Das Licht stach Nomi in den
Augen, sie begannen zu tränen, bevor er auch nur eine Hand
vors Gesicht reißen konnte. Es tat weh, aber schlimmer war,
daß Nomi nicht verstand. Licht? Warum Licht?
Er schluckte, wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht,
und sah sich um - und sah das Dunkel. Es war hinter ihm. Es
müßte vor ihm sein - nein, auch das nicht: Um ihn. Er
war ins Dunkel eingetreten, und das Gefühl würde er im
Leben nicht vergessen, es war schrecklich, seine Seele wurde von
innen nach außen gekrempelt, aus ihm herausgerissen,
während Shen… Nomi stutzte, faßte sich an die
Stirn, um klarer denken zu können. Shen hatte etwas…
Shen hatte ihn… Nomi wußte es nicht mehr. Er lachte
bitter.
»Ich habe es nicht geschafft, nicht wahr?« fragte er in
das blendende Licht hinein. Wenn Shen jetzt wenigstens auf seiner
Seite war, in jedem Sinn des Wortes!
»Nein«, sagte Shen, und Nomi merkte zu spät,
daß diese Antwort alles bedeuten konnte. Aber wenigstens
ließ der Schmerz in seinen Augen langsam nach, und er
gewöhnte sich an das Licht. Er sah nicht auf das Dunkel hinter
sich, er sah zu Shen hin, der genau so aussah, wie Nomi ihn zuletzt
gesehen hatte - aber die Landschaft, in der er stand…
»Was wird hier gespielt?« fragte Nomi scharf.
»Wo sind wir? Das ist nicht mehr Tolai - warum ist es dann
nicht dunkel?« Shen schüttelte den Kopf. »Du
glaubst, ich schulde dir eine Erklärung?«
»Ja!« schnaubte Nomi. »Ja, das tut Ihr!«
Mit jeder Sekunde bemerkte er mehr Kleinigkeiten, die nicht
paßten. Seine Kleider - das waren nicht seine Kleider, soviel
konnte Nomi sagen, auch wenn man ihn nicht fragen durfte, was er
denn vorher getragen hatte. Kleider eben. Aber nicht diese. Und die
Schuhe waren auch falsch. Es waren richtige Schuhe, wie Nomi sie
seit dem Moment des Aufbruchs vermißt hatte, Schuhe aus Leder
- aber daß sie sich jetzt so plötzlich an seinen
Füßen saßen, entschuldigte gar nichts!
Nur sein Schatten war noch da, wo er hingehörte, und so
böse und dunkel, wie Nomi ihn liebte - er hatte sich auf das
Dunkel gefreut bis zu dem Moment, wo er es betreten mußte,
doch nun hatte es ihn ausgespieen, irgendwo, ohne Erinnerung, und
die guten Schuhe waren dafür ein schlechter Tausch.
»Du hast Recht«, sagte Shen. Was Nomi Sorgen machte:
Der Flötenspieler lächelte dabei nicht. Er war so ernst,
wie man bei drei kurzen Worten sein konnte. »Gehen
wir.«
(aus: Lichtland,
2008)
2008 sollte das Jahr der
großen Perspektiven werden. Die erste kam in Form eines
Friedhofs, der für die Stadt elektronisch erfaßt und
statistisch ausgewertet werden sollte. Dafür gab es zwar so
gut wie kein Geld, aber welche morbide Autorin kann der Versuchung
widerstehen, die Erschließung eines Friedhofs im Lebenslauf
stehen zu haben? Die zweize Perspektive war die Idee, noch einmal
zur Uni zu gehen - die RWTH Aachen bot mit Technischer Redaktion
den Studiengang aller Studiengänge - und dafür endlich
mit dem Freund zusammenzuziehen. Die dritte Perspektive kam, als
sie sich tatsäclhich in Aachen einschreiben konnte - aber
nicht als Studentin, sondern als Bibliothekarin. Der Buchmensch am
Ziel der Wünsche…
Auch mit dem Schreiben ging es wieder bergauf. Die Offenbarung war
schon im November 2006 gekommen in Form des Nanowrimo -
plörtlich schrieb sie jeden Tag sechs bis acht Seiten, hatt
Spaß daran, und das erste Kinderbuch in sechs Wochen
fertiggestellt. Danach war der Kampfgeist geweckt - und davon
profitierten nicht nur verschiedene andere Projekte, sondern auch
Dämmervogel, was nach jahrelanger Arbeit endlich fertig
wurde.
Aber die größte Perspektive meldete sich kurz vor
Weihnachten. Da klopfte nämlich eine Agentur an Majas
virtuelle Tür, und die war erstmals nicht unseriös hinter
ihrem Geld her, sondern sah echtes Potenzial in den Chroniken
der Elomaran. Der Vertrag wurde geschlossen - und das freudige
Warten konnte beginnen. Und so wartet sie noch heute, und wartet,
und schreibt, und schreibt, und schreibt…
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