Siebtes Kapitel

»Er hat was?« Und dann mußte Mendrion sehen, um was er sich zuerst kümmerte - um seinen rechtmäßigen König, oder um das Veilchen, das der ihm geschlagen hatte.
Dannen hätte sich dafür entschuldigen können, sicher, es war nicht seine Absicht, seinen Hauptmann zu schlagen, aber irgend jemand mußte heute dran glauben, und es waren furchtbare Verrenkungen nötig, um sich selbst schlagen zu können.
Mendrion atmete langsam durch und bedeckte sein Auge mit der Hand. »Das war nicht nötig«, sagte er leise.
»Das weiß ich selbst!« schnaubte Dannen. »Aber sei froh, daß ich nicht statt dessen nach meinem Schwert gegriffen habe!« Ja, genau so mußte man das machen! Den vielleicht letzten Mann, der einem noch die Treue hielt, auch noch vergraulen! »Aber sag nochmal - er hat was?« Nicht, daß er es nicht schon zehnmal gehört hatte an diesem Tag. Aber es gab Dinge, die konnte man tausendmal hören, bevor man auch nur ansatzweise anfing, sie zu glauben.
»Das Schwert deines Vaters«, sagte Mendrion leise. »Ich hab es gesehen, du kannst mir ruhig glauben.«
Dannen glaubte ihm ruhig, daß er es gesehen hatte. Aber das änderte nichts. Es fühlte sich einfach nicht wirklich genug an. Nicht mal wegen des Schwertes, sondern wegen dem Tod seines Vaters. Dannen hatte damit gerechnet, daß sein Vater eher früher als später sterben würde, das blieb nicht aus, wenn der alte Herr unbedingt Krieg haben mußte. Aber Dannen hatte erwartet, daß er dabei sein würde, wenn es geschah - wenn er schon nicht selbst die Klinge führen konnte, die seinen Vater tötete…
»Ich bin verflucht«, murmelte Dannen. Gerrat starb, und er war nicht dabei, und jetzt wiederholte sich das ganze mit seinem Vater, einfach so… Wann war jemals ein König vom Blitz erschlagen worden? Dannen schüttelte den Kopf, und dann fing er an zu lachen, bis er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte und keine Luft mehr bekam. Mendrion mußte denken, daß er nicht mehr ganz richtig im Kopf war, aber Dannen fiel nichts besseres ein. »Es gibt ihn also doch«, brachte Dannen noch heraus, und auch wenn das für Mendrion nicht mehr Sinn machte als Dannens Lachanfall, mußte er sich damit zufrieden geben. Eine Erklärung brauchte er nicht zu bekommen. Es reichte, daß Dannen begriff, was geschehen war. Es gab wenige auffälligere Arten für einen Engel, frevelnden Nachwuchs zu bestrafen.
Als es in Koristan geschah, hatten sie noch den Kopf drüber geschüttelt, wer verstand schon diese Staubfresser? Korisander konnte es schon als Frevel betrachten, wenn sie ein Buch an der falschen Stelle eingeräumt hatten, denn ganz ehrlich, um richtig freveln zu können, waren die Korisanderskinder doch viel zu langweilig. Dann erwischte es Loringaril, da sah die Sache anders aus, man konnte sich nicht vorstellen, was von dem, was das Königshaus da trieb, kein Frevel sein sollte. Niemand konnte behaupten, daß sie in Doubladir nicht gewarnt waren von jeder erdenklichen Seite. Und trotzdem fiel Dannens Vater nichts besseres ein, als sein heiliges Schwert vollzurußen und einen Krieg auszurufen, wo keiner nötig war… Vigilander war das offenbar doch nicht so gleichgültig. Und er hatte nur auf den passenden Moment gezeigt, um seinen Unmut wirklich mit Nachdruck zu zeigen. Ein Blitz… Alles, was aus dem Himmel kam, war ein Zeichen der Engel, und deutlicher hätte Vigilander sein Siegel nicht setzen können.
»Ich dachte, du solltest es wissen«, sagte Mendrion, als Dannen soweit war, daß er nur noch mit Sternen vor den Augen nach Luft schnappen konnte. »Es ist durch die Luft geflogen, und er hat danach gegriffen, und dann war es in seiner Hand.«
Dannen wußte nicht, ob es Mendrion aufgefallen war, daß er noch kein Mal den Namen benutzt hatte, als ob es völlig normal war, daß sie beide wußten, von wem er sprach - aber natürlich, sie wußten es. Das war ein Unheil mit Ansage. Und wenn sie Varyn in seinem Dorf gelassen hätten, wo er nichts tun konnte, oder im Kerker - aber nein, Dannens Vater mußte ihn ja unbedingt in seiner Nähe wissen. Selbstverliebter alter Narr, wollte ein Auge halten auf einen, den die Engel persönlich auserwählt hatten!
»Du nimmst das ziemlich leicht«, meinte Mendrion, als hätte er das blaue Auge schon vergessen und wollte gerne noch eines haben. »Interessiert dich das nicht?«
Was erwartete er? »Ich kann das noch nicht fassen«, log Dannen. In dem Moment war er vor allem froh, daß er selbst nicht dabei gewesen war, daß er sich am anderen Ende der Schlacht mit seinen Männern ein Stück zurückgezogen hatten, um nicht völlig aufgerieben zu werden - sollte es jetzt ruhig heißen, Dannen wäre im entscheidenden Moment feige gewesen, er hatte einfach Lust gehabt, diesen entscheidenden Moment zu überleben. Und selbst wenn er an der Seite seines Vater geblieben wäre, wär das dann nicht um so peinlicher gewesen, wenn das Schwert direkt an ihm vorbeisegelte und in Varyns Hand landete? Ganz abgesehen davon, daß Vigilander vielleicht noch einen Blitz mit Dannens Namen drauf in Reserve hatte…
»Ich habe so etwas noch nie gesehen. Der Himmel ist aufgerissen, es war ein Licht, als hätten die Engel gesungen« - ja, das Licht war auch Dannen aufgefallen, und die Stille nach dem Blitz, er würde nie vergessen, wie er zu seinen Männern sagte ‘Das war ganz hier in der Nähe - bringt euch in Sicherheit!’ - »und die Männer sind auf die Knie gegangen, als wär Vigilander selbst ihnen erschienen.«
Dannen glaubte ihm gerne - nein, gerne war das falsche Wort, aber er glaubte ihm unbesehen. So gut konnte er sich das vorstellen - die Männer aus dem Volk, die noch nie einen Engelsgeborenen aus der Nähe gesehen hatten und nun plötzlich einem Engel gegenüberstanden, die vielleicht abergläubisch waren, aber vielleicht auch nur gläubig - und die Generäle, die froh waren, einen anderen König zu bekommen als ausgerechnet Dannen… Wirklich, er hatte mit soetwas gerechnet. Wenn die Engel eine Gelegenheit hatten, ihm die Zunge rauszustrecken oder schlimmeres, dann nutzten sie die auch. Zur falschen Zeit am falschen Ort - das ins Elomond übersetzen, und er hatte einen prachtvollen Wappenspruch. »Und warum bist du jetzt hier?« fragte er.
Mendrion blinzelte ihn fragend an, während sein linkes Auge langsam zuschwoll. »Warum ich nicht auf die Knie gegangen bin?« fragte er und schüttelte den Kopf. »Das würd noch fehlen!«
Dannen lächelte. »Du bist sein Hauptmann. Man hätte erwartet, daß du der erste bist, der dann an seiner Seite ist, um ihm die Treue zu schwören.« Wie lang war es her, daß sie alle noch auf Dannen geschworen hatten? Man konnte wirklich nichts mehr geben auf so einen Schwur… Aber er mußte zugeben, daß er sich doch wunderte, Mendrion jetzt vor sich zu sehen. Was jetzt kommen sollte, war abzusehen - die Generäle würden Varyn nach Car Diuree schleifen und zum König krönen, Koristan hatte es vorgemacht… Und wenn Mendrion wirklich so scharf auf einen Titel war, wie er immer den Eindruck erweckt hatte, dann war er an der Seite eines König Varyn bestens untergebracht. Eine Hand wusch die andere, und schon wurde aus dem Hauptmann ein General…
Doch Mendrion schüttelte den Kopf. »Für die Männer da draußen sieht er jetzt vielleicht, als hätte ihn der Himmel persönlich ausgespuckt, aber ich knie doch nicht vor dem Kohlejungen! Ich habe noch jeden Mist im Kopf, den er gebaut hat, ich verdanke ihm jedes einzelne meiner grauen Haare - er mag ein anständiger Junge sein und alles, jetzt wo ich ihn besser kennengelernt habe und so - aber ich werde mich hüten, jemals vor ihm auf die Knie zu gehen, danach kann ich jeden Respekt von ihm vergessen.«
Dannen seufzte bei sich. Irgendwie hätte er es doch lieber gehört, Mendrion hätte das mit ihm begründet und nicht mit Varyns Vergangenheit oder seiner eigenen Eitelkeit. Aber so Worte wie 'Du bist unser rechtmäßiger König, und wir werden dafür sorgen, daß du bekommst, was dir zusteht' konnte er vielleicht niemals erwarten. Nicht, wenn er sich selbst nicht wie ein König fühlte - wie sollte ihn dann jemals jemand dafür halten? Er konnte sich das so gut vorstellen, Varyn, wenn er diesen Blick hatte und jetzt auch noch Vigilanders Schwert und alles - wer wußte das schon, vielleicht wär er ja selbst auf die Knie gefallen bei dem Anblick?
»Und was wirst du jetzt tun?« fragte Mendrion.
Eigentlich wußte Dannen die Antwort genau. Ausnutzen, daß er aus dem Schneider war. Sich aus dem Staub machen und sich freuen, daß jemand anderem die Drecksarbeit aufgebürdet worden war. Sich irgendwo auf dem Land niederlassen, wo ihn niemand kannte, und ein glücklicher Jäger werden, bevor irgendwer auf die Idee kam, ihn doch zum König zu machen. Aber statt dessen fühlte Dannen, wie sein Gesicht grimmig wurde, und obwohl die Worte überall herkommen konnten, nur nicht aus seinem Herzen, hörte er sich sagen: »Ich gehe nach Car Diuree. Und ich werde dafür sorgen, daß er die Burg meiner Väter nicht bekommt, und nicht unsere Krone, und nicht unser Land.« Es mochte sein, daß Varyn auserwählt war, für was auch immer. Aber vielleicht, vielleicht, vielleicht war auch Dannen auserwählt. Zumindest so ein ganz kleines bißchen.

Es waren bange Momente, bis die Geschwister endlich beisammen waren, und dann um so betretenere Blicke - wann immer sie aufeinanderzutreffen schienen, waren sie einer weniger als beim letzten Mal. Wie in so einer Schauergeschichte, mit denen man den Kindern Angst machte, in denen einer nach dem anderen vom Abgrund verschlungen wurde…
»Jetzt fehlt nur noch Rul«, sagte Jaro, und Dannen warf ihm einen Blick zu, daß er sich wünschen mußte, lieber den Mund gehalten zu haben.
»Nur die Familie«, knurrte Dannen. »Die Familie sind jetzt wir, wir drei, und sonst niemand.« Seine Stimme zitterte dabei, und dafür haßte er sich. Er war jetzt das Familienoberhaupt, zu ihm mußten die anderen im Zweifelsfall aufsehen, er hatte die Entscheidungen zu treffen, aber als er eben noch Leota umarmte, da fühlte sie sich immer noch an wie seine große Schwester und nicht wie jemand, der sich von nun an nach seinen Worten richten würde, und Jaro… Jaro folgte so oder so, er war nicht Manns genug, gegen irgend jemanden aufzustehen, und ihm konnte es egal sein, ob die Anordnung nun von Dannen kam oder sonst jemanden, am Ende würde er sogar Varyn folgen.
»Glaubst du, es ist klug, ihn hier auszuschließen?« fragte Leota. »Soll er sich jetzt Varyn anschließen?«
»Und wenn schon! Soll er doch ruhig! Dann haben wir endlich einen Grund, ihn zu bekämpfen.« Wenn eine Sache gut war am Tod des Königs, dann, daß damit die letzte Stimme verstummt war, die den Bastard ihren Bruder nannte. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er das tun wird - er hat doch nur drauf gelauert, daß irgendwas ist mit Vater und die Thronfolge gebrochen wird, genau wie jetzt, aber er derjenige ist, dem alles zufliegt, vor dem sich alle verneigen -« Er konnte immer noch darüber lachen. Allein die Vorstellung von dem Gesicht, daß Rul gemacht haben mußte, als alle vor dem Kohlenjungen auf die Knie gingen… »Das ist nicht lustig«, sagte er, mehr zu sich selbst als zu seinen Geschwistern.
Sie hatten sich in einer alten Scheune versammelt, die zu einem verlassenen Bauernhof gehörte, ein Stück von dem Dorf entfernt, wo sie das Heerlager aufgeschlagen hatten. Ein Ort, wo man sie so schnell nicht suchen würde, und darum schon vor langem ausgemacht als Treffpunkt, wenn etwas mit einem von ihnen geschehen würde. Und sie hatten darauf geachtet, zumindest Dannen und Leota, daß Rul von dem Versteck nichts erfahren sollte. Kein guter Ort für eine Verschwörung, zwischen angefaultem Stroh und dem Geruch von Moder und Mäusen, aber zumindest regnete es nicht rein.
»Wenn ihr euch schon Gedanken gemacht habt, wie wir jetzt weitermachen, sagt es jetzt«, versuchte Dannen es als weiser Vermittler, einer Rolle, die so wirklich gar nicht zu ihm passen wollte. »Und dann sage ich euch, was wir tatsächlich machen.« Solange die beiden redeten, und Dannen hoffte, daß sie davon Gebrauch machen würden, hatte er noch Bedenkzeit.
»Da ist als allererstes Vater«, sagte Leota leise. »Wir müssen dafür sorgen, daß er eine Beisetzung bekommt, die eines Königs würdig ist. Wir brauchen die Totenmagd, wir brauchen eine Kutsche, um ihn nach Car Diuree zu überführen -«
»und bis er da ankommt«, schnitt Dannen ihr das Wort an, »weht da oben auf dem Turm schon Varyns Fahne.« Das war der Punkt, den er immer noch nicht so recht glauben mochte. All die Male, die er mit Varyn drüber gescherzt hatte, daß Varyn ihnen nach dem Land trachtete, weil er glaubte, wenn man es so direkt ansprach, überlegten es sich die Engel nochmal anders und ließen es nicht passieren - schließlich wollten sie ihn auf dem falschen Fuß erwischen, und nicht, daß er auf alles vorbereitet war… Und so oft hatte Varyn ihm dann versichert, daß er das Land nicht haben wollte - ob er das nun auch den Soldaten erklärte, den Generälen, die ihn lieber schneller krönen wollten als langsamer? »Also müssen wir dafür sorgen, daß jemand von uns als erstes in Car Diuree ist. Er mag unser Schwert haben, aber unsere Burg bekommt er nicht.«
Sie waren zu dritt. Es gab keinen Grund, alles zusammen zu unternehmen. Leota hatte Recht mit der Beisetzung ihres Vaters, auch wenn Dannen ihn am liebsten irgendwo verscharren und nie wieder an ihn denken wollte - und das war eine gute Aufgabe für sie, wichtig genug, daß sich Leota nicht wie unnütz abgestellt vorkam, mit einer fairen Chance, daß sie auch mal ihr Schwert benutzen durfte und sich wie ein vollwertiger Mensch fühlen - und zugleich war sie Dannen aus den Füßen. Er brauchte Platz für sich, Platz, mit sich ins Reine zu kommen und zu versuchen, herauszufinden, was hier überhaupt vorging. Am liebsten wollte Dannen so weit in sich gehen, bis er irgendwo auf Vigilander selbst traf, und ihn dann fragen, was das sollte. Nur Jaro… für Jaro eine Beschäftigung finden, war schwer genug.
»Ich wüßte noch etwas«, sagte Jaro tatsächlich, und Dannen hörte ihm um so lieber zu. »Eigentlich sogar zwei Sachen.« Er sprach leise und verdrehte seine Hände ineinander, während er redete. Und natürlich wich er ihren Augen aus. Dannen wußte nicht, was seine Mutter aus dem Jüngsten gemacht hatte, aber es war nichts gutes. »Das eine ist, jemand von uns sollte ein genaues Auge auf diesen Varyn werfen sollte und auf die Leute, die ihm die Treue geschworen haben - wenn wir es richtig anstellen, können wir sie nach Lomar lotsen, wo sie auch gerade einen König brauchen, und wer weiß, vielleicht behalten sie ihn gleich da? In der Zwischenzeit können wir Car Diuree so aufbauen, wie wir es bauen, und uns auf eine längere Belagerung einstellen.«
Dannen konnte nicht anders, als anerkennend zu nicken, auch wenn sein Bruder das vielleicht nicht mal sah, die Augen immer noch irgendwo auf Höhe seines Daumens. Langsam begriff er, warum sein Vater Jaro mit in den Krieg genommen hatte, auch wenn er nicht mit in die Schlacht ritt, sondern sich um solche Dinge kümmerte wie die Logistik von Verpflegung und Truppeneinheiten. Konnte es sein, daß der Junge Grips hatte? Vielleicht. Aber es gehörte auch nicht viel dazu, auf die Idee zu kommen, Varyn auszuspionieren. Egal, Dannen war jetzt das Familienoberhaupt. Dazu gehörte auch, Jaro zu ermutigen. Und vielleicht würden sie doch noch zu echten Brüdern heranwachsen, auch wenn sie sich erst seit ein paar Jahren kannten. Jaro war der letzte Bruder, den Dannen noch hatte. Zumindest der letzte, den er noch haben wollte. »Und die andere Idee?« fragte er.
»Wir schneiden ihnen den Proviant ab«, sagte Jaro, und dabei lächelte er fast. »Wenn wir uns auf Car Diuree zuarbeiten, müssen wir nur alle Karren mit Essen und Waffen und was sie noch alles bringen, aufhalten und heimschicken. Sie wissen noch nicht, was vorgefallen ist, und werden auf jeden Fall gehorchen. Wir müssen ihnen nur sagen, der Krieg ist vorüber, und ihre Dienste werden nicht mehr gebraucht…«
Dannen versetzte ihm einen Klaps auf die Schulter, den ein Mann aushalten können mußte, ohne gleich darunter zusammenzubrechen, und natürlich warf er Jaro damit gleich halb zu Boden. Keine Körperbeherrschung, der Junge. Gerrat hatte noch versucht, ihn am Schwert zu unterrichten, aber dabei war nicht viel rumgekommen. Zumindest die Gedanken von Jaro gingen in die richtige Richtung. Irgendwas von Vigilander mußte er ja geerbt haben, abgesehen von diesem zarten Flaum, den er nur deswegen Bart nennen durfte, weil die Haare schwarz waren und sich deutlich vom Rest des Gesichts abhoben.
»Und jetzt zu meinem Plan«, sagte Dannen. Aber er konnte diese Worte so lang ziehen und dehnen, wie er wollte - es tröstete ihn nicht darüber hinweg, daß er keinen richtigen Plan hatte. Die Heilige Rache ausrufen, das war ihm eingefallen. Aber dafür sollte man wissen, wen oder was man rächen wollte, und an wem oder was. Und so richtig überzeugen wurde ein Racheschwur auch nur erst dann, wenn man ihn auf das Heilige Schwert schwor - und da biß sich nun die Katze in den Schwanz.
»Mein Plan ist, wir machen das genau so, wie ihr vorgeschlagen habt.« Er schaffte es, das zu sagen, ohne gänzlich wie ein Trottel zu klingen. »Leota, du kümmerst dich um Vaters Beisetzung, egal was passiert, du sorgst dafür, daß er in unsere Gruft kommt, wo er hingehört. Und Jaro -« Jetzt stutzte er. Es war leicht zu sagen, Jaro sollte dafür sorgen, daß Varyn nach Lomar marschierte und dort blieb, aber wie sollte er das? Wenn er sich den Generälen näherte, würden sie ihm vielleicht den Kopf tätscheln und sich auf die Suche nach den Zuckerstangen machen, aber nicht im Traum auf die Idee kommen, auf ihn zu hören. Und Varyn kannte Jaro noch nicht mal - man konnte vielleicht auf die Idee kommen, daß sie beiden sich miteinander anfreunden sollten, mit den paar Jahren, die Jaro älter war als Varyn, konnte er so etwas wie einen großen Bruder abgeben, aber das brauchte Zeit, und die hatten sie nicht.
Das war eine gute Idee, um sie in der Hinterhand zu halten, wenn oder falls Varyn nach Car Diuree kam und gekrönt werden wollte, aber für jetzt war das nicht. Um Varyn nach Lomar zu bekommen, mußte Dannen seine letzte Karte ausspielen und Mendrion nehmen, Mendrion, den er selbst gern mitgenommen hätte. Aber Mendrion kannte Varyn gut genug, daß der Junge ihm vertraute, und wo Mendrion ihm früher befohlen hatte, konnte er ihm jetzt immer noch einflüstern, Varyn mußte froh sein, wenn ihm jemand sagte, wo es langging. »Jaro, du kommst mit mir, du hast genug Erfahrung mit der Logistik, um die Versorgung abzuschneiden, und wir nehmen Car Diuree ein und geben die Burg nicht mehr her.«
Dann blickte er von einem zum anderen und erwartete Zuspruch - warum auch nicht, sie bekamen genau das, was sie haben wollten. Leota nickte, sie merkte nicht, daß sie sich selbst aus dem Spiel genommen hatte, aber sie fühlte sich ernstgenommen, und das war das wichtigste. Die Geschwister mußten jetzt zusammenhalten, enger denn je. Es war fast wie früher, da waren sie auch zu dritt, mußten allein klarkommen und zusammenhalten gegen einen gemeinsamen Feind. Aber damals war der dritte von ihnen Gerrat, und der Feind Rul - und sie hatten es nicht geschafft, ihn loszuwerden oder ihre Mutter zurückzubekommen, alles, was ihnen damals geglückt war, war das Zusammenhalten. Diesmal mußte mehr daraus werden. Viel mehr. Aber das wußten sie alle.
»Wir müssen eine Taube nach Car Diuree schicken«, sagte Leota. »Sie müssen wissen, daß Vater tot ist, und daß sie auf keinen Fall auf Varyn oder die Generäle hören dürfen - wir müssen das schnell machen, sie werden auch schreiben, unsere Taube muß die erste sein, damit sie gewarnt sind…«
Dannen hob die Hände. »Nichts übereilen. Vater ist tot, ja, das schreiben wir ihnen, aber den Rest behalten wir erst einmal für uns, ich will nicht, daß sie da auf dumme Gedanken kommen.« Er schüttelte den Kopf. Car Diuree, das hieß nicht nur Diener und Hofhalter, sondern seit kurzem auch wieder seine Mutter. Und so sehr er sich auch darüber gewundert, wenn nicht sogar geärgert hatte, als sie so plötzlich wieder einzog, gab es jetzt nichts besseres in der Hinterhand. An der Freifrau kam Varyn so schnell nicht vorbei, und Rul erst recht nicht, und wenn sie dann die Burg dichtmachten und keinen reinließen, waren sie auf der sicheren Seite. »Es muß ja niemand wissen, daß wir das Schwert verloren haben.« Ja, er hatte einen Plan, aber keinen, der funktionieren würde. Dannen würde versuchen, den Richter auf seine Seite zu bekommen und sich krönen zu lassen, ob mit Schwert, ob ohne. Zwei Könige brauchte das Land nicht, und es siegte der, der zuerst da war… Aber seit seiner Hochzeit dachte Dannen an den Richter nur noch mit Schrecken, und er wußte, das würde nicht einfach werden. Egal. Versuchen konnte er es. Sonst blieb ja nicht viel zu tun.
»Leisten wir einen Eid«, sagte Dannen. »Nicht zu Vigilander, ehrlich, auf den können wir jetzt nicht mehr bauen. Schwören wir auf einander. Schwören wir, daß wir unser Land zurückerobern, koste es was wolle. Schwören wir auf unser Blut, das uns niemand wegnehmen kann, und schwören wir, füreinander dazusein, immer, daß keiner den anderen hintergeht und wir immer an einem Strang ziehen.«
Und dann schworen sie. Keine heilige Rache. Dannen war bereit, sich einen neuen Engel zu suchen.

Wenn man Dannen fragte, was er am liebsten tat, wenn die Zeit es erlaubte, dann mußte er nicht lang überlegen. Vermutlich war die Antwort 'Jagen'. Mit Pferd und Hunden hinter dem Fuchs herhetzen, am besten in netter Gesellschaft, an der frischen Luft mit Wind in den Ohren und diesem Gefühl von Freiheit und Vergnügen, das war Dannen so viel lieber als kämpfen, egal wie gut er mit dem Schwert sein mochte. Und jetzt zahlte sich das endlich einmal aus. Ein guter Reiter auf einem guten Pferd, das konnte Dannen jetzt den Arsch retten. Wenn man ihn hätte sehen könnten, wie er dem in sich zusammenbrechenden Krieg den Rücken zukehrte und davonjagte, als wäre der Abgrund hinter ihm her, hätte glatt auf die Idee kommen können, hier fliehe ein Deserteur vor dem Strick. Aber es war nur Dannen, der sich auf dem schnellsten Weg machte zu einem Ort, der sich schon lange nicht mehr wie ein Zuhause anfühlte.
Seine eigene Burg, Car Lamanthul, würde er so schnell nicht wiedersehen. Er konnte sie jemand anderem überlassen, Jaro oder Leota vielleicht, damit sie nicht vor die Hunde ging, aber erst, wenn sicher war, daß sie zumindest Car Diuree halten können würden. Lamanthul war die Lösung in der Hinterhand. Wenn alles verloren war, konnte er sich immer noch aufs Land zurückziehen, alles Königliche aufgeben und ein friedliches Leben als Reiter und Jäger beschreiten. Aber daran wollte er lieber nicht denken, denn wenn er das tat, war wieder dieser schale Geschmack da, daß er für eine Sache kämpfte, die ihm so wenig bedeutete, nur weil er sich verpflichtet fühlte, weil er nicht immer verlieren wollte, weil er nicht der Fußabtreter des Landes war, weil er sich auch einmal durchsetzen mußte… Und so jagte Dannen quer durch die ganze Welt, und alles was ihn zurückhielt, war das Pferd seines Bruders.
Es war ein Fehler, Jaro mitzunehmen, aber da kam Dannen jetzt nicht mehr raus. Jaro ritt besser als er kämpfte, wenigstens, aber sein Pferd war nur zweite Wahl. Dannen hatte nicht gewußt, daß an dem Tag, als Gerrat in den Hinterhalt geriet und starb, auch Jaro dabei war, zwar den Angriff überlebte, aber um den Preis seines Pferdes, und seitdem einen Ersatz ritt, der es mit den gut ausgebildeten Streitrössern, wie Dannen eines ritt, nicht mithalten konnte. Aber über so etwas sprachen sie ja nicht, Gerrat war tabu, so ziemlich alle Themen waren tabu, sie hatten keine Zeit zum reden, und so hetzten sie nur grimmig über Land, bis die Pferde zu kollabieren drohten. Einander besser kennenlernen konnten sie immer noch später.
Und da gab es viel kennenzulernen. Jaro war nur fünf Jahre jünger als Dannen, aber sie trennten Welten. Daß plötzlich Jaro der Bruder an Dannens Seite war, daran mußten sie sich beide erst einmal gewöhnen - sicher, es hätte schlimmer kommen können, Jaro war immer noch eine bessere Wahl als Leota, die als seine ältere Schwester nicht akzeptieren wollte, daß sie ihm nun zu gehorchen hatte - sie fand wohl, das galt nur für Diener, Soldaten und andere Untergebene, aber in Wirklichkeit fingen die Untergebenen schon in der eigenen Familie an. Und Jaro war wenigstens ein richtiger Bruder, kein dreckiger Bastard. Trotzdem, sie sprachen nicht viel miteinander, abends waren sie zu erschöpft für viel anderes als ein paar unverbindliche Worte.
Die beiden Länder waren einfach viel zu groß. Wenigstens mußten sie in Doubladir nicht so weit ins Landesinnere, schlimm wäre es gewesen, jetzt auch noch bis in Varyns Heimatdorf reiten zu müssen, aber trotzdem, der Weg war viel zu weit. Reiten, Reiten, Reiten, soviel Galopp, wie die Pferde irgendwie mitmachten, ansonsten zügiges Traben - sie ruinierten die Pferde, das wußten sie beide, wenn sie einmal in Car Diuree waren, taugte Dannens Horalon vermutlich nicht mal mehr für die Wurst. Einen Tag Pause, daß die Pferde mal verschnauben konnten und sie selbst auch, ein Bad, ein Bier oder zwei, nette Gesellschaft - nichts davon gab es für sie. Nur die Landstraße, und wenn sie Glück hatten, mal ein Bett, um drin zu übernachten.
Aber Dannen beschwerte sich nicht. Beim Reiten konnte er einen klaren Kopf bekommen, endlich nachdenken über das, was passiert war, und eigene Pläne schmieden, statt nur die seiner Geschwister aufzukochen. Es war ja nicht damit getan, Car Diuree einzunehmen - was war eine Burg gegen ein ganzes Land? Das Volk mußte er irgendwie auf seine Seite bringen, damit fing es an, und nicht die Fehler wiederholen, die sie in Koristan gemacht hatten. Dannen interessierte sich nicht viel für das, was in den anderen Ländern geschah, aber um manche Ereignisse kam man einfach nicht herum, und Alexander von Koristan hatte, als seine Krönung ins Wasser fiel, gezeigt, was man alles falsch machen konnte. Er war abgehauen, wie ein feiger Dieb, statt einfach auf Stur zu schalten und zu sagen 'Hier kriegt mich keiner mehr weg', wie Dannen es machen würde. Hatte sich später verhaften lassen, und das letzte, was man von ihm hörte, war, daß er schon wieder geflohen war - so einen würde kein Volk mehr als König haben wollen, noch nicht mal geschenkt, Engelsgeboren hin oder her. Beim Volk mußte man anfangen. Wieviel Freibier brauchte man für einen Bauernaufstand? Dannen war bereit, das auszutesten.
»Wenigstens siehst du so deine Frau wieder«, sagte Jaro in einem der wenigen Momente, wo sie es doch mit Reden versuchen, und hätte wissen müssen, daß Dannen auf dieses Thema nicht gut zu sprechen war. Hana, über die dachte Dannen am allerwenigsten nach, wenn er sich ausmalte, was er in Car Diuree anstellen würde, um die Burg vor feindlicher Übernahme zu sichern. Ob ihr Kind schon da war? Und wenn ja, warum hatte man ihm deswegen keine Taube geschickt? Natürlich, weil es nicht seines war, und jeder wußte das, jeder wußte, daß Dannen eine Frau hatte, die noch weniger von ihm wissen wollte als die Freifrau Elorna vom alten König - gut, sie hatte ihn verlassen, aber zumindest waren sie viermal miteinander im Bett gewesen, mindestens, um diese Kinder zu zeugen. Dannen dagegen hätte seine Frau rahmen und an die Wand hängen können, einen großer Unterschied hätte das nicht gemacht… Nein, Dannen wollte nicht an Hana denken. Und auch nicht daran, daß ihr Kind vielleicht der nächste große Konkurrent im Kampf um den Thron war, für alle die wußten, daß es Gerrats Kind war und nicht seines… Dannen ertappte sich bei dem Wunsch, die beiden sollten im Kindbett sterben. Und haßte sich schon im nächsten Moment dafür.
»Halt den Mund, oder ich verheirate dich mit einer Milchkuh!« knurrte Dannen zurück. Und verdrehte insgeheim die Augen bei dem Gedanken, daß das jetzt wirklich auf ihn zu kam, und daß Mendrion für seine Treue und Hilfe auf Garantie nach Leotas Hand verlangen würde, und nun war es wirklich an Dannen, darüber zu entscheiden… Dannen grinste. Leota war der Grund, warum Mendrion auf seiner Seite geblieben war. Er hätte auch für Varyn streiten können - aber wen sollte er dann heiraten, den kleinen Gaven vielleicht?
Aber das beste - man könnte auch sagen: Das einzig gute - an diesem Ritt aller Ritter war, wenn sie auf ein Nachschubgespann trafen. Dannen erinnerte sich noch gut daran, wie sie die Ochsenkarren auf dem Hinweg überholt hatten, wie er sich darüber ärgerte, wie langsam sie waren, und sich fragte, ob die jemals rechtzeitig an der Front ankommen würden. Streitroß gegen Ochsenkarren, das war ein ungleiches Rennen. Irgendwas mußte wohl im Lager angekommen sein, denn da hatten sie keinen Hunger gelitten, aber es waren immer noch genug von diesen Karren unterwegs, und immer noch so langsam, daß Dannen sich fragte, ob das vielleicht noch die Gleichen waren wie auf dem Hinweg.
»He ho, Halt, in Vigilanders Namen!« Es machte Dannen Spaß, das zu rufen. Manchmal sagte er auch 'Im Namen des Königs', das war noch lustiger, aber man mußte es ja nicht gleich übertreiben. »Seid ihr der Nachschub für die Front?«
Für gewöhnlich nickten die Fuhrmänner dann oder stimmten ein vergnügtes 'Jau' an, wenige sagten mehr als das - man wurde nicht Fuhrmann, wenn man von Natur aus geschwätzig war.
»Dann könnt ihr jetzt umkehren«, sagte Dannen, und es war sogar in Ordnung, wenn er dabei grinste. Sieger durften grinsen. »Der Krieg ist vorbei, die Truppen auf dem Rückweg, und eure Ladung wird bald in der Heimat dringender gebraucht.« Zumindest das stimmte. Dannen fragte sich mit leisem Grausen, wie es dort aussehen mußte, ob die Bauern ihre Ernte noch eingefahren bekommen hatten oder ob der Krieg doch zu viele Hände dort abgezogen hatte, wo sie gebraucht wurden.
Die Fuhrmänner fanden das wenig erfreulich. »Wie, umkehren? Jetzt? Einfach so?« Je weiter sie nach Loringaril vorgedrungen waren, desto mürrischer reagierten sie, und auch an den Stellen, wo ein Ochsengespann schwer zu wenden war. Dannen stieg dann gerne ab und half mit, wenn es doch nur war, um Varyn und seinen Männer langsam auszuhungern. Nicht, daß das Varyn viel ausgemacht hätte, der war kein großer Esser, aber vielleicht merkten sie es ja doch. Es war ein kleiner Aufwand, der sich allemal lohnte.
»Freut euch doch!« befahl Dannen den Fuhrmännern. »Wir haben gesiegt, und ihr zieht einen Flunsch!« Vielleicht hatten die Männer Angst, daß sie jetzt niemand für ihre Arbeit oder ihre Ladung bezahlen würde, und damit mochten sie Recht haben, zumindest von Dannen konnten sie nichts erwarten - und noch eine Sache, vor der Dannen grauste: Die Finanzen des Landes verwalten zu müssen. Er rechnete mit leeren Geldbeuteln und üblen Schulden, und wenn er rausfand, wie er das auf Varyn abwälzen, aber selbst den Thron behalten konnte, würde er das sofort nutzen…
Aber nicht alle Fuhrmänner machten sofort kehrt. Da gab es noch die Skeptischen: »Ach ja? Und wer sagt das? Das ist doch ein Trick!«
Und sie ahnten nicht, wie nah sie der Wahrheit gekommen waren, wenn sich Dannen vor ihnen aufbaute und dröhnte: »Hund, erkennst du deinen eigenen König nicht? Ich bin Dannen von Vigilanders Blute, mit mir reitet mein Bruder Fürst Jaro, und wenn du uns nicht glaubst, wem dann?«
Manche schafften es dann noch bis zu einem eingeschüchterten: »Aber der König…«
»Ich habe gesagt, wir haben gesiegt!« bellte Dannen zurück. »Ich habe nicht gesagt, daß es ohne Verluste gegangen ist! Unser Vater hat sich für Doubladir geopfert, und du Hund hast nichts besseres zu tun, als uns die Straße zu versperren?« Ja, das machte Spaß. Sehen, wie sie zusammenzuckten. Wie sie hinter vorgehaltener Hand fluchten und taten, als müßten sie nur husten - Dannen hätte nie gedacht, daß es ein solcher Spaß war, König zu sein. Keiner hatte sich ihm zu widersetzen. Jeder zollte ihm Respekt. Früher hielt Dannen nicht viel davon, immer den Fürsten raushängen zu lassen, es machte ihm noch nicht mal Spaß, seine Diener durch die Gegend zu scheuchen, aber jetzt hatte ihn die herrschaftliche Stimmung gepackt - wer konnte sagen, wie lange das anhalten würde? Vielleicht war er gerade lang genug König, um halbwegs in Doubladir anzukommen. Jeden Tag konnte es vorbei sein. Und dann konnte Dannen zumindest Spaß dran haben, solange es ging.
Eigentlich war es an der Zeit, daß er seinen Namen änderte. König Dannen, das ging nicht. Wenn er König wurde - falls, hieß das - mußte er es seinem Vater nachtun, den alten Namen ablegen und nur noch Vigilander sein. Praktische Sache, das. Kein König von Doubladir konnte sagen, welcher seiner Söhne lang genug leben würde, um nach ihm den Thron zu besteigen, der Verschleiß war zu hoch bei den ganzen Kriegen. Er konnte also nicht den Erstgeborenen nach dem Elomaran nennen und den Zweitgeborenen sonst wie - von der Unsitte in anderen Ländern, die Kinder nach anderen Engeln zu benennen, wenn der eigene schon belegt war. Wirklich, wieso sollte ein Alexander über Koristan herrschen? Da machten sie es in Loringaril besser, nannten alle Söhne Lorimander und die Töchter am Ende auch noch, aber das wäre dann doch zu verwirrend gewesen. Dann wurde lieber Dannen zu Vigilander.
Er versuchte bei sich, dem Namen etwas abzugewinnen, aber noch schmeckte es ihm nicht. Vigilander von Vigilanders Blute, das war nicht er. Das war sein Vater, sein verdammter Vater, möge der Abgrund ihn verschlingen! Dannen fragte sich, ob Leota mit ihren Beisetzungsvorbereitungen Erfolg hatte oder ob der alte Mann am Ende immer noch halb unter seinem Pferd auf dem Schlachtfeld lag. Das mußte ein Fest sein für die Totenmägde!
Dannen schüttelte sich. In Wirklichkeit gefiel ihm das alles nicht und der Mann, zu dem er sich entwickelte, am allerwenigsten. Er hatte zu wenig Pläne für seine Zukunft gemacht - wer keine besseren Wünsche hatte als den, nicht mehr dick zu sein, der mußte nehmen, was er kriegte. Nicht dick, aber dafür ein Arschloch, hatte er sich etwas in der Art gedacht? In einem Anflug von Vertraulichkeit sagte er zu Jaro: »Ich habe eine Bitte an dich, egal ob ich König werde oder nicht, welchen Namen ich nach außen auch tragen mag, nenn mich weiterhin Dannen, in Ordnung?«
Und Jaro blickte ihn nur stumm an und bearbeitete irgendwie seine Lippen mit den Zähnen, als läge ihm etwas auf der Zunge und er traute sich nicht zu antworten, was schlimmer war als jeder Widerspruch, denn so mußte sich Dannen seinen Teil denken, und natürlich dachte er sich das Schlimmste. Es würde nicht nötig sein zu versuchen, der alte Dannen zu bleiben. Das mußte oder so oder so, das Schwert war fort und der Thron mit ihm. Vielleicht war Jaro aber bloß ärgerlich, weil Dannen den ganzen Spaß hatte und die Fuhrleute herumscheuchen durfte, obwohl das doch seine Idee war - aber wie stellte er sich das vor, sollte er die Männer schüchtern um Erlaubnis bitten, sie nach Hause schicken zu dürfen?
Nein, da war es besser, wenn Jaro den Mund hielt. Und grimmig gucken ging auch geradeaus und nicht zu Boden… Es half nichts, sich vorzunehmen, einen Mann aus Jaro zu machen, bis sie zuhause ankamen. Daran hatte sich schon Gerrat die Zähne ausgebissen, sie hatten es mit Frauen versucht, mit Prügel, mit Alkohol, es kam immer das selbe raus: Hätte Jaro nicht ausgesehen wie eine etwas verjüngte Ausgabe von Dannen oder Gerrat, oder, wenn es sein mußte, von Rul, niemand hätte geglaubt, daß sie alle den gleichen Vater hatten, mehr noch, den gleichen Engel. Es wäre eine schöne Rache von ihrer Mutter gewesen, dem König aufs letzte Knäppchen noch ein Kuckucksei unterzuschieben, aber daran gab es wohl doch keinen Zweifel. Vielleicht war Jaro einfach das Mädchen geworden, das an Leota verloren gegangen war. Oder er brauchte einfach länger als alle anderen, um heranzureifen.
Aber sie schickten nicht nur Fuhrwerke heim. Das machten sie auch mit den Patrouillen, denen sie unterwegs begegneten, und den Posten, die über die Weggabelungen und Kreuzungen wachten - falls sie irgendein Gespann übersehen hatten, der Fuhrmann würde den Weg ins Heerlager nicht mehr ohne weiteres finden. Waffen und Getreide für Doubladir, das Volk würde sich bedanken, vor allem über die Nahrungsmittel - sollte Varyn nur gen Lomar marschieren, Dannen wußte, was seine Leute daheim brauchten. Es sollte ein harter Winter werden, je härter, desto größer Dannens Chancen, am Ende als Sieger hervorzugehen.
Der Winter kam näher, je weiter sie nach Osten drangen, und hinter dem Aleruan waren dann endgültig die Tage des Herbstes gezählt. Dannen verfluchte seine Rüstung, die noch für das wärmere Wetter in Loringaril ausgelegt war und nicht für die schneidend kalten Winde in Doubladir. Er mußte sie tragen, damit man sah, wer er war - Dannen, in Fell gehüllt, konnte ebenso gut ein Holzfäller sein wie ein König, und jetzt war es wichtiger denn je, den Schein zu wahren. Und während seine Finger in den zu dünnen Lederhandschuhen taub wurden und sich um die Zügel krampften, als wollten sie die nie wieder loslassen, reifte in Dannen ein Plan heran, schändlich und frevelhaft, aber doch endlich einmal sein eigener.
»Ich werde König von Doubladir«, sagte Dannen. »Wir haben gesagt, uns ist jedes Mittel recht, dann ist es das auch.« Lügen und Betrügen hatte Tradition in seiner Familie. Fast war Dannen in Versuchung geführt, seinem Bruder zu erzählen, was ihr Vater mit dem Schwert gemacht hatte und wie er es dazu brachte, ihm genau dann die Heilige Rache zu befehlen, wenn er es gerade wollte. Aber das verkniff er sich. Jaro mußte nicht alles wissen, und je weniger Menschen davon wußten, desto größer war ihre Chance, damit durchzukommen. »Du hast geschworen, daß du auf meiner Seite stehst, also was immer ich auch tun werde, du fällst mir nicht in den Rücken, oder du bist die längste Zeit mein Bruder gewesen.«
Jaro zwinkerte. »Du hast einen Plan?« fragte er.
Dannen nickte und bemühte sich, nicht allzu selbstgefällig dreinzublicken, denn schließlich war jeder andere schon lange vor ihm mit dem Pläneschmieden fertig geworden. Und Jaro war auch längst nicht so voller Bewunderung, wie man es von einem kleinen Bruder verlangen konnte. »Erzähl ihn mir, bevor du ihn durchführst«, sagte er nur. Und sein Blick, seltsam kühn für ihn, meinte, daß man nur so noch das Schlimmste verhindern konnte.
Aber Dannen lachte nur. »Du wirst schon sehen, Jaro«, sagte er. »Ihr werdet es alle noch sehen.«

Bis sie endlich Car Diuree erreicht hatten, war Dannens Plan so weit ausgereift, daß er selbst schon nicht mehr dran glaubte, daß er funktionieren sollte. Dannen ging nicht gerne Risiken ein; alles auf eine Waagschale zu legen, war ihm fast schon ein Stück zu gefährlich, aber was sollte er machen? Wagen mußte er, sonst war der Thron verloren, und wenn er jetzt log, stand er doch gut in der Tradition seines Vaters.
Die Idee war einfach: Es gab einen Unterschied zwischen Loringaril, Koristan und Doubladir. Und der lag nicht darin, daß sie in Doubladir wußten, wer das Schwert hatte - es war viel einfacher. In Koristan gab es genau eine Krone. In Loringaril gab es genau ein Heiliges Horn. Aber Schwerter in Doubladir - da gab es tausende. Und eines davon nannte Dannen sein eigen… Er hatte das Schwert seines Vaters oft genug gesehen, fast aus der Nähe, aber in Wirklichkeit ließ der König niemanden nah genug an das Schwert, daß er gesehen hätte, daß die Klinge mit Ruß geschwärzt war. Jeder wußte, es war das Heilige Schwert, weil der König es in der Hand hielt, das reichte, niemand stellte Fragen. Und genau darauf konnte Dannen jetzt setzen.
Die Burg wirkte verlassen, als sie in den Hof geritten kamen. Es mochte daran liegen, daß es spät am Abend war, die Nacht war ebenso kalt wie dunkel, und vom Himmel kam ein Geniesel, das noch Regen oder schon Schnee sein mochte, egal, es war unangenehm, wenn es von vorn direkt ins Gesicht schlug. Das letzte Stück den Berg hinauf war das Schwerste, die Pferde schienen kaum noch voranzukommen auf dem glattgefrorenen Boden, die Hufe rutschten ihnen nach hinten weg, die Burg kam einfach nicht näher, ihr schwarzes Tor fremd und fern. Normalerweise hätten sie jetzt schon zwei Wachposten passiert, aber auch die Burgwachen waren reduziert worden, als sie alle in den Krieg ritten; es war wichtiger, den König da zu beschützen, wo er war, statt nur auf eine leere Burg aufzupassen. Aber irgendwo hätte schon ein Licht brennen müssen, irgendwo mußte doch jemand an einem Fenster sitzen und sehnsüchtig auf sie warten… Dannen blickte sich zu Jaro um, der wieder ein Stück hinter ihm lag; er hatte jetzt zwar schon das dritte Pferd, sie hatten unterwegs getauscht in ein Tier, das ihnen besser erschien, aber auch nicht dafür geeignet war, über lange Strecken zu galoppieren und danach immer noch Puste zum Weitertraben zu haben.
»Sieht aus, als wäre niemand zu Hause.«
Jaro schüttelte den Kopf. »Mutter ist da, ich weiß es, sie hat mir versprochen, daß sie bleibt, bis wir wieder da sind.« Das sah ihm ähnlich, dem Muttersöhnchen! Auf seine Mutter war Dannen gar nicht so wild. Aber er hoffte doch, zumindest ein kleines Bißchen, daß Hana vielleicht doch auf ihn wartete, daß sie, während er im Krieg war, zumindest einmal um ihm bangte, daß er ihr fehlte, daß sie endlich begriff, daß sie ihn doch liebte… Dannen liebte sie noch immer. Es war schwierig, aber er liebte sie.
Sie mußten warten, bis die Zugbrücke für sie herunter gelassen wurde. Wenigstens der Brückenwart war noch da, wo er hingehörte, und es war eine gute Gelegenheit, vorsichtig auszutesten, wievielt man in Car Diuree schon wußte und wieviel noch nicht.
»Seid Ihr das, Fürst Dannen?« fragte der Alte. »Und Fürst Jaro?« Dannen sah ihn in die Nacht spähen. Der Mann rechnete mit mehr als nur ihnen beiden, aber natürlich, auch wenn er wußte, daß der König tot war, hätten sie ja immer noch Leota dabeihaben können und vielleicht sogar den Bastard.
Dannen nickte. »Wir sind es. Wißt Ihr, ob unsere Taube angekommen ist?«
Der Mann legte den Kopf schief. »Da ist mehr als eine gekommen, wenn ich das richtig weiß. Aber natürlich, keine davon für mich. Wir hätten Euch erst in einer Woche oder so erwartet, aber wo Ihr schon mal da seid…«
Wenigstens ließ er sie ein und fragte nicht 'Was habt Ihr noch hier zu suchen', und er sagte auch nichts davon, daß man Dannens Mutter und Hana aus dem Haus geworfen hatte, um schon mal Platz für Varyn zu machen. Es sah so aus, als hätte sich der quälende Ritt gelohnt. Sie waren die ersten. Und jetzt, wo sie einmal da waren, bekam sie auch niemand mehr hier raus.
Dannen fand ein paar Stallburschen, die im Licht einer Öllampe würfelten und sich die Nacht um die Ohren schlugen, als hätten sie noch mit Besuch gerechnet oder mit der Rückkehr der Hausherren. Keiner der drei war noch nüchtern, aber es reichte aus, um ihnen die Pferde anzuvertrauen und zu hoffen, daß die nun endlich einmal zur Ruhe kommen konnten, und genau das erhoffte Dannen auch für sich. Er hatte sich sein Bett verdient, und ein heißes Bad, und endlich wieder etwas richtiges zu essen und zu trinken, aber in dem Moment war er fast zu müde für alles andere. Mit Jaro einen trinken gehen, sich bei seiner Mutter melden, das konnte alles warten bis zum nächsten Tag. Alles was Dannen noch wollte, war, in sein Bett zu steigen. Raus aus den nassen Kleidern, rein ins Warme…
Und dann, als er in seine Kammer trat, erkannte Dannen seinen Irrtum. Niemand hier hatte ihn erwartet, am allerwenigsten sein Bett. Es war nicht nur leer. Es war vor allem kalt. Das ganze Zimmer war kalt und klamm, und im Bettzeug hatte sich die Feuchtigkeit von Wochen festgesetzt, es roch muffig und modrig, und da jetzt hineinzusteigen, war unangenehmer als die Nächte, die sie unterwegs in ihre Decken gehüllt unter kahlen Bäumen verbracht hatten. Dannen warf seinen nassen Umhang über den Schemel und fluchte. Dann setzte er sich auf die Bettkante, kämpfte sich aus dem ersten Stiefel, dann aus dem zweiten, und hörte nicht auf zu fluchen. Deutlicher konnte ihm sein Zimmer nicht sagen, daß es ihn nicht haben wollte. Aber es war ja nicht das letzte Bett im Haus.
Kurz überlegte Dannen, sich kackendreist in das Bett seines Vaters zu legen, strenggenommen war es ja jetzt seines, und der alte Mann lag hatte sicher besser als Dannen gelegen, er hatte einen Betthimmel und Vorhänge, aber sicher war sein Gemach genauso kalt und leer wie Dannens, und dann war nicht viel gewonnen. Aber Dannen hatte eine Frau. Eine Frau, die in der Lage war, ein Bett zu wärmen. Und es war an der Zeit, das endlich einmal auszunutzen.
Dannens Knie zitterten, als er die Treppen hinunterstieg, und er fragte sich, warum. Es mußte am langen Reiten liegen, nicht an ihm, nicht an Hana. Was hatte er zu befürchten? Hana war seine Frau, sie hatte zu gehorchen - ja, er hatte sie immerzu mit Samthandschuhen angefaßt, aber warum? Konnte sie ihn noch abweisen? Konnte sie ihm weglaufen? Nichts davon. Und wenn sie ihn so oder so nicht liebte, was gebärdete er sich dann als schwacher Trottel, sobald sie in seiner Nähe war? Sie sollte sich freuen, daß er wieder da war, er kam nüchtern, wollte nicht mit ihr schlafen, sondern nur neben ihr, das sollte doch so schwer nicht sein - und doch, Dannens Knie zitterten.
Das Kind war noch nicht auf der Welt. Dannen war sich dessen sicher, der Brückenwächter hätte es ihm sonst sicher gesagt, oder etwa nicht? Nein, kein Kind. Dannen hatte noch nie mit einer schwangeren Frau geschlafen… Was dachte er da schon wieder, das stand auch jetzt nicht zur Wahl, und wenn es Hana nicht paßte, konnte sie ja gehen und sich ein anderes Schlafzimmer suchen, solange nur ihr trockenes, vorgewärmtes Bett für Dannen blieb - und dann war er vor ihrer Tür, und es gab kein zurück mehr. Wie ein anständiger Ehemann trat Dannen ein, ohne auch nur zu klopfen.
Einen Moment lang hoffte Dannen fast, Hana mit einem anderen Mann im Bett ertappt zu haben, dann hätte er sie mit Fug und Recht aus dem Haus jagen können, alle beide, und hätte die Ehe und den Ärger hinter sich gehabt. Wie Hana da im Bett lag, ein riesiger Haufen unter der Decke, hätte sie wirklich zwei Personen sein können, aber der einzige Fremde, mit dem sie ihr Bett teilte, war ihr grotesk angeschwollener Leib. Es konnte nicht mehr viel fehlen bis zur Geburt… Und beim besten Willen konnte Dannen sich nicht vorstellen, wie er in das Bett noch mit hineinpassen sollte. Er wollte sich schon still und heimlich wieder zurückziehen, hoffen, daß Hana von dem nächtlichen Besuch nichts gemerkt hatte - aber genau da wurde sie dann auch schon wach.
Erst einmal regte sie sich nicht, daran merkte er es - sie lag plötzlich stiller, als sie es im Schlaf gekonnt hätte, und der ruhige Atem, der eben noch die Decke leicht gehoben und gesenkt hatte, war nun angehalten vor jähem Schreck. Kein Wunder, sie rechnete nicht mit ihm, und wäre er selbst eine Frau gewesen und mitten in der Nacht jemand ins Zimmer gekommen… Sie sollte sich keine Sorgen machen.
»Schscht«, sagte er leise und so ruhig er konnte. »Keine Angst, Hana. Ich bin es, Dannen.« Aber es wunderte ihn nicht, daß sie das nicht als sehr beruhigend auffaßte. Statt dessen schoß sie jetzt jäh im Bett hoch, daß das Licht von Dannens mitgebrachter Lampe davon flackerte. Einen Moment lang starrte sie ihn an, weit offen die Augen, die Haare wirr, und er konnte nur daran denken, daß sie schon lang nicht mehr so schön ausgesehen hatte, auch wenn sie es nicht für ihn war.
»Dannen«, sagte sie dann, und ihre Stimme zitterte. »Was - was hast du hier zu suchen?«
Dannen machte eine abwehrende Geste. »Was soll ich schon suchen? Meine Frau hat ein Anrecht, zu wissen, daß ich wieder da bin.« Seine Stimme klang bitterer, als ihm lieb war. Hana hatte zu viel Macht über ihn, und er war sich sicher, daß sie das wußte. Ihre Gefühle waren kalt und kontrolliert, ihr konnte nichts passieren, aber solange Dannen überhaupt noch irgend etwas für sie fühlte, und wenn es Haß sein sollte, war er Wachs in ihrer Hand. Er machte noch einen Schritt auf ihr Bett zu, blieb dann aber doch auf soviel Abstand, daß sie sich nicht bedroht fühlen mußte. »Es sind Dinge geschehen«, sagte er ernst.
Einen Moment lang verstand Hanas Gesicht ihn, war sie ohne Groll, als sie nickte und sagte: »Ich weiß, der König ist gestorben - aber es ist Nacht, und du hattest schon geschrieben, es muß Zeit haben bis morgen, und jetzt«, da wurde ihre Stimme wieder hart, »verlaß bitte mein Schlafzimmer.«
Dannens Körper spannte sich an. So mußte er nicht mit sich reden lassen, nicht von seiner eigenen Frau. Er tat schon das mindeste, was er konnte… »Du redest nicht mit mir wie mit einem Hund!« sagte er scharf. »Ich habe dich anständig behandelt, von Anfang an - wenn du etwas anderes willst, bitte.« Die Lampe in seiner Hand störte ihn, und er stellte sie auf dem Waschtisch ab. »Aber wenn du glaubst, du kannst mich behandeln wie ein Stück Dreck -«
»Du hättest mich nicht heiraten müssen!« fauchte Hana. »Ihr hättet mich einfach gehen lassen können! Aber ihr habt es nicht anders gewollt - jetzt ist dein Vater tot, und weißt du, wie froh ich bin deswegen? Er ist tot, und ich freue mich deswegen! Und ich habe mir gewünscht, daß du -« Weiter kam sie nicht. Es war nur eine Ohrfeige, die Dannen ihr verpaßte, aber es war soviel Zorn in diesem Schlag, soviel Haß, daß sie die Worte gar nicht aussprechen mußte. Sie wünschte sich, er wäre auch gestorben. Mehr noch, sie war bereit, ihm das ins Gesicht zu sagen… Dannen hatte noch nie eine Frau geschlagen, und er hatte sich nicht vorstellen können, daß er das jemals tun würde. Eine Frau, noch dazu seine eigene, noch dazu schwanger… Wie weit hatte sie ihn getrieben? Der Schlag ließ sie verstummen, aber der Ausdruck in ihrem Gesicht blieb, zeigte Abscheu, wenn nicht sogar Ekel. Dannen machte einen Schritt zurück. Er war völlig leer. Jetzt hätte er sich schämen müssen, bestürzt sein, erschrocken vor sich selbst. Aber er fühlte gar nichts. Er war nur froh, daß er sie zum Schweigen gebracht hatte. Und wenn es kein anderes Mittel dazu gab, als sie zu schlagen - nein, daran wollte er nicht denken, aber er tat es trotzdem.
»Ich wußte, daß du mich schlagen würdest«, flüsterte Hana. »Ich wußte nur nicht, daß du es so früh tun würdest.«
Dann fühlte er, wie sich sein Gesicht zu einem Grinsen verzog. »Ich komme aus dem Krieg«, sagte er leise. »Ich habe nicht nur Männer sterben sehen, gute Männer, ich habe auch selbst getötet. Erwarte kein Mitleid von mir, oder Nachsicht. Ich weiß mehr über den Krieg als du. Und wenn du welchen möchtest…« Langsam kehrte die Besinnung zu ihm zurück und das Gewissen, aber dafür war es jetzt zu spät. Auch ein Anflug von Gewissen machte einen Mann, der Frauen schlug, nicht mehr zu einem Mann, der keine Frauen schlug. Er hatte doch nur mit ihr reden wollen. Ihr erzählen, was geschehen war, auch wenn es bedeutete, daß sie seine Lügen auffliegen ließ. Er war bereit, das zu riskieren, um im Reinen zu sein mit der Frau, die er liebte. Wenige Augenblicke hatten gereicht, um das alles zunichte zu machen, und egal wie er es wendete, egal wie sehr er bedauern mochte, es änderte nichts daran, Hana war selber schuld. Was sie da gerade gesagt hatte - es zu denken, wäre schon schlimm genug gewesen, aber es dann auch auszusprechen… Er hatte keine Wahl, als sie zu schlagen. Und er würde sie wieder schlagen, wenn es nötig war. Wenn es sein mußte, so lange, bis sie wußte, wo sie hingehörte. An seine Seite gehörte sie, in seinen Arm, an sein Herz… Nichts mehr davon. Der Krieg zwischen Loringaril und Doubladir endete mit Lügen, aber der zwischen Hana und Dannen begann mit Wahrheit. Sie wünschten einander beide den Tod. Und sie wußten es.
Was mit der Suche nach ein bißchen Wärme angefangen hatte, endete mit Dannen, der alleine und ohne Licht durch die Flure der Burg stapfte, mit der grimmigen Sicherheit eines Mannes, der keine Augen mehr brauchte, weil er plötzlich alles ganz klar sah. Die Dunkelheit war für ihn, die Kälte, die Nacht. Vor einem Jahr war noch alles anders, die Welt war anders und er selbst. In dem Jahr hatte sich viel verändert, am allermeisten aber er selbst. Nicht mit Absicht, und nicht von sich selbst aus, aber er hatte keine Wahl mehr. Wenn Hana, wenn die Welt ihn als Scheusal wollte, dann würde er jetzt ein Scheusal für sie sein. Wenn die Welt wollte, daß Varyn der Gute war und Dannen der Feind, dann würde er sein Bestes tun, um ihr den Feind zu geben. Schon weil immer das Gegenteil von dem passierte, was Dannen wollte. Und nur wenn er sich wirklich anstrengte, garstig zu sein, hatte er vielleicht eine Chance, am Ende doch noch als der Mann herauszukommen, der er in Wirklichkeit gerne sein wollte…
Dannen lag in seinem Bett; die feuchte Kälte kroch ihm langsam in die Knochen, und er wußte, es war vergebens. Er hatte einen Weg eingeschlagen, und nun mußte er ihn bis zum Ende gehen. Es gab kein Ereignis, keine Entscheidung, an der er es festmachen konnte, er wußte nur, es war zu spät zum Umkehren. Es war sein Schicksal. Und sein Schicksal hatte Dannen schon immer gehaßt.