»Er hat
was?« Und dann mußte Mendrion sehen, um was er
sich zuerst kümmerte - um seinen rechtmäßigen
König, oder um das Veilchen, das der ihm geschlagen hatte.
Dannen hätte sich dafür entschuldigen können,
sicher, es war nicht seine Absicht, seinen Hauptmann zu schlagen,
aber irgend jemand mußte heute dran glauben, und es waren
furchtbare Verrenkungen nötig, um sich selbst schlagen zu
können.
Mendrion atmete langsam durch und bedeckte sein Auge mit der Hand.
»Das war nicht nötig«, sagte er leise.
»Das weiß ich selbst!« schnaubte Dannen.
»Aber sei froh, daß ich nicht statt dessen nach meinem
Schwert gegriffen habe!« Ja, genau so mußte man das
machen! Den vielleicht letzten Mann, der einem noch die Treue
hielt, auch noch vergraulen! »Aber sag nochmal - er hat
was?« Nicht, daß er es nicht schon zehnmal gehört
hatte an diesem Tag. Aber es gab Dinge, die konnte man tausendmal
hören, bevor man auch nur ansatzweise anfing, sie zu
glauben.
»Das Schwert deines Vaters«, sagte Mendrion leise.
»Ich hab es gesehen, du kannst mir ruhig glauben.«
Dannen glaubte ihm ruhig, daß er es gesehen hatte. Aber das
änderte nichts. Es fühlte sich einfach nicht wirklich
genug an. Nicht mal wegen des Schwertes, sondern wegen dem Tod
seines Vaters. Dannen hatte damit gerechnet, daß sein Vater
eher früher als später sterben würde, das blieb
nicht aus, wenn der alte Herr unbedingt Krieg haben mußte.
Aber Dannen hatte erwartet, daß er dabei sein würde,
wenn es geschah - wenn er schon nicht selbst die Klinge führen
konnte, die seinen Vater tötete…
»Ich bin verflucht«, murmelte Dannen. Gerrat starb,
und er war nicht dabei, und jetzt wiederholte sich das ganze mit
seinem Vater, einfach so… Wann war jemals ein König vom
Blitz erschlagen worden? Dannen schüttelte den Kopf, und dann
fing er an zu lachen, bis er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte
und keine Luft mehr bekam. Mendrion mußte denken, daß
er nicht mehr ganz richtig im Kopf war, aber Dannen fiel nichts
besseres ein. »Es gibt ihn also doch«, brachte Dannen
noch heraus, und auch wenn das für Mendrion nicht mehr Sinn
machte als Dannens Lachanfall, mußte er sich damit zufrieden
geben. Eine Erklärung brauchte er nicht zu bekommen. Es
reichte, daß Dannen begriff, was geschehen war. Es gab wenige
auffälligere Arten für einen Engel, frevelnden Nachwuchs
zu bestrafen.
Als es in Koristan geschah, hatten sie noch den Kopf drüber
geschüttelt, wer verstand schon diese Staubfresser? Korisander
konnte es schon als Frevel betrachten, wenn sie ein Buch an der
falschen Stelle eingeräumt hatten, denn ganz ehrlich, um
richtig freveln zu können, waren die Korisanderskinder doch
viel zu langweilig. Dann erwischte es Loringaril, da sah die Sache
anders aus, man konnte sich nicht vorstellen, was von dem, was das
Königshaus da trieb, kein Frevel sein sollte. Niemand konnte
behaupten, daß sie in Doubladir nicht gewarnt waren von jeder
erdenklichen Seite. Und trotzdem fiel Dannens Vater nichts besseres
ein, als sein heiliges Schwert vollzurußen und einen Krieg
auszurufen, wo keiner nötig war… Vigilander war das
offenbar doch nicht so gleichgültig. Und er hatte nur auf den
passenden Moment gezeigt, um seinen Unmut wirklich mit Nachdruck zu
zeigen. Ein Blitz… Alles, was aus dem Himmel kam, war ein
Zeichen der Engel, und deutlicher hätte Vigilander sein Siegel
nicht setzen können.
»Ich dachte, du solltest es wissen«, sagte Mendrion,
als Dannen soweit war, daß er nur noch mit Sternen vor den
Augen nach Luft schnappen konnte. »Es ist durch die Luft
geflogen, und er hat danach gegriffen, und dann war es in seiner
Hand.«
Dannen wußte nicht, ob es Mendrion aufgefallen war,
daß er noch kein Mal den Namen benutzt hatte, als ob es
völlig normal war, daß sie beide wußten, von wem
er sprach - aber natürlich, sie wußten es. Das war ein
Unheil mit Ansage. Und wenn sie Varyn in seinem Dorf gelassen
hätten, wo er nichts tun konnte, oder im Kerker - aber nein,
Dannens Vater mußte ihn ja unbedingt in seiner Nähe
wissen. Selbstverliebter alter Narr, wollte ein Auge halten auf
einen, den die Engel persönlich auserwählt hatten!
»Du nimmst das ziemlich leicht«, meinte Mendrion, als
hätte er das blaue Auge schon vergessen und wollte gerne noch
eines haben. »Interessiert dich das nicht?«
Was erwartete er? »Ich kann das noch nicht fassen«,
log Dannen. In dem Moment war er vor allem froh, daß er
selbst nicht dabei gewesen war, daß er sich am anderen Ende
der Schlacht mit seinen Männern ein Stück
zurückgezogen hatten, um nicht völlig aufgerieben zu
werden - sollte es jetzt ruhig heißen, Dannen wäre im
entscheidenden Moment feige gewesen, er hatte einfach Lust gehabt,
diesen entscheidenden Moment zu überleben. Und selbst wenn er
an der Seite seines Vater geblieben wäre, wär das dann
nicht um so peinlicher gewesen, wenn das Schwert direkt an ihm
vorbeisegelte und in Varyns Hand landete? Ganz abgesehen davon,
daß Vigilander vielleicht noch einen Blitz mit Dannens Namen
drauf in Reserve hatte…
»Ich habe so etwas noch nie gesehen. Der Himmel ist
aufgerissen, es war ein Licht, als hätten die Engel
gesungen« - ja, das Licht war auch Dannen aufgefallen, und
die Stille nach dem Blitz, er würde nie vergessen, wie er zu
seinen Männern sagte ‘Das war ganz hier in der Nähe
- bringt euch in Sicherheit!’ - »und die Männer
sind auf die Knie gegangen, als wär Vigilander selbst ihnen
erschienen.«
Dannen glaubte ihm gerne - nein, gerne war das falsche Wort, aber
er glaubte ihm unbesehen. So gut konnte er sich das vorstellen -
die Männer aus dem Volk, die noch nie einen Engelsgeborenen
aus der Nähe gesehen hatten und nun plötzlich einem Engel
gegenüberstanden, die vielleicht abergläubisch waren,
aber vielleicht auch nur gläubig - und die Generäle, die
froh waren, einen anderen König zu bekommen als ausgerechnet
Dannen… Wirklich, er hatte mit soetwas gerechnet. Wenn die
Engel eine Gelegenheit hatten, ihm die Zunge rauszustrecken oder
schlimmeres, dann nutzten sie die auch. Zur falschen Zeit am
falschen Ort - das ins Elomond übersetzen, und er hatte einen
prachtvollen Wappenspruch. »Und warum bist du jetzt
hier?« fragte er.
Mendrion blinzelte ihn fragend an, während sein linkes Auge
langsam zuschwoll. »Warum ich nicht auf die Knie gegangen
bin?« fragte er und schüttelte den Kopf. »Das
würd noch fehlen!«
Dannen lächelte. »Du bist sein Hauptmann. Man
hätte erwartet, daß du der erste bist, der dann an
seiner Seite ist, um ihm die Treue zu schwören.« Wie
lang war es her, daß sie alle noch auf Dannen geschworen
hatten? Man konnte wirklich nichts mehr geben auf so einen
Schwur… Aber er mußte zugeben, daß er sich doch
wunderte, Mendrion jetzt vor sich zu sehen. Was jetzt kommen
sollte, war abzusehen - die Generäle würden Varyn nach
Car Diuree schleifen und zum König krönen, Koristan hatte
es vorgemacht… Und wenn Mendrion wirklich so scharf auf
einen Titel war, wie er immer den Eindruck erweckt hatte, dann war
er an der Seite eines König Varyn bestens untergebracht. Eine
Hand wusch die andere, und schon wurde aus dem Hauptmann ein
General…
Doch Mendrion schüttelte den Kopf. »Für die
Männer da draußen sieht er jetzt vielleicht, als
hätte ihn der Himmel persönlich ausgespuckt, aber ich
knie doch nicht vor dem Kohlejungen! Ich habe noch jeden Mist im
Kopf, den er gebaut hat, ich verdanke ihm jedes einzelne meiner
grauen Haare - er mag ein anständiger Junge sein und alles,
jetzt wo ich ihn besser kennengelernt habe und so - aber ich werde
mich hüten, jemals vor ihm auf die Knie zu gehen, danach kann
ich jeden Respekt von ihm vergessen.«
Dannen seufzte bei sich. Irgendwie hätte er es doch lieber
gehört, Mendrion hätte das mit ihm begründet und
nicht mit Varyns Vergangenheit oder seiner eigenen Eitelkeit. Aber
so Worte wie 'Du bist unser rechtmäßiger König, und
wir werden dafür sorgen, daß du bekommst, was dir
zusteht' konnte er vielleicht niemals erwarten. Nicht, wenn er sich
selbst nicht wie ein König fühlte - wie sollte ihn dann
jemals jemand dafür halten? Er konnte sich das so gut
vorstellen, Varyn, wenn er diesen Blick hatte und jetzt auch noch
Vigilanders Schwert und alles - wer wußte das schon,
vielleicht wär er ja selbst auf die Knie gefallen bei dem
Anblick?
»Und was wirst du jetzt tun?« fragte Mendrion.
Eigentlich wußte Dannen die Antwort genau. Ausnutzen,
daß er aus dem Schneider war. Sich aus dem Staub machen und
sich freuen, daß jemand anderem die Drecksarbeit
aufgebürdet worden war. Sich irgendwo auf dem Land
niederlassen, wo ihn niemand kannte, und ein glücklicher
Jäger werden, bevor irgendwer auf die Idee kam, ihn doch zum
König zu machen. Aber statt dessen fühlte Dannen, wie
sein Gesicht grimmig wurde, und obwohl die Worte überall
herkommen konnten, nur nicht aus seinem Herzen, hörte er sich
sagen: »Ich gehe nach Car Diuree. Und ich werde dafür
sorgen, daß er die Burg meiner Väter nicht bekommt, und
nicht unsere Krone, und nicht unser Land.« Es mochte sein,
daß Varyn auserwählt war, für was auch immer. Aber
vielleicht, vielleicht, vielleicht war auch Dannen auserwählt.
Zumindest so ein ganz kleines bißchen.
Es waren bange Momente, bis die Geschwister endlich beisammen
waren, und dann um so betretenere Blicke - wann immer sie
aufeinanderzutreffen schienen, waren sie einer weniger als beim
letzten Mal. Wie in so einer Schauergeschichte, mit denen man den
Kindern Angst machte, in denen einer nach dem anderen vom Abgrund
verschlungen wurde…
»Jetzt fehlt nur noch Rul«, sagte Jaro, und Dannen
warf ihm einen Blick zu, daß er sich wünschen
mußte, lieber den Mund gehalten zu haben.
»Nur die Familie«, knurrte Dannen. »Die Familie
sind jetzt wir, wir drei, und sonst niemand.« Seine Stimme
zitterte dabei, und dafür haßte er sich. Er war jetzt
das Familienoberhaupt, zu ihm mußten die anderen im
Zweifelsfall aufsehen, er hatte die Entscheidungen zu treffen, aber
als er eben noch Leota umarmte, da fühlte sie sich immer noch
an wie seine große Schwester und nicht wie jemand, der sich
von nun an nach seinen Worten richten würde, und Jaro…
Jaro folgte so oder so, er war nicht Manns genug, gegen irgend
jemanden aufzustehen, und ihm konnte es egal sein, ob die Anordnung
nun von Dannen kam oder sonst jemanden, am Ende würde er sogar
Varyn folgen.
»Glaubst du, es ist klug, ihn hier
auszuschließen?« fragte Leota. »Soll er sich
jetzt Varyn anschließen?«
»Und wenn schon! Soll er doch ruhig! Dann haben wir endlich
einen Grund, ihn zu bekämpfen.« Wenn eine Sache gut war
am Tod des Königs, dann, daß damit die letzte Stimme
verstummt war, die den Bastard ihren Bruder nannte. »Aber ich
kann mir nicht vorstellen, daß er das tun wird - er hat doch
nur drauf gelauert, daß irgendwas ist mit Vater und die
Thronfolge gebrochen wird, genau wie jetzt, aber er derjenige ist,
dem alles zufliegt, vor dem sich alle verneigen -« Er konnte
immer noch darüber lachen. Allein die Vorstellung von dem
Gesicht, daß Rul gemacht haben mußte, als alle vor dem
Kohlenjungen auf die Knie gingen… »Das ist nicht
lustig«, sagte er, mehr zu sich selbst als zu seinen
Geschwistern.
Sie hatten sich in einer alten Scheune versammelt, die zu einem
verlassenen Bauernhof gehörte, ein Stück von dem Dorf
entfernt, wo sie das Heerlager aufgeschlagen hatten. Ein Ort, wo
man sie so schnell nicht suchen würde, und darum schon vor
langem ausgemacht als Treffpunkt, wenn etwas mit einem von ihnen
geschehen würde. Und sie hatten darauf geachtet, zumindest
Dannen und Leota, daß Rul von dem Versteck nichts erfahren
sollte. Kein guter Ort für eine Verschwörung, zwischen
angefaultem Stroh und dem Geruch von Moder und Mäusen, aber
zumindest regnete es nicht rein.
»Wenn ihr euch schon Gedanken gemacht habt, wie wir jetzt
weitermachen, sagt es jetzt«, versuchte Dannen es als weiser
Vermittler, einer Rolle, die so wirklich gar nicht zu ihm passen
wollte. »Und dann sage ich euch, was wir tatsächlich
machen.« Solange die beiden redeten, und Dannen hoffte,
daß sie davon Gebrauch machen würden, hatte er noch
Bedenkzeit.
»Da ist als allererstes Vater«, sagte Leota leise.
»Wir müssen dafür sorgen, daß er eine
Beisetzung bekommt, die eines Königs würdig ist. Wir
brauchen die Totenmagd, wir brauchen eine Kutsche, um ihn nach Car
Diuree zu überführen -«
»und bis er da ankommt«, schnitt Dannen ihr das Wort
an, »weht da oben auf dem Turm schon Varyns Fahne.« Das
war der Punkt, den er immer noch nicht so recht glauben mochte. All
die Male, die er mit Varyn drüber gescherzt hatte, daß
Varyn ihnen nach dem Land trachtete, weil er glaubte, wenn man es
so direkt ansprach, überlegten es sich die Engel nochmal
anders und ließen es nicht passieren - schließlich
wollten sie ihn auf dem falschen Fuß erwischen, und nicht,
daß er auf alles vorbereitet war… Und so oft hatte
Varyn ihm dann versichert, daß er das Land nicht haben wollte
- ob er das nun auch den Soldaten erklärte, den
Generälen, die ihn lieber schneller krönen wollten als
langsamer? »Also müssen wir dafür sorgen, daß
jemand von uns als erstes in Car Diuree ist. Er mag unser Schwert
haben, aber unsere Burg bekommt er nicht.«
Sie waren zu dritt. Es gab keinen Grund, alles zusammen zu
unternehmen. Leota hatte Recht mit der Beisetzung ihres Vaters,
auch wenn Dannen ihn am liebsten irgendwo verscharren und nie
wieder an ihn denken wollte - und das war eine gute Aufgabe
für sie, wichtig genug, daß sich Leota nicht wie
unnütz abgestellt vorkam, mit einer fairen Chance, daß
sie auch mal ihr Schwert benutzen durfte und sich wie ein
vollwertiger Mensch fühlen - und zugleich war sie Dannen aus
den Füßen. Er brauchte Platz für sich, Platz, mit
sich ins Reine zu kommen und zu versuchen, herauszufinden, was hier
überhaupt vorging. Am liebsten wollte Dannen so weit in sich
gehen, bis er irgendwo auf Vigilander selbst traf, und ihn dann
fragen, was das sollte. Nur Jaro… für Jaro eine
Beschäftigung finden, war schwer genug.
»Ich wüßte noch etwas«, sagte Jaro
tatsächlich, und Dannen hörte ihm um so lieber zu.
»Eigentlich sogar zwei Sachen.« Er sprach leise und
verdrehte seine Hände ineinander, während er redete. Und
natürlich wich er ihren Augen aus. Dannen wußte nicht,
was seine Mutter aus dem Jüngsten gemacht hatte, aber es war
nichts gutes. »Das eine ist, jemand von uns sollte ein
genaues Auge auf diesen Varyn werfen sollte und auf die Leute, die
ihm die Treue geschworen haben - wenn wir es richtig anstellen,
können wir sie nach Lomar lotsen, wo sie auch gerade einen
König brauchen, und wer weiß, vielleicht behalten sie
ihn gleich da? In der Zwischenzeit können wir Car Diuree so
aufbauen, wie wir es bauen, und uns auf eine längere
Belagerung einstellen.«
Dannen konnte nicht anders, als anerkennend zu nicken, auch wenn
sein Bruder das vielleicht nicht mal sah, die Augen immer noch
irgendwo auf Höhe seines Daumens. Langsam begriff er, warum
sein Vater Jaro mit in den Krieg genommen hatte, auch wenn er nicht
mit in die Schlacht ritt, sondern sich um solche Dinge
kümmerte wie die Logistik von Verpflegung und
Truppeneinheiten. Konnte es sein, daß der Junge Grips hatte?
Vielleicht. Aber es gehörte auch nicht viel dazu, auf die Idee
zu kommen, Varyn auszuspionieren. Egal, Dannen war jetzt das
Familienoberhaupt. Dazu gehörte auch, Jaro zu ermutigen. Und
vielleicht würden sie doch noch zu echten Brüdern
heranwachsen, auch wenn sie sich erst seit ein paar Jahren kannten.
Jaro war der letzte Bruder, den Dannen noch hatte. Zumindest der
letzte, den er noch haben wollte. »Und die andere
Idee?« fragte er.
»Wir schneiden ihnen den Proviant ab«, sagte Jaro, und
dabei lächelte er fast. »Wenn wir uns auf Car Diuree
zuarbeiten, müssen wir nur alle Karren mit Essen und Waffen
und was sie noch alles bringen, aufhalten und heimschicken. Sie
wissen noch nicht, was vorgefallen ist, und werden auf jeden Fall
gehorchen. Wir müssen ihnen nur sagen, der Krieg ist
vorüber, und ihre Dienste werden nicht mehr
gebraucht…«
Dannen versetzte ihm einen Klaps auf die Schulter, den ein Mann
aushalten können mußte, ohne gleich darunter
zusammenzubrechen, und natürlich warf er Jaro damit gleich
halb zu Boden. Keine Körperbeherrschung, der Junge. Gerrat
hatte noch versucht, ihn am Schwert zu unterrichten, aber dabei war
nicht viel rumgekommen. Zumindest die Gedanken von Jaro gingen in
die richtige Richtung. Irgendwas von Vigilander mußte er ja
geerbt haben, abgesehen von diesem zarten Flaum, den er nur
deswegen Bart nennen durfte, weil die Haare schwarz waren und sich
deutlich vom Rest des Gesichts abhoben.
»Und jetzt zu meinem Plan«, sagte Dannen. Aber er
konnte diese Worte so lang ziehen und dehnen, wie er wollte - es
tröstete ihn nicht darüber hinweg, daß er keinen
richtigen Plan hatte. Die Heilige Rache ausrufen, das war ihm
eingefallen. Aber dafür sollte man wissen, wen oder was man
rächen wollte, und an wem oder was. Und so richtig
überzeugen wurde ein Racheschwur auch nur erst dann, wenn man
ihn auf das Heilige Schwert schwor - und da biß sich nun die
Katze in den Schwanz.
»Mein Plan ist, wir machen das genau so, wie ihr
vorgeschlagen habt.« Er schaffte es, das zu sagen, ohne
gänzlich wie ein Trottel zu klingen. »Leota, du
kümmerst dich um Vaters Beisetzung, egal was passiert, du
sorgst dafür, daß er in unsere Gruft kommt, wo er
hingehört. Und Jaro -« Jetzt stutzte er. Es war leicht
zu sagen, Jaro sollte dafür sorgen, daß Varyn nach Lomar
marschierte und dort blieb, aber wie sollte er das? Wenn er sich
den Generälen näherte, würden sie ihm vielleicht den
Kopf tätscheln und sich auf die Suche nach den Zuckerstangen
machen, aber nicht im Traum auf die Idee kommen, auf ihn zu
hören. Und Varyn kannte Jaro noch nicht mal - man konnte
vielleicht auf die Idee kommen, daß sie beiden sich
miteinander anfreunden sollten, mit den paar Jahren, die Jaro
älter war als Varyn, konnte er so etwas wie einen großen
Bruder abgeben, aber das brauchte Zeit, und die hatten sie
nicht.
Das war eine gute Idee, um sie in der Hinterhand zu halten, wenn
oder falls Varyn nach Car Diuree kam und gekrönt werden
wollte, aber für jetzt war das nicht. Um Varyn nach Lomar zu
bekommen, mußte Dannen seine letzte Karte ausspielen und
Mendrion nehmen, Mendrion, den er selbst gern mitgenommen
hätte. Aber Mendrion kannte Varyn gut genug, daß der
Junge ihm vertraute, und wo Mendrion ihm früher befohlen
hatte, konnte er ihm jetzt immer noch einflüstern, Varyn
mußte froh sein, wenn ihm jemand sagte, wo es langging.
»Jaro, du kommst mit mir, du hast genug Erfahrung mit der
Logistik, um die Versorgung abzuschneiden, und wir nehmen Car
Diuree ein und geben die Burg nicht mehr her.«
Dann blickte er von einem zum anderen und erwartete Zuspruch -
warum auch nicht, sie bekamen genau das, was sie haben wollten.
Leota nickte, sie merkte nicht, daß sie sich selbst aus dem
Spiel genommen hatte, aber sie fühlte sich ernstgenommen, und
das war das wichtigste. Die Geschwister mußten jetzt
zusammenhalten, enger denn je. Es war fast wie früher, da
waren sie auch zu dritt, mußten allein klarkommen und
zusammenhalten gegen einen gemeinsamen Feind. Aber damals war der
dritte von ihnen Gerrat, und der Feind Rul - und sie hatten es
nicht geschafft, ihn loszuwerden oder ihre Mutter
zurückzubekommen, alles, was ihnen damals geglückt war,
war das Zusammenhalten. Diesmal mußte mehr daraus werden.
Viel mehr. Aber das wußten sie alle.
»Wir müssen eine Taube nach Car Diuree schicken«,
sagte Leota. »Sie müssen wissen, daß Vater tot
ist, und daß sie auf keinen Fall auf Varyn oder die
Generäle hören dürfen - wir müssen das schnell
machen, sie werden auch schreiben, unsere Taube muß die erste
sein, damit sie gewarnt sind…«
Dannen hob die Hände. »Nichts übereilen. Vater ist
tot, ja, das schreiben wir ihnen, aber den Rest behalten wir erst
einmal für uns, ich will nicht, daß sie da auf dumme
Gedanken kommen.« Er schüttelte den Kopf. Car Diuree,
das hieß nicht nur Diener und Hofhalter, sondern seit kurzem
auch wieder seine Mutter. Und so sehr er sich auch darüber
gewundert, wenn nicht sogar geärgert hatte, als sie so
plötzlich wieder einzog, gab es jetzt nichts besseres in der
Hinterhand. An der Freifrau kam Varyn so schnell nicht vorbei, und
Rul erst recht nicht, und wenn sie dann die Burg dichtmachten und
keinen reinließen, waren sie auf der sicheren Seite.
»Es muß ja niemand wissen, daß wir das Schwert
verloren haben.« Ja, er hatte einen Plan, aber keinen, der
funktionieren würde. Dannen würde versuchen, den Richter
auf seine Seite zu bekommen und sich krönen zu lassen, ob mit
Schwert, ob ohne. Zwei Könige brauchte das Land nicht, und es
siegte der, der zuerst da war… Aber seit seiner Hochzeit
dachte Dannen an den Richter nur noch mit Schrecken, und er
wußte, das würde nicht einfach werden. Egal. Versuchen
konnte er es. Sonst blieb ja nicht viel zu tun.
»Leisten wir einen Eid«, sagte Dannen. »Nicht zu
Vigilander, ehrlich, auf den können wir jetzt nicht mehr
bauen. Schwören wir auf einander. Schwören wir, daß
wir unser Land zurückerobern, koste es was wolle.
Schwören wir auf unser Blut, das uns niemand wegnehmen kann,
und schwören wir, füreinander dazusein, immer, daß
keiner den anderen hintergeht und wir immer an einem Strang
ziehen.«
Und dann schworen sie. Keine heilige Rache. Dannen war bereit,
sich einen neuen Engel zu suchen.
Wenn man Dannen fragte, was er am liebsten tat, wenn die Zeit es
erlaubte, dann mußte er nicht lang überlegen. Vermutlich
war die Antwort 'Jagen'. Mit Pferd und Hunden hinter dem Fuchs
herhetzen, am besten in netter Gesellschaft, an der frischen Luft
mit Wind in den Ohren und diesem Gefühl von Freiheit und
Vergnügen, das war Dannen so viel lieber als kämpfen,
egal wie gut er mit dem Schwert sein mochte. Und jetzt zahlte sich
das endlich einmal aus. Ein guter Reiter auf einem guten Pferd, das
konnte Dannen jetzt den Arsch retten. Wenn man ihn hätte sehen
könnten, wie er dem in sich zusammenbrechenden Krieg den
Rücken zukehrte und davonjagte, als wäre der Abgrund
hinter ihm her, hätte glatt auf die Idee kommen können,
hier fliehe ein Deserteur vor dem Strick. Aber es war nur Dannen,
der sich auf dem schnellsten Weg machte zu einem Ort, der sich
schon lange nicht mehr wie ein Zuhause anfühlte.
Seine eigene Burg, Car Lamanthul, würde er so schnell nicht
wiedersehen. Er konnte sie jemand anderem überlassen, Jaro
oder Leota vielleicht, damit sie nicht vor die Hunde ging, aber
erst, wenn sicher war, daß sie zumindest Car Diuree halten
können würden. Lamanthul war die Lösung in der
Hinterhand. Wenn alles verloren war, konnte er sich immer noch aufs
Land zurückziehen, alles Königliche aufgeben und ein
friedliches Leben als Reiter und Jäger beschreiten. Aber daran
wollte er lieber nicht denken, denn wenn er das tat, war wieder
dieser schale Geschmack da, daß er für eine Sache
kämpfte, die ihm so wenig bedeutete, nur weil er sich
verpflichtet fühlte, weil er nicht immer verlieren wollte,
weil er nicht der Fußabtreter des Landes war, weil er sich
auch einmal durchsetzen mußte… Und so jagte Dannen
quer durch die ganze Welt, und alles was ihn zurückhielt, war
das Pferd seines Bruders.
Es war ein Fehler, Jaro mitzunehmen, aber da kam Dannen jetzt
nicht mehr raus. Jaro ritt besser als er kämpfte, wenigstens,
aber sein Pferd war nur zweite Wahl. Dannen hatte nicht
gewußt, daß an dem Tag, als Gerrat in den Hinterhalt
geriet und starb, auch Jaro dabei war, zwar den Angriff
überlebte, aber um den Preis seines Pferdes, und seitdem einen
Ersatz ritt, der es mit den gut ausgebildeten Streitrössern,
wie Dannen eines ritt, nicht mithalten konnte. Aber über so
etwas sprachen sie ja nicht, Gerrat war tabu, so ziemlich alle
Themen waren tabu, sie hatten keine Zeit zum reden, und so hetzten
sie nur grimmig über Land, bis die Pferde zu kollabieren
drohten. Einander besser kennenlernen konnten sie immer noch
später.
Und da gab es viel kennenzulernen. Jaro war nur fünf Jahre
jünger als Dannen, aber sie trennten Welten. Daß
plötzlich Jaro der Bruder an Dannens Seite war, daran
mußten sie sich beide erst einmal gewöhnen - sicher, es
hätte schlimmer kommen können, Jaro war immer noch eine
bessere Wahl als Leota, die als seine ältere Schwester nicht
akzeptieren wollte, daß sie ihm nun zu gehorchen hatte - sie
fand wohl, das galt nur für Diener, Soldaten und andere
Untergebene, aber in Wirklichkeit fingen die Untergebenen schon in
der eigenen Familie an. Und Jaro war wenigstens ein richtiger
Bruder, kein dreckiger Bastard. Trotzdem, sie sprachen nicht viel
miteinander, abends waren sie zu erschöpft für viel
anderes als ein paar unverbindliche Worte.
Die beiden Länder waren einfach viel zu groß.
Wenigstens mußten sie in Doubladir nicht so weit ins
Landesinnere, schlimm wäre es gewesen, jetzt auch noch bis in
Varyns Heimatdorf reiten zu müssen, aber trotzdem, der Weg war
viel zu weit. Reiten, Reiten, Reiten, soviel Galopp, wie die Pferde
irgendwie mitmachten, ansonsten zügiges Traben - sie
ruinierten die Pferde, das wußten sie beide, wenn sie einmal
in Car Diuree waren, taugte Dannens Horalon vermutlich nicht mal
mehr für die Wurst. Einen Tag Pause, daß die Pferde mal
verschnauben konnten und sie selbst auch, ein Bad, ein Bier oder
zwei, nette Gesellschaft - nichts davon gab es für sie. Nur
die Landstraße, und wenn sie Glück hatten, mal ein Bett,
um drin zu übernachten.
Aber Dannen beschwerte sich nicht. Beim Reiten konnte er einen
klaren Kopf bekommen, endlich nachdenken über das, was
passiert war, und eigene Pläne schmieden, statt nur die seiner
Geschwister aufzukochen. Es war ja nicht damit getan, Car Diuree
einzunehmen - was war eine Burg gegen ein ganzes Land? Das Volk
mußte er irgendwie auf seine Seite bringen, damit fing es an,
und nicht die Fehler wiederholen, die sie in Koristan gemacht
hatten. Dannen interessierte sich nicht viel für das, was in
den anderen Ländern geschah, aber um manche Ereignisse kam man
einfach nicht herum, und Alexander von Koristan hatte, als seine
Krönung ins Wasser fiel, gezeigt, was man alles falsch machen
konnte. Er war abgehauen, wie ein feiger Dieb, statt einfach auf
Stur zu schalten und zu sagen 'Hier kriegt mich keiner mehr weg',
wie Dannen es machen würde. Hatte sich später verhaften
lassen, und das letzte, was man von ihm hörte, war, daß
er schon wieder geflohen war - so einen würde kein Volk mehr
als König haben wollen, noch nicht mal geschenkt,
Engelsgeboren hin oder her. Beim Volk mußte man anfangen.
Wieviel Freibier brauchte man für einen Bauernaufstand? Dannen
war bereit, das auszutesten.
»Wenigstens siehst du so deine Frau wieder«, sagte
Jaro in einem der wenigen Momente, wo sie es doch mit Reden
versuchen, und hätte wissen müssen, daß Dannen auf
dieses Thema nicht gut zu sprechen war. Hana, über die dachte
Dannen am allerwenigsten nach, wenn er sich ausmalte, was er in Car
Diuree anstellen würde, um die Burg vor feindlicher
Übernahme zu sichern. Ob ihr Kind schon da war? Und wenn ja,
warum hatte man ihm deswegen keine Taube geschickt? Natürlich,
weil es nicht seines war, und jeder wußte das, jeder
wußte, daß Dannen eine Frau hatte, die noch weniger von
ihm wissen wollte als die Freifrau Elorna vom alten König -
gut, sie hatte ihn verlassen, aber zumindest waren sie viermal
miteinander im Bett gewesen, mindestens, um diese Kinder zu zeugen.
Dannen dagegen hätte seine Frau rahmen und an die Wand
hängen können, einen großer Unterschied hätte
das nicht gemacht… Nein, Dannen wollte nicht an Hana denken.
Und auch nicht daran, daß ihr Kind vielleicht der
nächste große Konkurrent im Kampf um den Thron war,
für alle die wußten, daß es Gerrats Kind war und
nicht seines… Dannen ertappte sich bei dem Wunsch, die
beiden sollten im Kindbett sterben. Und haßte sich schon im
nächsten Moment dafür.
»Halt den Mund, oder ich verheirate dich mit einer
Milchkuh!« knurrte Dannen zurück. Und verdrehte
insgeheim die Augen bei dem Gedanken, daß das jetzt wirklich
auf ihn zu kam, und daß Mendrion für seine Treue und
Hilfe auf Garantie nach Leotas Hand verlangen würde, und nun
war es wirklich an Dannen, darüber zu entscheiden…
Dannen grinste. Leota war der Grund, warum Mendrion auf seiner
Seite geblieben war. Er hätte auch für Varyn streiten
können - aber wen sollte er dann heiraten, den kleinen Gaven
vielleicht?
Aber das beste - man könnte auch sagen: Das einzig gute - an
diesem Ritt aller Ritter war, wenn sie auf ein Nachschubgespann
trafen. Dannen erinnerte sich noch gut daran, wie sie die
Ochsenkarren auf dem Hinweg überholt hatten, wie er sich
darüber ärgerte, wie langsam sie waren, und sich fragte,
ob die jemals rechtzeitig an der Front ankommen würden.
Streitroß gegen Ochsenkarren, das war ein ungleiches Rennen.
Irgendwas mußte wohl im Lager angekommen sein, denn da hatten
sie keinen Hunger gelitten, aber es waren immer noch genug von
diesen Karren unterwegs, und immer noch so langsam, daß
Dannen sich fragte, ob das vielleicht noch die Gleichen waren wie
auf dem Hinweg.
»He ho, Halt, in Vigilanders Namen!« Es machte Dannen
Spaß, das zu rufen. Manchmal sagte er auch 'Im Namen des
Königs', das war noch lustiger, aber man mußte es ja
nicht gleich übertreiben. »Seid ihr der Nachschub
für die Front?«
Für gewöhnlich nickten die Fuhrmänner dann oder
stimmten ein vergnügtes 'Jau' an, wenige sagten mehr als das -
man wurde nicht Fuhrmann, wenn man von Natur aus geschwätzig
war.
»Dann könnt ihr jetzt umkehren«, sagte Dannen,
und es war sogar in Ordnung, wenn er dabei grinste. Sieger durften
grinsen. »Der Krieg ist vorbei, die Truppen auf dem
Rückweg, und eure Ladung wird bald in der Heimat dringender
gebraucht.« Zumindest das stimmte. Dannen fragte sich mit
leisem Grausen, wie es dort aussehen mußte, ob die Bauern
ihre Ernte noch eingefahren bekommen hatten oder ob der Krieg doch
zu viele Hände dort abgezogen hatte, wo sie gebraucht
wurden.
Die Fuhrmänner fanden das wenig erfreulich. »Wie,
umkehren? Jetzt? Einfach so?« Je weiter sie nach Loringaril
vorgedrungen waren, desto mürrischer reagierten sie, und auch
an den Stellen, wo ein Ochsengespann schwer zu wenden war. Dannen
stieg dann gerne ab und half mit, wenn es doch nur war, um Varyn
und seinen Männer langsam auszuhungern. Nicht, daß das
Varyn viel ausgemacht hätte, der war kein großer Esser,
aber vielleicht merkten sie es ja doch. Es war ein kleiner Aufwand,
der sich allemal lohnte.
»Freut euch doch!« befahl Dannen den Fuhrmännern.
»Wir haben gesiegt, und ihr zieht einen Flunsch!«
Vielleicht hatten die Männer Angst, daß sie jetzt
niemand für ihre Arbeit oder ihre Ladung bezahlen würde,
und damit mochten sie Recht haben, zumindest von Dannen konnten sie
nichts erwarten - und noch eine Sache, vor der Dannen grauste: Die
Finanzen des Landes verwalten zu müssen. Er rechnete mit
leeren Geldbeuteln und üblen Schulden, und wenn er rausfand,
wie er das auf Varyn abwälzen, aber selbst den Thron behalten
konnte, würde er das sofort nutzen…
Aber nicht alle Fuhrmänner machten sofort kehrt. Da gab es
noch die Skeptischen: »Ach ja? Und wer sagt das? Das ist doch
ein Trick!«
Und sie ahnten nicht, wie nah sie der Wahrheit gekommen waren,
wenn sich Dannen vor ihnen aufbaute und dröhnte: »Hund,
erkennst du deinen eigenen König nicht? Ich bin Dannen von
Vigilanders Blute, mit mir reitet mein Bruder Fürst Jaro, und
wenn du uns nicht glaubst, wem dann?«
Manche schafften es dann noch bis zu einem eingeschüchterten:
»Aber der König…«
»Ich habe gesagt, wir haben gesiegt!« bellte Dannen
zurück. »Ich habe nicht gesagt, daß es ohne
Verluste gegangen ist! Unser Vater hat sich für Doubladir
geopfert, und du Hund hast nichts besseres zu tun, als uns die
Straße zu versperren?« Ja, das machte Spaß.
Sehen, wie sie zusammenzuckten. Wie sie hinter vorgehaltener Hand
fluchten und taten, als müßten sie nur husten - Dannen
hätte nie gedacht, daß es ein solcher Spaß war,
König zu sein. Keiner hatte sich ihm zu widersetzen. Jeder
zollte ihm Respekt. Früher hielt Dannen nicht viel davon,
immer den Fürsten raushängen zu lassen, es machte ihm
noch nicht mal Spaß, seine Diener durch die Gegend zu
scheuchen, aber jetzt hatte ihn die herrschaftliche Stimmung
gepackt - wer konnte sagen, wie lange das anhalten würde?
Vielleicht war er gerade lang genug König, um halbwegs in
Doubladir anzukommen. Jeden Tag konnte es vorbei sein. Und dann
konnte Dannen zumindest Spaß dran haben, solange es ging.
Eigentlich war es an der Zeit, daß er seinen Namen
änderte. König Dannen, das ging nicht. Wenn er König
wurde - falls, hieß das - mußte er es seinem Vater
nachtun, den alten Namen ablegen und nur noch Vigilander sein.
Praktische Sache, das. Kein König von Doubladir konnte sagen,
welcher seiner Söhne lang genug leben würde, um nach ihm
den Thron zu besteigen, der Verschleiß war zu hoch bei den
ganzen Kriegen. Er konnte also nicht den Erstgeborenen nach dem
Elomaran nennen und den Zweitgeborenen sonst wie - von der Unsitte
in anderen Ländern, die Kinder nach anderen Engeln zu
benennen, wenn der eigene schon belegt war. Wirklich, wieso sollte
ein Alexander über Koristan herrschen? Da machten sie es in
Loringaril besser, nannten alle Söhne Lorimander und die
Töchter am Ende auch noch, aber das wäre dann doch zu
verwirrend gewesen. Dann wurde lieber Dannen zu Vigilander.
Er versuchte bei sich, dem Namen etwas abzugewinnen, aber noch
schmeckte es ihm nicht. Vigilander von Vigilanders Blute, das war
nicht er. Das war sein Vater, sein verdammter Vater, möge der
Abgrund ihn verschlingen! Dannen fragte sich, ob Leota mit ihren
Beisetzungsvorbereitungen Erfolg hatte oder ob der alte Mann am
Ende immer noch halb unter seinem Pferd auf dem Schlachtfeld lag.
Das mußte ein Fest sein für die Totenmägde!
Dannen schüttelte sich. In Wirklichkeit gefiel ihm das alles
nicht und der Mann, zu dem er sich entwickelte, am allerwenigsten.
Er hatte zu wenig Pläne für seine Zukunft gemacht - wer
keine besseren Wünsche hatte als den, nicht mehr dick zu sein,
der mußte nehmen, was er kriegte. Nicht dick, aber dafür
ein Arschloch, hatte er sich etwas in der Art gedacht? In einem
Anflug von Vertraulichkeit sagte er zu Jaro: »Ich habe eine
Bitte an dich, egal ob ich König werde oder nicht, welchen
Namen ich nach außen auch tragen mag, nenn mich weiterhin
Dannen, in Ordnung?«
Und Jaro blickte ihn nur stumm an und bearbeitete irgendwie seine
Lippen mit den Zähnen, als läge ihm etwas auf der Zunge
und er traute sich nicht zu antworten, was schlimmer war als jeder
Widerspruch, denn so mußte sich Dannen seinen Teil denken,
und natürlich dachte er sich das Schlimmste. Es würde
nicht nötig sein zu versuchen, der alte Dannen zu bleiben. Das
mußte oder so oder so, das Schwert war fort und der Thron mit
ihm. Vielleicht war Jaro aber bloß ärgerlich, weil
Dannen den ganzen Spaß hatte und die Fuhrleute herumscheuchen
durfte, obwohl das doch seine Idee war - aber wie stellte er sich
das vor, sollte er die Männer schüchtern um Erlaubnis
bitten, sie nach Hause schicken zu dürfen?
Nein, da war es besser, wenn Jaro den Mund hielt. Und grimmig
gucken ging auch geradeaus und nicht zu Boden… Es half
nichts, sich vorzunehmen, einen Mann aus Jaro zu machen, bis sie
zuhause ankamen. Daran hatte sich schon Gerrat die Zähne
ausgebissen, sie hatten es mit Frauen versucht, mit Prügel,
mit Alkohol, es kam immer das selbe raus: Hätte Jaro nicht
ausgesehen wie eine etwas verjüngte Ausgabe von Dannen oder
Gerrat, oder, wenn es sein mußte, von Rul, niemand hätte
geglaubt, daß sie alle den gleichen Vater hatten, mehr noch,
den gleichen Engel. Es wäre eine schöne Rache von ihrer
Mutter gewesen, dem König aufs letzte Knäppchen noch ein
Kuckucksei unterzuschieben, aber daran gab es wohl doch keinen
Zweifel. Vielleicht war Jaro einfach das Mädchen geworden, das
an Leota verloren gegangen war. Oder er brauchte einfach
länger als alle anderen, um heranzureifen.
Aber sie schickten nicht nur Fuhrwerke heim. Das machten sie auch
mit den Patrouillen, denen sie unterwegs begegneten, und den
Posten, die über die Weggabelungen und Kreuzungen wachten -
falls sie irgendein Gespann übersehen hatten, der Fuhrmann
würde den Weg ins Heerlager nicht mehr ohne weiteres finden.
Waffen und Getreide für Doubladir, das Volk würde sich
bedanken, vor allem über die Nahrungsmittel - sollte Varyn nur
gen Lomar marschieren, Dannen wußte, was seine Leute daheim
brauchten. Es sollte ein harter Winter werden, je härter,
desto größer Dannens Chancen, am Ende als Sieger
hervorzugehen.
Der Winter kam näher, je weiter sie nach Osten drangen, und
hinter dem Aleruan waren dann endgültig die Tage des Herbstes
gezählt. Dannen verfluchte seine Rüstung, die noch
für das wärmere Wetter in Loringaril ausgelegt war und
nicht für die schneidend kalten Winde in Doubladir. Er
mußte sie tragen, damit man sah, wer er war - Dannen, in Fell
gehüllt, konnte ebenso gut ein Holzfäller sein wie ein
König, und jetzt war es wichtiger denn je, den Schein zu
wahren. Und während seine Finger in den zu dünnen
Lederhandschuhen taub wurden und sich um die Zügel krampften,
als wollten sie die nie wieder loslassen, reifte in Dannen ein Plan
heran, schändlich und frevelhaft, aber doch endlich einmal
sein eigener.
»Ich werde König von Doubladir«, sagte Dannen.
»Wir haben gesagt, uns ist jedes Mittel recht, dann ist es
das auch.« Lügen und Betrügen hatte Tradition in
seiner Familie. Fast war Dannen in Versuchung geführt, seinem
Bruder zu erzählen, was ihr Vater mit dem Schwert gemacht
hatte und wie er es dazu brachte, ihm genau dann die Heilige Rache
zu befehlen, wenn er es gerade wollte. Aber das verkniff er sich.
Jaro mußte nicht alles wissen, und je weniger Menschen davon
wußten, desto größer war ihre Chance, damit
durchzukommen. »Du hast geschworen, daß du auf meiner
Seite stehst, also was immer ich auch tun werde, du fällst mir
nicht in den Rücken, oder du bist die längste Zeit mein
Bruder gewesen.«
Jaro zwinkerte. »Du hast einen Plan?« fragte er.
Dannen nickte und bemühte sich, nicht allzu
selbstgefällig dreinzublicken, denn schließlich war
jeder andere schon lange vor ihm mit dem Pläneschmieden fertig
geworden. Und Jaro war auch längst nicht so voller
Bewunderung, wie man es von einem kleinen Bruder verlangen konnte.
»Erzähl ihn mir, bevor du ihn durchführst«,
sagte er nur. Und sein Blick, seltsam kühn für ihn,
meinte, daß man nur so noch das Schlimmste verhindern
konnte.
Aber Dannen lachte nur. »Du wirst schon sehen, Jaro«,
sagte er. »Ihr werdet es alle noch sehen.«
Bis sie endlich Car Diuree erreicht hatten, war Dannens Plan so
weit ausgereift, daß er selbst schon nicht mehr dran glaubte,
daß er funktionieren sollte. Dannen ging nicht gerne Risiken
ein; alles auf eine Waagschale zu legen, war ihm fast schon ein
Stück zu gefährlich, aber was sollte er machen? Wagen
mußte er, sonst war der Thron verloren, und wenn er jetzt
log, stand er doch gut in der Tradition seines Vaters.
Die Idee war einfach: Es gab einen Unterschied zwischen
Loringaril, Koristan und Doubladir. Und der lag nicht darin,
daß sie in Doubladir wußten, wer das Schwert hatte - es
war viel einfacher. In Koristan gab es genau eine Krone. In
Loringaril gab es genau ein Heiliges Horn. Aber Schwerter in
Doubladir - da gab es tausende. Und eines davon nannte Dannen sein
eigen… Er hatte das Schwert seines Vaters oft genug gesehen,
fast aus der Nähe, aber in Wirklichkeit ließ der
König niemanden nah genug an das Schwert, daß er gesehen
hätte, daß die Klinge mit Ruß geschwärzt war.
Jeder wußte, es war das Heilige Schwert, weil der König
es in der Hand hielt, das reichte, niemand stellte Fragen. Und
genau darauf konnte Dannen jetzt setzen.
Die Burg wirkte verlassen, als sie in den Hof geritten kamen. Es
mochte daran liegen, daß es spät am Abend war, die Nacht
war ebenso kalt wie dunkel, und vom Himmel kam ein Geniesel, das
noch Regen oder schon Schnee sein mochte, egal, es war unangenehm,
wenn es von vorn direkt ins Gesicht schlug. Das letzte Stück
den Berg hinauf war das Schwerste, die Pferde schienen kaum noch
voranzukommen auf dem glattgefrorenen Boden, die Hufe rutschten
ihnen nach hinten weg, die Burg kam einfach nicht näher, ihr
schwarzes Tor fremd und fern. Normalerweise hätten sie jetzt
schon zwei Wachposten passiert, aber auch die Burgwachen waren
reduziert worden, als sie alle in den Krieg ritten; es war
wichtiger, den König da zu beschützen, wo er war, statt
nur auf eine leere Burg aufzupassen. Aber irgendwo hätte schon
ein Licht brennen müssen, irgendwo mußte doch jemand an
einem Fenster sitzen und sehnsüchtig auf sie warten…
Dannen blickte sich zu Jaro um, der wieder ein Stück hinter
ihm lag; er hatte jetzt zwar schon das dritte Pferd, sie hatten
unterwegs getauscht in ein Tier, das ihnen besser erschien, aber
auch nicht dafür geeignet war, über lange Strecken zu
galoppieren und danach immer noch Puste zum Weitertraben zu
haben.
»Sieht aus, als wäre niemand zu Hause.«
Jaro schüttelte den Kopf. »Mutter ist da, ich
weiß es, sie hat mir versprochen, daß sie bleibt, bis
wir wieder da sind.« Das sah ihm ähnlich, dem
Muttersöhnchen! Auf seine Mutter war Dannen gar nicht so wild.
Aber er hoffte doch, zumindest ein kleines Bißchen, daß
Hana vielleicht doch auf ihn wartete, daß sie, während
er im Krieg war, zumindest einmal um ihm bangte, daß er ihr
fehlte, daß sie endlich begriff, daß sie ihn doch
liebte… Dannen liebte sie noch immer. Es war schwierig, aber
er liebte sie.
Sie mußten warten, bis die Zugbrücke für sie
herunter gelassen wurde. Wenigstens der Brückenwart war noch
da, wo er hingehörte, und es war eine gute Gelegenheit,
vorsichtig auszutesten, wievielt man in Car Diuree schon
wußte und wieviel noch nicht.
»Seid Ihr das, Fürst Dannen?« fragte der Alte.
»Und Fürst Jaro?« Dannen sah ihn in die Nacht
spähen. Der Mann rechnete mit mehr als nur ihnen beiden, aber
natürlich, auch wenn er wußte, daß der König
tot war, hätten sie ja immer noch Leota dabeihaben können
und vielleicht sogar den Bastard.
Dannen nickte. »Wir sind es. Wißt Ihr, ob unsere Taube
angekommen ist?«
Der Mann legte den Kopf schief. »Da ist mehr als eine
gekommen, wenn ich das richtig weiß. Aber natürlich,
keine davon für mich. Wir hätten Euch erst in einer Woche
oder so erwartet, aber wo Ihr schon mal da seid…«
Wenigstens ließ er sie ein und fragte nicht 'Was habt Ihr
noch hier zu suchen', und er sagte auch nichts davon, daß man
Dannens Mutter und Hana aus dem Haus geworfen hatte, um schon mal
Platz für Varyn zu machen. Es sah so aus, als hätte sich
der quälende Ritt gelohnt. Sie waren die ersten. Und jetzt, wo
sie einmal da waren, bekam sie auch niemand mehr hier raus.
Dannen fand ein paar Stallburschen, die im Licht einer
Öllampe würfelten und sich die Nacht um die Ohren
schlugen, als hätten sie noch mit Besuch gerechnet oder mit
der Rückkehr der Hausherren. Keiner der drei war noch
nüchtern, aber es reichte aus, um ihnen die Pferde
anzuvertrauen und zu hoffen, daß die nun endlich einmal zur
Ruhe kommen konnten, und genau das erhoffte Dannen auch für
sich. Er hatte sich sein Bett verdient, und ein heißes Bad,
und endlich wieder etwas richtiges zu essen und zu trinken, aber in
dem Moment war er fast zu müde für alles andere. Mit Jaro
einen trinken gehen, sich bei seiner Mutter melden, das konnte
alles warten bis zum nächsten Tag. Alles was Dannen noch
wollte, war, in sein Bett zu steigen. Raus aus den nassen Kleidern,
rein ins Warme…
Und dann, als er in seine Kammer trat, erkannte Dannen seinen
Irrtum. Niemand hier hatte ihn erwartet, am allerwenigsten sein
Bett. Es war nicht nur leer. Es war vor allem kalt. Das ganze
Zimmer war kalt und klamm, und im Bettzeug hatte sich die
Feuchtigkeit von Wochen festgesetzt, es roch muffig und modrig, und
da jetzt hineinzusteigen, war unangenehmer als die Nächte, die
sie unterwegs in ihre Decken gehüllt unter kahlen Bäumen
verbracht hatten. Dannen warf seinen nassen Umhang über den
Schemel und fluchte. Dann setzte er sich auf die Bettkante,
kämpfte sich aus dem ersten Stiefel, dann aus dem zweiten, und
hörte nicht auf zu fluchen. Deutlicher konnte ihm sein Zimmer
nicht sagen, daß es ihn nicht haben wollte. Aber es war ja
nicht das letzte Bett im Haus.
Kurz überlegte Dannen, sich kackendreist in das Bett seines
Vaters zu legen, strenggenommen war es ja jetzt seines, und der
alte Mann lag hatte sicher besser als Dannen gelegen, er hatte
einen Betthimmel und Vorhänge, aber sicher war sein Gemach
genauso kalt und leer wie Dannens, und dann war nicht viel
gewonnen. Aber Dannen hatte eine Frau. Eine Frau, die in der Lage
war, ein Bett zu wärmen. Und es war an der Zeit, das endlich
einmal auszunutzen.
Dannens Knie zitterten, als er die Treppen hinunterstieg, und er
fragte sich, warum. Es mußte am langen Reiten liegen, nicht
an ihm, nicht an Hana. Was hatte er zu befürchten? Hana war
seine Frau, sie hatte zu gehorchen - ja, er hatte sie immerzu mit
Samthandschuhen angefaßt, aber warum? Konnte sie ihn noch
abweisen? Konnte sie ihm weglaufen? Nichts davon. Und wenn sie ihn
so oder so nicht liebte, was gebärdete er sich dann als
schwacher Trottel, sobald sie in seiner Nähe war? Sie sollte
sich freuen, daß er wieder da war, er kam nüchtern,
wollte nicht mit ihr schlafen, sondern nur neben ihr, das sollte
doch so schwer nicht sein - und doch, Dannens Knie zitterten.
Das Kind war noch nicht auf der Welt. Dannen war sich dessen
sicher, der Brückenwächter hätte es ihm sonst sicher
gesagt, oder etwa nicht? Nein, kein Kind. Dannen hatte noch nie mit
einer schwangeren Frau geschlafen… Was dachte er da schon
wieder, das stand auch jetzt nicht zur Wahl, und wenn es Hana nicht
paßte, konnte sie ja gehen und sich ein anderes Schlafzimmer
suchen, solange nur ihr trockenes, vorgewärmtes Bett für
Dannen blieb - und dann war er vor ihrer Tür, und es gab kein
zurück mehr. Wie ein anständiger Ehemann trat Dannen ein,
ohne auch nur zu klopfen.
Einen Moment lang hoffte Dannen fast, Hana mit einem anderen Mann
im Bett ertappt zu haben, dann hätte er sie mit Fug und Recht
aus dem Haus jagen können, alle beide, und hätte die Ehe
und den Ärger hinter sich gehabt. Wie Hana da im Bett lag, ein
riesiger Haufen unter der Decke, hätte sie wirklich zwei
Personen sein können, aber der einzige Fremde, mit dem sie ihr
Bett teilte, war ihr grotesk angeschwollener Leib. Es konnte nicht
mehr viel fehlen bis zur Geburt… Und beim besten Willen
konnte Dannen sich nicht vorstellen, wie er in das Bett noch mit
hineinpassen sollte. Er wollte sich schon still und heimlich wieder
zurückziehen, hoffen, daß Hana von dem nächtlichen
Besuch nichts gemerkt hatte - aber genau da wurde sie dann auch
schon wach.
Erst einmal regte sie sich nicht, daran merkte er es - sie lag
plötzlich stiller, als sie es im Schlaf gekonnt hätte,
und der ruhige Atem, der eben noch die Decke leicht gehoben und
gesenkt hatte, war nun angehalten vor jähem Schreck. Kein
Wunder, sie rechnete nicht mit ihm, und wäre er selbst eine
Frau gewesen und mitten in der Nacht jemand ins Zimmer
gekommen… Sie sollte sich keine Sorgen machen.
»Schscht«, sagte er leise und so ruhig er konnte.
»Keine Angst, Hana. Ich bin es, Dannen.« Aber es
wunderte ihn nicht, daß sie das nicht als sehr beruhigend
auffaßte. Statt dessen schoß sie jetzt jäh im Bett
hoch, daß das Licht von Dannens mitgebrachter Lampe davon
flackerte. Einen Moment lang starrte sie ihn an, weit offen die
Augen, die Haare wirr, und er konnte nur daran denken, daß
sie schon lang nicht mehr so schön ausgesehen hatte, auch wenn
sie es nicht für ihn war.
»Dannen«, sagte sie dann, und ihre Stimme zitterte.
»Was - was hast du hier zu suchen?«
Dannen machte eine abwehrende Geste. »Was soll ich schon
suchen? Meine Frau hat ein Anrecht, zu wissen, daß ich wieder
da bin.« Seine Stimme klang bitterer, als ihm lieb war. Hana
hatte zu viel Macht über ihn, und er war sich sicher,
daß sie das wußte. Ihre Gefühle waren kalt und
kontrolliert, ihr konnte nichts passieren, aber solange Dannen
überhaupt noch irgend etwas für sie fühlte, und wenn
es Haß sein sollte, war er Wachs in ihrer Hand. Er machte
noch einen Schritt auf ihr Bett zu, blieb dann aber doch auf soviel
Abstand, daß sie sich nicht bedroht fühlen mußte.
»Es sind Dinge geschehen«, sagte er ernst.
Einen Moment lang verstand Hanas Gesicht ihn, war sie ohne Groll,
als sie nickte und sagte: »Ich weiß, der König ist
gestorben - aber es ist Nacht, und du hattest schon geschrieben, es
muß Zeit haben bis morgen, und jetzt«, da wurde ihre
Stimme wieder hart, »verlaß bitte mein
Schlafzimmer.«
Dannens Körper spannte sich an. So mußte er nicht mit
sich reden lassen, nicht von seiner eigenen Frau. Er tat schon das
mindeste, was er konnte… »Du redest nicht mit mir wie
mit einem Hund!« sagte er scharf. »Ich habe dich
anständig behandelt, von Anfang an - wenn du etwas anderes
willst, bitte.« Die Lampe in seiner Hand störte ihn, und
er stellte sie auf dem Waschtisch ab. »Aber wenn du glaubst,
du kannst mich behandeln wie ein Stück Dreck -«
»Du hättest mich nicht heiraten müssen!«
fauchte Hana. »Ihr hättet mich einfach gehen lassen
können! Aber ihr habt es nicht anders gewollt - jetzt ist dein
Vater tot, und weißt du, wie froh ich bin deswegen? Er ist
tot, und ich freue mich deswegen! Und ich habe mir gewünscht,
daß du -« Weiter kam sie nicht. Es war nur eine
Ohrfeige, die Dannen ihr verpaßte, aber es war soviel Zorn in
diesem Schlag, soviel Haß, daß sie die Worte gar nicht
aussprechen mußte. Sie wünschte sich, er wäre auch
gestorben. Mehr noch, sie war bereit, ihm das ins Gesicht zu
sagen… Dannen hatte noch nie eine Frau geschlagen, und er
hatte sich nicht vorstellen können, daß er das jemals
tun würde. Eine Frau, noch dazu seine eigene, noch dazu
schwanger… Wie weit hatte sie ihn getrieben? Der Schlag
ließ sie verstummen, aber der Ausdruck in ihrem Gesicht
blieb, zeigte Abscheu, wenn nicht sogar Ekel. Dannen machte einen
Schritt zurück. Er war völlig leer. Jetzt hätte er
sich schämen müssen, bestürzt sein, erschrocken vor
sich selbst. Aber er fühlte gar nichts. Er war nur froh,
daß er sie zum Schweigen gebracht hatte. Und wenn es kein
anderes Mittel dazu gab, als sie zu schlagen - nein, daran wollte
er nicht denken, aber er tat es trotzdem.
»Ich wußte, daß du mich schlagen
würdest«, flüsterte Hana. »Ich wußte
nur nicht, daß du es so früh tun
würdest.«
Dann fühlte er, wie sich sein Gesicht zu einem Grinsen
verzog. »Ich komme aus dem Krieg«, sagte er leise.
»Ich habe nicht nur Männer sterben sehen, gute
Männer, ich habe auch selbst getötet. Erwarte kein
Mitleid von mir, oder Nachsicht. Ich weiß mehr über den
Krieg als du. Und wenn du welchen möchtest…«
Langsam kehrte die Besinnung zu ihm zurück und das Gewissen,
aber dafür war es jetzt zu spät. Auch ein Anflug von
Gewissen machte einen Mann, der Frauen schlug, nicht mehr zu einem
Mann, der keine Frauen schlug. Er hatte doch nur mit ihr reden
wollen. Ihr erzählen, was geschehen war, auch wenn es
bedeutete, daß sie seine Lügen auffliegen ließ. Er
war bereit, das zu riskieren, um im Reinen zu sein mit der Frau,
die er liebte. Wenige Augenblicke hatten gereicht, um das alles
zunichte zu machen, und egal wie er es wendete, egal wie sehr er
bedauern mochte, es änderte nichts daran, Hana war selber
schuld. Was sie da gerade gesagt hatte - es zu denken, wäre
schon schlimm genug gewesen, aber es dann auch
auszusprechen… Er hatte keine Wahl, als sie zu schlagen. Und
er würde sie wieder schlagen, wenn es nötig war. Wenn es
sein mußte, so lange, bis sie wußte, wo sie
hingehörte. An seine Seite gehörte sie, in seinen Arm, an
sein Herz… Nichts mehr davon. Der Krieg zwischen Loringaril
und Doubladir endete mit Lügen, aber der zwischen Hana und
Dannen begann mit Wahrheit. Sie wünschten einander beide den
Tod. Und sie wußten es.
Was mit der Suche nach ein bißchen Wärme angefangen
hatte, endete mit Dannen, der alleine und ohne Licht durch die
Flure der Burg stapfte, mit der grimmigen Sicherheit eines Mannes,
der keine Augen mehr brauchte, weil er plötzlich alles ganz
klar sah. Die Dunkelheit war für ihn, die Kälte, die
Nacht. Vor einem Jahr war noch alles anders, die Welt war anders
und er selbst. In dem Jahr hatte sich viel verändert, am
allermeisten aber er selbst. Nicht mit Absicht, und nicht von sich
selbst aus, aber er hatte keine Wahl mehr. Wenn Hana, wenn die Welt
ihn als Scheusal wollte, dann würde er jetzt ein Scheusal
für sie sein. Wenn die Welt wollte, daß Varyn der Gute
war und Dannen der Feind, dann würde er sein Bestes tun, um
ihr den Feind zu geben. Schon weil immer das Gegenteil von dem
passierte, was Dannen wollte. Und nur wenn er sich wirklich
anstrengte, garstig zu sein, hatte er vielleicht eine Chance, am
Ende doch noch als der Mann herauszukommen, der er in Wirklichkeit
gerne sein wollte…
Dannen lag in seinem Bett; die feuchte Kälte kroch ihm
langsam in die Knochen, und er wußte, es war vergebens. Er
hatte einen Weg eingeschlagen, und nun mußte er ihn bis zum
Ende gehen. Es gab kein Ereignis, keine Entscheidung, an der er es
festmachen konnte, er wußte nur, es war zu spät zum
Umkehren. Es war sein Schicksal. Und sein Schicksal hatte Dannen
schon immer gehaßt.
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