schuld war noch stärker als seine eigene Enttäuschung.
»Da ist ganz bestimmt kein Berg unter der Halde«, redete Gaven weiter. »Da ist nicht mal eine Halde unter der Halde.«
Varyn schaute ihn nicht an, starrte nur blicklos hinunter in den Krater vor ihm. »Hau mich«, sagte er dumpf.
»Was?« entfuhr es Gaven.
»Hau mich. Du bist sauer auf mich, dann laß es raus. Hau mich.«
»Warum soll ich jetzt ausgerechnet sauer sein?« fragte Gaven. »Ich meine, saurer als sonst? Wenn du gern gehauen werden willst, von mir aus - aber du kannst dir nicht aussuchen, wenn ich dich hauen will!« Er lachte. »Blödmann.«
Jetzt drehte sich Varyn doch zu ihm um. Er rechnete ja mich allem, aber nicht mit diesem vergnügten Tonfall. »Was ist denn?« fragte er verwirrt. »Warum hast du so gute Laune? Du mußt doch sonstwie sauer auf mich sein!«
Gaven schüttelte den Kopf. »Warum? Ich bin völlig erschöpft, aber - hey! Ich bin oben! Weißt du, wie sich das anfühlt, ganz oben auf einem Berg? Ich bin noch nie auf einen Berg gestiegen, und das, obwohl ich immer unten drunter gewohnt habe, und ich jetzt bin ich oben und kann die ganze Welt da unten liegen sehen wie ein Vogel - da ist die Hütte, in der wir übernachtet haben, und sie ist ganz klein, und da sind die anderen Berge, denen kann man von hier aus richtig in die Augen schauen, und das alles ist doch - ist doch großartig!«
Er breitete die Arme aus und drehte sich, oben auf diesem schwindeligen Rand, ganz frei und ohne jede Angst, daß es schon Mut machte, ihm dabei zuzusehen, und gleichzeitig Furcht einflößte. Aber der maulende Junge, der auf dem schnellsten Weg wieder runter wollte, mußte wohl irgendwo unterwegs verloren gegangen sein…
»Fein«, sagte Varyn, seltsam stumpf und unbeeindruckt. »Und jetzt genieße es noch für den Moment, gleich steigen wir wieder runter und gehen nach Hause. Ich freue mich, daß es wenigstens für dich etwas gebracht hat.« Bei den letzten Worten versagte ihm die Stimme. Die Schuldgefühle hatte Gaven jetzt fortgewirbelt - was blieb, war nur nackte und schmerzend beißende Enttäuschung.
»Warum das?« fragte Gaven. »Willst du jetzt heulen? Dann hau ich dich wirklich! Jetzt ist es wirklich zu spät, um noch zu kneifen!«
Es war ja nett, daß Gaven ihn aufmuntern wollte - aber bei Varyn kam es nur als Hohn an. »Siehst du das nicht?« Varyn zeigte mich fahriger Geste hinunter in den Kessel. »Da ist nichts. Oder siehst du jetzt plötzlich Dinge, die ich nicht sehen kann?«
Gaven hockte sich neben ihn. »Nein, und? Was hast du denn erwartet?«
»Der Dämmervogel hat versprochen, hier zu sein. Und sie ist nicht hier.« Das war es, was am meisten schmerzte. Der Verrat. Er hatte ihr geglaubt, ihr vertraut, wo er nicht einmal sich selbst trauen konnte - und sie war nicht da.
»Ja, aber das wär auch etwas billig, meinst du nicht?« Gaven zog sich die Schuhe aus und räkelte die Zehen. »Du hast doch nicht wirklich geglaubt, daß sie hier ihre kleine Kate stehen hat, wo die Hühner durch den Garten laufen? Wenn da unten jetzt so ein popeliges Haus stünde, dann wär ich jetzt enttäuscht an deiner Stelle. Aber so? So weißt du’s erst, wenn du unten angekommen bist.«
Varyn nahm seine Hand und drückte sie. »Danke«, sagte er nur.
»Paßt schon«, sagte Gaven. »Dafür bin ich schließlich da.«
Und jetzt konnte Varyn auch endlich wieder klar denken. »Aber wenn wir da jetzt runtersteigen«, sagte er langsam, so wie der Gedanke hinter seiner Stirn auftauchte, »dann weißt du, was das bedeutet?«
Gaven nickte. »Du triffst die Frau aus deinen Träumen, und ich stehe dabei dumm rum. Aber das ist schon in Ordnung.«
»Nein.« Varyn schüttelte den Kopf. »Etwas ganz anderes meine ich. Siehst du, wie steil das hier runtergeht? Wir können da runterkommen, entweder schnell oder heile, auch wenn ich mir das zweite nicht wirklich gut vorstellen kann - aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie wir da jemals wieder rauskommen sollen.« Schon auf dem wesentlich flacheren Anstieg war Gaven teilweise kaum voran gekommen - da drinnen würde Klettern zumindest für ihn praktisch unmöglich sein. »Überleg dir gut, ob du das willst.«
Was er nicht aussprach war, daß sie dort unten sterben würden. Wenn sie nicht mehr hinauskamen, wenn das fallende Geröll sie immer wieder hinunterspülte, dann waren es nur ein oder zwei Tage, bis sie tot waren. Verhungert, verdurstet, lebendig begraben - wenn sie nicht gleich dort verschwanden, wo die Halde hin verschwunden war: So ein Krater kam nicht von ungefähr. Auch wenn von oben nichts zu sehen war - wo ein Krater war, da war ein Loch im Boden, wenn nicht gleich der Abgrund selbst…
Gaven schluckte. »Das ist die Herausforderung, oder? Du mußt dem Dämmervogel trauen und da runtersteigen, selbst wenn es aussieht, als ob es keinen Weg hinaus gibt.«
Varyn hätte ihn am liebsten gepackt und geschüttelt und geschrieen: ‘Ja, verdammt, aber du nicht! Mich erwartet da unten vielleicht die Lösung all meiner Probleme, aber dich erwartet nur der Tod!’ Er sagte es nicht.
Gaven blickte ihn an. Er wußte es.
»Steigst du da jetzt runter?« fragte er.
Varyn nickte. Es war eigentlich nicht einmal eine Entscheidung. Er hatte keine Wahl, nicht, seit er das erste Mal dem Dämmervogel begegnet war. »Ja«, sagte er. »Ich muß.«
Gaven zitterte. Er hatte Angst. Und er sagte, ganz leise und mit belegter Stimme: »Dann komme ich mit dir.«
»Du mußt das nicht tun«, sagte Varyn. »Wirklich. Ich bin dir nicht böse, wenn du dich einfach in Sicherheit bringst. Du mußt es nicht tun.«
»Wenn du gehst, dann geh ich auch«, sagte Gaven. »Ich hab es dir versprochen. Und wenn du da runtersteigst und nicht mehr rauskommst, werde ich mir das nie verzeihen, und ich weiß auch nicht, wie ich das Mutter erklären sollte. Also, du gehst, und ich komme mit.« Er zitterte am ganzen Körper, während er sprach. »Und wenn wir - wenn wir da nicht mehr hochkommen - dann - dann - dann räume ich die ganze verdammte Halde ab. Mir meinen Händen.«
Und dann begann er zu heulen.

Sie stiegen hinab in den Kessel, in die Ungewissheit, langsam, grimmig und vorsichtig. Es gab keinen Weg, kein Seil, nichts zum Festhalten. Manchmal rutschten sie ein Stück abwärts, auf den Fersen oder auf dem Hosenboden, und konnten sich gerade noch wieder fangen und aufrappeln. Manchmal mußten sie still stehen und warten, bis sich der Boden unter ihren Füßen wieder beruhigt hatte. Ihre Schritte waren kurz und tastend. Varyn fühlte lieber dreimal mit der Fußspitze, wie fest der Abraum vor ihm lag, ehe er sein ganzes Gewicht darauf setzte. Sie versuchten, ein leichtes Zickzackmuster zu laufen, immer irgendwie seitwärts zum Berg, aber sie kamen nur langsam vorwärts. Bis sie unten ankamen, würde es bald dunkel sein, und das war gefährlich. Wenn wieder Nebel aufkam; wenn sie nicht mehr sahen wo sie hintraten, würden sie sehr schnell unten sein, aber nicht mehr an einem Stück…
»Und ich habe gedacht«, ächzte Gaven, »runter kommt man immer. Meinst du nicht, wir können da einfach irgendwie runterrutschen?«
Varyn schüttelte den Kopf. Auch ihm ging langsam die Puste aus, nicht vor Schwäche, aber sein Kopf schwirrte, und je tiefer sie kamen, desto lauter wurde es um ihn und in ihm. Hier, im inneren des Kraters, wurde das Flüstern und Murmeln hin und her geworfen, es konnte nicht entkommen, es tanzte im Kreis. Es füllte Varyns Kopf, daß er nichts mehr wissen und denken konnte - alles, was sein Verstand noch konnte war, in dem Wirrwarr nach Worten zu suchen. Worte sollten Sinn machen. Worte sollten Worte sein. Aber hier gab es keine Worte, und keinen Sinn. Nur Dröhnen.
»Wenn du das machst«, murmelte er, »dann löst du einen Erdrutsch aus, und kommst unten an, aber unter einem Haufen Schutt. Mach weiter wie jetzt. Bleib hinter mir. Schau auf deine Füße, auf meinen Rücken und meine Füße, aber sonst nirgendwo hin. Nicht nach unten. Wenn du nicht mehr kannst, gib mir ein Zeichen, sofort.« Reden half etwas. Wenn Varyn redete, war seine eigene Stimme in seinem Kopf, das besser als die Steine. »Kannst du noch?«
»Mhm«, sagte Gaven. »Muß ich ja.«
Varyn wollte ihm sagen, daß er keine Rücksicht nehmen konnte, daß Gaven eine Entscheidung getroffen hatte und allein für sich selbst verantwortlich war, aber es brachte es nicht über sich. »Stört es dich«, fragte er statt dessen, »wenn ich Selbstgespräche führe?«
Gaven sagte nicht Nein, doch er machte ein Geräusch, das wenig zustimmend klang. »Wenn ich mich dabei noch konzentrieren kann, von mir aus. Aber es ist hier so laut. Ich will hören können, was da zu meinen Füßen passiert.«
Varyn nickte und schwieg dann. Gaven hatte Recht. Sie mußten auf die Steine achten. Varyn starrte und lauschte auf die Steine, schob sich vorwärts, langsam, vorsichtig. Wenn ein Stein sich löste und in die Tiefe rutschte, hielt er inne und beobachtete ihn - wie er fiel, wohin er fiel, wie weit, wie er landete. Drehte er sich dabei? Tat er Hüpfer? Riß er andere Steine mit? Varyn wußte nicht, was die Steine redeten. Aber es gab noch einen anderen Weg, sie zu verstehen. Und das versuchte Varyn nun. Mit den Augen. Mit den Ohren. Und mit dem, was von seinem Verstand noch übrig war.
»Was machst du den da?« fauchte Gaven, als Varyn ebenso versonnen wie vorsichtig einen Stein mit dem Fuß hinunterstieß, um seinem Weg zu folgen. »Willst du, daß hier alles zusammenkracht?«
Varyn schüttelte den Kopf. »Wenn ich verstehe, wie die Steine fallen, verstehe ich, wie wir fallen müssen.«
»Vergiß es!« schrie Gaven. »Du bist kein Stein, ich auch nicht.«
Varyn schüttelte den Kopf. »Ich verliere hier noch den Verstand«, sagte er zu sich selbst. War er kein Stein? Nicht? Nicht einmal ein kleines Bißchen? Half es dann gar nichts, die Steine zu verstehen? Sein Schädel dröhnte. Die Steine waren in seinem Kopf. Sie waren in ihm. Aber er war kein Stein… Varyn hielt sich den Schädel. Wie kurz stand er davor, sich einfach zur Seite kippen zu lassen und den Abhang hinunterzutanzen? Er wußte es nicht. Er mußte weiter.
Sie schlichen, rutschten, stolperten weiter, immer tiefer in den Abgrund, und auch wenn der Boden nicht wirklich näherzukommen schien, entfernte sich doch zumindest der obere Rand immer weiter. Als ob die Steine wuchsen, während die Beiden ihren Abstieg nahmen.
Wie die beiden es trotzdem bis unten schafften, noch bevor die Dunkelheit und der Nebel sie packen konnten, das wußten die Steine allein, aber Varyn und Gaven schafften es, beinahe. So viele Schritte machten sie, mehr als an jedem anderen Tag der Wanderung, als an jedem anderen Tag in ihrem Leben - und der eine, der sie den Tod kosten konnte, kam, als sie es schon fast hinter sich hatten.
Es war Gaven, der ausrutschte, dem die Füße wegrutschten mit einem Regen von Steinen. Der Junge warf sich vorwärts, versuchte sich noch an Varyn festzuhalten, und riß ihn mit von den Füßen. Und dann fielen sie.
Varyn konnte nicht sagen, wo er die Geistesgegenwart hernahm, aber er packte Gaven, schlang die Arme um ihn und schützte ihn mit seinem Körper, während sie den Abhang hinunterrollten, sich überschlugen, Geröll mit sich rissen, und weiterfielen. Wie ein Stein.
Und wie ein Stein blieben sie dann liegen am unteren Ende des Abhangs, Stein zwischen Steinen. Von oben rutschte noch etwas Schotter nach, auf sie, auf die Welt, dann war es still. Vielleicht lebten sie noch. Nein, kein Vielleicht: Sie lebten noch. Und sie waren unten angekommen, in den Steinen von Sharaz, unten am Grund. Und um sie war Zwielicht.
Varyn wußte nicht, wie lange sie so lagen, bis einer von beiden sich aufrappelte, und wußte auch nicht, wer von ihnen es war. Er war ein Stein in diesem Moment. Es gab keine Zeit, und es gab auch keine Schmerzen, nur Ruhe und Taubheit. Dann, langsam, kam seine Seele zurück. Vielleicht hatte er ein paar Prellungen - eigentlich sollten sie sich alle Knochen gebrochen haben, aber er fühlte sich nicht so. Und als er sich dann hochstemmte und hinaufblickte und die Stelle sah, wo sie abgestürzt waren, wußte er auch, warum. Sie hatten eine deutliche Spur in der Halde hinterlassen, dunkles Grau unter den von der Sonne ausgeblichenen helleren Steinen: Und die begann nur ein Stück oberhalb seiner Augenhöhe.
Ein Sturz, der sich fast nicht mehr lohnte, der nur den Triumph verhindern konnte, lächerlich. Und ganz ohne Schmerzen war das auch nicht vorübergegangen, zumindest für Varyn. Er hatte Schrammen und blaue Flecken, und seine linke Schulter hatte etwas mehr abbekommen, aber nicht einmal sie erschien gebrochen. Und was fast noch mehr wert war: Auch Gaven war so gut wie unversehrt - wenn man davon absah, daß er da zwischen den Steinen saß und lachte und lachte, als ob der Abgrund selbst hinter seine Seele her war. Gaven lachte.
Varyn setzte sich zu ihm, knuffte ihn erst und umarmte ihn dann - er wußte nicht mehr viel zu sagen, es war einfach gut, daß sie es so heile nach unten geschafft hatten. Auch Gaven beruhigte sich dann ziemlich schnell wieder.
»Ich meine ja nur«, krächzte er, »den Sprung hätten wir schon viel früher machen können, oder? Ist ja nichts passiert. Aber so fürs letzte Stück - das können wir mal unseren Kindern erzählen, daß von so einer hohen Halde gestürzt sind. Wenn wir hier wieder draußen sind, heißt das.«
Ja, draußen. Von hier unten erschien der Rand des Trichters unerreichbar weit, viel weiter als der Boden von oben - aber so war es ja wohl auch. Der Schein täuschte nicht. Runter kam man immer. Aber um aus diesem Loch wieder rauszukommen, konnten sie gleich versuchen, einen Tunnel durch die Steine zu graben…
»Also gut, Dämmervogel«, sagte Varyn leise. »Du hast mich gerufen, und ich bin gekommen, jetzt zeig dich.«
Dann wartete er, blickte hinauf in den dunkler werdenden Himmel, sah zu, wie die Dämmerung den Tag verspeiste, und wartete. Labgsam fühlte er, wie alle Kraft, die ihn durch den Tag und über die Steine getragen hatte, ihn wieder verließ, bis kaum noch etwas von ihr und ihm übrig war.
Und niemand antwortete ihm.
Varyn wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
»Wollen wir uns nicht erst mal hier umsehen?« fragte Gaven. »Ich meine, eh du wieder nur dein Schicksal verfluchst?«
Varyn nickte und atmete durch. »Ja«, sagte er dann. »Natürlich. Du hast Recht.« Hier war nicht viel zum Umsehen, aber zumindest das konnten sie hinter sich bringen. Trotzdem hatte Varyn ein ganz, ganz übles Gefühl im Bauch: Je länger er dort saß und dieses Flüstern in seinem Kopf hörte, desto mehr ahnte er, daß die Steine versuchten, ihm etwas mitzuteilen; daß er hier war, um sie zu hören, nicht mehr und nicht weniger. Aber er verstand sie nicht, wie sehr er es auch versuchen mochte: Varyn sprach nicht die Sprache der Steine.
Langsam, mit müden Muskeln und wehen Knochen, begannen die Brüder das Innere des Steinkraters zu erkunden. Auf den ersten Blick gab es auch hier nichts als Steine und Steine - nicht nur die Hände, die sie vollständig einkesselten, sondern auch der Boden war Steine, zur Mitte hin sanft anfallend. Aber es war immerhin eine Fläche, gut und gerne so groß wie das Dorf ohne die umliegenden Höfe, und da sollten sie sich die Mühe machen, sie zumindest einmal zu umrunden.
Sah es hier aus wie in seinem Traum? Varyn wußte es nicht. Die Steine verwirrten ihn, sie hatten keine Gesichter, sahen alle gleich aus… Säulen. In seine Traum waren Säulen, oder so etwas ähnliches. Und hier? Gab es hier Säulen? Spontan wollte man sagen: Nein - aber die Steine täuschten das Auge. Jede Form konnte sich hier tarnen wie ein Falter auf der Birkenrinde, und im schwindenden Licht wurde dieser Effekt nur noch verstärkt, denn es gab keine Schatten mehr, durch den sich die Dinge verrieten hätten. Steine über Steine, keine Pflanzen, nicht mal Moos, nicht mal Gras oder Disteln, nichts, was dem endlosen Grau einen Funken an Farbe entlocken konnte. Keine Tiere, keine Vögel. Selbst Gaven und Varyn waren grau von Kopf bis Fuß; Steinstaub hing in ihren Haaren, auf ihrer Haut, saß in ihren trockenen Mündern und ihren verkrusteten Schrammen - es war ein vertrautes Gefühl. Früher schwarzer Kohlenstaub, jetzt grauer Steinstaub… Es gab auch kein Wasser zum Waschen, aber das sollte ihr kleinstes Problem sein. Wenn sie nicht bald ein Zeichen fanden, oder sonst etwas, dann fand sie noch der Tod.
Steine, Steine, Steine. Und alles sah gleich aus. Ob die beiden schon eine ganze Runde gedreht hatten, oder erst eine halbe, oder sogar schon zwei - unmöglich zu sagen. Ihre Füße hatten das Zählen längst verlernt. Man mußte der Engel der Weisheit persönlich sein, um zu wissen, wie viele Steine es hier insgesamt gab. Und Varyn wollte es auch lieber gar nicht wissen.
»Schau mal, da drüben, das kann doch etwas sein«, sagte Gaven ziemlich lustlos. Sie hatten schon ein paarmal gedacht, etwas entdeckt zu haben, was dann doch wieder nur ein natürliches Muster im Stein war. Oder ein Haufen zufällig daliegender Steine ohne jeden Sinn. Oder sonst was aus Steinen, das keine Bedeutung hatte, egal wie man es auch drehte, wendete und betrachtete.
Trotzdem, es konnte ja etwas sein. Varyn folgte Gavens Zeigefinger und schleppte sich müde in die bezeichnete Richtung, zur Mitte des Kreises hin. Da war etwas, irgend etwas, aber es regte nichts mehr in Varyn. Er wollte sie nur noch hinlegen und schlafen, vielleicht auch träumen, und nicht daran denken, was für ein Fehler es doch gewesen war, jemals auf seine Wahnträume zu hören, jemals hierherzukommen.
Also gut, vor ihnen war etwas. Etwas Größeres, aber so groß nun auch wieder nicht. Ein wenig hörer als Varyn vielleicht, geformt wie ein natürlicher Torbogen aus aufgetürmten Bruchsteinen. Nur ein Torbogen, sonst nichts. Er stand mitten auf der Fläche, einsam und verlassen, Steine vor ihm, unter ihm und hinter ihm. Varyn sah ihn, ohne sich zu wundern und ohne sich zu freuen.
Erst als Gaven sagte: »Ich frage mich, wer den hier aufgebaut hat«, wurde Varyn ein bißchen hellhörig und etwas wacher.
»Oder wo er hinführt«, erwiderte er leise, ohne es wirklich so zu meinen.
Gaven zuckte die Schultern, auch zu erschöpft, um noch zu lachen. »Gehen wir durch, dann wissen wir es.«
Varyn nickte. Es konnte ja nichts passieren, wenn das Portal nicht über ihren Köpfen zusammenbrach. »Du oder ich zuerst?«
Es war egal. Es gab hier keinen Dämmervogel, keine Antworten, kein Ziel. Das beste, was ihm hier noch passieren konnte, war, daß er aufwachte und alles doch nur ein Traum war.
»Wenn schon, dann gleichzeitig«, antwortete Gaven. »Sonst bist du nachher weg, und ich komme nicht mehr hinterher.«
»Von mir aus«, sagte Varyn. Er hatte keine Lust zum Streiten. Es war ihm gleich. Artig stellte er sich neben Gaven vor das Tor, und statt vergebens in seinem Herzen nach Aufregung zu suchen, nickte er nur, und gemeinsam durchschritten Varyn und Gaven das steinerne Portal.
Er war schon halb hindurch, als Varyn etwas aus den Augenwinkeln bemerkte, etwas, das ihm nicht aufgefallen war, weil er sich gar nicht mehr die Mühe gemacht hatte, dieses Tor noch zu untersuchen oder sich auch nur aus der Nähe anzuschauen. Da war eine Einschrift im Stein, oder zumindest Zeichen auf einzelnen Steinen, hineingemeißelt, alt - und es waren Varyns Zeichen. Er wollte einen Schritt zurück machen, er wollte sie lesen, plötzlich fühlte er wieder sein Herz klopfen wie lebendig, aber er konnte nicht - etwas zog ihn, sog ihn vorwärts, durch das Portal, auf die andere Seite.
Und so kamen Varyn und Gaven in das Reich des Dämmervogels.

Erst war es wie ein Sturz - genauer, wie ein Sturz, wenn man sehr betrunken war. Die Welt klappte ihm entgegen, und er kippte haltlos in die Tiefe, ohne sich in Wirklichkeit auch nur ein Stückweit zu bewegen. Es fühlte sich an, als überquere er die Grenze zwischen Schlaf und Traum - doch er war wach dabei.
Dann war er auf der anderen Seite, und Gaven neben ihm - und sie waren an einem Ort, wie er ferner der unwirtlichen Steine kaum sein konnte: Es war warm und heller, aber nicht klar - ein helles Zwielicht füllte den Raum. Ein Ort, der Kraft und Ruhe ausstrahlte. Varyn war am Ziel. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben.
Daß die beiden sich in einer Art Halle befanden, interessierte Gaven offenbar mehr als Varyn - er sah sich bewundernd und mit großen Augen um: Den Boden, der mit hellem und dunklen glänzenden Gestein gefliest war, die hohe Decke, den vielen Platz. Allein in diesem Raum hätte man ihr ganzes Haus zweimal unterbringen können. Aber Varyn hatte nur Augen für die große zweiflüglige Tür am Ende des Saales - der einzige sichtbare Ausgang, und doch waren sie nicht hindurch gekommen. Diese Tür sollte sich gleich öffnen. Varyn spürte es, als könne er in die Zukunft sehen: Die Tür öffnete sich, und herein trat der Dämmervogel…
Und das war der Moment, wo die Wirklichkeit etwas anderes tat als erwartet. Herein trat nicht eine Frau. Herein traten drei.
Varyns erster Gedanke war Man kann ihre Gesichter sehen! Sein zweiter Gedanke, oder gleichzeitig: Sie sind unglaublich schön! Und gleichzeitig der dritte Gedanke: Aber welche von ihnen ist der Dämmervogel?
Es waren drei Frauen, jede einzelne von ihnen schöner als alle, die Varyn je gesehen hatte, zusammen. So schön, daß man nicht einmal davon zu träumen wagte. So schön, daß man zitterte und schwitze und fror im gleichen Moment. Sie mußten Schwestern sein, so sehr ähnelten sich ihre Gesichter - nein, Ähneln war das falsche Wort: Ähneln war das, was Gaven und Noran, Edrik, Alsa und Harkon taten. Das hier war mehr als Ähneln. Dies waren drei Gesichter, mit der selben Form gegossen. Drei Paar Augen, so tief und schwarz, daß sie nicht mehr braun zu nennen waren. So groß und schön, daß Engel das Wort war, nicht Mensch. Drei Engel traten durch die Tür, und einer von ihnen mußte der Dämmervogel sein.
Sie unterschieden sich nur in ihren Farben: Ihre Haare, die sie alle drei hoch über dem Kopf aufgetürmt trugen, so kunstvoll, daß es bestimmt den halben Tag dauern mochte, sie so herzurichten, waren schwarz bei der einen, hellblond bei der zweiten und steingrau bei der dritten. Ebenso war es mit ihren Kleidern - die Schwarze trug ein tiefdunkelblaues Kleid, die Blonde eines, das fast ohne jede Farbe war, vielleicht ein ganz helles blau oder grau oder sogar gelb, und das Kleid der Dritten hatte die Farbe von grauem Lavendel, oder von Flieder. Die Farben des Zwielichts.
Varyn lächelte, lächelte sie an, nur sie, und sagte: »Dämmervogel. Du hast mich gerufen, und ich bin gekommen.«
»Ja«, sagte sie mit einem seltsamen Tonfall und doch mit der Stimme, die Varyn aus seinen Träumen kannte. »Dich haben wir gerufen. Aber wer ist der andere?«
Und in diesem Moment begriff Varyn, was an diesen perfekten schönen Gesichtern nicht stimmte: Keines von ihnen lächelte.
Varyn fühlte sich zittern, er fror, aber er versuchte den Dreien ein Lächeln zu bieten, als täte er den ganzen Tag lang nichts anderes. »Also, das Gleiche wollte ich auch fragen«, sagte er mit aller Dreistigkeit, die er aufbringen konnte. »Ich bin hier, um dich zu sehen - aber wer sind die anderen?«
Sie standen sich gegenüber, und zwischen ihnen kein Schleier und kein Nebel und doch eine Wand. Und Kälte. War er das wert, alle Strapazen, alle Hoffnung? Varyn lächelte, so sehr er konnte, bis endlich auch der Dämmervogel ein klein wenig lächelte.
»Gut, Varyniel, ich werde dir meine Schwestern vorstellen. Dies«, und sie deutete auf die Frau im hellen Kleid, »ist das Orakel des Tages, Elysrah Sonnenschwinge.«
Das Orakel des Tages senkte kurz den Blick.
»Und dies« - die Frau in Dunkel - »ist das Orakel des Nacht, Asvarah Nachtfeder.«
Das Orakel der Nacht nickte.
»Und du«, fragte Varyn, »bist du das Orakel der Nacht, Dämmervogel?«
»Das bin ich«, sagte sie sanft, »und mein Name ist Brionvah.«
Varyns Lächeln erstarb. Es tat weh. Daß sie einen Namen hatte, und wenn es ein schöner Name war, machte sie gewöhnlich. Sie war immer etwas besonderes, die schönste Frau der Welt, eine Frau ohne Gesicht, mit einem Titel anstelle eines Namens. Nun hatte sie beides - und plötzlich nichts mehr. Varyn schluckte.
»Mein Name ist Varyn«, sagte er heiser , »einfach nur Varyn, nichts weiter. Und Gaven ist mein Bruder, und ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier, nie und nimmer.« Er legte den Arm um Gaven und drückte den Jungen fest an sich.
Er kannte die Stimmen der beiden anderen Frauen nicht, doch nun wußte er, daß die Stimme Asvarahs sich auch wie die Nacht anfühlte, als sie sagte: »Dein Name ist Varyniel. Und du hast keinen Bruder.«
»Du bist einzigartig, Varyniel«, sagte Elysah. Ihre Stimme war heller und sanfter. »Du brauchst keine Brüder.«
Aber jetzt war Varyn wieder ganz da, nüchtern und wachsam. Er hielt Gaven fester. »Bis ihr mir sagt, wer ich bin und was ich bin, und er und war ihr seid und was für ein Ort dies ist, bin ich Gavens Bruder.«
Der Dämmervogel trat einen Schritt vor, daß sie zwischen ihren Schwestern und den beiden Brüdern stand. »Versteh es, Varyn«, sagte sie leise. »Wir haben die Wahrheit, die du suchst. Aber sie geht niemanden etwas an als dich.«
Varyn schüttelte den Kopf. »Was ihr mir sagt, werde ich auch Gaven erzählen, so oder so. Also sagt es jetzt, oder ich werde euch kein Wort glauben.«
»Vertrau mir nur«, erwiderte der Dämmervogel. »Wenn er die Wahrheit kennt, will er dein Bruder nicht mehr sein.«
»Nein«, sagte Gaven und löste sich von Varyn. »Die Wahrheit ist mir egal. Varyn ist mein Bruder, mehr muß ich nicht wissen.«
»Dann wirst du es auch nicht wissen«, sagte der Dämmervogel.
»Das ist in Ordnung«, erwiderte Gaven. »Ich verstehe ohnehin immer nur die Hälfte von dem, was er redet. Solange ich ihn heile von euch zurückbekomme, könnt ihr ihn haben.«
»Also gut«, sagte der Dämmervogel. »Dann werden wir dich jetzt -«
»Nein!« schrie Varyn. »Nein, verdammt! Das lasse ich nicht zu!« In dem Moment war ihm egal, daß er es sich gerade vielleicht mit den einzigen Leuten verscherzte, die ihm helfen konnten - wenn er jetzt nicht handelte, würde er sich das länger übelnehmen. »Gaven hat die gleichen Strapazen auf sich genommen wie ich, er hat genauso geschwitzt und geblutet, er hat ein Recht auf Wahrheiten wie ich, und wenn es seine eigenen sind! Und wir sind seit der Morgendämmerung auf den Beiden, nichts gegessen, nichts getrunken - und ihr werdet Gaven jetzt nicht einfach wegschicken!«
Die Schwestern blickten einander an, mehr belustigt denn erzürnt.
»Gerechtigkeit«, sagte Elysrah, und ihre schönen Lippen kräuselten sich.
»Gerechtigkeit«, wiederholte Asvarah, seufzend.
Und der Dämmervogel nickte. »Gerechtigkeit.«
Es machte Varyn vor allem eines: Zornig. »Und das ist alles, was ihr dazu zu sagen habt?« So wie sich die drei verhielten, stand es ihnen nicht zu, ein Wort wie Gerechtigkeit auch nur in den Mund zu nehmen! Am liebsten hätte er sich Gaven geschnappt und auf der Ferse kehrtgemacht, heim ins Tal, um niemals wieder von dort fortzugehen. Am liebsten hätte er geheult. Aber er hatte keine Ahnung, wie sie diesen Ort wieder verlassen konnten. Die einzige Möglichkeit, aus einer solchen Welt herauszukommen, war Aufwachen. Doch selbst wenn die Wände hier solide genug aussahen, um den Kopf dagegen zu schlagen: Varyn schlief nicht, und er träumte nicht.
»Nein, Schwestern«, sagte der Dämmervogel. »Er hat Recht.« Varyn ahnte, daß sie es in Wirklichkeit zu ihm sagte. Niemand würde seine eigenen Schwestern mit ‘Schwestern’ anreden. »Dieser Junge hat aus eigener Kraft hierher gefunden, und damit steht ihm zu, was jedem Gast des Orakels zusteht.«
»Essen und ein Bett«, murmelte Gaven an Varyns Seite. »Was anderes will ich doch gar nicht. Essen und ein Bett, und Wasser zum Waschen…«
Asavah trat vor. »Still, Junge«, sagte sie streng. »Du stehst vor dem Orakel und denkst nur an Essen?«
Gaven nickte. »Ich weiß nicht mal, was so ein Orakel ist - aber das wir beide hier gleich umfallen, das weiß ich.«
Ein wenig hoben sich Asvarahs Lippen. »Ein Orakel nennt dir dein Schicksal. Wer uns aufsucht, dem sagen wir die Zukunft voraus.«
Gaven schüttelte den Kopf. »Ich will wirklich nur was zu essen und ein Bett, wirklich! Mein Schicksal lerne ich schon noch kennen, wenn es soweit ist.«
Varyn wußte nicht, ob es beeindruckender Mut war, der da aus seinem Bruder sprach, oder nur beeindruckende Erschöpfung. Aber auf jeden Fall hatte Gaven es damit geschafft, den Schwester des Dämmervogels, und vielleicht auch ihr selbst, gehörig auf die Füße zu treten. Bildlich gesprochen.
»Dein Schicksal - das sind wir.« Noch nie hatte Varyn von einer Drohung solche Gänsehaut bekommen wie von diesen Worten, die plötzlich in der Luft hingen, ohne daß er sagen konnte, welche der Schwestern sie ausgesprochen hatte. Alle drei?
Doch Gaven war wohl jenseits des Punktes, wo man ihn noch einschüchtern konnte. Entweder war es ihm egal, oder er hatte schon aufgegeben. »Das wüßte ich aber!« schnaubte er. Er zitterte. »Ich kann meine Zukunft gut selbst voraussehen - ich sterbe, wenn ich nicht bald etwas zu trinken und zu essen bekomme.« Und das würde dann wohl ihrer beider Schicksal sein, wenn die Schwestern sie gleich vor die Tür setzten und zurück in die Steine…
»Wir verstehen«, sagte Elysrah seltsam sanft. »Wir werden euch ein Mahl bereiten. Wir werden euch Zimmer geben, in denen ihr schlafen könnt. Ihr seid nicht in der Verfassung, daß wir unsere Wahrheiten an Euch verschwenden mögen. Ruht euch aus. Die Zeit läuft uns hier nicht davon.«
Wenn Gaven diese Frage nicht selbst stellte, mußte Varyn es tun. »Weil sie still steht?«
»Die Zeit, wo sie ist, steht niemals still«, antwortete der Dämmervogel. »Aber es gibt Orte, da ist sie nicht. Dieser ist einer davon.«
Ihr Blick erinnerte Varyn daran, daß er schon an mindestens einem weiteren gewesen war, und Wehmut überkam ihn, Heimweh nach dem Königreich der Stille, das er nie wieder betreten durfte.
Er schluckte. »Wenn ihr Gaven etwas erzählen wollt«, sagte er, »und er seine Zukunft noch nicht wissen will, ehe sie passiert - dann erzählt ihm von den Steinen von Sharaz. Daß sie ein Geheimnis haben, daß die Zeit auch dort stillsteht - das hat er gemerkt. Und dann soll er auch den Rest erfahren, und ich wäre froh, mithören zu dürfen.«
Er fühlte Gaven an seiner Seite nicken. »Bitte. Nicht die Zukunft. Die Geschichte der Steine.«
Aber er wußte nicht mehr, was und wie die Schwestern antworteten. Er sah nur noch den Dämmervogel lächeln, und in diesem Lächeln verlor er sich. In diesem Moment erkannte er, daß nur sein Widerspruch ihn noch so lange aufrechtgehalten hatte, und daß es nun keinen Grund mehr zum Widersprechen mehr gab. Im nächsten Moment klappten Beine und Wirklichkeit unter ihm weg.

Wieder erwachte Varyn an einem fremden Ort. Dazwischen lag nichts, keine Zeit, keine Träume, aber er fühlte sich ausgeruht und satt. Und sauber, so sauber wie seit seinem letzten richtigen Bad nicht mehr - nein, sogar noch sauberer: Es hing nicht einmal mehr schmutziges Wasser an ihm. Er fühlte sich rein. Es war ein seltsames Gefühl, und je mehr er darüber nachdachte, auch kein gutes. Als hätte er mit dem letzten Körnchen Kohlenstaub auch allen Schutz verloren und lag nun hier in diesem zu weichen und zu weißen Bett, nackt. Es mochte ein Traum sein, aber es konnte nicht. Wenn Sharaz ein Ort war wie das Königreich der Still oder das Traumland selbst, dann konnte man nicht träumen, wenn man schon da war. In Sharaz gab es nur diese eine Wirklichkeit, und Varyn war nackt.
Es war eine Sache, vor drei schönen Frauen umzukippen und sich hinterher in einem fremden Bett wiederzufinden - zwar war es Varyn noch nie passiert, aber er konnte es sich vorstellen. Aber daß die drei schönen Frauen ihn nicht nur ins Bett steckten, sondern auch noch fütterten, auszogen und badeten - nein, das ging zu weit. Das wollte Varyn sich gar nicht vorstellen. Man sollte meinen, daß ihm nichts mehr peinlich sein konnte, seit alle Welt wußte, daß Varyn den Verstand verloren hatte - aber das stimmte nicht. Wenn jetzt der Dämmervogel reinkam oder eine ihrer Schwestern, und Varyn war nackt - nackt und wach, um es zu erleben - würde er tausend Tode sterben. Er wollte seine Sachen. Sofort.
Varyn wunderte sich über sich selbst - er hatte sonst nie Probleme damit, nackt zu sein, vor seinen Geschwistern, vor den Soldaten - sein Körper war nichts, dessen er sich schämen mußte, kein Mann hatte ihn je dafür ausgelacht und auch keine Frau - aber dies war etwas ganz, ganz anderes. Wo also waren seine Kleider?
Varyn hechtete aus dem Bett - er hatte schon zuviel Zeit vergeudet, jetzt mußte es schnell gehen. Jetzt durfte er sich nicht mal mehr darüber wundern, wie weich dieses Bett war, daß es nicht stach und nicht kratzte und nicht piekste, und wie weiß - so weiß, daß einem gar keine andere Farbe dafür einfiel. Das Bett war egal - oder sollte er sich vielleicht die Laken umhängen? Das war noch lächerlicher, als nackt zu bleiben.
Varyn wollte seine Hosen, sofort, und seine Schuhe, und sein Hemd. Aber alles, was er fand, über einen Stuhl gebreitet, war ein Hemd. Nicht sein eigenes, es war zu weiß dafür - Varyns Sachen waren grau, blau oder schwarz, aber niemals weiß - seine Tante hatte schon genug zu waschen. Trotzdem nahm Varyn das Hemd auf und zog es an - und an - und an: Es reichte ihm bis auf die Füße. Ein Nachthemd. Aber immerhin besser als nichts. Wenn die Schwestern beschlossen hatten, Varyns Sachen zu waschen - und bei allen Engeln, das hatten die sicherlich nötig: Langsam ging Varyn auf, wie sehr Gaven und er doch gestunken haben mußten. Und das erklärte dann auch den frostigen Empfang… Bei der Vorstellung mußte Varyn lachen. Alles erschien leichter, schöner, besser, jetzt, wo er nicht mehr mit Erschöpfung und Hunger zu kämpfen hatte. Jetzt war er vielleicht nackt und trug nur ein Nachthemd darüber, aber er war am Ziel.
Varyn lachte noch immer, als sich die Türen des Zimmers auftaten und der Dämmervogel hereinkam. Auf der Schwelle blieb sie stehen, blickte ihn an, und lächelte.
»Varyniel - ich bin erfreut, dich ausgeruht und erholt vorzufinden.«
Ihr Lächeln machte Varyn plötzlich wieder verlegen. Es mußte an dem Hemd liegen oder daran, daß seine Füße viel zu grob und groß darunter hervorragten - dieses Gewand verlangte eigentlich, daß man nur noch auf Zehenspitzen ging und dabei flüsterte. »Danke«, brachte er heiser hervor und errötete. »Gestern war ich so erledigt - ich erinnere mich nicht mal mehr, gegessen zu haben, geschweige denn, wie ich ins Bett gekommen bin.«
»Und es wird dir auch nicht mehr einfallen«, entgegnete sie, »aber das ist nicht weiter schlimm. Ich bitte dich, mit mir zu kommen. Meine Schwestern erwarten dich bereits.«
»Und mein Bruder?«
»Auch der, den du Bruder nennst.« Sie seufzte. »Ich kann dich verstehen, Varyniel, aber du hättest ihn nicht mitbringen sollen. Es macht alles nur viel schwieriger.«
Ihre Verlegenheit machte Varyn wieder sicherer. »Für mich oder für euch?«
Sie antwortete nicht darauf, aber das mußte sie auch nicht. Varyn hatte seinen Punkt gemacht. »Das Gewand paßt dir besser, als ich erwartet habe«, sagte sie statt dessen.
»Es war nichts anderes da.« Warum entschuldigte sich Varyn? Er hatte die Sachen schließlich nicht selbst versteckt! »Es ist ja eigentlich gedacht, um drin zu schlafen, aber ich habe es gerade erst gefunden.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist ein Robe, Varyniel, kein Nachthemd. Aber das wirst du noch lerne. Du wirst noch vieles lernen.«
Ihre Stimme war so ernst, daß Varyn scherzen mußte. »Nur, wenn du lernst, daß mein Name Varyn ist - und wie soll ich dich anreden? Brionvah?« Er sprach ihren Namen das erst Mal aus, er war fremd und schmeckte nicht. Varyn war froh, als sie abwinkte.
»Hier bin ich Brionvah, aber für dich bin ich der Dämmervogel und werde es immer sein. So wie du immer Varyniel bist. Aber nun komm.«
Sie streckte ihm eine kalkweiße Hand hin. Varyn zögerte. Er wagte es nicht, sie zu nehmen - nicht, sie auch nur zu berühren. »Es ist das erste Mal, daß wir uns wirklich gegenüberstehen, nicht wahr?« fragte er leise. »Ich meine nicht gestern, ich meine - vorher?«
Sie nickte. »Du kennst mein Traum-, Send- und Schattenbild. Ich aber kenne dich. Und wenn du mit mir kommst, wirst du beides kennenlernen.«
Es klang fast wie eine Drohung. Varyn gehorchte. Einen Moment lang war ihm schwindelig, als er ihre kühlen Finger berührte. Dann stand er neben ihr im Eingang einer Halle.
Es war nicht die, in der sie gestern angekommen waren - diese hier war wenigstens nicht völlig leer. In der Mitte - und Varyn spürte, daß es genau die Mitte des Saales war - stand ein Podest, achteckig, aus hellgrauem Gestein, brusthoch. Das war es aber nicht, was dem Raum die Leere nahm: Es war die Kugel, die über dem Podest schwebte.
Sie mochte einen halben Schritt im Durchmesser haben, ziemlich klein für so einen großen Saal und doch beherrschend. Vielleicht war sie aus Glas und mit Nebel gefüllt. Vielleicht war sie aus Nebel und mit Glas gefüllt. Es war egal. Sie war da. Und sie zog Varyn an wie der Abgrund einen stürzenden Stein. Etwas bewegte sich darin - etwas lebte - und es wollte, daß Varyn es befreite…
»Rühr es nicht an!« Asvarahs Stimme zerschnitt den Raum. Das Orakel der Nacht stand hinter der Kugel, das des Tages neben ihr, und ihre Gesichter waren in ein bläuliches Licht getaucht, das aus der Kugel drang, ohne daß diese leuchtete.
Varyn hob schnell entschuldigend die Hände. Er wollte es ja nicht anfassen, nur schauen, aber dennoch… Und dann sah er Gaven.
Er stand im Schatten der beiden Schwestern, zerzaust sein Haar, trotzig seine Augen, zerschlissen seine Kleider, schmutzig. Varyn fühlte Gavens Blick an ihm hinunterwanderte, und was die Mundwinkel des Jungen dann kräuselte, war Hohn - aber Varyn spürte Wut. Selbst wenn die Schwestern auf Gaven nicht vorbereitet waren und auf Varyn seit langem, mußten sie das nicht so deutlich zeigen. Er wünschte sich seine alten Sachen zurück. Hoffentlich war Gaven zumindest ausgeruht und hatte auch etwas zu essen bekommen! Aber trotzdem sagte Varyn nichts dazu. Es half nicht, sich immerzu zu wiederholen.
»Was ist das?« fragte er und deutete mit der Stirn auf die Kugel, während er die Hände hinter den Rücken nahm - wenn er sie nicht anfassen durfte, wollte er auch nicht mehr in Versuchung geführt werden. Nur die Finger danach ausstrecken… »Ist dies das Orakel?« Er mußte wieder an die alte Frau in der Hütte denken mit ihren Kerzen und Knöchelchen - das hier war schon etwas anderes.
»Nein«, sagte der Dämmervogel. »Das Orakel sind wir. Die Kugel ist nur unser Fokus - er hilft uns, das Schicksal zu sehen.«
»Dein Schicksal«, sagte Elysrah.
Varyn schüttelte den Kopf. »Bitte, spart das auf für später.« Es machte ihm Angst - das Schicksal, eingesperrt in einer Kugel voll Nebel - der kalte Steinboden unter seinen Füßen, das fremde Hemd - in seinem Herzen wußte Varyn, daß er ein Feigling war. »Ich habe schon so viel von euch bekommen, aber mein Bruder noch nicht - ihm steht die erste Antwort zu, nicht mir. Vor allem -« Er schluckte. Etwas schnürte ihm die Kehle zu. »Vor allem, wenn er danach nichts mehr mit mir zu tun haben will - dann würde er auch nicht mehr bleiben wollen, um sie zu hören.« Mit langsamen Schritten trat er zu Gaven hin. »Wie geht’s dir?« fragte er leise.
Gaven zuckte die Schultern. »Weiß nicht«, sagte er. »Seltsam hier - ich kann’s nicht wirklich sagen. Gut, denke ich. Aber warum bist du angezogen wie ein Mädchen?«
»Ist nur ein Nachthemd«, flüsterte Varyn zurück. »Hab es mir vom Dämmervogel geliehen.« Er wollte ihm nicht die Wahrheit sagen. Gaven wußte schon, daß er hier unerwünscht war, da mußte Varyn es ihn nicht auch noch unter die Nase reiben.
»Vom Dämmervogel?« Gaven riß die Augenbrauen hoch. »Habt ihr zwei etwa -«
Varyn ohrfeigte ihn ohne nachzudenken. Entschuldigen konnte er sich hinterher immer noch, wenn es sein mußte - solange der Dämmervogel das Ganze ignorierte, würde Varyn nicht weiter darauf eingehen.
Gaven machte sich nicht viel aus Ohrfeigen, als daß er es ihm jetzt lange übelnehmen sollte. Er schnaubte nur kurz. »Also gut«, sagte er. »Erzählt mir nur, warum die Zeit hier stillsteht. Dann bin ich hier weg, und ihr könnt mit Varyn machen was ihr wollt.«
»Wenn das euer Wunsch ist«, sagte Elysrah, »dann sei es so. Tretet vor, beide, und schaut in die Kugel.«
Varyn nickte. Hineinschauen: Mit den Augen. Nicht mit den Fingern. Aber wenn sie sich der Kugel nun nähern durften… »Gut«, sagte er. »Danke.«
»Und dann sehen wir darin etwas?« fragte Gaven, die Augen überall, nur nicht auf der Kugel.
Asvarah lachte leise. »Sehen werde ihr nur, was eure Vorstellungskraft euch sehen läßt. Unsere Stimmen sind das Wichtigste für euch. Aber eure Augen wollen sich an etwas festhalten, und wir wollen euch aufmerksam, nicht abgelenkt. Darum: Schaut in die Kugel.«
Gaven blickte Varyn zweifelnd an, und erst als der nickte, trat er vorsichtig an die Kugel heran, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er biß die Lippen zusammen und ging auf die Zehenspitzen; sein Gesicht so konzentriert, wie Varyn ihn sich oft gewünscht und nie bekommen hatte. Jeder Zoll von Gaven war Wachsamkeit, und das war gut, denn es bedeutete, daß der Junge auf sich Acht gab, daß Varyn sich selbst in der Kugel verlieren durfte, ohne daß Sorgen um seinen Bruder ihn zurückhielten. Varyn atmete tief ein, langsam aus, füllte sich mit Ruhe, bis er seinen Atem und seinen Herzschlag nicht mehr hören konnte, und ließ dann sich und seinen Blick in den gläsernen Nebel fallen, bis die Kugel in ihm war und er in der Kugel.
Die Stimmen erreichten ihn von weither, doch sie waren klar und deutlich, und jedes Wort sickerte direkt in Varyns Verstand, ohne noch den Umweg über seine Ohren nehmen zu müssen. Und was in den Worten war, war in dem wirbelnden Nebel; nahm Gestalt an, unsichtbar für jeden als Varyn.
»Vor langer Zeit, vor mehr als tausend Jahren, als die Elomaran noch auf unserer Welt wandelten, wurde schon Schiefer an diesem Ort geschlagen. Die Menschen, die hier lebten und arbeiteten, waren arme, gewöhnliche Leute, und niemand achtete sie oder ihre Heimat eines Engels würdig.«
Varyn lächelte. Die Menschen, die der sah, trugen die vertrauten Gesichter seiner Brüder und Schwestern und der anderen Bergleute, die für seinen Onkel arbeiteten. Und da er nicht wußte, wie Schiefer abgebaut wurde, schlugen sie das Gestein wie Kohle.
»So lebten die Menschen unberührt von Engeln und Göttern, vom Himmel und vom Abgrund - und solche Orte sind es, die das Unheil anziehen: Diejenigen, die in der Tiefe sind, streben nach oben, um an der Oberfläche ihr Werk der Zerstörung zu vollbringen. Und was wäre ein besseres Ziel als ein Ort wie dieser, der ebenso unschuldig wie arglos ist?«
Die Stimme jagte Varyn Angst ein. Es war ihm egal, wer das sprach - die Worte waren egal, wenn es um die Geschichte ging. Aber für Varyn handelte sie nicht vom alten Sharaz - sondern von seinem Tal. Abgeschieden und arglos, ohne Engel und Furcht - und voll mit fleißigen Bergleuten, die nur darauf warteten, den Nilomar aufzubrechen…
»Und so geschah es hier, wie es schon an manchem Ort geschah in diesen Zeiten, die wild waren und finster, bevor die Länder waren was sie wurden und die Welt der Menschen nach dem Verrat der Götter in Trümmern lag, daß die Erde bebte und sich ein Riß im Boden auftat, der direkt hinunterführte in den Nilomar, den endlosen Abgrund, über dem diese Welt zu liegen verdammt ist…«
Reglos nickte Varyn. Was der Nilomar war, das mußte ihm niemand mehr erklären und auch Gaven nicht. Vielleicht waren sie im Tal doch nicht so arglos wie die Leute von Sharaz, bitte nicht, hoffentlich nicht! Er sah die Erde beben, er sah den Boden aufreißen wie ein gieriges Maul, bereit, das Tal und alle die darin waren zu verschlingen. Er sah Entsetzen in den Gesichtern, er sah seine Tante schreien, er sah Grauen in den Augen seines Onkels - war das noch die Erzählung der Schwestern? Oder war es etwas anderes, sein eigenes Schicksal? Und hatte er es nicht schon oft gesehen, ebendiese Bilder, ebendiesen Tod, so oft, seit die Heimsuchungen begannen?
»Die Menschen sahen den Riß, und auch wenn er für sie nicht mehr war als ein Loch im Boden, erkannten sie doch die Gefahr, die von dieser Stelle ausging. Erst war erst nur ein feiner Riß, kaum breit genug, um einen Finger hineinzustrecken, aber bodenlos. Und die Leute ahnten, daß er weiter wachsen würde. Da taten sie, was die Geschichte sie gelehrt hatte: Sie halfen sich selbst. Es war eine Zeit, in der Gebete kein Ziel hatten und kein Ohr fanden, und so kam es, daß niemand mehr betete und niemand mehr hoffte.«
Aber Varyn sah seine Leute hoffen und beten und weinen und schreien, und der Abgrund klaffte weiter auf als der Fluß, und die Berge bebten - doch alles blieb stumm, und nichts war zu hören als die sanften Stimmen aus einer anderen Zeit.
»Sie beschlossen, das Loch zu stopfen, und dafür nahmen sie, was sie hatten: Steine. Sie schleppten das Geröll und den Abraum aus Jahrhunderten des Schieferbergbaus zu der Stelle, wo sich der Boden auftat; Korb um Korb, Kiepe um Kiepe setzten sie ihre Halden um, türmten alles zu einem riesigen Berg, um dem aufbrechenden Abgrund Einhalt zu gebieten. Bald taten sie nichts mehr, als Steine um Steine zu schleppen.«
In Varyns Welt schleppte niemand Steine. In Varyns Welt driftete der Abgrund auseinander und auseinander und gab den Blick frei auf ein brodelndes Dunkel. Varyn wollte nicht mehr; er wollte weg, zurück in die Halle und die Kugel Kugel sein lassen, die Augen zukneifen, aufwachen.
»Doch der Abgrund war nicht aufzuhalten, und so hoch der Berg oben auch aufgeschüttet werden mochte, unten rieselten und fielen immerfort Erde und Steine in den Riß, der sich weiter und weiter auftat. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis kein einer Stein mehr übrig sein würde und der Nilomar den Sieg davontragen. Doch wenn auch die Götter fort sein mochten, blieben doch die Mühen und die Geschicke der Menschen nicht unbeobachtet.«
Der Teil von Varyn, der sich nicht von Angst und Dunkelheit überwältigen ließ, verstand jetzt das, was sie draußen gesehen hatten, den Trichter aus Steinen - doch dieses Wissen half ihm nichts mehr. Er konnte sein Tal nicht retten. Er konnte die Menschen nicht warnen. Er konnte nicht einmal schreien.
»Der Engel des Schicksals, dem nichts auf dieser Welt verborgen bleibt, wußte, daß es an ihm war, dem Abgrund Einhalt zu gebieten, denn er war der Herr über die Geschicke der Menschen und wie alle Elomaran ein erbitterter Feind des Nilomar. Er kam in dieses Tal, unerkannt und wie ein Fremder. Er war mächtig, vielleicht mächtiger als alle Elomaran zusammen, doch auch er konnte nichts tun, um den Riß zu schließen - das Geschehene ungeschehen zu machen, bringt die Welt aus dem Gleichgewicht, und darum darf es nicht sein. Doch er war auch der Herr über alle Zeit, und als solcher konnte er eines tun: Er hielt für die Steine die Zeit an, daß sie nicht noch weiter in den Abgrund rutschten konnten, sondern verharrten wo und wie sie waren. Und so wurden und blieben sie, was sie heute sind: Sie gehorchen dem Wind und der Witterung, nur die Zeit allein hat keine Macht mehr über sie, und nicht der Abgrund.«
Varyn brauchte eine Weile, um zu begreifen, daß die Erzählung vorbei war. Seine Geschichte war nicht vorbei und war es doch. Das Bild war erstarrt, wie die Zeit der Steine - die Menschen eingefroren in Tod und Schrecken, und Varyn zwischen ihnen, frei von der Zeit, gefangen in einem Augenblick. Er irrte stolpernd zwischen den reglosen Gestalten, ohne Ziel, ohne Ausweg, bis ihn gnädiger gläserner Nebel umfing und er wieder in der Halle stand, vor der Kugel, nicht mehr darin, gefangen nur noch in der Erinnerung, im Schatten der Bilder. Die Stimmen um ihn herum waren fremd und unwirklich.
»Engel des Schicksals? Seit wann soll es den denn geben?« Eine kecke Jungenstimme, viel zu munter in all dem Elend, ein Junge, der nichts begreifen konnte in Jugend und Dummheit.
»Der Engel des Schicksals. Sharazander.« Langsam kehrte die Gegenwart zu Varyn zurück: Frauenstimme. Sanft. Elysrah Sonnenschwinge. Und der Junge davor war Gaven. Genau. »Die Steine tragen seinen Namen bis heute, und doch ist das alles, was heute noch an ihn erinnert.«
»Aber es gibt acht Engel!« rief Gaven. »Keinen mehr, keinen weniger!«
»Irre nicht, Junge. Nur weil ein Engel nicht bekannt sein möchte und nicht angebetet werden, heißt das nicht, daß es ihn nicht gibt.«
Varyn zwang sich, den Kopf zu heben und sie anzublicken anstelle der kalten Kugel. Elysrah. Asvarah. Und den Dämmervogel.
»Und nun, Junge«, sagte der Dämmervogel, »sind deine Fragen beantwortet, und du hast genug gehört. Bitte geh nun und warte draußen vor der Tür. Sei geduldig.«
Varyn konnte sich kaum rühren, geschweige denn widersprechen - er wollte, daß Gaven blieb, er mußte ihn warnen vor dem, was er schon so lange ahnte und immer verschwiegen hatte. Er brauchte Gaven. Gaven mußte bei ihm bleiben, durfte ihn nicht verlassen, durfte nicht im Abgrund verloren gehen - aber da nickte Gaven schon, und war fort.
Einen Moment lang griff Panik nach Varyn. Das, was er am meisten fürchtete, war eingetreten - und in dem Augenblick begriff Varyn, daß das nicht stimmte. Er fürchtete sich nicht davor, mit den Schwestern allein zu sein. Er fürchtete um sein Tal. Sonst nichts. Kein Wahn, keine Wahrheit konnte ihm jetzt noch Angst einjagen.
»Du bist so still, Varyniel«, sagte der Dämmervogel leise. »Hast du keine Fragen an uns?«
Langsam kehrten seine Sinne zu Varyn zurück. »Wißt ihr, was ich gesehen habe? Ist das die Wirklichkeit? Oder die Zukunft?«
Der Dämmervogel strich ihm sanft über den Arm, ganz nah und doch so körperlos wie im Traum. Es tat gut. »Was du gesehen hast, kannst nur du selbst ergründen. Du bist für eine andere Wahrheit hier.«
Varyn schwieg. Es erschien ihm plötzlich seltsam bedeutungslos. Welcher Eigensinn ihn aus dem Tal getrieben hatte, welche Fragen er an sich selbst gehabt haben mochte - war es das wert, seine Familie, seine Freunde im Stich zu lassen, wo sie ihn am dringendsten brauchten? Er schüttelte den Kopf. Er wollte nichts mehr hören. Seine Antworten hatte er schon: Er wußte, woran er war, und wo sein Herz schlug. Alles andere… alles andere brauchte er nicht. Er wollte nach Hause. Sonst nichts.
»Was wir dir jetzt sagen, wirst du schon lange insgeheim ahnen«, sagte der Dämmervogel. »Auch wenn du es wohl nie gewagt -«
Varyn hob die Hände. »Bitte, macht es kurz. Ich will keine langen Erklärungen. Ich will es nur hinter mir haben.« Und dann seine Sachen wieder anziehen, und Gaven schnappen, und heim.
»Wie du willst«, sagte der Dämmervogel. Die Schwestern blickten sich an, nickten. Doch Varyn ertrug es nicht länger, ihre Gesichter zu sehen. Er starrte wieder auf die Kugel; ihr mußte er mehr glauben als den sanften Stimmen - doch sie blieb gefüllt mit stummen Nebel.
Dann sagte, vielleicht, Asvarah: »Du hast Engelsblut, Varyniel.«
Varyn antwortete nicht. War er überrascht? Hatte er damit gerechnet? Oder war es ihm gleichgültig?
»Du wußtest es schon, nicht wahr?« fragte der Dämmervogel. »Warum sonst warst du immer besser als alle anderen? Aber es stimmt, es ist wahr. Du birgst einen Engel in dir.«
Varyn schüttelte den Kopf. Nicht aus Unglauben, sondern damit sie schwieg. Und wenn es so war? Hatte er je um Engelsblut gebeten?
Sie standen um ihn herum, ein unerbittliches Dreieck, und ließen ihm keinen Frieden. Varyn wollte keine von ihnen anblicken. Aber er mußte etwas sagen, etwas, das sie hören wollten, sonst würden sie ihn nie gehen lassen.
»Warum sagt ihr mir das?« brach es aus ihm heraus. »Warum mußte ich herkommen?« Es war nicht das, was sie hören, und nicht das, was er sagen wollte. Er war aus eigener Entscheidung aus dem Tal ausgebrochen, hergekommen. Niemand hatte ihn gezwungen. Er war ihrem Rufen gefolgt, weil er genau die Art von Antwort gesucht hatte, die er nun hören mußte. Eigentlich solle er zufrieden sein. Ein Engelsgeborener. Und doch… »Warum hast du es mir nicht sofort gesagt?« Jetzt sprach er nur noch mit dem Dämmervogel. »Du hättest es mir schon im Tal sagen können, schon vor Monaten. Warum erst hier? Warum erst jetzt?«
»Weil ich es nicht darf«, erwiderte sie und wirkte endlich wie eine lebendige Frau, wie jemand, für den es Grenzen gab. »Ich war nicht wirklich bei dir, nur in deinem Geist. Es war niemand da, der dir dieses Wissen geben konnte. Nur hier.«
»Und warum mußtet ihr es mir überhaupt sagen?« Was sollte dieses Wissen ändern? Es half Varyn nicht, machte ihn nur noch fremder -
»Damit du deine Aufgabe begreifst, wenn sie dir begegnet«, sagte der Dämmervogel, wieder kühl und fern. »Engelsblut ist eine Gabe, kein Geschenk.«
Varyn nickte. »Ich habe meine Aufgabe gesehen«, murmelte er und wünschte, er hätte es nicht. So oft gesehen, so oft…
Sie schüttelten ihre Köpfe. »Deine Aufgabe wird noch kommen, Varyniel. Nicht an diesem Tag, und nicht an diesem Ort.«
»Ich will heim«, erwiderte Varyn. »Ich weiß, was passieren wird, wenn ich hierbleibe! Ich komme wieder, später, ich verspreche es, aber laßt mich jetzt gehen.« Der Abgrund verschlang das Tal. So wie er es schon so oft getan hatte. Wenn er es nicht schon längst getan hatte…
»Du wirst noch oft an diesen Ort zurückkehren.« Es war Asvarah, deren Stimme Varyn wieder Angst machte. Er sehnte sich den alten Dämmervogel zurück, der kein Gesicht hatte, den er in der vertrauten Zweisamkeit seiner Träume treffen konnte. Drei von der Sorte, und in Fleisch und Blut, waren zuviel für ihn.
»Dein Blut hat dich hergerufen, dein Blut rufen wir wieder her. Wir haben lange nach dir gesucht, Varyniel, seit dich uns das Schicksal zum ersten Mal sehen ließ. Du trägst das Blut -«
Und in diesem Moment begann es in Varyns Schädel zu dröhnen, von einem Gedanken, einem Begreifen, das hinauswollte und drängte und nicht durfte, weil Varyn es nicht zuließ. Die Frage, die er hätte stellen müssen, und die er nicht stellte, weil er ihre Antwort schon kannte und doch nicht kennen wollte. ‘Welches Blut? Welcher Engel?’ Die Bilder in seinem Kopf sprachen ihre eigene Sprache. Sie schrieen einen Namen, spieen seine Zeichen vor Varyns Augen, daß er nichts anderes sehen, denken, fühlen konnte: Sharazander. Der Engel des Schicksals. Der Engel, dessen Blut in Varyns Augen floß. Der Engel, der Varyn in ein wandelndes Orakel verwandelt hatte. Der Engel, dessen Blut sich Varyn herausreißen würde, sobald er wußte, wie es irgend ging; er wollte ein Mensch sein, kein Engel, kein Orakel, kein Schicksal -
»Sharazander«, sagte Varyn.
Und der Dämmervogel sagte: »Ja. Auch der.«

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