Maja Ilisch, 1984

Maja Ilisch, 1984
Zirkus in der Stadt

»Und nun Manege frei für die beiden Clowne Bippo und Beppo« ruft der Zirkusdirektor. Und da kommen sie. Bippo der dumme August und Beppo der weiße Clown.
»Wollen wir boksen?« fragt Bippo.
»Ja gerne« sagt Beppo.
Bippo fängt an und bokst nach Beppo. Er trift ins lere. Nun ist Beppo an der Reihe. Und Bum liegt Bippo auf der Nase.
»Das ist gemein« schimpft Bippo.
»Mach dir nichz draus« sagt Beppo. »Ich mach jetzt Musik.«
»Ich auch« sagt Bippo.
»Nein«
»Doch«
»Nein«
»Doch«
Kurzentschlossen nimt Bippo sein Sachsopon und spielt: Alle meine Entchen.
»Da hört sich ja schrecklich an« sagt Beppo, nimmt Bippo das Sachsopon weg und spielt: Hänschen klein.
»Das hört sich auch nicht besser an« sagt Bippo.
»Jetzt sind wir quit« sagt Beppo.
»Und nun kommt Igor mit seinem Tanzbären Bruno« ruft der Zirkusdirecktor. Igor spielt Geige und Bruno tanzt dazu.
In der Pause gehen Anna und Jan durch die Tierschau. Vor dem Löwenkäfig bleiben sie besonders lange stehen. Anna sagt: »Ich würde zu gerne mal einen Löwen fangen.«
Nach dem Tanzbär kommen die Seelöwen Jenny und Bill mit dem Robenwärter Kalle. Die beiden Seelöwen machen die tollsten Kunststücke und bekommen dafür von Kalle jeder einen Hering. Dann sollen die Löwen kommen. Sie sind gerade mit großen, roten Fleischstücken gefüttert worden, als eine Frau schreit: »Hilfe! Zu Hilfe! Ein Löwe ist los!«
»Ich hab wohl die Käfigtür beim Füttern nicht richtig geschlossen«, sagt der Domtör. Der Löwe läuft schon brüllent durch das Zirkuszelt und hinaus auf den Marktplatz, wo alle Leute ängstlich davonrennen. Anna und Jan sofort hinterher.
»Wir laufen am besten in unseren Schrebergarten und holen Mein Tandemfahrrad denn der Löwe läuft wieso in die Richtung« schägt Anna vor.
»Eine gute Edee« sagt Jan. Sie laufen also zur Schrebergartensieglung. Da sehen sie, wie der Löwe in eiem Gartenhaus verschwindet.
»Das ist unser Gartenhaus« sagt Anna. »Da haben wir heute Mittag Kotlet gegesen, die Reste liegen alle noch da.«
»Komm wir laufen hin, schieben den Riegel vor die Tür und der Löwe ist gefangen« schlägt Jan vor.
»Das wollt ich dir auch gerade vorschlagen« lacht Anna.
Gesagt - getan. Als sie der Riegel vor die Tür geschoben haben, gehen sie zum Zirkusdirektor.
»Ich danke euch« sagt er.

(aus: Zirkus in der Stadt, 1984)
 

Ins Münsterland umgezogen, beginnt Maja, ihre Geschichten auch aufzuschreiben (mit der üblichen kreativen Orthographie). Ihre Lehrerin ist begeistert von der neuen Schülerin, die Klasse nicht. Zwar ist die Zeit, in der die Schüler bewaffnet zum Unterricht erscheinen, noch lange hin, aber auch 1984 gab es schon Möglichkeiten, eine Mitschülerin zu schickanieren, noch dazu eine, die keine Ahnung hat von Völkerball, ekligen Hautausschlag (Neurodermitis, aber erklär das mal Neunjährigen) und die abgetragenen Kleider ihrer älteren Cousine trägt… Das Brillengestell hat sie übrigens selbst ausgesucht, und obwohl sie keine Ahnung hatte, wie man 'Klischee' buchstabiert, erfüllte sie aber auch wirklich jedes einzige, um ein typisches Kinderbuchkind zu werden - ja, tatsächlich, so etwas gibt es auch wirklich.
»Zirkus in der Stadt« wurde nie fertig gestellt, da Maja bis heute keine Ahnung hat, wie sie den Löwen jemals wieder aus dem Gartenhaus herausholen soll. Wahrscheinlich ist er in der Zwischenzeit verhungert…

Drei Jahre später…