Ich schreibe ungern Geschichten, in denen nur Männer vorkommen, und ich mag
keine Klischeeweibchen. Als ich mit der Arbeit an den Chroniken der Elomaran begann, wußte
ich, daß ich eine weibliche Hauptfigur brauchte - eine Frau mit Format, mit
einem ungewöhnlichen Hintergrund und einem ungewöhnlichen Charakter. Dabei
fiel mein Augenmerk auf die Totenmagd, die ich gerade im Prolog plaziert hatte,
mehr ein Möbelstück und Lokalkolorit als eine richtige Figur. Aber
ausbaufähig. Und Totenmagd - das war doch mal ein Konzept! Ich erklärte diese
Frau also zur Heldin. Ich nannte sie Lyda, nach einer niederländischen
Bärenmacherin. Und ich hatte Großes mit ihr vor. Ich machte dabei nur einen
Fehler: Ich fragte Lyda nicht, ob sie eine Hauptfigur werden wollte.
Das Projekt Lyda entwickelte sich zu einem Fiasko. Ich mußte Gewalt anwenden,
um Lyda dazu zu bringen, Anders und Halan zu begleiten, und nachdem sie einmal
in ihrem Gefolge ritt, wurde es nur noch schlimmer. Lyda boykottierte mich. Sie
sprach kein Wort, obwohl ich es ihr erlaubte. Um das ganze noch schlimmer zu
machen, fühlten sich die beiden Korisanderskinder in Anwesenheit der Totenmagd
so unwohl, daß sie sich beide ebenfalls vor mir zurückzogen. Die ganze
Handlung geriet ins Stocken. Wenn ich abends meinen Freundinnen von den
Fortschritten des Tages berichtete - die immer weniger wurden - nannte ich
Lyda nur noch »Diese sperrige Frau«. Und das war kein Kompliment.
Ich gebe als Autorin nur ungern eine Niederlage zu, und wenn ich auch
Geschichten überarbeite, umformuliere und kürze, kommt es doch eigentlich nie
vor, daß ich einen Inhalt ändere. Ich weiche oft von meinen Konzepten ab und
schreibe die Dinge ganz anders, als geplant: So sollte in »Eine Flöte aus
Eis« ursprünglich eine alte Frau namens Oana zur Gruppe stoßen und sie bis
zum Ende begleiten, doch als diese Frau dann auftrat, war sie eine verbitterte
Alte, wurde zu Boden geschubst und verwand klagend im Nebel, um nie wieder
aufzutreten. Sowas ist möglich. Aber eine einmal geschriebene Handlung ist ein Diktum.
Sie bleibt, wie sie ist. Als brächte es Unglück, eine Geschichte
umzuschreiben.
Und nun hatte ich Lyda, die an Anders klebte wie eine schweigsame Klette. Sie
durchlebte die Begegnung mit Janek, sie überquerte die Grenze nach Loringaril,
und sie wurde immer überflüssiger. Schließlich traf ich einen folgenschweren
Entschluß: Ich baute Lyda aus der Gruppe aus. Von einer Zeile auf die andere
war sie nicht mehr dabei. Fertig. Und ich beschloß, beim Abtippen des
handschriftlichen Textes eine kleine Szene einzubauen, in der Alexander Lyda
davonschickt. So geschah es dann auch.
Seither verbringt Lyda ihre Zeit als Nebenfigur. Sie klagt nicht über das Ende
ihrer Karriere, auch wenn ich es selbst bedaure. Eigentlich ist sie ein toller
Charakter. Viele Geheimnisse ranken sich um die Totenmägde, die ich an dieser
Stelle nicht auswalzen möchte - gerade deswegen sind sie aber nur als
Nebenfiguren geeignet, denn zur Hauptfigur wissen sie zuviel. Sie werden noch
wichtig - Lyda wird noch wichtig. In einem späteren Band.
Aber bevor es soweit ist, werde ich sie in meine Pläne einweihen. Ganz, ganz
vorsichtig. Und dann - werden wir sehen…
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