In der Nacht wachte Halan an Anders’ Seite, um endlich einen
Moment lang mit ihm allein sein zu können. Er wollte bei ihm
sein, wenn er aufwachte. Anders schlief so unruhig, daß Halan
ihn nicht allein lassen durfte - er brauchte jemanden, wenn dieser
Traum vorüber war, und mehrmals hätte Halan ihn beinahe
geweckt - aber es war gut, daß Anders endlich schlief.
Halans Hand ruhte auf Alexanders Arm. Er vermißte den Schlaf
nicht. Anders’ Gesicht glänzte vom Fieber; rote Flecken
brannten auf seinen Wangen, doch nichts konnte ihm seine
Schönheit rauben… Es war leichter, ihn zu lieben, wenn
er schlief.
Einen Moment lang nickte Halan ein, doch er schreckte sofort
wieder hoch, als Janek ohne anzuklopfen in die Kammer polterte.
»Schwerter«, knurrte er. »Ihr habt Schwerter. Wo
sind die?«
»Was ist?« fragte Halan alarmiert. »Müssen
wir kämpfen? Werden wir angegriffen?«
»Red nicht! Wo sind die Schwerter?«
Halan zog Anders die Decke bis zum Kinn hoch, als ob das den
Jungen irgendwie beschützen konnte; dann blickte er Janek
tadelnd an. »Ihr seid betrunken.«
Janek lachte, doch es war zu laut, nicht mehr sein leises,
bitteres Lachen von früher; es paßte nicht zu ihm.
»Euer Freund Damiander ist der beste Reisegefährte,
besser als ihr jedenfalls, wenn’s darauf ankommt.« Er
stützte sich mit einer Hand am Türrahmen ab und kniff die
Augen zusammen, als er sich suchend umsah. Seine Haare hingen ihm
wirr ins Gesicht. »Ich brauch eure Schwerter.«
Halan rutschte vor, bis er noch gerade so eben auf der Bettkante
saß, so verkrampft, daß er beinahe nicht mehr atmen
konnte. In keiner Gesellschaft fühlte er sich unwohler als in
der von Betrunkenen. »Ich wüßte nicht«,
sagte er spitz, »was Ihr mitten in der Nacht mit unseren
Schwertern anfangen solltet.«
»Euch die Köpfe abschlagen, wenn du
weiterfragst.« Janek atmete durch und straffte sich.
»Ich hab da unten jemanden, der kauft sie mir ab. Ich brauche
Geld.«
»Wenn Ihr Eure Zeche nicht bezahlen könnt«,
erwiderte Halan eisig, »solltet Ihr Euer eigenes Schwert
verkaufen oder weniger trinken.«
Janek stürzte auf ihn zu und wäre beinahe hingefallen.
Halan bemerkte, daß er seinen Gehstock nicht dabei hatte.
»Halt den Mund - noch einmal sag ich das nicht! Wer bezahlt
denn dieses Zimmer? Wer hat dem Heiler Geld gegeben? Also gib mir
die Schwerter, oder ich verkaufe eure Pferde. Wo die sind,
weiß ich wenigstens.«
»Bitte, schreit nicht so«, flüsterte Halan.
»Er schläft.«
Wieder lachte Janek schallend und setzte sich neben ihn auf die
Bettkante. Das ganze Zimmer roch nach Wein. »Keine Angst, ich
werde schon auf ihn aufpassen, während du die Schwerter
holst.« Etwas ruhiger fügte er hinzu: »Zur Zeit
zahlen sie hier einen guten Preis für Schwerter. Der
König rüstet zum Krieg. Mit dem Geld für die
Schwerter kommt ihr bis Tayellin und zurück - wenn ihr endlich
lernt, damit umzugehen.«
Halan rührte sich nicht. Er wollte Anders vor Janek
beschützen können - oder erhoffte er sich von Anders
Schutz vor dem Betrunkenen? Vielleicht von beidem etwas…
»Die Schwerter sind im Gepäck«, sagte er vage.
»Ihr könnt sie haben.« In Wirklichkeit war er mehr
als froh, die Waffen endlich los zu sein. Halan konnte lediglich
nicht damit umgehen, aber in Anders’ Händen konnte ein
Schwert allzu schnell den Tod für jemanden bedeuten.
»Ich hätte sie euch früher oder später
sowieso weggenommen«, lachte Jurik. »Das sind Waffen.
Nichts für euch Kinder. Und jetzt hol sie endlich!«
Halan gehorchte nicht. Er hatte sich Janek einmal zu oft
untergeordnet. »Verkauft die Schwerter von mir aus. Vertrinkt
das Geld, wenn Ihr es für nötig haltet. Aber nehmen
müßt Ihr sie schon selbst, die Taschen sind dort in der
Ecke, und wenn Ihr das nicht mehr könnt, tut Ihr mir leid,
aber das habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben. Aber mit Schwertern
oder ohne, Ihr steht sofort auf und verlaßt dieses
Zimmer!«
»Ah!« rief Janek höhnisch. »So singt das
Vögelchen nun also! Hast Angst, ich tu deinem Kleinen was,
wenn du aufstehst!«
Halans Blut gefror. »Hinaus!« sagte er.
»Sofort!«
Janek lachte, und mit Seelenruhe beugte er sich über Anders,
packte ihn bei den Schultern und begann ihn zu schütteln.
»Aber der wacht so schnell nicht auf«, sagte er.
»Hat den ganzen Nachmittag geschlafen, hat den Heiler
verschlafen, würde mich nicht wundern, wenn er überhaupt
nicht mehr -«
»Laßt ihn los!« zischte Halan. »Und
verschwindet!« Er hätte Janek am liebsten von Anders
weggezerrt, doch er wußte, daß er das nicht konnte.
Aber er stand auf, ging zu dem Bündel, in dem die Schwerter
verschnürt waren, und löste es. Das eine Schwert trat er
quer über den Boden, daß es zu Janeks Füßen
zu liegen kam. Das andere nahm er auf. »Ich habe noch nie ein
Schwert geführt«, flüsterte er, »aber ich
habe gelesen, was man damit macht. Und indem ich lese, lerne
ich.« Er erhob das Schwert gegen Janek.
»Hinaus!«
Vielleicht hätte er das Schwert tatsächlich benutzt.
Vielleicht hätte er Janek durchbohrt, wütend genug war er
dafür allemal - wenn nicht in diesem Moment Anders aufgewacht
wäre.
»Halan«, murmelte er. »Hilf mir.« Seine
Stimme war nur ein heiseres Krächzen. Halan ließ das
Schwert sinken, doch er konnte nicht Janek zuvorkommen.
»Oh, er wird dir schon helfen.« Die Worte kamen leise
und freundlich, wenn auch undeutlich. »Wir werden dir alle
helfen, und glaub mir, du wirst auch schnell lernen, damit zu
leben, auch wenn es dir am Anfang sicher nicht leicht fallen
wird.«
Anders blickte ihn aus großen dunklen Augen reglos an. Seine
Lippen waren zusammengekniffen, als wolle er Worte
zurückhalten, die nur Halan galten.
»Laßt ihn in Frieden«, sagte Halan und warf das
Schwert zu dem anderen.
»Ich tu ihm schon nichts«, murrte Janek. »Will
ihn nur schonend darauf vorbereiten…« Er schob die
Decke zurück, so daß Anders seine Arme sehen konnte, die
beide bis zum Ellbogen verbunden waren. Der Heiler hatte zwar
geschimpft und geflucht, aber nicht an den Binden gespart. Halan
hoffte, daß auch darunter alles in Ordnung war, aber
zumindest sahen die Hände jetzt nicht mehr so schlimm aus.
»Du hast ‘ne Blutvergiftung bekommen«,
erklärte Janek schonungslos und fuhr fort, bevor Halan
wußte, worauf er aus war: »Wir waren gezwungen, dir die
linke Hand abzuschlagen. Du wärst uns sonst
weggestorben.«
Halan konnte ihn nur fassungslos anstarren, doch Anders
lächelte.
»Ich weiß, daß du lügst«, sagte er
leise. »Ich kann es doch fühlen.«
»Juckt es? Tut es weh? Alle Männer, die im Kampf ein
Bein oder einen Arm verloren haben, können es noch lange
danach spüren. Manche verlieren dabei den Verstand.«
Janek lachte leise.
Anders schüttelte den Kopf. »Du versuchst, mich auf
billige Weise zu verhöhnen. Du hast getrunken, sonst
kämst du nicht auf die Idee. Aber wenn es wahr wäre,
hättest du nicht ein solches Vergnügen daran. Dafür
kenne ich dich zu gut.« Anders’ Stimme blieb schwach
und kraftlos, doch das Funkeln in seinen Augen schien erstmals an
diesem Tag nicht vom Fieber zu kommen. »Es tut mir leid, aber
du bist hier bis auf weiteres der einzige Krüppel.« Die
nächsten Worte murmelte er auf Elomond, und sie jagten Halan
einen Schauer über den Rücken. »Wenn ich sie mir
nicht selbst abschlage.«
Janek zuckte zurück, als habe Anders ihm ins Gesicht
geschlagen, und stand auf. »Das wird dir noch leid
tun«, zischte er, als er sich bückte und die Schwerter
aufhob. »Das wird euch beiden noch leid tun.« Er
humpelte zur Tür.
Anders blickte ihm beunruhigt nach. »Halan - was will Janek
mit unseren Schwertern?«
»Er wird sie vertrinken«, erwiderte Halan erstaunlich
gleichmütig - eben war er noch mit einem Schwert auf den Mann
losgegangen… »Wir brauchen sie nicht. Nicht wirklich.
Mach dir keine Sorgen. Schlaf weiter. Morgen wird er sich
entschuldigen.«
Anders schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht mehr
schlafen. Er haßt mich.«
»Nein, das mußt du verstehen!« Halan fragte
sich, ob Anders vielleicht im Schlaf doch etwas gehört hatte
von dem abendlichen Gespräch mit Janek. »Er ist
wütend und hat zuviel getrunken. Aber er haßt dich
nicht.« Es war Halan, den Janek haßte…
»Ich meine ihn doch überhaupt nicht! Es ist mir
völlig egal, was Janek denkt. Er kann mir nichts tun. Aber
Eomander…«
»Wer ist Eomander?« fragte Halan. Dann mußte er
lächeln. »Du hast wieder schlecht geträumt,
Anders.«
Doch die Worte, die Anders eigentlich beruhigen sollten, waren es,
die sein Gesicht in nackte Furcht hüllten. »Er ist der
Engel der Träume«, flüsterte Anders, und dann brach
es aus ihm heraus: »Sie sind wahre Elomaran, beide, er und
Damiander. Aber niemand weiß von ihnen, weil Korisander sie
verstoßen und verleugnet hat, und darum hassen sie uns jetzt.
Sie sind wirklich, Halan…«
Halan drückte den Jungen an sich, strich ihm über die
Haare, die feucht waren vom Fieberschweiß, über die
heiße Stirn. »Du hast geträumt, Anders«,
sagte er noch einmal. »Es sind nur Träume. Du mußt
lernen, sie zu vergessen, so wie ich.«
Zitternd preßte Alexander sein Gesicht gegen Halans
Schulter. »So muß Korisander geredet haben, so wie
du.« Die Worte wurden fast vom Stoff von Halans Gewand
verschluckt, waren mehr zu fühlen denn zu erraten.
»Darum hassen sie mich jetzt, obwohl sie eigentlich dich
hassen müßten - ich glaube wenigstens an meine
Träume.«
Und darum hat Korisander dir die Krone fortgenommen. Halan
sagte es nicht, aber er dachte es. So wenig von dem, was Anders
tat, wie Anders war, hatte etwas mit der Weisheit zu tun, für
welche die Krone stand. »Sie sind nicht wirklich«,
sagte er. »Sie jagen dir nur Angst ein.«
Anders schüttelte den Kopf, ohne Halan loszulassen.
»Damiander ist -« Plötzlich riß er sich los.
»Ich kann es beweisen!« keuchte er. »Ich habe
geträumt -« Er brach ab und fing noch einmal von vorn
an. »In der Nacht, als Koris starb, ist mir im Traum ein
Engel erschienen. Es war Korisander.« Seine Stimme war
abwesend, schien von weit her zu kommen, und von einem anderen.
»Er hieß mich aus einem Kelch trinken, und diesen Kelch
habe ich später wiedergesehen - in Damianders Händen. Du
weißt, welchen Kelch ich meine, den Kelch. Ich habe
ihn nicht sofort wiedererkannt, aber gerade war Damiander in meinem
Traum, und der Kelch… und er hatte
Flügel…«
»Man sieht soviel in Träumen«, sagte Halan leise.
»Das muß nichts heißen.« Aber etwas in ihm
wußte, daß Anders Recht hatte. Damiander sprach
Elomond… Halan schob Anders in die Decken zurück.
»Du kannst ruhig schlafen, Anders. Ich bin bei
dir.«
Anders kroch zur Wand. »Legst du dich zu mir?«
Halan zögerte. Die Tür ließ sich nicht verriegeln,
und das hieß - jeder konnte hereinkommen… Dann
lächelte er. »Ich bin bei dir«, sagte er. Und
legte sich zu ihm.
Als es Morgen wurde, war Halan voller Träume. Immer wieder
kam Janek in die Kammer gestürzt, um Rache an ihnen zu nehmen
- immer wieder überraschte er die beiden Engelsgeborenen in
einem Bett und überschüttete sie mit seinem Hohn. Doch
nichts davon geschah wirklich. Alles, was Halan immer wieder aus
dem Schlaf riß, waren die Tritte und Stöße, die
Anders ihm versetzte. Halan kniff die Augen zusammen und
schüttelte den Kopf, um die Schatten der Nacht zu vertreiben.
Dann weckte er vorsichtig Anders.
»Glaubst du, du kannst wieder aufstehen? Kannst du reiten?
Wir müssen weiter, und in Tayellin finden wir bestimmt noch
bessere Heiler.«
Anders setzte sich auf. Das Fieber schien über Nacht gesunken
zu sein, und auch wenn er immer noch weit davon entfernt war,
gesund auszusehen - dafür hatte er am Vortag viel zuviel Blut
verloren - ging es ihm doch schon wieder deutlich besser. »Es
tut mir leid«, flüsterte er. »Ich wollte euch
nicht aufhalten… Natürlich reiten wir heute weiter. Und
ich reite selbst - und wenn ich die Zügel nicht halten kann,
muß ich eben beweisen, daß es auch ohne geht.« Er
lächelte grimmig. »Jurik wird sich noch
wundern.«
Halan starrte ihn an. »Du meinst Janek!« Was hatte
Anders mitbekommen? Was auch immer - es war zuviel. Aber
früher oder später mußte er es ohnehin
erfahren.
Anders nickte. »Das hast du gut gemacht. Ich bin stolz auf
dich. Janek weniger, vermute ich. Ihr solltet euch beieinander
entschuldigen, alle beide. Immerhin muß ich sonst darunter
leiden - und ich habe keine Lust mehr zu leiden, kein
Bißchen!«
Halan widersprach ihm nicht. Doch Janek war fort.
Von dem Mann war nichts zu sehen, als sie die Treppe zur
Wirtsstube hinunterstiegen, in der sie sich in einem von Halans
Träumen geprügelt hatten. Aber das verwunderte Halan
nicht.
»Er war sehr betrunken gestern Nacht«, meinte er.
»Wahrscheinlich wird er schlafen, bis es Mittag ist, wenn wir
ihn nicht wecken.« Es gab nichts, was er lieber getan
hätte, als sofort und ohne Janek aufzubrechen, aber er
mußte Anders’ Entscheidung akzeptieren, und er
mußte Janek die Möglichkeit geben, sich für sein
unmögliches Verhalten zu entschuldigen - aber vor allem, auch
wenn er das niemals gegenüber Anders zugeben durfte, wollte er
wissen, was aus dem Geld für die Schwerter geworden war.
Da kam auch schon die Wirtin, um ihnen voller Überschwang
einen guten Morgen zu wünschen. Halan machte einen Schritt
rückwärts; Anders blieb wie angewurzelt stehen und
starrte die Frau entgeistert an - aber die schien das nicht zu
kümmern. »Oh, junger Herr, Ihr seid wieder auf den
Beinen! Das ging aber schnell! Na, war das eine Aufregung, als man
Euch gestern hereingetragen hat! Und Ihr wollt heute schon
weiterreisen? Na, wenn das nicht etwas früh ist! Wo soll es
denn hingehen?« Einen Moment lang sah sie beinahe aus, als
wolle sie Anders mit ihren riesigen Händen an sich
drücken. Als weder Halan noch Anders Anstalten machten, auf
sie einzugehen und ihre Fragen zu beantworten, fuhr sie fort:
»Aber nun setzt Euch doch erst einmal, und gleich bekommt Ihr
etwas warme Milch, die Euch stärken wird… So einen
weiten Weg habt Ihr noch vor Euch, nicht wahr?«
Anders schob sich etwas näher an Halan heran. »Achte
nicht auf sie«, zischte er. »Gehen wir. Ich sag es dir
gleich.«
Halan nickte unauffällig. Hier war etwas gewaltig im
Argen…
Sie machten einen Schritt zur Seite, und wieder stand die Wirtin
direkt vor ihnen. »Nun setzt Euch doch erst mal! Ihr seid
noch ganz blaß!«
Halan sog die Luft ein. »Gute Frau, wir haben Euch für
die Übernachtung bezahlt, und werden ein Frühstück
auch sicher zu schätzen wissen - aber wir sind müde und
nicht gesprächig, und wir müssen nach unseren Pferden
sehen.«
Dann nahm er Anders beim Arm und führte ihn in den Stall.
Erst dort brach es aus ihm heraus: »Janek! Bei allem was
Recht ist - das geht zu weit! Was glaubst du, was er der Wirtin
heute Nacht alles erzählt hat?«
»Wie kommst du darauf?« fragte Anders und
zwinkerte.
»Gestern war diese Person abweisend und nur an unserem Geld
interessiert - daß du Hilfe brauchtest, war ihr völlig
gleichgültig. Aber plötzlich verschlingt sie sich
förmlich vor Sorge…«
Anders schüttelte den Kopf. »Keine Sorgen«, sagte
er leise. Mit dem verbundenen rechten Arm strich er vorsichtig
über Farrells Kuppe, dann legte er sein Gesicht gegen den Hals
des Pferdes. Kurzes schwarzes Haar klebte an seiner Haut, als er
Halan wieder anblickte. Es sah drollig aus, doch Anders’
Gesicht war zu traurig, als daß Halan auch nur gelächelt
hätte. »Gier«, sagte er. »Gestern habe ich
nicht viel von dieser Frau gesehen oder gefühlt, aber heute
genügt mir. Sie sieht uns, und in ihrem Herz klimpern die
Münzen so laut, daß ich es hören kann. Mag sein,
daß Janek ihr in der Nacht sein Leben erzählt hat - aber
wenn er ihr kein Geld dafür gegeben hat, wird sie ihm nur
schwerlich zugehört haben.«
Halan nickte, langsam, während er versuchte, einen
unliebsamen Gedanken zu widerlegen. »Du meinst - jemand hat
sie bezahlt, damit sie uns heute früh aushorcht?« Warum
fragte er das eigentlich noch? Sie wußten es doch beide.
Anders nickte, und plötzlich stutzte er, weiteten sich seine
Augen. Halan folgte seinem Blick. Vier Pferde waren in den
Stallungen abgestellt - ihre beiden, und ein Brauner, der schon am
Vortag dagestanden hatte, und ein Schimmel - aber die Box, in die
Janek sein Pferd geführt hatte, stand leer.
Er kniff die Lippen zusammen. »Also ist er fort«,
sagte er. »Wahrscheinlich die beste
Lösung…« Fort mit dem Geld, dachte er und
unterdrückte es schnell, bevor Anders die Sorgen fühlen
konnte.
»Das meine ich nicht«, erwiderte Anders unwirsch.
»Aber sieh dir dieses Pferd an! Eine Pracht ist der Knabe!
Hast du so etwas schon einmal gesehen?« Er lief zu dem
Schimmel hinüber.
Halan folgte ihm. Auch im Dämmerlicht des Stalles war zu
erkennen, daß die Farbe dieses Pferdes ein perfektes
Weiß war. Ein schönes Tier, so groß wie Farrell,
mit schlankem Hals und zierlichen Fesseln. Halan, der keine Pferde
mochte, mußte lächeln. Wenn Anders schon wieder auf so
etwas achten konnte, bedeutete es, daß es ihm wirklich schon
besser gehen mußte. Dann begriff er schlagartig, und er
nickte. »Mehrmals. Drei oder vier Mal in meinem Leben.
Zuletzt -«
»- an Lorimanders Hof in Lomar«, vollendete Anders.
»Das ist doch ein interessantes Zusammentreffen, nicht
wahr?«
»Jemand folgt uns«, sagte Halan leise und
bedächtig. »Jemand vom Hof.«
Alexander schüttelte den Kopf. »Aber das kann
eigentlich nicht sein! Er hat die Wirtin bezahlt, damit sie
herausbringt, wo wir hinwollen - aber die Berater haben mich doch
selbst zu Tolimander geschickt. Und sie wissen, was ich dort
erfahren will…« Plötzlich taumelte er und fiel
gegen einen hölzernen Pfosten; Halan sah es nicht schnell
genug, um ihn aufzufangen.
»Anders! Geht es dir gut?«
Anders verdrehte die Augen, während er sich an der Wand
aufrichtete. »Mir ist schwindelig… klappen gleich die
Beine weg… ich habe Durst.« Erst jetzt fiel Halan ein,
daß Anders völlig ausgedörrt sein mußte; sie
hatten ihm zwar zwischendurch Wasser eingeflößt und den
Trank des Heilers, aber das konnte kaum ausreichen…
Doch Anders straffte sich. »Starr mich nicht so an! Gib mir
deinen Arm, und bring mich in die Gaststube zurück. Mir wurde
warme Milch angeboten, und dafür nehme ich sogar die Wirtin in
Kauf.«
Halan beeilte sich, ihm endlich zur Hilfe zu kommen. »Aber
erzähl ihr nichts«, flüsterte er, während er
den Jungen zur Tür schob. »Und wenn du es schaffst, halt
die Augen offen, ob du irgendwelche Loringarim entdecken
kannst.«
Anders gluckste, drehte sich zu ihm um und küßte ihn
blitzschnell ins Gesicht. »Dummkopf!« sagte er.
»Wir sind in Loringaril. Es wimmelt hier nur so von
Loringarim!« Doch er hatte ihn auch so verstanden.
Die Wirtin strahlte über das ganze breite Gesicht, als sie
zurückkamen, doch Halan und Anders ignorierten ihre Fragen, so
gut es ging, und antworteten auf keine. Sie setzten sich auf eine
Bank, die möglichst abgelegen in einer Ecke im Schatten lag -
es mußte nicht jeder direkt sehen, daß Anders mit den
Verbänden noch nicht einmal seine Schale halten konnte und
halb gefüttert werden mußte. Außerdem hatten sie
von dort einen guten Blick über die Gaststube, aber es gab
niemanden, zu dem das weiße Pferd gepaßt
hätte.
Anders war unruhig - daß er mit den Händen nichts tun
konnte, ließ seine Beine zappeln; er rutschte und wippte hin
und her, daß Halan ihn am liebsten zurechtgewiesen
hätte. Aber plötzlich hielt er inne, blickte Halan
geheimnisvoll an und rutschte dann langsam unter den Tisch.
Alarmiert schossen Halans Blicke durch den Raum - zur Treppe, zum
Tresen, zur Tür, zu den anderen Tischen - wen hatte Anders
gesehen, vor dem er sich verstecken wollte? - als der schon wieder
auftauchte.
»Du mußt mir helfen, ich kann ihn nicht
aufheben!«
»Was?« fragte Halan irritiert.
»Unter dem Tisch - da liegt Janeks Stock!«
Ein böses Lächeln schlich in Halans Gesicht. »So?
Und wo liegt Janek?«
»Er ist fort«, erwiderte Anders. »Verhöhn
ihn nicht noch weiter! Du bist doch schuld, daß er gegangen
ist!«
Halan schüttelte den Kopf - er würde sich nicht mit
Anders streiten, noch dazu, wenn der Junge gestern im Fieber alle
Dinge falsch verstanden hatte - was wirklich vorgefallen war,
konnte Halan ihm unterwegs immer noch erklären. Hier hatten
nicht nur die Wände Ohren… Aber Halan konnte doch nicht
vor allen Leuten unter den Tisch kriechen!
Anders mußte seine Gedanken erraten haben, denn er fegte mit
dem Schwung seines linken Armes seinen Löffel zu Boden.
»Heb auf!« befahl er mit schneidender Stimme, und Halan
gehorchte.
Halb unter der Bank lag ein Stock, und der konnte eigentlich nur
Janeks sein. Halan hob ihn auf, aber er hielt ihn unter dem Tisch,
so daß niemand von außen es sehen konnte. Den
Löffel legte er wieder auf die Tischplatte.
Er hatte sich Janeks Gehstock niemals genauer angesehen - wie
auch, wenn Janek ihn immer bei sich trug? - aber nun verstand er,
daß dies nicht irgendein beliebiges Stück Holz war. Der
Griff war geschnitzt in der Form eines springenden Fuchses, dunkel
und glattpoliert vom langjährigen Gebrauch - das war kein
Stock, den man einfach so zurückließ, um sich einen
neuen zu suchen…
»Janek ist noch in der Nacht aufgebrochen«, sagte
Halan leise.
»Woher willst du das wissen?« fragte Anders
schnippisch. »Hat da noch ein Brief von ihm
gelegen?«
Halan lächelte. Anders war wieder so, wie er sein sollte -
regte sich über Kleinigkeiten auf… »Kannst du dir
vorstellen, daß Janek seinen Gehstock vergessen würde?
Bestimmt nicht. Aber so betrunken, wie er in der Nacht war - und
wütend, weil er auf diesen Stock angewiesen ist, und weil du
ihn einen Krüppel genannt hast -«
»Bewunderungswürdig, wie gut du dich plötzlich mit
den Gefühlen anderer Leute auskennst«, unterbrach ihn
Anders, und auch wenn sein Tonfall neckisch klang, steckte doch
schon wieder Anklage dahinter. Halan beschloß, es ebensosehr
zu ignorieren wie zuvor die Wirtin.
Sie verloren keine unnötigen Worte mehr, bis sie aufbrachen,
und es sah so aus, als sei die Gefahr eines Streites schnell wieder
verschwunden - bis sie dann aneinandergerieten, als Halan die
Pferde bepackte.
»Ich werde den Stock mitnehmen«, erklärte
Anders.
Halan schüttelte den Kopf. »Das wirst du nicht! Er
gehört Janek, und der wird bestimmt hierher zurückkehren,
wenn er wieder nüchtern ist und merkt, daß er ihn hier
vergessen hat.«
Anders hielt den Stock unter den Arm geklemmt und sah nicht so
aus, als wolle er ihn jemals wieder loslassen. »Wir treffen
ihn nachher wieder, darauf kannst du dich verlassen, und dann kann
ich ihm das gute Stück persönlich
zurückgeben.«
»Sei nicht kindisch, Anders!« sagte Halan. Er
wußte, daß er das zu oft sagte, aber es war ein Satz,
auf den Anders meistens hörte. »Du weißt nicht
einmal, in welcher Richtung er geritten ist.« Und etwas sagte
ihm, daß Janek beileibe genug davon hatte, ihnen zu
folgen.
»Dann behalte ich den Stock als Andenken.« Jetzt wurde
Anders wirklich kindisch. »Janek hat mir mein Schwert
weggenommen - da ist es nur gerecht, wenn ich mich statt dessen
hiermit verteidige. Was denkt er sich eigentlich - wir werden
verfolgt, und er läßt uns einfach im Stich? Wie will er
mich da beschützen?«
Halan schüttelte den Kopf. Es war sicher noch das Fieber.
»Behalt den Stock, wenn es dich glücklich macht - aber
hör bitte damit auf, so zu tun, als wärst du ein
kleiner Junge. Du bist König.«
Anders biß trotzig die Lippen zusammen.
»Bitte«, sagte Halan ruhig. »Ich liebe
dich.«
Dann konnten sie endlich aufbrechen.
Sie ritten schneller, als ihnen vermutlich gut tat - Halan wollte
dem Verfolger kein allzu leichtes Spiel bieten, und Anders wollte
beweisen, wie gut er reiten konnte, auch ohne seine Hände zu
gebrauchen - aber auch wenn es gut war, daß sie endlich
wieder vorankamen, fürchtete Halan doch jeden Moment,
daß einer von ihnen stürzen könnte. Jetzt machte
sich bemerkbar, daß er in dieser Nacht zu wenig Schlaf
gefunden hatte - er konnte sich auf den Ritt nicht so
konzentrieren, wie es nötig gewesen wäre, und Anders tat
zwar sein Bestes, konnte aber niemanden darüber
hinwegtäuschen, daß er viel schwächer war als
gewöhnlich. Er sprach nur über seine Bandagen, niemals
aber über seine Hände - Halan fragte sich, ob sie immer
noch schmerzten, aber Anders fragte er nicht.
Doch plötzlich begann Anders aufgeregt zu winken.
»Schau - da ist er! Ich sagte doch, wir holen ihn bald
ein!«
Halan blinzelte. Obwohl es bald Mittag war und die Sonne ihnen im
Rücken stand, dauerte es einen Moment zu lang, bis er Janek
erkannte, der am Wegrand unter einem Baum saß, das kranke
Bein ausgestreckt, und ihnen entgegenblickte, das Gesicht mit der
Hand so geschützt, daß es nur zu erahnen war - aber es
war Janek, kein Zweifel, den Mantel mit dem Fuchskragen gab es
sicher kein zweites Mal, nicht mit so vielen Flicken…
Halan und Anders fielen in Schritt. Janek rappelte sich auf und
griff im hohen Gras neben sich nach einem Stock - es war ein
gewöhnlicher Ast, an den meisten Stellen noch mit Borke
bedeckt und unregelmäßig gekrümmt - um sich darauf
zu stützen. Die Sonne zeigte mit unbarmherziger Härte,
daß die Nacht an Janek nicht vorübergegangen war, ohne
Spuren zu hinterlassen - er war bleich, übernächtigt und
unrasiert, und seine Kleider, die zwar alt waren und abgenutzt,
aber doch sonst immer ordentlich, verrieten nun, daß er in
ihnen geschlafen hatte, und zwar auf dem nackten Boden im Gras,
wahrscheinlich sogar unter diesem Baum. Halan verzog keine Miene -
er würde Janek nicht grüßen, bevor er wußte,
was von dieser Begegnung zu halten war.
Janek lächelte, wenn auch reichlich verzerrt. Anstelle eines
Grußes sagte er: »Wenigstens habt ihr heute nicht so
getrödelt.«
»Hast du auf uns gewartet?« fragte Anders.
»Wie sieht es denn für dich aus?« fragte Janek
zurück.
Anders gab etwas von sich, das wie ein leises Knurren klang, und
blickte von Janek zu Halan und zurück. »Ehe ihr jetzt
wieder mit euren Spielchen beginnt«, sagte er leise,
»werdet ihr euch beieinander entschuldigen.
Sofort!«
Janek blinzelte spöttisch zu ihm hinauf. »Wie
Majestät wünschen…«
»Nein!« fuhr Anders ihn an. »So nicht! Nicht mit
mir! Ich bin nicht bereit, dieses Verhalten von euch - wie ihr
miteinander umgeht - noch länger zu dulden. Ich lasse euch
beide hier stehen und reite alleine weiter, wenn ihr nicht sofort
-«
Aber da unterbrach ihn Janek auch schon. Seine Stimme war so
müde wie seine Augen. »Laß gut sein, Anders. Es
tut mir leid. Ich habe mich… unangemessen
verhalten.«
»Ach ja?« fragte Halan kalt. »Und welches
Verhalten wäre Eurer Ansicht nach angemessen gewesen?«
Er würde keine Entschuldigung akzeptieren, solange sie nicht
auch an ihn gerichtet war.
Anders’ Blick gefror. »Das galt auch für dich,
Harold.« Wie immer, wenn er diesen Namen aussprach, verzerrte
er ihn höhnisch. »Du entschuldigst dich jetzt bei ihm.
Und dann werdet ihr euch beide bei mir entschuldigen
für das, was ihr über meinen Bruder gesagt habt.«
Er zitterte vor Wut wie schon lange nicht mehr.
Halan wollte ihn beruhigen, wollte glauben, daß das Fieber
zurückgekehrt war - aber er hätte lügen müssen,
denn es war kein Fieber in Anders’ Augen. Aber Janek -
ausgerechnet Janek - befreite ihn aus der Lage, reagieren zu
müssen.
»Nein«, sagte Janek. »Das kannst du nicht von
mir verlangen, denn was ich sagte, war nicht für deine Ohren
bestimmt, es geht nur mich etwas an, und deinen Bruder, und
vielleicht auch Halan - es tut mir leid, wenn du es mitanhören
mußtest - aber ich entschuldige mich nicht. Und auch Halan
braucht nicht um deine Vergebung zu betteln, er ist dir keine
Rechenschaft schuldig für einen Streit, den er mit mir
hatte.« Er humpelte näher an Halan heran. Anders sah ihm
mit eingefrorener Miene zu - er sah beinahe so aus wie früher,
nur die Schminke fehlte - und hielt den geschnitzten Stock unter
dem Arm, so daß Janek ihn sehen mußte, machte aber
keine Anstalten, ihn zurückzugeben.
»Halan«, sagte Janek leise, »ich werde mich bei
dir entschuldigen - aber da, wo er uns nicht zuhören kann,
also steig vom Pferd und folge mir, oder verzichte
darauf.«
Halan schüttelte den Kopf. »Ich kann Anders jetzt nicht
allein lassen.« Schnell fügte er hinzu: »Aber ich
akzeptiere Eure Entschuldigung jetzt schon, Janek.«
»Jurik«, sagte er. »Mein Name ist Jurik. Wir
heißen, wie wir heißen, auch wenn wir uns manchmal
wünschen, es vergessen zu können.«
»Seid ihr bald fertig?« rief Anders zu ihnen
hinüber. »Und kommst du mit uns, Janek, oder hältst
du uns hier nur auf?«
Er hob den Gehstock wie eine Waffe. Halan mußte
plötzlich wieder daran denken, daß sie womöglich
verfolgt wurden. »Wir sollten wirklich weiterreiten!«
sagte er, vielleicht eine Spur zu hastig. Wenn sie erst einmal
wieder unterwegs waren, würde Anders beileibe genug mit Reiten
zu tun haben. »Wo ist Euer Pferd, Jurik? Wir können
später weiterreden. Und Ihr werdet doch kaum hier auf der
Landstraße übernachten wollen?«
Jurik biß die Zähne zusammen, und plötzlich verzog
sich sein übernächtigtes Gesicht zu einem Schmunzeln,
dann einem Grinsen.
Halan merkte, wie sich seine eigenen Mundwinkel zu kräuseln
begannen. »Ich meine - nicht noch eine Nacht«, sagte er
so ernst er konnte, dann nahm er schnell die Hand vor den Mund und
tat, als müsse er husten.
Alexander, der nicht wie gewöhnlich mit den Fingern klopfen
konnte, um seine Ungeduld anzuzeigen, schlug langsam die Kiefer
aufeinander - ein unheimliches Geräusch. Aber sein Anblick -
die Augenbrauen finster zusammengekniffen - brachte Halan erst
recht zum Lachen. Jurik sah ihm kopfschüttelnd zu.
»Es hilft nichts«, meinte er dann. »Mir
zumindest nicht, und darauf kommt es schließlich an - ich
muß euch zwei wohl noch einige Zeit ertragen.«
»Bist du dir sicher?« fragte Anders bissig.
»Können wir endlich weiterreiten?«
Und Halan fragte gleichzeitig: »Also habt Ihr Euch
entschieden?«
Jurik nickte, schlagartig wieder ernst. »Meint ihr
vielleicht, ich suche keine Gerechtigkeit?«
Gerechtigkeit. In großen Lettern prangte das Wort über
dem Stadttor, in Stein gemeißelte Zeichen, die kaum ein
Mensch lesen konnte und die doch so viel bedeuteten. Schon von
weitem sprangen sie Halan ins Auge.
Das Tor bestand aus nichts als vier massiven achteckigen
Säulen, die von einem Giebeldach gekrönt wurden, und es
war der einzige Hinweis darauf, daß sie gerade in nichts
geringeres ritten als die Hauptstadt von Landalon. Das Tor stand
für sich alleine. Es gab keine Stadtmauer, und auch ein
Torwächter war nirgends zu sehen. Man konnte einfach in die
Stadt hineinreiten. Selbst die Grenze zwischen Koristan und
Loringaril war besser bewacht. Zwischen Loringaril und Landalon
dagegen gab es nur einen einzigen Grenzposten, und der Trug
Lorimanders Farben.
»Sie laden ihre Feinde ja geradezu ein«, meinte
Alexander und schnaubte verächtlich. »Wenn wir nun ihren
König töten und das Buch stehlen wollten, oder die Stadt
erobern - wer sollte uns daran hindern?«
Halan ließ Jurik auf diese Frage antworten - da er selbst
nur wenig über Tayellin wußte, wollte er sich keine
Blöße geben. Aber Jurik lachte nur. »Mein lieber
Junge, schau dich um! Und dann sag mir - wer würde diese Stadt
erobern wollen?«
Halan lächelte. Jetzt begriff er, warum der Hauptmann all
seinen Fragen über Tayellin immer ausgewichen war - diese
Stadt spottete jeder Beschreibung. Es war nicht nur keine
schöne Stadt - Halan war sich nicht einmal sicher, ob Tayellin
überhaupt eine Stadt war. Wie in den kleinen Dörfern und
Weilern, die ihren Weg gesäumt hatten, lagen auch hier die
Häuser nur links und rechts der Landstraße, es gab weder
Ringstraßen, noch so etwas wie einen Stadtkern - aber dann
wieder waren diese Häuser größer als alle, die
Halan jemals gesehen hatte: Aus Ziegelsteinen erbaut,
schwindelerregende fünf Stockwerke hoch und jedes von ihnen
gut und gerne hundert Schritt lang - wie viele Menschen hinter den
kleinen rechteckigen Fenstern leben mochten, wollte Halan lieber
gar nicht erst wissen. Er fühlte sich beobachtet…
Die Straße war menschenverlassen, nicht einmal Hunde oder
Katzen liefen herum, oder Kinder, oder Bettler. Nur diese
merkwürdigen schweigenden Häuser, eines neben dem
anderen, so weit das Auge reichte.
Wortlos ritten sie weiter, im Schrittempo, und hielten Ausschau
nach einem Gebäude, das sich von den anderen unterschied - ein
Wirtshaus, zum Beispiel, oder die Poststation, oder der
königliche Palast. Aber hier schien es nichts davon zu
geben.
Dann, endlich, eine Abwechslung: Die Straße kreuzte eine
zweite. Doch auch in dieser zogen sich nur links und rechts die
riesenhaften Häuser gen Himmel, und auch hier fehlte jeder
Hinweis aus menschliches Leben. Halan und Anders blickten sich kurz
an und schüttelten die Köpfe. Eine merkwürdigere
Stadt als diese gab es wohl auf der ganzen Welt nicht.
Sie ritten geradeaus weiter - nicht, weil sie sich sonst verwirrt
hätten, aber weil sie keinen Grund zum Abbiegen sahen.
Vielleicht war dies nur die Vorstadt, vielleicht leerstehende
Häuser, auf Vorrat gebaut, um ein plötzliches Anschwellen
der Bevölkerung auffangen zu können, vielleicht kam das
eigentliche Tayellin erst noch - vor ihnen lag ein weiteres Tor,
vier Säulen unter einem flachen Giebel, ein genauer Zwilling
des ersten. Dahinter ging die Straße weiter - aber links und
rechts von ihr lagen nur Wiesen und Felder. Auch dieses Tor
grüßte seine Besucher mit dem Wort Gerechtigkeit.
Für den, der die Stadt verließ, gab es keine
Botschaft.
»Eine Frage, Jurik«, sagte Halan, sehr vorsichtig.
Noch herrschte zwischen dem Hauptmann und ihm vielleicht Achtung,
aber keine Freundschaft, und Halan wußte, daß eine
einzige Unwissenheit genügte, um in Juriks Ansehen wieder zu
sinken. »Aber wo liegt Tayellin?«
Jurik lachte schallend, aber nicht so, wie man über ein
dummes Kind lachte - es war etwas Anerkennendes dabei. »Ich
wunderte mich schon, wie lange du für diese Frage brauchen
würdest. Die entscheidenden Gebäude liegen direkt an der
Kreuzung - aber sie fallen nicht auf, wenn man nicht genau
hinsieht. Und die anderen Gebäude sind auch nicht alle so
gleich, wie sie von außen aussehen. Teile der Richterakademie
sind zum Beispiel darin untergebracht.«
»Das hättet Ihr uns schon früher mitteilen
können«, entgegnete Halan zornig, »anstatt uns
jetzt zu verhöhnen.«
»Oh, aber ich verhöhne euch nicht. Als ich zum ersten
Mal hier war - Jahre ist das inzwischen leer - hat mich Tayellin
genau so an der Nase herumgeführt wie euch jetzt. Wenn ich
also etwas gesagt hätte -«
Er machte eine Pause und blickte so lange spöttisch Anders
an, bis der fauchte: »Was dann?«
»Dann wäre es nicht… gerecht.«
Über diesen Scherz lachten sie nicht. Lachen war nichts, das
in eine Stadt wie Tayellin so recht passen wollte. Grimmig ritten
sie zurück zur Kreuzung, ärgerlich auf Jurik, und
Tayellin, und sich selbst. Die Häuser, welche die vier
Eckpunkte der Kreuzung bildeten, unterschieden sich von den
anderen; allerdings nur, wenn man darauf achtete. Sie waren in
ihrer Grundfläche nicht länglich, sonder quadratisch, und
zur Straße hin hatten sie breite Tore, wo bei den anderen nur
schmale Türen waren. Wenn man genau hinsah, konnte man sogar
noch die Worte erkennen, die in die Türstürze
eingemeißelt, grau und angewittert: Akademie, stand an
einem Haus, und an den anderen Markthalle,
Gildensaal, und Richter. Keines der Tore stand
offen.
Halan saß ab. »Wenn Ihr einen Moment lang auf die
Pferde achtgeben könntet, Jurik, während wir uns
erkundigen?« Jurik nickte lächelnd. »Kommst du,
Alexander?«
Anders glitt vom Pferd und streckte Halan seine Arme hin.
»Nimm mir die Verbände ab… Bitte. Du hast
versprochen, daß ich sie hier nicht mehr tragen
muß.«
Halan hatte nichts in der Art versprochen. »Ich sagte, wir
zeigen sie hier noch einem Heiler.«
»Aber sie haben hier keinen Heiler - nur Richter. Und ich
kann nicht als König auftreten, wenn ich so aussehe! Ich will
meine Handschuhe!« Er funkelte Halan wütend an.
Halan schüttelte den Kopf. Es half nichts, darauf
hinzuweisen, daß sie die Handschuhe schon vor Tagen
fortgeworfen hatten. »Du trägst die Verbände, bis
dir ein Heiler erlaubt, sie abzunehmen. Ich will nicht noch einmal
daran schuld sein, daß du zusammenbrichst. So kann ich
wenigsten sicher sein, daß du niemanden verletzt. Und du
siehst auch nicht besonders königlich aus, wenn du mich so
anstarrst.«
»Hör besser auf ihn!« Halan haßte es, wenn
Jurik sich einmischte, schon allein, weil Anders dem Hauptmann
nahezu immer gehorchte. »Du willst doch nicht als König
auftreten, sondern als verstoßener König. Sie
haben dich vertrieben… sie haben dich verwundet… Noch
heute bist du nicht wieder voll genesen. Du bist hier, weil du
Hilfe brauchst - so glaubt es dir zumindest jeder.«
»Ihr seid abscheulich«, schnitt ihm Halan das Wort ab,
während er ihm die Zügel in die Hand drückte.
»Wenn wir es für nötig halten, irgend jemandes
Mitleid zu erregen, werden wir auf Euch zurückgreifen. Komm
jetzt, Anders.« Der beste Ort, um sich zu erkundigen, war
sicherlich die Markthalle…
Innen gähnte die Leere. Lange, aber verlassene Tische zogen
sich in weiten Reihen durch die hohe, kahle Halle, die ganz in
Halbdunkel getaucht war. Fast hätte Halan begonnen zu glauben,
daß Tayellin bereits seit Jahren verlassen war, doch dann
fiel ihm ein Geruch von welkem Gemüse auf, der in der
staubigen Luft lag - und eine Bewegung in der erntgegengesetzten
Ecke.
Eine Frau in dunkelblauem Kittelkleid fegte mit einem großen
Besen die Überreste des Markttages zusammen. Sie bemerkte
Halan und Anders im gleichen Moment und nickte ihnen zu. Dann kam
sie zu ihnen hinüber, den Besen immer noch in der Hand.
»Einen guten Tag wünsche ich euch, Reisende«,
sagte sie und lächelte. Halan konnte sie nur anstarren - das
einzige lebende Wesen in dieser toten Stadt… Aber es gelang
ihm, sein Staunen hinter einer Erwiderung ihres Lächelns zu
verbergen.
Auch Anders lächelte, beide Arme hinter dem Rücken
verborgen. »Dank für den Gruß, gute Frau.
Könnt Ihr uns weiterhelfen, oder uns zu jemandem bringen, der
es kann?« Halan hatte ihn selten so höflich und
bezaubernd erlebt, vor allem nicht einer Frau gegenüber, deren
Hände grau und rissig waren und die ihr Haar unter dem grauen
Kopftuch einer Arbeiterin verbarg.
Sein warmer Tonfall verfehlte seine Wirkung nicht. Die Frau
strahlte ihn an. »Ihr sucht Gerechtigkeit,
Reisende?«
Anders lachte. »Natürlich tun wir das, aber im Moment
suchen wir einen Gasthof, etwas zu essen, und Euren
König.«
»Und einen Heiler«, fügte Halan schnell
hinzu.
Jetzt war es an der Frau zu lachen. »Ihr seid
Ausländer, Reisende, und nicht die ersten, die unseren
König suchen - dabei müßte sich doch irgendwann
herumgesprochen haben, daß es hier keinen König
gibt.« Ihre Stimme war geduldig und frei von Hohn, sogar
Respekt lag darin - und doch hätten ihre Worte Halan nicht
mehr verspotten können. Unwissend - wann hatte jemals ein
Mensch Halan unwissend nennen können? Was war es, das
so hartnäckig versuchte, aus seiner Erinnerung, seinem Wissen
zu entkommen?
»Wir suchen den Erben Eures Engels«, versuchte Anders
gerade zu erklären, als es Halan endlich einfiel: Der richtige
Titel.
»Wir suchen den Alondras«, sagte er. »Wir haben
ein Anliegen an ihn.« Noch im selben Augenblick begriff er,
wie dumm er wirklich war, wie dumm sie beide. Alondras -
nicht König nannten die Landalai ihren Herrscher,
sondern Richter. Und Richter stand an der Tür
des Gebäudes, das der Markthalle gegenüber
lag…
»So ist es besser«, sagte die Frau, als belehre sie
ein ungezogenes Kind. »Wir mögen es nicht, wenn jemand
den Alondras König nennt, und er mag es noch weniger. Aber
sorgt euch nicht. Der Alondras wird euch empfangen.«
Halan runzelte die Stirn. Wer war diese Frau, die ihnen so
selbstverständlich Audienzen versprechen konnte? »Woher
wißt Ihr das?« fragte er. »Und wer seid
Ihr?«
Sie verneigte sich nicht, als sie sich vorstellte, sondern blickte
ihnen direkt ins Gesicht. »Ich bin Kilan, Reisende«,
sagte sie, und Spott blitzte in ihren Augen, weil Halan und Anders
sich selbst nicht vorgestellt hatten. »Was immer euch dieses
Wissen nutzen mag. Der Alondras empfängt jeden, der ein
Anliegen an ihn hat - aber ich werde euch zeigen, wo ihr euch
anmelden müßt.«
Als sie die beiden auf die Straße zurückführte,
blickte sie sich hektisch nach den Seiten um und bewegte dann ihren
Besen so nachdrücklich über den Boden, als gelte es, die
Steine unter dem Staub glatt zu scheuern. Ohnehin hatte Halan noch
nie eine derart saubere Straße gesehen. Früher
hätte es ihn nur gefreut; er verabscheute Schmutz und war
gewöhnt an die blankpolierten Bodenfliesen im Schloß,
aber nun wußte er, wie es außerhalb aussah, egal wo sie
hinkamen, und er wunderte sich.
»Sehr ihr die Halle dort drüben?« fragte Kilan
und wies mit einem Nicken über den Platz. »Dort wird man
euch in die Listen eintragen und euch einen Ort zuweisen, an dem
ihr…« Dann traf ihr Blick auf Jurik, und für
einen Moment verstummten ihre Worte wie auch ihr Besen.
Halan konnte ein Lächeln nicht zurückhalten. Jurik
thronte auf seinem schäbigen alten Pferd und hielt die
Zügel Farrells und des Grauen, als wären es bloße
Packpferde. Die Sonne, welche Halan und Anders im grauen Schatten
der Markthalle alleinstehen ließ, beleuchtete seine schlanke,
entspannte Gestalt und gab seinem Haar die Farbe von Herbstlaub.
Halan wäre nie auf die Idee gekommen, den mürrischen,
spöttischen Jurik als schön zu bezeichnen, aber in dieser
Stadt, in der auch ein König nur ein Richter war, verschwammen
die Unterschiede sogar zwischen einem Krüppel und einem
Engelsgeborenen. Halan wußte, daß Anders im Grunde
seines Herzens auch Jurik begehrte, und jetzt verstand er auch ein
wenig, warum.
Aber Anders blieb nicht stehen, Anders achtete nicht auf Jurik,
und nicht auf die Frau, sondern lief direkt zum Tor des
Richtergebäudes, wo er stehenblieb, sich umdrehte und Halan
ungeduldig zuwinkte, bevor er sich daran machte, die großen
messingbeschlagenen Türen mit der Schulter
aufzudrücken.
Halan wandte sich ein letztes Mal Kilan zu. »Dank für
Eure Hilfe«, sagte er. »Wir haben Euch schon zu lange
von Eurer Arbeit abgehalten« - bei diesen Worten zuckte die
Frau zusammen und begann wieder wie im Fieber zu fegen -
»Aber vielleicht bedarf auch unser Freund noch Eures
Rates.« Dann ließ er die beiden allein und folgte
Anders, der zwischen den Türflügeln stand und vor Wut
zitterte.
»Diese Frau!« fauchte der Junge auf Elomond.
»Diese entsetzliche Frau!« Er schüttelte sich.
»Beruhige dich!« Halan legte ihm eine Hand auf die
Schulter und drückte mit der anderen das Tor weiter auf, damit
sie beide eintreten konnten. »Sie war unverschämt und
anmaßend, aber auf eine gewisse Weise -«
»Sie ist abstoßend! Ich hasse sie!«
»Was?« fragte Halan alarmiert und suchte Zeichen des
Fiebers in Anders’ Augen. »Geht es dir gut?«
Anders zischte durch die Zähne. »Erst zwingt sie mich,
alle Gefühle zu unterdrücken, weil sie mich will - und
kaum sieht sie Janek, will sie statt dessen ihn!«
Halan trat hinter ihn und legte beide Hände auf Anders’
Schultern, um sie vorsichtig zu massieren. »Was genau«,
fragte er ruhig, »wirfst du ihr vor? Ich dachte, du willst
nicht, daß Frauen… etwas von dir wollen.« Anders
hatte einmal, es lag schon ein oder zwei Jahre zurück, ein
Zimmermädchen halbtot geschlagen und niemals erklärt,
warum - aber inzwischen hatte Halan begriffen, was es brauchte, um
Anders so aus der Haut fahren zu lassen. Jetzt war nichts passiert,
aber Anders’ Muskeln waren völlig verspannt…
»Wenn du nicht mit den Gefühlen anderer Leute umgehen
kannst, dann bitte, laß es sein, zumindest bist du wieder
ganz gesund bist und wir das hier hinter uns haben.«
»Keine Vorwürfe«, flüsterte Anders.
»Mach mir keine Vorwürfe. Kannst du atmen, ohne etwas zu
riechen?«
Halan schwieg einen Moment. Dann sagte er: »Atme durch den
Mund.« Er schloß die Augen. Noch hatten sie mit
niemandem gesprochen als dieser Frau. Noch konnten sie umkehren.
Aber sie standen bereits im Vorraum des Richterhauses, waren weit
gereist, um hierher zu kommen - Halan konnte schlecht erst jetzt
zugeben, daß er gar nicht wollte, daß Anders König
wurde. Anders war das Liebste, was Halan hatte - aber einen guten
Herrscher würde er ganz sicher nicht abgeben, zumindest jetzt
noch nicht. Wenn sie nur irgendwo ein Haus hätten,
draußen auf dem Land, mit einer Bibliothek und niemandem, der
sie zwang, Verantwortung zu tragen… Aber das sagte Halan
nicht. Der Richter sollte darüber entscheiden. In Tolimanders
Buch stand niemals etwas anderes geschrieben als die Wahrheit.
Drei Türen führten aus dem Vorzimmer: Zwei große
doppelflüglige, die beide verschlossen waren, und eine schmale
links davon, die einen Spalt weit offen stand. Halan und Anders
traten, ohne weitere Worte zu wechseln, ein. Sie mußten
vorsichtig sein. An Lorimanders Hof konnten sie Elomond wie eine
Geheimsprache benutzen, doch sie mußten damit rechnen,
daß der Alondras und seine Verwandten sie verstehen konnten -
sie sollten es zumindest…
»Seid gegrüßt, Reisende«, sagte der Mann am
Schreibpult, und lächelte.
»Wir wünschen den Alondras zu sprechen«,
erwiderte Anders, und Halan bereitete sich im Geiste schon auf eine
Diskussion wie in Lomar vor, als der Schreiber auch schon
antwortete: »Selbstverständlich.«
Gemächlich tunkte er seine Feder in das Tintenfaß vor
ihm. »Nennt mir nur eure Namen, dann werde ich euch auf die
Liste setzen.«
Anders wuchs um mehrere Zoll, als er Antwort gab: »Alexander
von Korisanders Blute.«
Keine Reaktion, nicht einmal ein Erröten, oder ein
Brauenheben, als der Mann langsam auf eine Pergamentrolle schrieb:
Alexander.
»Von Korisanders Blute«, wiederholte Anders.
Der Schreiber nickte verständnisvoll, und lächelte, und
ließ die Feder ruhen.
»Von Korisanders Blute«, sagte Anders mit
Nachdruck.
»Ja«, sagte der Schreiber. »Ich hörte es
bereits. Und du?« Er blickte Halan erwartungsvoll an.
»Harold«, sagte Halan. »Von Korisanders
Blute.« Mehr Kälte konnte er nicht in seine Stimme
legen.
Die Augen des Schreibers verengten sich. »Wenn ihr
hierherkommt«, sagte er leise, »und den Alondras
aufsucht, dann erkennt ihr auch die Gerechtigkeit an. Und der
Gerechtigkeit ist es egal, von welchem Blute ihr seid.«
Anders hielt die Arme reglos hinter dem Rücken, und nichts
drückte seine Wut aus außer einem leichten Sträuben
seiner Nackenhaare und daß er das Gewicht von einem Fuß
auf den anderen verlagerte. Der Hohn in seiner Stimme erinnert an
Jurik. »Ich verstehe«, sagte er gedehnt. »Also
kann auch ein jeder Alondras werden? Tolimanders Blut bedeutet
nichts ins diesem Land?«
Der Schreiber erblaßte. »Tolimander hat allen Menschen
die Gerechtigkeit geschenkt«, sagte er fest. Seine Finger
waren tintenfleckig. »Aber wir sind das einzige Volk, das ihn
ehrt.«
»Ehrt?« fragte Anders weiter. »Wo sind dann
seine Statuen? Wo, an welcher Wand, steht auch nur sein Name
geschrieben?«
»Wir ehren sein Erbe!« erwiderte der Schreiber,
plötzlich hitzig. »Akzeptiert es, oder ich streiche euch
beide wieder aus der Liste!«
Halan sah, daß Anders bereit war, sich auf einen Streit
einzulassen, in dessen Folge man sie des Landes verweisen konnte,
und ging schnell dazwischen. »Laßt gut sein«,
sagte er. »Wir werden lernen, uns Euren Sitten anzupassen,
solange wir hier sind.« Wenn das Reisen mit Anders und Jurik
eines war, dann eine Schulung. »Sagt uns lieber, wo wir und
unser Begleiter unterkommen können, und wann der Alondras
bereit sein wird, uns zu empfangen.«
»Ah«, sagte der Schreiber, und sein hölzernes
Lächeln kehrte zurück. »Ich werde euch Wohnraum
zuweisen. Willkommen in Tayellin.«
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