Es war kalt geworden in Koristir, kälter als der Tod.
Alexander war allein, zum ersten Mal seit - seit wann? - konnte er
niemanden in der Nähe fühlen. Zumindest niemanden, den er
fühlen wollte. Da waren nur er - und die
Palastwachen.
Alexanders Füße blieben von selbst stehen, als sich die
Tür hinter ihm schloß. Auf der anderen Seite war Halan,
und Farrell, und die Welt… hier war nur das Ende.
»Geht weiter, bitte«, sagte der Hauptmann leise.
»Wir tun das hier nicht gerne, aber wenn Ihr Euch widersetzt,
müssen wir Euch in Eisen legen.«
Hier war es kalt, und keine Sonne schien. Alexander hielt den Kopf
gerade und blickte geradeaus, durch die Wand. Dann hob er die
Hände. »Gut«, sagte er. »Legt mich in Eisen.
Laßt die Welt sehen, daß hier ein Unrecht geschieht,
daß Korisanders Kindern Gewalt angetan wird, und für
niemanden soll es so aussehen, als hätte ich mich diesem
Unrecht klaglos gebeugt.« Seine Stimme hallte von den
Wänden wider. In der Luft lag der vertraute Geruch von Kalk.
»Und dann sagt mir, um was es geht! Was wird gegen mich
vorgebracht?«
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Ihr macht alles nur
noch schlimmer, Alexander… Ich scherzte nicht, als ich von
Eisen sprach. Aber Eure Frage« - während er dies sagte,
klappten die schweren rostigen Handschellen um Alexanders
Handgelenken zusammen, und der Hauptmann selbst behielt den
Schlüssel - »kann ich Euch nicht beantworten. Ich
führe nur Befehle aus, und der Befehl ist, Euch
festzunehmen.« Er zog an der Kette. Alexander wurde
vorwärts geschleift. »Kommt jetzt!«
»Wohin führt ihr mich?« fragte Alexander und
flehte ‘Nicht in den Kerker, nicht in den
Kerker’. Wenn sie ihn in den Turm sperrten, konnte er
zumindest noch hinausblicken… oder springen… Es gab
Turmverliese, das wußte er, auch wenn sie seit Jahrzehnten
ungenutzt waren. Aber unten im Kerker, ohne Licht, ganz allein -
das würde er nicht überleben.
Die Eisen zerrten und kratzten an seinen Händen, aber
Alexander rührte keine Miene, als er über den Hof
geführt wurde, vorbei an der Pforte zum Turm, hin zum Keller.
Er starb in diesem Moment.
Er war noch nie unten im Kerker gewesen. Er hatte
Gerichtsverhandlungen beigewohnt, doch vor dem Anblick des Kerkers
hatte Koris ihn immer beschützt. Es war dunkel und kalt, und
es roch nicht nach Kalk, sondern Moder. Ein Hauch von
Fäulnis… allein der Gedanke, dort unten auch nur eine
Nacht verbringen zu müssen, drehte Alexander den Magen um. Ein
paar Fackeln brannten an den Wänden, aber zwischen ihnen war
nur Schatten und Dunkelheit.
»Glaubt mir, ich tue das nicht gern«, sagte der
Hauptmann.
Alexander glaubte ihm, aber das war kein Trost. »Wie lange
muß ich warten?« fragte er, bevor er die Zelle betrat.
Er hielt die Hände hoch und wartete, von den Eisen befreit zu
werden, während die Wachen ihre Schwerter gezogen hielten.
Fliehen würde er nicht, es nicht einmal versuchen. »Wann
erfahre ich, um was es geht?«
»Man wird Euch aufsuchen«, sagte der Hauptmann,
ausweichend.
»Man?« fragte Alexander, leise wie das Klicken des
Schlüssels.
»Eure Mutter«, sagte der Hauptmann.
Alexander nickte. Beinahe hätte er gelächelt. Also hatte
Halan Recht, die ganze Zeit über, und er selbst Unrecht.
Aralee trug die Schuld, sie allein…
Alexander warf einen Blick in die Zelle - sie war sauber und leer.
Eine hölzerne Pritsche, sogar eine Decke darauf - sicher mehr,
als man erwarten konnte. Aber an der Wand -
»Legt mich in Eisen«, sagte Alexander.
»Was?« fragte der Hauptmann entgeistert.
»Tut, was ich Euch sage! Ein letztes Mal!« Mit dem
Kinn deutete Alexander auf die Handeisen, die in die Zellenwand
eingelassen waren. »Kettet mich an!«
»Das kann nicht Euer Ernst sein!« entfuhr es dem
Hauptmann.
Alexander schüttelte den Kopf. Es war ihm ernst, todernst.
»Was immer man mir auch vorwerfen mag«, sagte er leise,
»ich bin unschuldig. Aber ich möchte es auch
bleiben.«
Der Hauptmann blickte ihn an wie einen, der nicht ganz richtig im
Kopf war, und dann schien er zu begreifen. »Gut«, sagte
er. »Es wird später jemand kommen und Euch wieder
losketten.« Der Mann hatte Angst - er ahnte, daß hier
Unrecht am Werk war und er sein Handlanger, und niemand sollte ihn
hinterher zur Rechenschaft dafür ziehen…
Es war Alexander ernst. Er mochte in diesem Moment ruhiger und
gelassener wirken, als man es von jemandem in seiner Situation
erwarten konnte - aber in dem Moment, wo Aralee vor ihm stand,
würde er alles und sich selbst vergessen. Er haßte sie
jetzt schon, haßte sie kalt und innig, aber er wollte sie
nicht töten. Und er würde sie töten, wenn er
konnte.
Alexander betrat die Zelle, stellte sich mit dem Rücken zur
Wand und hob die Hände, wartete, daß die Eisen darum
zusammenschlugen. Er mußte warten, bis seine Wächter den
richtigen Schlüssel gefundne hatten, und das Warten machte ihn
nervös und ärgerlich. Warum nutzte er nicht die
Gelegenheit und floh? Wenn er einem von ihnen das Schwert
entreißen konnte, war er bewaffnet! Alexander wußte es
besser. Er war nicht lebensmüde. Er war unschuldig. Und seine
Unschuld bewies er weder durch Flucht, noch indem er seine Mutter
erschlug. Alexander biß die Zähne zusammen und schluckte
an seiner Wut, bis sich die Eisen um seine Handgelenke schlossen
und die Türe zu war und das Licht verschwunden und er ganz
allein.
Er konnte seinen Atem hören, seinen Atem und sonst nichts.
Oder war das ein Rascheln? Eine Ratte? Alexander konnte nichts
sehen. In der Tür war ein vergittertes Fenster, und irgendwo
auf dem Gang brannte eine Fackel - sie warf Schatten in die Zelle,
aber kein Licht. Vielleicht waren Ratten am Boden. Alexander sah
nicht nach unten. Wenn er den Kopf in den Nacken legte, schmerzten
seine Schultern nicht so sehr. Er stand auf den Spitzen seiner
Zehen. Trotzdem fühlte er sich, als reiße ihm etwas
beide Arme aus. Die Ketten erschienen länger, bevor Alexander
in ihnen hing. Oder war er zu klein? Nur ein Junge, kein
König, kein Verbrecher.
Schnell bereute Alexander bitter - bereute, mitgegangen zu sein,
bereute, sich freiwillig in Ketten gelegt haben zu lassen. Was
hatte er erwartet - daß Aralee durch die Tür trat, kaum
daß der Hauptmann fort war? Daß sich alles als
Mißverständnis herausstellte und er zu Halan zurück
durfte, noch ehe der Mond aufging? Oder daß alles nur ein
böser Traum war? Nichts davon war wirklich. Wirklich waren die
Schatten und die Stille und die Einsamkeit.
Alexander wartete still, bis er es nicht mehr ertrug, und dann
begann er zu schreien. Vielleicht half Schreien. Vielleicht
änderte es etwas.
Es änderte nichts. Alexander schrie wie ein Tier im
Käfig, wie ein sterbendes Tier. Er wollte sich bewegen
können, sich gegen die Tür werfen, oder gegen die
Wände - aber er konnte nicht einmal den Kopf gegen die Mauer
dahinter schlagen. Der Versuch allein brach ihm beinahe die
Schultern. Alexander schrie vor Schmerzen, und dann hörte er
wieder auf zu schreien, froh, daß ihn niemand gehört
hatte. Wenn er sich nur nicht hätte anketten lassen! Es war
schwer, an einem Ort wie diesem seine Würde zu behalten, aber
er durfte sie nicht gleich mit Füßen treten.
Alexander konnte nicht sagen, ob und wie die Zeit verging. Es
mußte inzwischen Nacht sein, doch er war zu erschöpft,
um müde zu werden. Seine Knie schlugen gegeneinander - er
konnte nicht mehr auf Zehenspitzen stehen, er konnte nicht mehr,
doch wenn er aufgab, hing all sein Gewicht nur an seinen
Handgelenken, und diese Schmerzen waren schlimmer als das Zerren
und Ziehen in seinen Beinen. Aber er konnte nicht mehr - sein Kopf
war schwer, das Blut pochte in seinen Ohren, er konnte nicht atmen.
Er mußte sich hochstemmen, um nach Luft zu schnappen, aber es
war schwer, es wurde immer schwerer. Und die Nacht schritt fort,
und niemand kam.
Irgendwann verlor sich Alexander.
Die Tür ging auf, und von dem Geräusch erwachte
Alexander, oder er kam wieder zu Bewußtsein. Er nahm den Kopf
hoch, doch wie bei einer Puppe mit zerschnittenen Schnüren
kippte er haltlos nach vorn. Nur seine Augen konnte Alexander noch
bewegen wie er wollte, und mit Gewalt hob er seinen Blick. Er sah
nur dunkle Flecken, und es dauerte einen Moment, bis sich Figuren
daraus formten.
»Alexander?« Die Worte erreichten ihn vor den Bildern,
doch er kannte diese Stimme, kannte sie unter Tausenden und
würde sie immer kennen.
»Mutter«, sagte Alexander. Er nannte sie nur selten
Mutter, aber vielleicht tat es gut, sie daran zu erinnern. Er
fühlte Licht in seinem Gesicht und die Wärme einer
Fackel, aber noch immer sah er nur Schatten. Zumindest bewegten sie
sich jetzt.
»Du hättest nicht angekettet werden
müssen.«
»Ist das alles, was du mir zu sagen hast?« Alexander
zwinkerte.
Aralee schwieg. Warum schwieg sie? Sie hatte beileibe genug Zeit
gehabt, sich eine Antwort zurechtzulegen.
»Du hättest nicht herkommen dürfen.«
»Ich mußte es«, brachte Alexander hervor. In
seinem Inneren wurde es wärmer. Die Wut kehrte zurück.
Sie würde ihm Kraft geben.
»Warum?«
»Weil ich der König bin.« Alexander holte Luft.
»Ich bin der König, hörst du? Ich, und niemand
anderes.« Er schrie. »Ich!« Wann hatte er
zuletzt Ich geschrieen? Als kleines Kind? War Aralee damals
dabei?
»Du bist kein König«, antwortete Aralee.
»Jetzt nicht mehr.«
»Ich weiß«, sagte Alexander. Er konnte immer
noch nicht wieder richtig sehen, doch er spürte ihre
Nähe. »Aber ich weiß nicht, warum.« Er gab
sich ruhig. Er wollte sie schlagen, er wollte sie erwürgen,
aber das sollte sie nicht wissen. Nicht, solange er Antworten von
ihr wollte.
»Du hättest keinen guten König
abgegeben.«
Das war keine Antwort. Das war zumindest nicht, was Alexander
hören wollte. »Auf welcher Seite stehst du?«
Aralee seufzte. »Ich stehe auf der Seite Koristans. Aber das
wirst du mir kaum glauben.« Alexander fühlte Kummer.
Aber vielleicht wollte sie auch nur, daß er das
fühlte.
Alexander bemühte sich um ein Lachen. »Und das Beste
für das Land ist, seinen rechtmäßigen König
einzukerkern?«
»Nein«, sagte Aralee. »Aber das zu verhindern,
lag nicht in meiner Macht.«
Nun war es an Alexander, zu schweigen und abzuwarten.
»Niemand kann sich über die Gesetze
hinwegsetzen.«
»Welches Gesetz schreibt vor, daß ich eingekerkert
werden muß?«
Irgend etwas stimmte nicht, aber Alexander konnte es nicht richtig
einordnen. Er sah nur eine Fackel und Aralees Gesicht im Schatten
dahinter, aber hinter Aralee… Es fühlte sich an, als
sei sie nicht allein. Vielleicht sprach sie deswegen so fern?
Vielleicht durfte sie nicht frei reden?«
»Du bist nicht hier, um mich zu verhören?« fragte
er leise. Vielleicht tat er ihr Unrecht. In der letzten Zeit hatte
er sich zu sehr von Halans Mißtrauen anstecken lassen.
Immerhin war sie seine Mutter.
»Nein«, sagte sie. »Das bin ich nicht.«
Warum auch sollte sie ihn verhören? Sie kannte ihn besser als
jeder andere, oder glaubte es zumindest.
»Warum dann?« fragte Alexander. Langsam erkaltete die
Welt.
»Um nach dir zu sehen«, erwiderte Aralee. »Um zu
sehen, ob du gut behandelt wirst.«
Daß dem nicht so war, konnte sie sehen. »Und du? Wirst
du gut behandelt?« fragte er zurück. Er versuchte, die
andere Person zu fühlen, doch Aralee war dazwischen.
Aralee lachte leise. Glücklich war sie dabei nicht.
»Oh, ich werde gut behandelt. Es mangelt mir an
nichts.«
»Wer?« fragte Alexander. »Amra?«
Aralee nickte mit ausdruckslosem Gesicht. Für einen Moment
verschwanden alle Gefühle von ihr, als unterdrücke sie
etwas.
»Ich werde veranlassen, daß du losgekettet
wirst«, sagte sie dann, bevor Alexander weiterfragen
konnte.
»Ja«, antwortete Alexander. Es war leichter gesagt als
‘Bitte’. »Und wann komme ich frei?«
»Das wird die Verhandlung zeigen.«
»Immerhin gesteht man mir eine zu«, sagte Alexander.
Es sollte leichthin klingen, doch die Anstrengung und die Schmerzen
waren zu groß. »Verhandlung wegen was?« fragte
er.
Aralee seufzte. »Du bist des Hochfrevels angeklagt«,
sagte sie dann.
»Hochfrevels?« wiederholte Alexander,
ungläubig.
Sie nickte nur. »Ich kann nichts für dich tun«,
sagte sie leise. »Gegen die Gesetze bin ich
machtlos.«
»Hochfrevel«, murmelte Alexander. Er hörte ihr
nicht mehr zu, in ihm, um ihn rauschte es, dröhnte es. Koris
und er - war das Hochfrevel? Es ist ein Geheimnis. Niemand darf
es jemals wissen. Niemand konnte es wissen. Es war kein Frevel.
»Ich bin unschuldig«, sagte er noch, und: »Amra
lügt.« Niemand konnte es wissen. Niemand außer
Halan.
Aber Aralee ging nicht mehr darauf ein. »Leb wohl,
Alexander«, sagte sie. »Ich wollte nicht, was geschehen
ist.«
»Ich auch nicht.«
Aralee ging, und nahm das Licht mit. Und für einen Augenblick
konnte Alexander auch die andere Person sehen, die mit ihr gekommen
war. Kein Wächter, niemand, der eine Waffe trug. Niemand - nur
eine Frau. Eine junge Frau mit rötlichem Haar und hellen
Augen. Sie sagte kein Wort, musterte Alexander nur kurz und folgte
dann Aralees Schritten, und dem Licht.
Alexander blieb allein zurück mit seinen Fragen. Und mit der
Dunkelheit.
So wie damals war es, wie damals und schlimmer. Alexander
haßte die Halle der Engel, haßte sie von dem Moment an,
in dem er zum ersten Mal das Tor durchquerte. Nun, als er wieder
die Kälte der steinernen Fliesen unter seinem Körper
spürte, konnte er sich beinahe wieder erinnern, wie es gewesen
war, damals. Am Tage seiner Krönung. Und am Tage seiner
Geburt.
Der König saß auf dem Schwanenthron, der König
sein Vater. Sein Blick war hart und kalt - ein schöner alter
Mann, aus dem die Liebe schon vor Jahren gewichen war. Seine junge
Frau, ein Mädchen von sechzehn Jahren, noch schwach von den
Strapazen der Geburt und bleich wie er, gewandet in weiße
Mutterroben, die erst ihre Schwangerschaft verhüllen sollten
und nun ihren erschlafften Leib. An ihrer Seite die Hebamme, um sie
zu schützen und zu stützen. Der Richter in seinem Grau,
das Schwert an seiner Seite bereit, das Urteil zu vollstrecken
gegen Mutter und Kind. Das Kind, er, Alexander. Neugeboren,
ausgebreitet auf einem Tuch auf dem Boden, nackt. Dem König
ist ein Sohn geboren. Ein Sohn. Dem König. An beidem
durfte es keinen Zweifel geben.
Alexander verstand die Worte nicht. Auch ein Nachkomme des Engels
der Weisheit mußte das Sprechen erst lernen. Korisanders Kind
sprach bereits am Tage seiner Geburt, so berichteten es die
Chroniken. Für Alexander gab es noch keine Worte. Nur Stimmen.
Sein Name sei Alexander.
Aber Alexander vergaß nicht. Er nahm alles in sich auf, und
sein Geist verstand die Bilder, wenn es an der Zeit war. Er dachte
selten zurück, nicht an Dinge, die so lange her waren, um sich
nicht in Erinnerung zu verlieren.
Das Bild von damals war scheckig: Graue Flecken, wo eigentlich
hätte Koris stehen müssen, oder Halan, sein Sohn. Waren
sie dabei, damals? Heute waren sie nicht dabei. Nicht einmal als
Flecken. Alexander lag auf dem Steinfußboden,
bäuchlings, wie man ihn gestoßen hatte. Über ihm
ragte drohend die Statue des Engels auf. Sein Schatten bedeckte
Alexander, doch er bot ihm keinen Schutz.
»Steh auf, Alexander.«
Langsam erhob er sich, zwang seine schwachen Beine, ihn zu tragen.
Drei Tage, in denen er das Essen verweigert hatte, verlangten ihren
Tribut. Er hatte ein wenig Wasser getrunken, aber mehr auch nicht.
Er wollte keinen Gefangenenfraß - sicher nicht schlechter als
das, was er in den letzten Wochen gehabt hatte, aber es bedeutete
etwas anderes. Vielleicht wollte Alexander lieber verhungern, als
diese Schmach durchstehen zu müssen. Aber es war zu spät.
Die Schmach war da, und er mittendrin.
Die Halle der Engel war voller Menschen, Glotzer und Gaffer. Es
mußten Hunderte sein, oder Tausende. Ein jeder mit zwei
Augen, und beide auf Alexander gerichtet. Nicht einmal bei seiner
Krönung waren es so viele. Und vor allem - nicht
solche. Zur Krönung durften nur eingeladene Gäste
kommen. Doch der Verhandlung sahen alle zu, alles was Beine hatte,
um sich ins Schloß zu schleppen. Vielleicht war Alexander mit
dem Schwert des Richters noch besser bedient als mit den Klauen und
Zähnen des Pöbels, die ihn zerreißen würden,
wenn er sich nur zu bewegen versuchte.
»Sprich, Alexander, und sprich wahr«, sagte die
Stimme.
Alexander bemühte sich, nicht zu ihr hinzusehen. Er wollte
ihr Gesicht nicht sehen, es nicht kennen in diesem Augenblick. Die
Stimme seiner Anklägerin -
»Ist dein Name Alexander, Sohn des Kaliander von Korisanders
Blute? Antworte!«
»Ja«, sagte Alexander, so leise, wie kaum jemals in
seinem Leben. Auf dem Schwanenthron saß ein Mädchen. Ein
kleines Mädchen. Ein Kind. Und es hielt die Krone auf dem
Schoß. Alexander starrte die Krone an und fügte, etwas
lauter, hinzu: »Alexander von Korisanders Blute.« Er
sagte nicht, daß diese Krone ihm gehörte. Es war nicht
die rechte Zeit, Forderungen zu stellen.
»Alexander, du bist angeklagt des schändlichsten
Verbrechens gegen die Heiligkeit Korisanders. Du hast gefrevelt und
das Blut der heiligen Vögel vergossen. Dafür sollst du
sterben.«
»Was?« entfuhr es Alexander. Mit allem hatte er
gerechnet - es gab so vieles, das man ihm vorwerfen konnte.
Für Lorimanders Horn konnte man ihn hängen, für
seine Liebe zu Koris in Stücke schlagen - aber für die
Schwäne… »Das kann nicht sein!«
»Sprich nicht, ehe du gefragt wirst«, sagte die Stimme
kalt und fuhr fort: »Wir haben uns heute an diesem Ort
versammelt, um zu zeigen, wie der Beschuldigte ein
schändliches Gemetzel unter den heiligen Schwänen
abhielt, ein Verbrechen, das nach dem Tod verlangt.« Diesmal
rauschte es nicht in Alexanders Ohren. Klar und hart hing die
Stimme in der Luft, die Stimme seiner Anklägerin -
Die Stimme seiner Mutter.
Aralee stand neben dem Thron - nicht auf der obersten Stufe des
Podestes, so vermessen war sie nicht - aber auf der untersten. Und
während das Kind auf dem Thron eher uninteressiert mit der
Krone herumspielte, war es Aralee, die sprach. Nicht als Gefangene
der neuen Königin - als ihr Vertreter.
»Sprich nun, Alexander! Was hast du zu diesen
Anschuldigungen vorzubringen?«
Alexander schnappte nach Luft und verkrallte die Hände in den
Ärmeln, um nicht vorwärts zu springen und ihr den Hals
umzudrehen. »Das - das ist widersinnig!« brachte er
hervor.
»Also gibst du an, unschuldig zu sein?«
Alexander antwortete nicht sofort. Haß und Wut lähmten
ihn. Er mußte es abschütteln - er wollte sie umbringen,
aber er durfte es nicht, durfte es nicht, nicht hier, nicht unter
all den Augen. Sie beobachteten ihn. Wie die Schwäne
beobachteten sie ihn, lauernd, abwartend, was er als nächstes
tun würde. Er war zu schwach, um dagegen anzukämpfen -
war hier niemand gleichgültig? Niemand, dessen Gefühle er
stehlen konnte? Aralee? Lieber wollte er tot umfallen, als sie
anzurühren. Dann fiel sein Blick auf das Kind…
»Antworte, Alexander!«
In ihm schrie etwas auf, als er die Gefühle des Mädchens
an sich riß, an sich zog wie ein Strudel. Es tat weh - er
mußte seine eigene Barriere durchbrechen, er mußte sich
weiter abschirmen gegen die tausend Menschen um ihn, hinter
ihm… Das Kind sah auf und ließ die Krone sinken.
Für einen Moment sah Alexander in seine eigenen Augen. In
Halans. In Koris’. In die Augen seines Vaters.
In die Augen seines Engels. Korisanders Augen, zu groß
für das kleine Gesicht, zu klug. Im nächsten Moment wurde
er zurückgestoßen, kehrte sich sein Sog gegen ihn
selbst. Alexander schrie auf. Ein Raunen ging durch die Menge.
»Sprich, Alexander!« sagte Aralee, schärfer als
zuvor. »Bist du unschuldig?« Sie war zum Greifen nah.
Doch Alexander wollte ihren Triumph nicht teilen, um nichts in der
Welt.
Er konnte nicht antworten. Er war unschuldig, jeder wußte,
daß er unschuldig war, aber er hatte die Schwäne
getötet - töten müssen. Wenn er Nein sagte,
war es gelogen. Wenn er Ja sagte, auch. Niemand durfte
lügen in der Halle der Engel. Niemand außer Aralee?
Alexander straffte sich, und dann, langsam, stand er auf. Er
wußte um die Gefahr. Pfeile waren auf ihn gerichtet, Pfeile
und Schwerter und Augen. Aber er bewegte sich langsam, und mit
Würde. Dann lächelte er, langsam. »Ich erkenne
dieses Gericht nicht an!« sagte er laut.
Die Menge raunte. Aralee schwieg.
»Ich erkenne dieses Gericht nicht an«, sagte er noch
einmal, lauter. »Über einen König darf niemand
richten als der Oberste Richter der Welt. Und der
rechtmäßige König dieses Landes bin ich.«
Wieder raunte die Menge. Alexander wünschte, er könne
Worte darin verstehen.
Aralee schwieg, doch der Richter donnerte: »Schweig,
Alexander! Vor dir sitzt Amra, Königin von Korisanders Gnaden,
Hüterin und Trägerin der Krone! Vor dir steht deine
Anklage, und dein Richter!«
»Ich erkenne dieses Gericht nicht an«, wiederholte
Alexander. Wenn es sein mußte, würde er das noch
tausendmal sagen. So lange, bis diese Farce ein Ende hatte.
»Ihr könnt mich in Fesseln legen, Ihr könnt mich in
die Halle der Engel schleifen und drohend Euer Schwert über
mir erheben - aber Ihr könnt mich nicht zwingen, etwas anderes
zu sagen als diesen einen Satz: Ich erkenne dieses Gericht nicht
an. Über meine Schuld und Unschuld habt nicht Ihr zu
entscheiden, sondern niemand anderes als der Elomaran Korisander,
der meine Seele kennt und in ihr lesen darf wie in einem
Buch.«
Und Korisander haßte ihn und würde ihn töten, war
gerade dabei, ihn zu töten, doch das würden der Richter
und Aralee noch sehen… Alexander konnte nicht beten, nicht
mehr zu Korisander, der ihn verlassen hatte. Aber einmal konnte er
es versuchen, einmal noch, während alle Welt es von ihm
verlangte. Das Raunen war verstummt. Die Augen schwiegen. Alexander
stand still, faltete nicht seine Hände, blickte nur zur Decke
und durch die Decke hindurch in den Himmel, und sagte auf Elomond:
»Korisander, mein Vater und Vater meiner Väter, wenn du
mich strafen willst, strafe mich, aber laß nicht zu,
daß sie Gericht über mich halten! Laß mich nicht
töten für etwas, das meine Pflicht war.«
Er schwieg. Für einen Moment herrschte Stille - die
köstlichste Stille in seinem Leben, und zugleich die
schmerzhafteste. Der Engel antwortete ihm nicht. Er hatte ihm noch
nie geantwortet. Und vielleicht hörte er ihm nicht einmal
zu.
Dann blickte Alexander wieder das Kind an. Es lächelte. War
es ein Engel? Hatte es seine Worte verstanden? »Wer bist du,
Amra?« fragte er leise und mit Engelszungen. »Bist du
mein Engel?« Soviel Trug in der Welt - wenn Damiander
aussehen konnte wie Koris, konnte auch Korisander aussehen wie ein
Kind. Vielleicht war alles gut. Vielleicht war alles nur eine
Prüfung -
Das Kind antwortete ihm nicht. Und in seinen Augen stand kein
Verstehen. Nur eine seltsame Art von… Verständnis.
Dann sagte der Richter, in versöhnlicherem Tonfall:
»Nun, Alexander, es ist dein Recht zu schweigen - und niemand
wünscht sich sehnsüchtiger als ich, die Elomaran
mögen noch einmal herabsteigen und in diesem Fall über
recht und Unrecht, Schuld und Unschuld entscheiden. Doch bis sie
dies tun, ist es an uns, Licht in das Dunkel dieser Anklage zu
bringen.«
Alexander nickte nur und schwieg. Er haßte den Richter,
haßte ihn seit dem Moment, da er ihm die Krone verweigert
hatte, doch er hatte sich für das Schweigen entschieden und
mußte nun die anderen Leute reden lassen.
»Niemand außer dir kann zu deiner Verteidigung
sprechen - wenn du es nicht tust, bleiben nichts als die Worte der
Anklage, und die Zeugen.«
Zeugen? Bei dem Wort mußte Alexander beinahe lachen. Er
wollte sehen, was für Zeugen Aralee gegen ihn auffahren
mochte, und wie lange Korisander das Lügenspiel in seiner
Halle zulassen würde.
»Ich werde Fragen stellen«, fuhr der Richter fort,
»doch es ist nicht an mir, Antworten zu geben. Nur die
Tatsachen dürfen sprechen, und das Recht.«
Wer hatte das Recht gemacht - Tolimander, oder der Alondras? Wer
nahm sich das Recht, über ihn zu urteilen? Alexander schwieg.
In diesem Moment hätte er kein Gericht anerkannt, so hoch es
auch sein mochte, solange es ihn anklagte.
»Die Anklage«, übernahm Aralee das Wort,
»versteht, daß die Sachlage dieses Falles eine
Schwierige ist, daß hier ein Gesetz gebrochen wurde,
daß in mancher Augen gebrochen werden mußte. Laßt
mich erklären.« Alexander atmete auf. Das waren die
Worte, auf die er seit Tagen wartete. »Es verhielt sich so,
und das steht außer Frage, daß an dem Tag, da unser
letzter König Korisander starb, sein jüngerer Bruder,
Alexander, der nun als Angeklagter vor uns steht, den Park betrat
und die dort lebenden Schwäne, eine Kolonie von acht
männlichen und acht weiblichen Tieren, mit seinen eigenen
Händen tötete.«
Diesmal durchwehte das Raunen die Menge einem Sturmwind gleich.
Als wüßten sie, was es bedeutete, einen Schwan zu
töten! Alexander wußte es, und er schwieg, um nicht zu
schreien.
»Nun ist es bekannt«, redete Aralee weiter,
»daß es ein schändliches Verbrechen ist, einen
Schwan zu töten, schändlicher noch, als das Leben eines
Menschen zu nehmen. Doch zugleich ist es so, daß beim Tode
eines Königs alle Schwäne am Hof sterben müssen -
durch die Hand des Kronerben, der durch Korisanders Macht und seine
Gnade auserwählt ist, das Urteil an ihnen zu vollstrecken,
damit ihre Seelen die des Königs in den Himmel gleiten
können. Alexander, der die Schwäne schlachtete, handelte
in dem Glauben, der rechtmäßige Erbe zu sein, so wie er
es noch heute glaubt. Er wußte nicht - oder wollte es nicht
wissen - daß ihm Korisander Gunst und Gnade entzogen und ein
anderes Kind für Thron und Krone auserwählt hatte. Und so
machte sich Alexander, als er seine Hände mit Schwanenblut
besudelte, zu einem Mörder und Frevler, der größtes
Unheil über Koristan gebracht hat und hierfür zu
bestrafen ist.«
War Aralee nun stolz? War sie nun zufrieden? Ihre Stimme verriet
nichts davon, sie war frei von Glück oder Unglück.
Alexander suchte den Triumph darin, damit er sie besser hassen
konnte - so aber klangen ihre Worte allzu ruhig, allzu…
wahr. Sie ließ es so klingen, als habe nicht sie Alexanders
Ende gewählt, sondern der Elomaran selbst.
Und vielleicht hatte sie sogar Recht.
»Damit der Richter«, fuhr Aralee fort, »und alle
anderen, die sich hier versammelt haben, begreifen, um was es bei
diesem Brauch geht und wie tief er in der Geschichte des
königlichen Hauses von Koristan verankert ist, bitte ich nun
den Richter, die erste Zeugin aufzurufen - die Chronik
Korisanders.«
Wieder schwoll das Murmeln an. Chronik? Hatte sie Chronik
gesagt? Wie will man eine Chronik als Zeugin vernehmen - das ist
doch keine Person, oder vielleicht doch?
»Ich rufe«, sagte der Richter mit lauttönender
Stimme, »Natara, Chronistin unserer Königin, als Zeugin,
damit sie die Worte der Chroniken Korisanders ertönen
läßt.«
Alexander begann zu zittern, doch nicht vor Furcht - er zitterte
für Halan. All sein Leben hatte der auf keinen Moment
hingelebt als den, der ihm zum königlichen Chronisten machte -
und nun war auch an seine Stelle ein kleines Mädchen getreten.
Ein Kind als König und ein Kind als Chronist - ein trefflicher
Streich, den nur Aralee erfunden haben konnte. »Ich erkenne
auch diese Chronistin nicht an«, sagte Alexander laut, als
der Mädchen mit dem Buch in Händen vortrat. »Sie
hat kein Recht, die heiligen Bücher meiner Familie auch nur zu
berühren, geschweige denn zu öffnen.«
Und doch stand da ein Kind und strafte seine Worte Lügen, und
trug nicht nur die tiefblauen Roben des Chronisten, sondern auch
ein Buch aus der Schwanenchronik - Alexander erkannte den zweiten
Band - ohne daß es unter ihren Fingern zu Staub zerfiel.
»Nicht um die Chronistin geht es hier«, sagte der
Richter, »sondern nur um die Chronik. Und du kannst nicht
anders, als sie anzuerkennen, denn sie ist das jahrhundertealte
Zeugnis deiner Familie, jetzt und immer.«
Alexander sagte nichts mehr, doch er sah, daß seine Worte
ihre Wirkung nicht verfehlt hatten - nicht an dem Richter, sondern
an der Chronistin. Sie schrak zusammen, ihre Wangen wurde
bleich und ihre trippeligen kleinen Schritte unsicher. Ihr Gesicht
war gewöhnlich, aber nicht fremd - Halan hätte sie
wiedererkannt. Aber Halan war nicht da. Und die Worte, die seiner
Stimme bedurft hätten, ertönten nun aus dem Mund eines
kleinen Mädchens.
Und als der Moment nahte, da Arilen, Korisanders Sohn, zu sterben
kam, da erschien Korisander Arilens Sohn, dessen Name war Sarik, in
Gestalt eines Schwans. Sarik war voll des Kummers über den Tod
seines Vaters, aber Freude erfüllte ihn, als er den Schwan
erblickte, denn seine weisen Augen erkannten, daß sich unter
den Federn die Seele seines Engels verbarg, und er wußte,
daß Korisander in dieser Gestalt auch oft seinem Vater Arilen
erschienen war, und daß es nun an ihm war, sein Erbe
anzutreten. Und der Elomaran sprach zu ihm mit der Stimme eines
Menschen, aber in der Sprache der Engel:
»Sarik«, sprach er, »Sohn meines Sohnes und Blut
meines Blutes, es ist nun an der Zeit, da du die Krone trägst
und deinem Vater als König nachfolgst. Doch vorher verlange
ich einen letzten Dienst von dir.«
»Alles werde ich tun, dir zu dienen, o Herr«, sprach
Sarik.
»So höre nun«, sprach Korisander.
»Töte diesen Schwan, der ich bin, und töte ihn mit
deinen eigenen Händen.«
»Das vermag ich wohl zu tun, o Herr«, sprach Sarik,
»doch dich töten zu müssen, bräche mir das
Herz, denn ich habe meinen Vater verloren und will nicht nun auch
dich verlieren.«
Da schalt ihn Korisander für seine Ungläubigkeit und
sprach dann: »Dies ist ein letzter Dienst, den du deinem
Vater Arilen schuldest, denn seine Seele gehört in den Himmel,
und er soll an meiner Seite sitzen als mein Sohn. Kein Vogel als
der Schwan ist stark und rein genug, ihn emporzutragen, doch auch
der Schwan, heiligster aller Vögel, vermag den Himmel nicht im
Fleische zu betreten. Wenn nun einer, der von meinem Blute ist und
reinen Herzens, sechzehn Schwäne tötet mit nichts als der
Kraft seiner Stimme, seines Geistes und seiner Hände, so
werden ihre Seelen frei und können die Seele meines Kindes auf
ihren Schwingen in den Himmel erheben. Dies und nichts anderes
verlange ich von dir, Sarik Sohn des Arilen, Blut meines Blutes,
denn du bist mein Kind wie dein Vater es war, und mein
Auserwählter.«
Da weinte Sarik vor Kummer und Glück und zögerte nicht
mehr, den Worten des Engels zu gehorchen und erlöste ihn aus
seiner sterblichen Hülle. Und wie es der Elomaran gesagt
hatte, kamen fünfzehn weitere Schwäne geflogen und
ließen sich vor Sarik nieder und betteten ihre Köpfe in
seinen Schoß, auf daß er auch sie erlöse, und als
Sarik sein Werk getan hatte, erhoben sich die Seelen von sechzehn
heiligen Schwänen in den Himmel und trugen auf ihren Schwingen
Arilen hinauf an die Seite seines Vaters.
Als das Mädchen zu lesen aufhörte, weinte Alexander und
hoffte, daß niemand es merken mochte. Er weinte nicht vor
Rührung, und er weinte nicht um die Seele des Königs - er
weinte um Halan. Das Kind auf dem Thron hatte Engelsaugen, doch
seine Chronistin las mit unsicherer, stockender Stimme; ohne
Betonung und Leidenschaft sagte sie Wörter auf, die sie nicht
verstand, vom Satz ganz zu schweigen. Der Zauber von Aralees Worten
war verflogen. Zurück blieb nur ein Gefühl des
Verrats.
»Ich danke dir, mein Kind«, sagte der Richter.
Die Chronistin knickste, als sie vom Lesepult zurücktrat und
die Chronik wieder davontrug. Wie oft hatte sie diesen Text wohl
geübt, vor dem Spiegel wieder und wieder vorgelesen, nur um
ihn dann hier vor tausend Augen zu töten? Sie würde sich
nicht lange halten in diesem Amt. Allein Koris hatte drei
Chronisten gehabt, bevor Aralee die Bücher zu führen
begann, vertretungsweise, bis zu seinem Tod… seinem
Tod…
»Auch Alexander hat es seinem Ahn gleichgetan und sechzehn
Schwäne getötet«, sagte Aralee nun. »Doch
anders als Sarik handelte er ohne den Segen des Engels, und er
richtete ein verheerendes Blutbad an. Ich möchte bitten,
hierzu eine zweite Zeugin zu vernehmen, Euer Ehren, die mit eigenen
Augen sah, was geschehen ist, und uns davon Bericht erstatten
wird.«
Die Worte ‘Ich erkenne diese Zeugin nicht an’ lagen
schon auf Alexanders Zunge, als er sah, wie eine graugekleidete
Frau sich anschickte, aus der Masse zu treten, und der Richter
sagte: »So rufe ich nun als zweite Zeugin Lyda vom Konvent
der Schwestern der Stille. Tritt vor, Lyda, und rede
wahr.«
Die Worte lagen auf Alexanders Zunge - ‘Jede, nur nicht sie!
Sie war es doch, die das Unheil an den Hof gebracht hat!’ -
doch sie wollte nicht mehr hinaus. Lyda kam und brachte ihr
Schweigen mit, hüllte sich wieder in ihre Wolke aus Stille,
mit der sie Alexander schon während des gemeinsamen Rittes
gequält hatte. Das war eine Gabe, wie sie nur ein Engel
verleihen konnte und durfte, aber Alexander fragte sie nicht
danach. Nicht jetzt. Nicht, bevor die Frau gesprochen hatte, was
sie sprechen mußte.
Doch sie sagte nichts. Sie stand nur vor dem Richter, eine graue
Frau in einem grauen Kleid, und blickte ihn unverwandt an, als
wollte sie ihn zwingen, ihr Schweigen zu zerstören.
Alexander nahm das Angebot an. Er griff nach ihrer Stille und
hüllte sich darin ein, so wie sie es tat. Danach ging es ihm
besser. Nicht gut, doch ruhig genug, um auch das noch zu
ertragen.
»Lyda«, sagte der Richter, und die Stille schrumpfte,
zog sich zu einem winzigen grauen Fleck zusammen - zu zweien, denn
einen hielt Alexander fest. »Erzähl uns, was du an
diesem Tag gesehen hast.«
»Ich stand am Fenster«, sagte die Totenmagd leise.
»Ich habe zugesehen, als die Schwäne starben. Ich habe
zugesehen, wie Alexander sie tötete. Ich habe zugesehen, weil
es meine Pflicht war.«
»Deine Pflicht?« fragte der Richter.
»Bei allem, was zur Beisetzung eines Königs
gehört, muß eine Totenmagd zugegen sein. Es ist meine
Aufgabe, den Seelen Frieden zu geben, auch denen der
Schwäne.«
»Also wußtest du nicht, daß Alexander nicht
länger Korisanders auserwähltes Kind war?« Auch
Aralees Stimme war von plötzlicher Ruhe.
»Niemand konnte es wissen. Er war der nächste in der
Blutlinie, der Thronfolger - so war es immer, bis zu jenem
Tag.«
»Aber an jenem Tag - war etwas anders?«
Die Totenmagd nickte. ‘Jetzt sagt sie es!’
durchschoß es Alexander. ‘Jetzt gibt sie zu, daß
sie durch ihren Schrei Koris die Ruhe genommen hat!’ Doch
Lyda verriet nicht sich. Sie verriet ihn. »Er wurde beinahe
von den Schwänen getötet«, sagte sie. »Es war
ein wilder Kampf, und blutiger Kampf. Die Schwäne wollten
nicht sterben.«
Die Schwäne wollten nicht sterben - niemand wollte sterben.
Koris nicht. Alexander nicht. Und doch war es einmal an der Zeit.
Alexander biß sich auf die Zunge. Er fühlte es wieder,
den Tod. Immer noch.
Dann Aralee: »Aber auch wenn du wußtest, daß
etwas falsch war, hast du nicht eingegriffen?«
Kopfschütteln. »Es hätte bedeutet, das Schweigen
zu zerstören. Ob etwas richtig ist oder falsch - es ist nicht
an mir, ein Urteil zu fällen.« Und doch war sie bereit,
Alexander mit ihren Worten an den Henker zu bringen.
»Die Herrscher in früheren Zeiten wurden nicht von den
Schwänen angegriffen?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Lyda. »Ich war
nicht dabei, nur dieses eine Mal. Schwäne sind schön,
aber sie sind auch gefährlich. Sie sind heilig, aber sie sind
auch Vögel. Die Flügel werden ihnen gestutzt, damit sie
nicht davonfliegen, man zwingt sie in einen Pferch: Das macht sie
unruhig. Dann kommt ein Mann, um sie zu töten - ihr Kampf
verwunderte mich nicht an diesem Tag. Es ist eine Prüfung
für den Erben. Prüfungen müssen nicht einfach
sein.«
»Wir werden«, sagte der Richter, »hierzu noch
einmal die Chronik befragen. Wir wollen hören, wie diese
Prüfung in früheren Zeiten ablief.«
Beinahe hätte Alexander geschrieen. Lügen! Die Chroniken
sind voller Lügen!Wäre nur Halan dagewesen! Er hatte doch
schon an Alexanders Chronik geschrieben - er hatte den Tod der
Schwäne beschrieben, so wie er sein mußte, nicht wie er
war! Wo war Halan?
»Wartet«, sagte Aralee. »Noch einen Moment,
Lyda. Was verschweigst du?« Lyda sagte nichts, doch
Kälte griff nach Alexander. »Wovor hast du
Angst?«
Angst. Das Wort schwoll durch den Raum, von einem Mund zum
anderen, als tausend Zungen stumm wiederholten. Angst. Angst.
Angst. Für einen Augenblick konnte Alexander Gedanken lesen.
Zumindest diesen einen.
Doch auch auf diese Frage schwieg Lyda.
»Was geschieht, wenn der Falsche die Schwäne
tötet?«
»Es heißt -«, sagte Lyda, und brach ab. Dann,
nach einer Weile, in der Alexander mit seiner Angst allein war,
setzte sie hinzu: »Der Weg in den Himmel ist ihnen verwehrt,
und sie werden zu Geschöpfen des Abgrundes.«
Geschöpfe des Abgrunds. Sie nannte sie nicht beim Namen, die,
von denen niemand sprach, und doch wußte jeder, wen sie
meinte. Und jeder hatte sie gesehen, jeder außer Alexander,
der nicht mehr zum Himmel hinaufblicken durfte. Sie fliegen
wieder. Die Nilomaran.
»Und der verstorbene König?« fragte Aralee.
Wieder dauerte es lange, ehe die Totenmagd antwortete: »Auch
er.«
Alles in Alexander schrie und krümmte sich zusammen. Er
nicht! Koris nicht! Koris ist im Himmel!
»Aber all das«, fuhr Lyda fort, »sind nur Sagen.
Nichts davon steht in den heiligen Schriften - es kann wahr sein,
aber wir wissen es nicht. Jede tote Seele steigt auf zum Himmel,
nur der Körper ist des Nilomar. So mag es auch mit
Königen sein.«
Aralee schüttelte den Kopf. »Ein Engelsgeborener ist
kein Mensch. Seine Seele wiegt schwerer. Und das weißt du,
Lyda, auch wenn du nun Angst hast.« Sie lächelte.
»Ich danke dir für deine Aussage. Du darfst nun
gehen.«
Alexander zitterte immer noch, als die Totenmagd davonging,
lautlos. Er konnte es nicht verhindern und hoffte, daß
niemand es bemerkte. Zum Beten war es nun zu spät. Nun, und
für immer.
»Wir wollen nun«, sagte der Richter, und seine Stimme
dröhnte in Alexanders Kopf und Körper und der ganzen
Halle, »noch einmal hören, wie die Chroniken berichten
über den Tag, da Korisander, erster König der siebzehnten
Generation, die Schwäne -«
»Nein!« schrie Alexander. Er bäumte sich auf wie
ein wildes Tier. »Nein! Das lasse ich nicht zu!« Nicht
Koris! Nicht Koris’ Chronik mit der Stimme des kleinen
Mädchens!
Tausend Augen fraßen Alexander auf, als der Richter fragte:
»Hast du deine Meinung geändert, Alexander? Wirst uns
nun helfen zu verstehen, was geschehen ist?«
Alexander gelang es, sich beinahe wieder zu fassen, als er
antwortete: »Ich werde nicht aussagen. Ich akzeptiere keinen
Richter als Korisander. Aber ich verlange, daß noch ein
anderer Zeuge angehört wird.«
»Und wer wäre das?« fragte Aralee.
»Mein Chronist«, antwortete Alexander, und die Worte
ließen ihn lächeln. »Harold, von Korisanders
Blute.« Alles würde gut sein, wenn nur Halan da
war…
»Ich bin hier«, sagte Halan.
Halan war da. Halan war immer da, die ganze Zeit über, und
Alexander hatte ihn nicht gesehen, nicht gespürt? Die grauen
Flecken am Rande des Bildes, da, wo kein Licht schien, wo tausend
Augenpaare zu einem verschmolzen, da stand nun Halan, und seine
nachtblauen Augen blitzten vor Zorn. Warum war er so fern? Warum
konnte Alexander nicht nach ihm greifen? Vielleicht war er nicht
wirklich da - vielleicht war er nur das Spiegelbild seiner
Erinnerung… Wenn er hier war, warum hatte er zugelassen,
daß Aralee diese Anklage vorbrachte?
Halan trat aus den Schatten, und er trat in das Licht, groß
und schön und zornig. War er jemals so vor dem Volk
aufgetreten - ungeschminkt, mit zerrauftem Haar, mit Flecken im
Gesicht? Er war so schön, auch wenn er weinte. Koris hatte
niemals geweint, aber hatte Koris jemals so schön
ausgesehen?
»Ich bin hier«, sagte Halan mit fester Stimme und
strich sich eine Strähne aus den Augen, doch sie rutschte
sofort zurück. »Und ich werde aussagen.«
Der Richter nickte. »Es ist richtig - wenn Alexander sich
wirklich weigert, vor dem Gericht zu sprechen, habt Ihr das Recht,
als sein nächster Verwandter für ihn
auszusagen.«
»Ich bin nicht sein nächster Verwandte«,
sagte Halan mit einer Stimme, welche die Luft gefrieren und den
Boden schmelzen ließ. »Und ich werde nicht
für ihn aussagen.«
Alles Blut wich aus Alexander. Der Abgrund verschlang ihn. Seine
Wunden brachen auf, ertränkten den weißen Marmor in
Blut. Nur einen Augenblick lang. Nur in Alexanders Herz. Es war
schlimmer, als von Aralee verraten zu werden. Aralee hatte er nie
geliebt.
»Was Alexander getan hat«, sagte Halan, »ist
nicht zu verzeihen. Frevel dieser Art verdammt zum Tode, zu der
schrecklichsten aller Strafen: Bei lebendigem Leib in den Nilomar
gestoßen zu werden, auf daß die Seele nie wieder
entkommen und niemals den Himmel sehen kann.«
Halan senkte den Kopf, blickte zu Alexander hinunter, der zu
Füßen des Engels am Boden lag und nicht mehr wagte, ihm
in die Augen zu sehen. »Man mag sagen, daß Alexander
nicht aus freien Stücken handelte, daß er durch alte
Rituale gezwungen wurde, die Schwäne zu töten - aber
natürlich hätte er wissen müssen, daß er
Korisanders Gunst verloren hat. Wir alle haben es schließlich
mit eigenen Augen gesehen.«
Halans Stimme schwoll an, und er schien alles Licht im Saal an
sich zu ziehen, daß nicht mehr der steinerne Engel leuchtete,
sondern er. Es war ein dunkles, böses Leuchten. Alexander
erschrak vor Halans Macht. Vor seiner Schwärze.
»Wir, die wir dabeiwaren, ahnten, was geschah. Wir haben
gesehen, wie Alexanders Schwäche zuließ, daß die
Schwäne ihn verletzten. Wir ahnten den grausamen Frevel, der
an den heiligen Vögeln vollbracht wurde. Und dann -«
Halan brach ab, und schwieg. Und schwieg, und lächelte.
Abwartend. Er schwieg nicht, weil ihm die Worte fehlten. Er
schwieg, weil er wußte, was er sagen wollte. Und weil niemand
anderes es wußte. Auch Alexander nicht. Wollte er es
wissen?
Der Richter blickte Halan an, ungeduldig, als wolle er fragen:
‘Was dann?’
Halan lächelte mit allen Zähnen, und spitz waren sie.
»Haben wir sie aufgegessen.«
Alles erstarrte - die Massen, der Richter, Alexander, die Zeit.
Einen Moment lang hing Halans Lächeln reglos in der Luft,
bevor er weiterredete: »Sicher gibt es kaum ein Verbrechen,
das so schändlich ist wie das Töten eines Schwanes. Aber
eines gibt es, das daran heranreicht, und das ist der Verzehr von
Schwanenfleisch. Die ältesten aller Schriften schreiben schon,
daß wer vom Fleisch toter Schwäne ißt, verdammt
sein soll, es sei denn, sie starben, um den König zu geleiten.
Daher verlange ich nicht nur Alexanders Hinrichtung. Ich verlange
auch, daß die Anklage ausgedehnt wird auf alle, die an diesem
Frevel beteiligt waren: Auf mich. Graf Oban. Graf Arlin. Graf
Menon. Graf Tamas -«
»Hört auf!«, sagte der Richter, doch Halan fuhr
fort.
»Graf Lodor. Graf Oskat. Graf Durian. Graf Durians
Schwester. Graf Aron, nebst Frau und Sohn -«
»Schweigt still!« rief der Richter noch einmal, doch
Halan reihte weiter Namen an Namen, nannte unbarmherzig all jene,
die auf Koris’ Totenfeier das Schwanenfleisch hatten essen
müssen.
»Die Totenmagd Lyda. Aralee die Königswitwe. Und nicht
zuletzt -«
»Schweigt!« donnerte der Richter.
»Koristans Oberster Richter.«
In die bleierne Stille hinein hob Halan ein letztes Mal Haupt und
Stimme. »Öffnet die Pforten des Nilomar! Öffnet sie
weit, denn hier sind Frevler, die den Tod verdienen! Heißt
Amra uns hineinstoßen, denn sie allein ist von der Unschuld
eines Engels, sie allein hat die Macht, das Urteil gegen uns zu
vollstrecken - sie, und Korisander.«
Alexander wußte nicht, wen er in diesem Augenblick anstarren
sollte - Halan, oder den Richter. Sein Herz raste. Er bekam keine
Luft.
Dem Richter gelang es als erstes, das Schweigen zu durchbrechen.
»Das zu sagen«, sagte er, doch in seiner Stimme war
Angst, »steht Euch nicht zu. Maßt Euch nicht an,
Richter zu sein, Harold!«
»Maßt Euch nicht an, Engel zu sein,
Richter!«
Die beiden hielten einander mit Blicken fest, und niemand sagte
ein Wort. Halan nicht, der Richter nicht. Aralee nicht. Alexander
nicht. Sogar das Kind auf dem Thron saß ganz still.
Vielleicht hatte es Angst. Vielleicht hatte es aber auch
verstanden.
»Ich werde«, sagte der Richter endlich, »das
Urteil verkünden. Ich habe in diesem Fall genug
gehört.« Er wandte den Blick von Halan ab und Aralee zu,
fragend.
Aralee nickte matt. Sie war bleich. Sie zitterte. »Sprecht
das Urteil. Die Anklage… hat nichts zu sagen.« Sie
blickte Halan nicht an, und nicht Alexander. Von diesem Moment an
war sie nicht mehr seine Mutter.
»Steh auf, Alexander«, sagte der Richter.
Alexander stand auf, mühsam, es gab nichts, woran er sich
festhalten konnte. Halan stand nur wenige Schritte entfernt, aber
es waren zu viele Schritte, und er rührte sich nicht.
»Du hast dich geweigert, mein Wort anzuerkennen«,
sagte der Richter. »Doch das Urteil wirst du annehmen, denn
du stehst als Angeklagter vor uns und hast keine Wahl.« Seine
Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. Halan war zu weit
gegangen. »Du sollst das Urteil haben, das du verdienst, und
den Richter, nach dem du verlangst.«
Der Richter schwieg und streckte die Hände vor. Ein
Gerichtsdiener trat herbei und fesselte ihm die Handgelenke
aneinander, nicht mit schweren Ketten, sondern einem seidenen Band
- es war nur ein Zeichen. Jeder Richter, außer dem Alondras
selbst, verkündete sein Urteil mit gebundenen Händen.
Nicht aus Haß oder Zuneigung durften sie urteilen, sondern
nur nach den Buchstaben des Gesetzes… Alexander biß
die Lippen zusammen. Nach den Buchstaben des Gesetzes mußten
sie alle sterben.
»Hört nun das Urteil in Tolimanders Namen!« rief
der Richter und hob seine gefesselten Hände, daß jeder
sie sehen konnte.
»Dieser Fall ist schwieriger als alle, denen ich jemals
begegnet bin, und es war schwer, ein angemessenes Urteil zu
fällen. Ich kann Alexander nicht unschuldig nennen,
ebensowenig wie er es selbst kann, und es wäre allzu leicht,
ihn zum ewigen Sturz durch den Nilomar zu verdammen. Die Boten
eines Engels sind getötet worden, und so soll der Engel in
diesem Fall auch über Alexanders Schicksal
entscheiden.«
Er war gerettet! Alexander war gerettet! Er hätte vor
Glück aufschreien mögen, aber etwas hielt ihn
zurück. Und nicht zu früh.
»Nur ein Engelsurteil kann klären, ob Schuld herrscht,
oder Unschuld. Alexander soll, nur mit einem Hemd bekleidet und
gefesselt an Händen und Füßen, gestoßen
werden in einen Pferch mit Schwänen, Brüder jener
Schwäne, die er getötet hat. Ist sein Engel bei ihm, wird
ihm kein Leid geschehen, und er soll davongehen als ein freier Mann
und unschuldig sein. Doch wenn der Engel ihn verlassen hat
-«
»Nein!« schrie Alexander. »Nein! Das dürft
Ihr nicht! Das dürft Ihr nicht! Tötet mich! Verweist mich
des Landes! Alles, aber keine Schwäne!« Sie waren wieder
da, mit ihren schwarzen Augen und scharfen Schnäbeln und
fliegenden Federn. Er konnte ihre Schreie hören. Er konnte ihr
Blut riechen. Er konnte sein eigenes Blut riechen. Seine Beine
gehorchten ihm nicht mehr, noch seine Stimme.
Er schrie nicht mehr, aber er wimmerte immer noch, als man ihn aus
dem Saal schleifte. Die Schwäne warteten auf ihn.
Im Dunkeln flüsterte eine Stimme, weich und verletzlich wie
die eines Kindes.
»Eja ve, Korisond. Eja ve.« Es sollte sein letztes
Gebet werden. Er wußte nicht, an welchem Tag er sterben
sollte, aber er wollte nicht sterben, ohne gebetet zu haben, einmal
nur. »Eja ve, Korisond.«
Er bekam keine Antwort.
»Eja ve, Koris. Eja ve. Nili voi tende davame.«
Er bekam keine Antwort.
»Eja ve, Halan…«
Alexander war im Dunkeln, und allein. Es niemand da, und niemand,
der ihn hörte, als die Schatten.
»Eja ve, Damiond. Eja ve…«
»Hoi ve ti matale, Androsch? Ejo tai. Var yn a
tende.«
Die Schatten erhörten ihn.
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