Vielleicht waren sie schon auf dem Hinweg in diesem Gasthof
abgestiegen. Sicherlich sogar. Aber Gasthäuser waren alle
gleich, in welchem Land sie auch liegen mochten. Sogar in Landalon
- wenn man erst einmal wieder aus der Hauptstadt hinaus war, konnte
man beinahe meinen, in einem normalen Land zu sein.
Wenn man alles zusammen nahm - wie viele Jahre seines Lebens hatte
Jurik in Wirtshäusern verbacht? Es waren zu viele. Er rechnete
es nicht aus. Er wollte sich nicht alt fühlen.
In Tayellin hatten sie zuviel Zeit vertrödelt, und so war es
schon fast dunkel, als sie endlich ankamen - zu dunkel, um noch das
Wirtshausschild zu erkennen, aber zumindest nicht zu spät, um
noch freie Betten zu bekommen. Zwar strömten die
Rechtssuchenden aus allen Himmelsrichtungen nach Tayellin; für
sie gab es diese Gasthäuser, jedes eine knappe Tagesreise vom
letzten entfernt - aber diese Reisenden reichten nicht aus, um in
einem dünnbesiedelten Gebiet wie Landalon die Häuser zu
füllen. Jurik wußte, daß die Wirtsfamilien zu
einem Gutteil von Geld lebten, das ihnen der Alondras jedes Jahr
zahlte - das gefiel ihm. Ein König - oder auch ein
Alondras, falls er kein König sein wollte - konnte mit
seinem Geld machen, was er wollte: Es sich gutgehen lassen, eine
Armee bezahlen oder eben eine Reihe von Gasthöfen.
Vielleicht war das auch Juriks Zukunft? Viele ausgediente Soldaten
endeten als Wirte - das war ein Handwerk, das nicht erlernt sein
wollte, und mit Bier und Wein kannten sich alle Soldaten aus. Und
es bedeutete das, wovon sie träumten: Ruhe,
Seßhaftigkeit, eine Familie… So wie es aussah,
würde Jurik nichts von alldem jemals erlangen.
Jurik erkannte den Wirt nicht wieder - sie waren austauschbar wie
ihre Gasthöfe, trugen alle die gleichen speckigen
Schürzen und die gleichen Schwielen an den Händen - doch
der Wirt erkannte ihn, oder zumindest seine Begleiter. Gut, die
Engelsgeborenen fielen auf, egal was sie taten: Ob sie nun das
beste Zimmer nahmen oder das schlechteste, beides kam selten genug
vor. Und wenn sie zudem von einem alles andere als
hochherrschaftlichen Krüppel begleitet wurden…
»Ah, die Herrschaften sind zurück!« Der Wirt rieb
sich die Hände. »Nehmt bitte noch für einen Moment
Platz; EureGH Zimmer sind bereit, wir wollen nur noch ein wenig
frische Luft hereinlassen.« Wie lange mochte es her sein,
daß er seiner Armee den Rücken zugekehrt hatte? Schwer
zu sagen. So schnell, wie diese Männer dazu neigten, fett zu
werden, konnte es sogar nur ein Jahr sein. Und bald war es ein Jahr
her, daß Jurik zuletzt unter königlicher Flagge geritten
war, in Doubladir -
Er warf Halan einen scharfen Blick zu. Noch konnte der Widerspruch
einlegen, ein schlichteres Zimmer verlangen - es mußte ja
nicht gleich der wanzenverseuchte Schlafsaal sein. Aber nein, Halan
lächelte nur sein engelsgeborenstes Lächeln und
ließ sich neben Anders auf einer Bank nieder. Wenn er es
darauf anlegte, bald wieder ohne Geld dazustehen - bitte, aber dann
brauchte er nicht noch einmal damit rechnen, daß Jurik sie
wieder rettete. Juriks Börse war seine eigene; sie würde
ihm an diesem Abend einen Krug Wein gönnen und ansonsten nur
sparsam geöffnet werden. Armer dummer Halan, armer kleiner
Anders - irgendwann würden sie es lernen müssen. Was
immer sie in Koristir erwartete - es mochte eher ein Kerker sein
als eine Krone.
Kopfschüttelnd ließ Jurik sich an einem anderen Tisch
nieder. Für diesen Tag hatte er genug. Sollte Ember doch den
Lakaien spielen, wenn er wollte - er hatte hinreichend Unheil
gestiftet, dieser unangenehme kleine Mann. Jurik mußte an
einen Iltis denken, wenn er ihn sah. Einen parfümierten Iltis
- Speichellecker der übelsten Sorte. In seinem Leben hatte
Jurik genug dieser Männer getroffen, aber solange man ihn
nicht zwang, sie zu mögen, konnte Jurik damit leben.
Früher oder später würde Anders Ember in einem
Wutanfall die Nase brechen, und dann hatte es sich ausgedient
für Herrn Ember von Valon. Jurik konnte warten. Ohnehin tat er
nichts anderes.
Während die beiden Jungen sich ausruhten, wechselte Ember ein
paar leise Worte mit dem Wirt. Wie es sich für einen Iltis
gehörte, blieb er stehen, wenn die Herrschaften saßen.
Mit halbem Ohr hörte Jurik Worte wie »warme
Handtücher« und »frische Blumen« und
mußte ein Lachen zurückhalten. Unter die Belustigung
mischte sich erstaunlich viel Ärger. Es war auch schon so
schwer genug, Anders derartige Flausen abzugewöhnen - und nun
war alle Vorarbeit, die Tayellin an dem Jungen geleistet hatte,
wieder dahin.
Tayellin. Jurik bemühte sich, die Stadt aus seiner Erinnerung
zu verbannen. Nun verließ er sie schon zum zweiten Mal in dem
Wissen, daß es ein Fehler gewesen war, den Alondras
aufzusuchen, und daß manche Fragen besser ungestellt blieben,
oder zumindest unbeantwortet. Aber allzu vieles von dem, was Jurik
zur Zeit tat, war ein Fehler. Die Jungen zu verfolgen, sich ihnen
anzuschließen, sich ihnen erneut anzuschließen, obwohl
er die Wahl hatte - Jurik barg das Gesicht in Händen und
bereute, bereute jede einzelne Entscheidung der letzten Monate.
Alles für ein bißchen Rache, das doch in immer weitere
Ferne rückte… Jurik winkte den Wirt zu sich
herüber, der gerade dabei war, Frau und Tochter getreu Herrn
Embers Vorstellungen herumzuscheuchen. Andere Gäste gab es
nicht an diesem Abend.
Der Wirt schnaufte. Kleine Schweißperlen standen in seinem
Gesicht, und die Worte ‘Auf dem Hinweg waren sie noch nicht
so anstrengend’ in seinen Augen. »Ja?« fragte er
kurz.
»Wein«, sagte Jurik. »Bitte.« Er
gebrauchte dieses Wort nur selten, doch es war eine willkommene
Möglichkeit, sich vom Herrn Ember abzugrenzen.
»Was für Wein?« fragte der Wirt zurück. In
seiner Stimme lag der Groll, den er gegen Ember und die
Engelsgeborenen nicht zeigen durfte - aber immer noch besser, Jurik
bekam ihn zu spüren, als die beiden Frauen.
Jurik lächelte. »Wie seh ich denn aus? Den Billigsten.
Ein Roter ist mir lieber, und wenn ihr habt, dann etwas anderes als
dieses süße Zeug aus Jelenandrea.«
Tatsächlich hätte er zu diesem Zeitpunkt jeden Wein
genommen, egal wie süß oder sauer, zum Ausgleich
für drei Wochen Tayellin, Stadt der Wassertrinker. Seine
Säuferjahre hatte Jurik hinter sich, aber manchmal war es
leicht, das zu vergessen.
Der Wirt nickte. »Hab ich da. Moment.« Seine Augen
musterten Jurik, so wie Jurik ihn musterte - er sah das Schwert an
Juriks Seite, diese alte verhaßte Klinge, an der Juriks
Schicksal hing, und er sah Juriks ausgestrecktes Bein, und den
Gehstock. Juriks sah Mitleid in den Augen des Wirtes - am liebsten
hätte er ausgespuckt, aber dann sagte er sich, daß er in
diesem Moment durchaus Mitleid verdiente: Immerhin war er mit
Anders und Halan unterwegs.
Vielleicht hätte der Wirt noch etwas gesagt, gefragt, sich
entschuldigt, aber in dem Moment ging Ember dazwischen. »Was
soll das? Die Herren warten, und Ihr führt Gespräche?
Wollt Ihr sie nicht zuerst bedienen?«
Jurik warf Anders und Halan einen Blick zu. Halans Lippen waren zu
einem schmalen Schlitz zusammengepreßt, Anders noch bleicher
als sonst, und beide sahen aus, als wären sie alles andere als
überglücklich ob der Behandlung, die Herr Ember ihnen
angedeihen ließ. Doch Widerspruch legten sie nicht ein. Jurik
lehnte sich zurück. Das mußten sie selbst durchstehen,
und seinen Wein würde er schon noch bekommen.
Schließlich stand Halan auf, ignorierte die dampfende Tasse,
die der Wirt eilig vor ihm abgestellt hatte, und wechselte mit
Anders ein paar kurze Worte in der Engelssprache. Damit waren sie
vor Jurik sicher, aber ob Ember die Worte nicht vielleicht doch
verstand? Jurik schnaubte. Das gehörte zu den Dingen, die er
an den Engelsgeborenen haßte.
Anders antwortete etwas, zuckte die Schultern, hob die Hände
- Jurik mußte den Wortlaut nicht verstehen, um zu begreifen,
daß der Junge auswich. Da reichte ein Blick in Anders’
Gesicht. Egal, was in ihm vorgehen mochte - normalerweise erlaubte
er sich weniger offenes Unglück als in diesem Moment. Er sah
wirklich schlecht aus. Halan nickte Anders noch einmal kurz zu und
ließ ihn zurück. Eigentlich waren dies sogar die ersten
Worte, welche die beiden seit dem Aufbruch überhaupt
miteinander wechselten.
»Gute Nacht, Jurik«, sagte Halan leise, als er an
seinem Tisch vorüberging. »Ich werde mich jetzt zur Ruhe
begeben. Die Reise war sehr anstrengend.«
»Ja, gute Nacht auch«, sagte Jurik, völlig
verwirrt. Halan hatte ihm noch nie eine gute Nacht
gewünscht, oder einen guten Tag, oder irgend etwas anderes -
aber bevor er nachfragen konnte, war Halan schon auf der Treppe
nach oben verschwunden. Sein Onkel folgte ihm nicht.
Dann war wieder Herr Ember an Anders’ Seite, redete leise
auf ihn ein - Worte waren nicht zu verstehen, nur sein zischelnder
Tonfall. Und, daß Anders ihm nicht antwortete. Jurik lehnte
sich auf die Tischplatte und machte keinen Hehl daraus, daß
er Anders beobachtete - oder beobachtete er Ember?
»Entschuldigung«, sagte eine Mädchenstimme.
»Es hat etwas länger gedauert.«
Jurik lächelte zurück. Die Tochter des Wirtes war keine
Schönheit, dafür war ihre Nase zu sehr die ihres Vaters,
und das breite Kinn ebenso. Sie mochte vielleicht zwanzig Jahre alt
sein… Jurik lächelte für sie, aber auch, weil ihm
die Geschichte gefiel, von dem alten Soldaten, den die Armee nicht
mehr brauchen konnte und der endlich die Zeit fand, seine Frau auch
zu heiraten - es war schön, so jemanden zu haben.
Aber das Mädchen sah nicht glücklich aus, auch wenn sie
das Lächeln erwiderte. »Wohl bekomm’s«,
sagte sie freundlich.
»Warte«, sagte Jurik. »Was schulde ich
dir?«
»Es reicht, wenn Ihr morgen früh zahlt.«
Jurik schüttelte den Kopf. »Ich zahle lieber
sofort.« Es war besser, niemals etwas schuldig zu bleiben.
Und kaum etwas war dümmer, als am Morgen zu erfahren,
daß man in der Nacht sein ganzes Geld vertrunken hatte. So
etwas sollte ihm nicht passieren.
»Dann sind es vier Mark für den Wein.«
Jurik schluckte. Und er hatte doch extra den billigsten bestellt!
»Da kommt noch ein Bett zu«, sagte er.
»Hat der Herr mit den Goldstücken schon bezahlt.«
Sie deutete auf Ember.
»Na dann«, sagte Jurik und bezahlte seinen Wein. Wenn
Ember zahlen wollte - Jurik mußte jemanden nicht mögen,
um sein Geld zu nehmen. Er mochte es nicht, für einen Bettler
gehalten zu werden, aber an falschem Stolz waren schon zu viele
Männer verhungert. Und das Gold war das erste, was ihm am
Herrn Ember gefiel.
Die Wirtstochter ging wieder. Zumindest hatte sie einen
hübschen Hintern. Und was den Wein anging - Jurik hatte schon
schlechteren getrunken. Er lehnte sich zurück, um Ember und
Anders weiter zu belauschen.
»Und? Seid Ihr zufrieden? Oder kann ich noch etwas für
Euch tun?«
»Ihr könnt mein Gepäck hinaufbringen«, sagte
Anders im gleichen Tonfall wie ‘Ihr könnt tot
umfallen’.
»Selbstverständlich. Ich werde sofort…«
Suchend blickte sich der Iltis nach den Wirtsleuten um. Jurik sah
schnell in seinen Wein, um sich nicht als Lauscher zu verraten.
»Ich sagte, Ihr könnt«, unterbrach ihn
Anders.
»Oh ja, ich verstehe… selbstverständlich werde
ich…«
Jurik lächelte in sich hinein, als Ember aufstand, sich
Anders’ Tasche über die Schulter legte und das seltsame
Bündel vom Boden neben Anders’ Füßen aufnahm.
Bei aller Heimlichtuerei konnten eigentlich doch nur Schwerter
darin sein. Mit irgend etwas mußte sich Herr Ember
schließlich bei Anders eingekauft haben. Geld reichte nicht
aus, um aus dem Jungen einen Lügner zu machen.
Als Ember endlich nach oben verschwunden war, atmete Jurik
erleichtert auf. Mit einem Schlag schien es in der Wirtsstube
merklich wärmer zu werden. Er nahm einen Schluck von seinem
Wein, schloß die Augen und versuchte zu entspannen. Reiten,
selbst auf einer Schindmähre, war deutlich angenehmer und vor
allem weniger anstrengend als Wandern, dennoch war Jurik froh, sich
im Warmen erholen zu können. Ein Platz am Feuer - wie passend
für einen Krüppel, oder einen alten Mann!
»Kann ich mich etwas zu dir setzen?«
Jurik blickte auf. Da stand Anders, und er sah wirklich
erbärmlich aus.
»Sicher«, sagte Jurik und rutschte ein Stück zur
Seite, damit auf der Bank genügend Platz für den Jungen
war. Anders setzte sich zaghaft
»Und?« fragte Jurik. »Alles in
Ordnung?«
»Kann ich etwas von deinem Wein abhaben?«
Jurik hob eine Augenbraue. So also huschte der Hase! »Kommt
darauf an«, sagte er, »ob du dich am Preis beteiligst.
Ich bin schließlich kein Geldscheißer.«
Natürlich hatte er immer noch genug, um Anders einzuladen,
aber er wollte sehen, wie ernst es dem war. Und es war Zeit, Anders
den Wert des Geldes beizubringen. Vier Mark für einen Krug
Wein!
Anders legte einen Gulden auf den Tisch. »Hier - ich
weiß, daß das zuviel ist, aber behalt es. Sag Bescheid,
wenn du mehr willst.« Seine Augen waren fest auf den Wein
gerichtet, als schaffe er es nicht, Jurik ins Gesicht zu blicken.
Jurik kannte diesen gierigen Ausdruck, von sich selbst mehr als von
Anders, und er nickte grimmig.
»Sag dem Mädchen, es soll uns einen zweiten Becher
bringen.« Den Gulden steckte er ein. Nicht entsetzlich viel
für einen Tagessold, und noch viel weniger für die
Monate, die er jetzt schon mit Anders und Halan verbrachte - er
war, wenn schon kein Hauptmann mehr, dann doch immer noch ein
Söldner, und er konnte sich nicht leisten, seine Dienste zu
verschenken. »Möchtest du reden?«
Anders schüttelte den Kopf. Seinen Holzbecher hielt er fest
in beiden Händen wie einen Schatz, den ihm niemand wegnehmen
konnte. Aber vielleicht wollte er auch nur seine Handflächen
vor Juriks Augen verbergen. Unter seinen Fingernägeln klebte
Blut. Es widerte Jurik an. Am liebsten hätte er den Jungen
übers Knie gelegt - wenn der Schmerzen haben wollte, das ging
auch einfacher - aber statt dessen schenkte er ihm nur ein.
»Willst du auch was essen?« fragte er. »Das Gold
reicht für ‘nen Eintopf.« Ein Gulden mit dem
geflügelten Löwen - Jurik mußte nicht fragen, von
wem Anders den hatte.
»Hab keinen Hunger«, murmelte Anders. Jurik bestand
nicht darauf. Anders mußte selbst wissen, ob er sich nachher
die Seele aus dem Leib kotzen wollte. Er hatte selbst nicht den
rechten Appetit.
Anders wollte nicht reden - daran war Jurik gewöhnt. Doch wo
normalerweise der Wein seine Zunge gelockert hätte, schwieg
der Junge diesmal hartnäckig - was immer Jurik versuchte, aus
Anders war kaum mehr herauszuholen als ein Schulternzucken.
Nach einiger Zeit - länger, als es dauerte, ein paar Taschen
hinaufzutragen - kehrte Ember zurück, doch er schenkte Jurik
und Anders nur einen abschätzigen Blick, bevor er sich an
einem anderen Tisch niederließ. Und doch war es genug, um
Anders zusammenzucken zu lassen wie ein getretener Hund. Und es
wurde wieder kälter.
Jurik blickte Anders nach, als dieser wortlos aufstand und
unsicheren Schrittes zur Treppe ging. In diesem Moment
verspürte er mehr Mitleid mit Halan, der sich das Zimmer mit
Anders teilen mußte - Halan mit seiner ach so empfindlichen
Nase, die kaum etwas mehr zu hassen schien als den Geruch von Wein.
Und wahrscheinlich würde Anders dazu noch schnarchen wie ein
Bär - nein, eigentlich war es doch Anders, der Jurik leid tat,
auf eine wütende Weise.
Der Krug war leer. Jurik haderte mit sich, ob er einen zweiten
bestellen sollte - schließlich waren ihm kaum mehr als
zweieinhalb Becher geblieben, wahrlich nicht viel - das Gold aus
Loringaril wog schwer in seiner Tasche, ein Gulden für
Wein… Jurik knurrte leise und verfluchte Anders. Ein Krug
Wein war gerade richtig für einen Abend, ein halber war zu
wenig - doch anderthalb waren zuviel. Keinen Wein mehr für
diesen Abend. Jurik fluchte. Seine Ruhe war hin.
»Ihr solltet Euch schämen«, zischte eine Stimme
in Nähe seines Ohres. Jurik schrak hoch. Er hatte Ember nicht
kommen hören. Der Iltis hatte Katzenpfoten.
»So?« fragte Jurik zurück und wartete gespannt,
was kommen mochte. Wenn sein alter Mantel Embers Mißfallen
erregt haben sollte…
»Den Prinzen betrunken zu machen«, schloß Ember
seine Anklage.
Jurik blieb ruhig. Er war zu alt für Ohrfeigen, und Ember
wahrscheinlich auch. »Ihr irrt«, sagte er
lächelnd. »Mit jedem Wort. Erstens ist der Junge kein
Prinz. Bestenfalls ist er König, aber Prinzen gibt es in
Koristan keine, und das solltet Ihr wissen, Berater.
Zweitens habe nicht ich ihn betrunken gemacht, sondern er sich
selbst - und wer bin ich, die Entscheidungen eines
hochwohlgeborenen Prinzen in Frage zu stellen? Drittens hätte
er es gar nicht tun können ohne Euer Geld.« Der
Gulden wanderte wie von selbst auf die Tischplatte, Löwen
zuoberst. »Und viertens«, schloß Jurik mit einem
Grollen in der Stimme, das schon viele zu Recht fürchten
gelernt hatten, »seid Ihr es, der sich schämen sollte,
Herr Ember.«
In Embers breites Gesicht war Unschuld gemeißelt.
»Schämen? Wofür?«
»Setzt Euch!« befahl Jurik und wollte nichts weniger,
als einen Tisch mit diesem Mann zu teilen. Und Ember gehorchte.
Jurik stützte sich auf die Ellbogen und lehnte sich vor, und
er sprach nicht lauter als unbedingt nötig. Er wußte
zuviel über die Ohren von Wirten, und zuviel über die
Zungen ihrer Frauen. »Glaubt Ihr, ich habe keine Augen im
Kopf?« fragte er dann. »Oder soll ich übersehen,
daß Ihr den Jungen erpreßt?«
»Erpreßt?« wiederholte Ember und formte einen
Bogen aus seinen Augenbrauen.
»Ich will nicht wissen, womit«, fuhr Jurik fort.
»Was Ihr gegen Alexander in der Hand zu haben glaubt, ist
Eure Sache, und der Junge zahlt teuer genug dafür, daß
Ihr es für Euch behaltet. Aber wenn Ihr ihn nicht in Frieden
laßt, Ember, wird Euch das leid tun.«
Ember bot ein Lachen dar. »Guter Mann, aus Euch spricht der
Wein! Wie sollte ich den Prinzen erpressen? Gerade eben sagtet Ihr
noch, ich hätte ihm Geld gegeben - ist es das, was Erpresser
tun?«
»Nicht um Geld«, zischte Jurik. »Um Macht,
vermute ich, um eine Aufgabe, um was auch immer - ich will es nicht
wissen. Ich sehe nur Alexander vor die Hunde gehen, seit Ihr dabei
seid. Und ich lasse das nicht zu.«
Ember schüttelte den Kopf - es sollte wohl Belustigung
darstellen. Dann klatschte er in die Hände, um die Schankmagd
an den Tisch zu holen. »Offenbar seid Ihr nicht eingeweiht -
der Prinz ist aufgewühlt, seit er weiß, daß die
Krone in die falschen Hände gefallen ist.« Vielleicht
nahm Ember Jurik nicht ernst - ganz sicher sogar - aber das
führte nicht nur zu diesen lächerlichen Hohnversuchen. Es
führte auch dazu, daß Ember mehr von sich preisgab, als
er selbst wollte. Zwar wählte er weiter die geschliffenen
Worte eines Höflings, aber er dachte nicht mehr daran, seine
Stimme zu verstellen. Fort waren die ermüdend bedächtigen
Sprechpausen, und fort war auch das unterwürfige Zischeln.
»Bring uns einen Wein!« herrschte er das Mädchen
an. »Aber« - er schnüffelte geringschätzig -
»einen besseren als diesen hier.« Danach hatte sein
Lächeln beinahe etwas Entschuldigendes, als hätte er
irrtümlich Juriks Mutter beleidigt.
Jurik nickte bei sich. Ember war fähig darin, die
Schwächen seiner Gegenüber in Erfahrung zu bringen. Nun
lagen Anders’ Schwächen so sehr auf der Hand, daß
man manchmal schon mit Gewalt über sie hinwegsehen
mußte, aber was er nun mit Jurik versuchte - diese
Beiläufigkeit, mit der er nach dem Wein schickte… Aber
vielleicht überschätzte Jurik ihn auch. Wein sollte immer
der erste Versuch bei einem alten Soldaten sein, und danach waren
meist keine weiteren nötig.
»Ihr täuscht mich nicht«, sagte er. »Euer
schmieriges Gehabe mag auf einen Höfling wirken, nicht auf
mich. Ich kenne Alexander, seit er ein Wickelkind ist, und ich
weiß, wie er wann reagiert.« Er sprach weiter, auch als
er merkte, daß er zuviel gesagt hatte, zuviel von sich.
»Und ich weiß, wann er nur Sorgen um sein Land hat, und
wann er erpreßt wird.«
»So?« fragte Ember und hielt seinen Kelch gegen das
Licht des Kamins. Dieser Wein wurde tatsächlich mit einem Glas
geliefert. Zumindest für Ember. Jurik durfte seinen Holzbecher
behalten. »Nun, wenn das Euer Glaube ist, dann kann und will
ich ihn Euch nicht nehmen. Und wenn Ihr selbst sagt, es geht Euch
nichts an…«
»Was aus dem Jungen wird, geht mich an«, knurrte
Jurik. »Und Euch auch, denn wenn er sich umbringt, nützt
Euch Eure ganze feine Macht nicht mehr soviel.« Er
drückte Daumen und Zeigefinger zusammen. »Aber was Ihr
überseht, Ember, ist, daß auch ich Macht habe.«
Jurik zog sein Schwert, langsam, damit es nicht nach einem Angriff
aussah, und streckte es Ember hin.
»Wollt ihr mir drohen?« Ember lachte leise, und noch
fehlte die Nervosität darin - aber Jurik gab vor, die Frage zu
ignorieren.
»Was haltet Ihr hiervon?« fragte er leichthin.
Ember beugte sich vor, warf einen Blick auf die Schneide, und
lehnte sich wieder zurück, kopfschüttelnd. Hatte er
wirklich keine Angst? Traute er Jurik so wenig zu? »Das ist
ein erbärmliches Schwert«, sagte er. »Vor zwanzig
Jahren hättet Ihr mich damit vielleicht das Fürchten
gelehrt, aber jetzt? Die Klinge ist stumpf, wo sie nicht schartig
ist, und voller Rostflecken - aber ich vermute, Ihr könnt Euch
weder Öl, noch einen Wetzstein leisten.«
Jurik blieb ruhig, nippte kurz an seinem Wein, ehe er sagte:
»Es geht nicht um das Schwert. Es geht um die Hand, die es
führt.«
Und jetzt erbleichte Ember endlich für einen Augenblick.
Juriks Hand war schwielig, sein braungebrannter Arm von Narben
übersäht, die sich weiß von der Haut abzeichneten.
Darunter spannten sich die Muskeln. Es war eine Hand, die
getötet hatte.
Jurik nahm einen weiteren Schluck, ehe er langsam das Schwert
wieder wegsteckte. »Ich denke, Ihr habt mich
verstanden«, sagte er leise. »Habt Dank für den
Wein.«
Dann stand er, ohne eine Antwort abzuwarten, auf, und ging in
seine Kammer. Den halbvollen Becher ließ er stehen.
Am anderen Morgen stand Jurik zeitig auf, um auf jedem Fall vor
dem Iltis in der Schankstube zu sein. Solange er nicht wissen
konnte, ob sich Ember die Drohungen zu Herzen nehmen würde,
sollte der Mann keine Gelegenheit bekommen, mit Anders allein zu
sein.
Aber vielleicht war es auch nur die Wut, die Jurik um den Schlaf
brachte. Er fühlte sich leicht verkatert, als er aufstand und
die Treppe hinunterhumpelte, doch auch das schien weniger vom Wein
zu kommen. Mit einem kleinen Seufzer setzte er sich in eine
schattige Ecke, die vom Licht der gerade aufgehenden Sonne noch
nicht berührt wurde, und begann zu warten, bis ihm die
Augenlider wieder zufielen.
»Guten Morgen«, sagte eine Mädchenstimme, und
Jurik schrak hoch. »Möchtet Ihr
frühstücken?«
War es nicht ein schöner Tag, wenn das erste, das man
erblickte, das Lächeln einer Frau war? »Erst mal nur
einen Malzkaffee«, sagte Jurik. Die Wirtstochter sah kaum
ausgeschlafener aus als er. »Du kannst dir auch einen machen,
wenn du magst, ich lade dich ein.«
Sie warf einen angespannten Blick zur Treppe, die Jurik wieder im
Auge hielt. »Sind die Herrschaften auch schon auf?«
Jurik schüttelte den Kopf. »Um diese Tageszeit? Sie
wären keine Herrschaften, wenn sie so früh
aufstünden wie wir.«
Das reichte für ein leises Lachen, und bald auch für
zwei Becher heißen Malzkaffee.
»Wenn nicht gerade Leute wie wir vorbeikommen«, sagte
Jurik, »habt ihr hier draußen ein schönes ruhiges
Leben.« Er hatte nicht vor, mit dem Mädchen anzubandeln,
aber er genoß jede Möglichkeit, sich mit Menschen -
richtigen, normalen Menschen - zu unterhalten.
Das Mädchen schnaubte, leise, aber vernehmlich. »Ruhig
ja«, sagt sie und rührte heftiger in ihrem Kaffee als
nötig. Dann blickte sie Jurik abschätzig an.
»Hört mal, Ihr seid doch auch Soldat gewesen,
oder?«
»Söldner«, antwortete Jurik. »Und ich bin
es noch.« Er wußte, daß sie ihm jetzt auf den
Fuß starren würde, oder zumindest auf den Gehstock.
Aber das tat sich nicht. »Hab Ihr irgendwo Frau und
Kinder?« fragte sie statt dessen.
Jurik schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich
wüßte.« Jedenfalls keine, zu denen es sich lohnen
würde zurückzukehren.
Sie hob eine Augenbraue. »Wenn doch - laßt sie in
Frieden.« Ihr Tonfall war hart, und verletzlich. Sie schob
die beiden leeren Becher zusammen. »Danke noch mal für
den Kaffee, aber wenn Ihr Euch weiter mit mir unterhalten wollt,
müßt ihr schon in den Kuhstall mitkommen.«
»Kuhstall?« fragte Jurik, für einen Moment
erstaunt.
Jetzt lachte sie wieder. »Denkt Ihr, die Herrschaften
trinken Malzkaffee? Was meint Ihr wohl, wo morgens die frische
warme Milch herkommt?«
Jurik grinste zurück. »Frag das nicht mich«,
sagte er. Aber er ging nicht mit. Er war zu alt, um sich mit Frauen
im Kuhstall zu vergnügen. Und wahrscheinlich dachte sie auch
wirklich nur ans Melken.
Jurik blieb in der Wirtsstube und wartete auf die
Herrschaften.
Als erstes kam Halan die Treppe herunter, bleich und mit einem
Lächeln, das dazu geeignet war, ein Todesurteil zu
verkünden. Aber so sah Halan immer aus, man konnte nie
erahnen, in welcher Stimmung er sich befand oder was er dachte. Er
blieb an Juriks Tisch stehen - daß er sich freiwillig zu ihm
setzte, war auch sicher zuviel verlangt - und nickte ihm zu.
»Guten Morgen, Jurik«, sagte er leise.
Diesmal kam es nicht so unvorbereitet. »Guten Morgen
auch«, erwiderte Jurik. »Gut geschlafen?«
Keine Antwort. Natürlich, diese Frage geziemte sich
nicht.
»Wie geht es Anders?«
Nun schenkte ihm Halan einen dermaßen frostigen Blick,
daß man es beinahe für eine Gefühlsregung
hätte halten können. Ohne weitere Worte ließ Halan
sich an einem anderen Tisch nieder. Auch er schien zu warten. Auf
Ember? Kurz überlege Jurik, ob er doch noch in den Kuhstall
übersiedeln sollte, um Halan zumindest die Hoffnung zu geben,
einige Worte unter vier Augen mit dem Iltis wechseln zu
können. Aber Jurik blieb sitzen. Er hatte die älteren
Rechte am Warten; er schuldete diesem Engelsgeborenen nichts, und
außerdem kam auch schon das Mädchen mit der Milch
zurück.
Nachdem sie nun zu zweit in der Wirtsstube warteten und kein Wort
miteinander wechselten, schien die Zeit langsamer zu vergehen als
zuvor. Jurik lehnte sich zurück und döste noch ein wenig,
bis ihn ein Poltern hochschrecken ließ.
Es war Anders, der so schnell die Treppe hinunterhastete,
daß er beinahe gestürzt wäre. Er sah so elend und
verkatert aus, wie Jurik erhofft hatte. Vor allem aber stand Furcht
in seinem Gesicht. Er blickte sich gehetzt um zwischen Juriks Tisch
auf der einen Seite und Halans auf der anderen, als wisse er nicht,
zu wem er sich setzen sollte - schließlich wählte er
doch wieder Halans Seite, und das keinen Augenblick zu früh,
denn nun tauchte am Treppenkopf endlich Ember auf.
Als der Mann die Treppe hinunterkam, konnte Jurik sich ein Lachen
kaum verkneifen, selbst wenn er es dann nur bei einem breiten
Schmunzeln beließ: Ember hatte sich in der Tat Juriks Worte
vom Abend zu Herzen genommen, oder zumindest die Drohungen, denn so
wie Jurik sein Schwert immer offen an seiner Seite trug, war nun
auch Ember bewaffnet. Mit einem Dolch. Vielleicht sollte es auch so
etwas wie ein Kurzschwert darstellen, aber um Jurik damit
gefährlich zu werden, hätte er die Klinge schon vergiften
müssen. Zuzutrauen war es ihm allemal. Mit der Stimmung hatte
er schließlich nichts anderes getan. Aber er hatte Angst vor
Jurik. Und das war gut so.
»Guten Morgen, Ember«, sagte Jurik laut, als dieser
zielstrebig auf Anders’ Tisch zusteuerte. »Ich hoffe,
Ihr habt wohl geruht? Keine bösen Träume, die Euch
plagten?«
Ember zuckte zusammen, so wie vor ihm Anders, und fuhr kurz mit
der linken Hand zum Griff seines Dolches, nur um sich dann doch nur
rasch die Kleidung zurechtzuzupfen. Und sich an einen freien Tisch
zu setzen.
Jurik lächelte in sich hinein. Das klappte doch! Aber dann
verfinsterte sich seine Stimmung wieder. Dies war nur ein Morgen.
Was folgte, war nicht nur der restliche Tag - was folgte, waren
noch mindestens vier Wochen, bis sie wieder in Koristir waren. Das
konnte doch nicht vier Wochen lang so weitergehen? Zwei Jungen und
zwei Männer, die sich haßten und verabscheuten, kaum ein
Wort miteinander wechselten? Wer zwang Jurik, sich das noch
länger zuzumuten? Zum wiederholten Mal verfluchte sich Jurik,
daß er geblieben war. Aber er blieb.
Tatsächlich gelang es Ember, sein Maul zu halten bis nach dem
Frühstück, und er belästigte Anders auch nicht
weiter - nicht, daß der Junge dadurch besser gegessen
hätte. Aber dann mußte der Iltis wohl zu dem
Schluß gekommen sein, daß Jurik ihn wohl kaum vor aller
Augen niederstrecken würde, und er unternahm den nächsten
Angriff, noch während sie die Pferde für den Weiterritt
sattelten.
Unter dem unbarmherzigsten Blick, den Jurik aufbringen konnte,
ließ Ember zwar noch zu, daß Anders Farrell selbst
sattelte, aber dann sagte er mit gehobenen Augenbrauen: »Es
kann doch kaum Eure Absicht sein, über Loringaril
zurückzureiten, mein Prinz?«
Anders antwortete durch zusammengebissene Zähne: »Es
ist. Meine Absicht.«
»Aber, mein Prinz, davon muß ich Euch in höchstem
Maße abraten.«
Anders starrte zu Boden. Das war kein gutes Zeichen. »Ich
bin nicht. Euer Prinz.«
Darauf ging Ember nicht ein. Nicht wirklich. Nur ein
verlogen-unterwürfiges Lächeln. »Wie Ihr
wünscht… Es ist nicht an mir, Eure Entscheidungen in
Frage zu stellen. Aber Ihr werdet mir vergeben, daß
ich… um Eure Sicherheit besorgt bin.«
Anders’ Sicherheit? Jurik hätte gerne laute darauf
hingewiesen, daß Ember gerade dabei war, Anders’
Selbstmord vorzubereiten. Aber er sagte nichts.
»Ach ja?« Ein klein wenig des alten Trotzes schwang
wieder in der Stimme des Jungen mit. Nicht viel, aber wenigstens
etwas.
»Mein Prinz, in Loringaril herrscht mittlerweile Krieg!
Doubladirs Armeen ziehen über das Land, eine Spur der
Verwüstung hinterlassend…« Jurik hustete, doch
Ember sprach weiter: »Sie würden auch vor Euch keinen
Halt machen, selbst wenn Ihr keine Loringarim seid, selbst wenn Ihr
Engelsgeborene seid…« Dann erst blickte er zu Jurik
hinüber. »Was ist?«
Jurik benötigte einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen.
»Mein guter Mann, Ihr traut Doubladir ja einiges zu! Aber
selbst wenn seine Armeen auf den Schwingen der Rache reisen,
heißt das nicht, daß sie auch fliegen können! Es
dauert seine Zeit, eine Armee auszuheben, die groß genug ist,
um Loringaril einzunehmen. Und wenn, dann werden sie sicher nicht
an Loringarils Westrand damit anfangen, sondern von Osten kommen,
den Aleruan überqueren und sich dann Meile für Meile
vorarbeiten, bis Lomar fällt. Krieg oder nicht, der Westen ist
sicher, sogar für Engelsgeborene.« Sicherer als Koristan
alle Male, aber es reichte, daß Jurik sich einmal den Mund
deswegen fusselig geredet hatte.
Ember senkte den Kopf. »So? Ihr scheint Euch ja gut mit
Doubladir auszukennen - und mit seiner Strategie.«
Jurik grinste. »Besser als Ihr, möchte ich meinen.
Doubladir beginnt alle paar Jahre einen Krieg mit Loringaril,
rückt geradlinig vor, liefert sich ein paar Schlachten entlang
des Aleruans, zeigt sich beeindruckt von der Stärke
Loringarils und willigt dann zähneknirschend in einen
Friedensvertrag ein, ohne etwas gewonnen zu haben oder etwas
verloren als ein paar hundert Leben, ein paar tausend, wenn’s
hochkommt. Jetzt wird es nicht anders laufen.« Er hatte auf
beiden Seiten gedient. Dies war der erste Krieg, der ohne ihn
auskommen mußte.
Ember wurde etwas hektischer. »Aber allein das Risiko,
daß etwas passieren könnte… Loringaril ist in
höchstem Alarmzustand, man könnte die Prinzen für
Spione halten und festsetzen… Ihr wißt selbst, wie es
um den Verstand des Königs bestellt ist…«
Jurik hatte die Nase voll. »Mir scheint«, sagte er
laut, »der einzige, der in Loringaril in Gefahr ist, seid
Ihr.«
Ember erbleichte. Nur kurz, aber er erbleichte. »Was…
meint Ihr?«
»Hochverrat.« Jurik dehnte das Wort. »Oder habe
ich Unrecht?«
»Ja«, sagte Ember, aber natürlich ging es weiter
mit: »Ihr habt Unrecht.«
Jurik hatte keine Zweifel mehr. Das ganze Gold mußte
irgendwo herkommen - sicher aus der königlichen Schatzkammer.
Ein Berater, der in Unehre entlassen wurde, erhielt keine
Entschädigung. Gold aus der Schatzkammer, ein paar Schwerter
aus dem königlichen Arsenal… Jurik stutzte. Wenn Ember
richtige Schwerter gestohlen hatte, warum trug er dann nur einen
Dolch? Irgend etwas war hier faul…
»Hochverrat«, sagte er leise. »Für
Loringaril reicht aus, daß Ihr nun Koristan dient. Euer Kopf
wackelt, so oder so.«
Ember schwieg. Das war der erfreulichste Augenblick an diesem
Morgen, noch vor der Wirtstochter. Er reichte ungefähr so
lange, bis Anders sagte: »Dann reiten wir durch
Jelenandrea.«
Und Jurik verfluchte sich, daß er die ganze Zeit über
nur auf Herrn Ember geachtet hatte.
Diese Website wertet Statistiken aus mit Piwik.
© 2000 - 2015 by Maja Ilisch. All Rights Reserved.
Kommentare und Diskussionen zu diesem Kapitel
Kommentar verfassen