Viertes Kapitel

Lydas Hände zitterten noch immer, auch lange, nachdem sie die Botschaft zur Seite gelegt hatte. Auch als es an ihrer Tür pochte, sah sie nicht auf. Es war mitten in der Nacht, und ein Klopfen an der Tür einer Totenmagd hatte nie etwas Gutes zu bedeuten - aber schlimmer konnte es nun nicht mehr werden.
Das Klopfen an der Tür ging weiter, schnell und ängstlich - niemand klopfte aus Vergnügen an ihrer Tür, und wer dort stand, konnte nicht anderswo erneut sein Glück versuchen. Totenmagd war Totenmagd, und Tod war Tod. Lyda versuchte noch einen Moment lang, sich zu sammeln, ehe sie endlich aufstand und, die zitternden Hände hinter ihrem Rücken verborgen und mit so verkrampft reglos gehaltenem Kopf, daß schon der erste Anblick verraten mußte, daß etwas mit ihr nicht stimmte. Aber solange sie noch in diesem Schloß war, gab es sonst niemanden, der ihre Arbeit tun konnte. Später… Später würde sich zeigen, aber das war nicht mehr Lydas Aufgabe.
Sie öffnete, fühlte wie die Kälte des Türgriffs durch ihren ganzen Körper kroch, und machte schnell einen Schritt zurück in die Schatten ihrer Kammer. »Benötigt Ihr -«, ‘meine Dienste’, wollte sie fragen, aber dort draußen stand niemand, der einen Toten zu beklagen hatte. Statt dessen schoss ein kleines Mädchen herein und riß im nächsten Moment die Tür wieder hinter sich zu.
»Bitte, Lyda, bitte, bitte, bitte, Ihr müßt mir helfen!« Lyda brauchte einen Moment, um das Kind zu erkennen - es war Natara, Aralees Mündel, die königliche Chronistin und was immer sie auch noch sein sollte, es war lange her, daß Lyda sie zuletzt gesehen hatte, und sie war froh darum. Aber jetzt war das Mädchen völlig aufgelöst, das Gesicht schwarz verschmiert von viel mehr verlaufener Schminke, als an ein so junges Kind gehörte. Eine Wolke von Parfüm überdeckte nur unzureichend den säuerlichen Geruch von Alkohol, und weiter kam Lyda nicht dazu, sich Natara anzusehen, denn sie fiel ihr förmlich um den Leib mit einer aufgeregten Umarmung.
Während Lyda das Mädchen wie mechanisch zurück umarmte, gewöhnt daran, jeder Form von Kummer Trost zu spenden, fühlte sie, daß auch Natara von oben bis unten zitterte, schlimmer noch, als Lyda es selbst zu verbergen suchte.
»Bitte, Lyda«, wimmerte das Mädchen in Lydas Kittel, »rettet mich! Bitte rettet mich!« Und mehr war aus ihr nicht herauszubringen, bis Lyda sich vorsichtig aus der Umarmung gelöst hatte, den nächtlichen Gast auf einen Stuhl verfrachtet hatte und sich daran machte, eine Kanne voll beruhigendem Tee aufzubrühen. Sie konnte nicht sagen, wer von ihnen beiden den jetzt nötiger hatte…
Irgendwo fand sie auch noch ein Taschentuch, mit dem sie Natara übers Gesicht wischte, fort mit den Tränen, denen sofort neue folgten, und fort mit der Schminke - darunter kam ein verängstiges Kind zum Vorschein, und die Augen, gerötet und mit glasigem Glanz, verschwanden gleich wieder hinter den vorgehaltenen Händen der Verzweiflung. Lyda wollte allein sein, aber sie hatte keine Wahl, sie konnte das Mädchen nicht fortschicken. Natara war nicht nur irgend eine höhere Tochter, die schneller am Hofe aufgestiegen war als gesund für ihr Alter - sie teilte auch mit Lyda ein Geheimnis, oder sogar eine ganze Reihe davon, die sich alle um Aralee drehten, Königswitwe, Regentin, und, wenn die beiden Recht hatten mit ihrem Verdacht, Mörderin.
Ein Zittern lief durch Lydas Körper, als sie das kochende Wasser über die Blätter in den Tassen goß. Sie hatte gehofft, das alles hinter sich zu lassen, zu vergessen, während sie heimwärts eilte und tat, was die Schwestern ihr auftrugen - aber hier war alles, was sie am Hofe fürchtete, versammelt in einem Kind, das ihre Hilfe dringender brauchte als alle Toten dieser Nacht zusammen.
»Jetzt beruhige dich erst einmal«, sagte Lyda leise - das sagte sich so leicht - und reichte der Kleinen eine Tasse die, die diese aber nur mit beiden Händen nahm und hielt, ohne auch nur daran zu nippen. In dem feuchten Dampf wurde ihr Gesicht wieder rot und glänzend, und sie versuchte sich an einem zaghaften Lächeln.
»Danke«, flüsterte Natara.
»Das ist schon in Ordnung«, antwortete Lyda. »Komm zu Atem, und dann erzähl mir, was geschehen ist.«
Natara nickte, starrte wieder in ihren Tee, ohne ihn anzurühren, und dann sagte sie, erst langsam, dann kamen die Worte immer schneller und hektischer: »Ich hab alles verraten - und jetzt wissen sie es - und jetzt bringen sie mich auch um, ich weiß das, heute Nacht noch, und ich weiß niemanden, der mir helfen kann, bis auf Euch…«
Lyda hörte ihr nur zu; jemanden zu unterbrechen, war nicht ihre Art, sie legte Natara nur eine Hand auf die Schulter und sah dabei zu, wie ihr eigener Tee kalt wurde.
»Ich bin so dumm!« redete das Mädchen weiter. »Ich habe zuviel von dem Wein getrunken, das habe ich aber gar nicht gemerkt, und dann ist mir so schlecht geworden, und Roveen war so nett zu mir, und dann habe ich ihr alles erzählt, ich weiß nicht darum, aber ich konnte auf einmal gar nicht mehr aufhören zu reden, und jetzt wissen sie alles, von Hester und von dem Schlüssel und auch von Euch, es tut mir so Leid…« Natara fing wieder an zu weinen, aber Lyda konnte sie plötzlich nicht mehr trösten. Kälte griff nach ihr, lähmte sie, plötzliche Angst - nicht mehr vor dem, was sie im Konvent erwarten sollte, sondern daß sie ihn niemals mehr erreichen würde, daß sie nicht mehr lebend aus dem Schloß heraus kam. Plötzlich war die Panik wieder da, die Hilflosigkeit, gepackt zu werden und in den Tod geschleppt… Es war schon so lange her, aber Lyda konnte es nicht vergessen, nicht im Wachen und erst Recht nicht in ihren Träumen.
Natara stockte, ihr Schluchzen hielt mitten in der Luft an, als hätte sie gemerkt, daß mit Lyda etwas nicht stimmte. »Es tut mir Leid«, flüsterte sie. »Ich wollte Euch nicht da mit hinein ziehen.«
Lyda schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie. »Du bist jetzt hier, und niemand kann dir etwas antun.« Niemand, der nicht Lydas Tür aufbrach und sie mit Gewalt mitnahm.
Langsam nickte Natara und hob den Tee einmal bis dicht unter die Nase, zögerte, und setzte ihn wieder ab. »Roveen wollte mich in Aralees Zimmer einsperren«, flüsterte sie. »Da habe ich plötzlich gemerkt, was ich gemacht hatte - sie hat aber immer noch so nett getan, und ich habe ihr gesagt, daß ich noch mal müßte, und ich hab mir nicht anmerken lassen, daß ich Angst hatte - aber dann bin ich weggerannt, bevor sie es gemerkt hat, und ich bin so froh, daß ich noch den Weg zu Euch gefunden habe, in meinem Kopf dreht sich noch alles, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll…«
Lyda nickte. Die Angst legte sich langsam wieder, zumindest die blinde, sinnlose Furcht. Sie konnte wieder denken. So lange hatten sie ihr Geheimnis gehütet und alles daran gesetzt, daß Aralee nie davon erfahren würde, aber sie hätten damit rechnen müssen. Hester, das Mädchen, das eine Treppe hinuntergestürzt war in den Tod. Der Schlüssel, den sie bei sich gehabt hatte, der Schlüssel zu der Kammer, aus der die Krone verschwunden war, bevor sie wieder auftauchte in den Händen eines engelsgeborenen Kindes. Beides war im Abgrund verschwunden, das tote Mädchen und der geheime Schlüssel. Anfangs hatte Lyda noch versucht, sich auf die Spur des Todes zu heften, Nachforschungen angestellt, Fragen gefragt, die sich für sie nicht gehörten - aber seit Amras Krönung, seit Aralee auch offiziell die Regentin war und dieses Haus ihr gehörte, blieb Lyda für sich mit ihrem Geheimnis und hoffte nur noch, daß niemand davon erfuhr. Aralee war gefährlich, und was sollte eine Totenmagd ihr entgegensetzen? Und es war nicht nur Lyda, die in Gefahr schwebte, auch Natara, die Chronistin, die mehr wußte, als sie schreiben durfte…
Lyda wußte, daß ihre Angst begründet war. Ein junges Mädchen, betrunken von zuviel Wein, wie auch immer man sie dorthin gebracht hatte - wenn sie in der Nacht eine Treppe hinunter stürzte, war das tragisch, aber niemand stellte Fragen. Und es gab viele Treppen in diesem Haus. Ein Sturz, und niemand konnte beweisen, daß es mehr gewesen war als das, wie damals bei Hester - Lyda fragte sich, ob Aralee auch diesem Mädchen Alkohol gegeben hatte, es war egal, gestorben war Hester so oder so. Aber Lyda konnte Natara nicht mehr helfen, allerhöchstens sich selbst, indem sie auf dem schnellsten Weg aus Koristir verschwand. Sie hatte das Glück, daß man ihr keinen so einfachen Tod bescheren konnte wie Natara. Eine Totenmagd, die ihre Kammer kaum jemals verließ, stürzte nicht auf der Treppe und ließ sich auch nicht ohne weiteres vergiften - und bis sich Aralee etwas ausgedacht hatte, war Lyda bereits in Sicherheit. Aralee konnte noch versuchen, sich auf anderem Wege ihres Schweigens zu versichern - aber eine Totenmagd und ihr Schweigen gehörten zusammen, ließen sich nicht kaufen und nicht manipulieren…
»Was machen wir denn jetzt?« Natara brachte vor Schluchzen die Worte kaum noch heraus. »Ich kann doch nicht für immer bei Euch bleiben, irgendwann muß ich doch wieder hier raus, und wenn sie mich dann finden - sie suchen mich doch bestimmt schon, und dann suchen sie mich auch hier, ich habe ja erzählt, daß Ihr alles wißt, was ich auch weiß und noch mehr -«
»Ruhig«, sagte Lyda und war froh, daß sie dafür ihre Stimme nicht heben mußte, »keine Angst, bleib ruhig, sie werden nicht hierher kommen, nicht heute Nacht.« Sie konnte es ihr nicht sagen, brachte es nicht über sich - in Wahrheit wartete Lyda nur auf die Schwester, die sie in Koristan ablösen sollte, und dann war sie fort und Natara allein. Das machte es einfach für sie, aber die eigentlichen Sorgen begannen dort erst. In Koristan ging es nur um Lydas Leben und Nataras - aber bei den Schwestern ging es um alles.
‘Lyda’, stand in der Botschaft, ‘du hast gefehlt, und deine Tat hat Schreckliches zur Folge. Kehre zurück in den Konvent und höre die Erste Schwester, wie du Sühne tun kannst und ungeschehen machen, was niemals geschehen darf. Eine Schwester ist auf dem Wege nach Koristir, warte ihre Ankunft ab, daß der Abgrund nicht ohne Wächterin ist, und begegne dann deinem Urteil auf dem schnellsten Wege.' Und einen Moment lang fragte sich Lyda, ob es nicht doch das allereinfachste war, sich Aralee auszuliefern und der eigenen Schuld zu entgehen. Eine Totenmagd, die das Schweigen brach im wichtigsten Moment… Lyda hatte so sehr gehofft, daß niemand jemals davon erfahren sollte - aber wenn die Schwestern es nun erfahren hatten, wenn das eingetreten war, was Lyda befürchtete, dann hatte sie keine Wahl. Dann mußte sie sich dem stellen.
»Trink deinen Tee«, sagte sie zu Natara. »Er hilft nicht gegen die Gefahr, aber gegen die Angst.«
»Ich trau mich nicht«, piepste das Mädchen. »Ich habe vorhin eine Medizin getrunken und wußte nicht mehr, was ich tue - und jetzt trau ich mich nicht mehr, überhaupt wieder irgend etwas zu trinken.« Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und sah schuldbewußt zu Boden. »Ihr müßt nicht glauben, ich vertraue Euch nicht - Ihr seid die einzige, der ich überhaupt noch trauen darf. Aber ich habe solche Angst - einfach nur solche Angst.«
Lyda nickte und legte dann einen Arm um das Mädchen, der wieder so warm war, wie er sein sollte, eine feste, beruhigende Umarmung. »Ich habe auch Angst«, sagte sie dann. »Jetzt fürchte dich nicht mehr. Du kannst deine Angst auf mir abladen. In mir ist Platz genug für uns beide.« Und wenn sie diese Angst dann davontrug, hinaus aus Koristan, fort von Aralee, gab es nichts mehr für Natara zu befürchten. »Du kannst heute Nacht bei mir bleiben«, sagte sie. »Zieh deine Schuhe aus und leg dich in mein Bett. Ich bleibe wach und passe auf, daß dir nichts passiert.«
Und vielleicht, vielleicht, vielleicht gelang es ihr dann auch, die Stille wiederzufinden.

Es war gut für Lyda, daß sie Natara bei sich hatte, denn das gab ihr einen Grund, in der Nacht wachzubleiben - so oder so hätte sie keinen Schlaf gefunden, aber jetzt hatte sie wenigstens etwas zu tun, jemanden zu bewachen, und mußte nicht in endlosen Gedanken und Schuldgefühlen versinken. Jedoch wäre es einfacher gewesen, wenn auch Natara geschlafen hätte, doch für die war Schlaf nicht minder fern als für Lyda. Man sollte meinen, der ungewohnte Alkohol hätte das Kind schläfrig gemacht, doch den Punkt hatte sie wohl schon weit hinter sich gelassen - jetzt dominierte immer noch die aufgeregte Angst bei ihr, ließ sie aus dem Bett springen, wann immer es auf dem Flur ein Geräusch gab, irgendwo eine Bodendiele knarrte oder draußen vor dem Fenster ein vorbeiflatternder Nachtvogel seinen Schatten warf.
»Bleib ruhig«, sagte Lyda dann. »Leg dich wieder hin. Dir geschieht nichts.« Doch die Stille, die sie herbeirufen wollte, kam und kam nicht, und die Nacht war wild und unruhig, bis sie doch endlich Natara zu sich holte und das Mädchen in einen unruhigen Schlaf fiel. Lyda löschte alle Kerzen und versank in ihrer Nachtwache, in Gebeten und Gedanken, sie rief ihren Engel um Vergebung an und wußte doch, daß sie keine bekommen sollte, nicht, bevor nicht die Schwestern über sie geurteilt hatten. Immer wieder hielt sie inne, sah zum Bett hin, wo Natara jedes Mal in einer anderen Position lag, ein wüster Haufen Schatten in einer leeren, dunklen Kammer.
Erst, als es zum zweiten Mal in dieser Nacht an Lydas Tür klopfte, leise, verstohlen, erstarrte Natara zu völliger Reglosigkeit - sie war davon aufgewacht, ohne jeden Zweifel, und tat vor Angst nun das einzige, was ihr noch blieb: Sie stellte sich tot, tat so, als ob sie nicht da war. Lyda war kurz davor, das gleiche zu tun, aber so sehr sie auch fürchtete, daß vor der Tür ihr Tod auf sie wartete, rief doch wieder die Pflicht nach ihr: Keine Totenmagd durfte ein Hilfsgesuch ablehnen, und der Abgrund mußte bewacht werden, ob es nun Tag war oder Nacht. Lyda bewegte sich auf die Tür zu, ruhig, ohne verräterische Hast - aber da wurde schon die Klinke heruntergedrückt, langsam und leise, und hätte Lyda nicht den Riegel vorgelegt, wie sie es in jeder Nacht tat, seit ein betrunkener Mob sie quer durch das Schloß geschleift hatte, sie wäre nicht mehr allein im Zimmer gewesen.
So aber war es Lyda, die öffnete; Lyda, gewarnt und auf alles vorbereitet, erst recht auf Aralee, die vor ihrer Tür stand wie ein Nachtgespenst, mit bleichem Gesicht und den wirren Augen einer Frau, die wach war jenseits ihrer Zeit und das nur der Macht der Heilkräuter verdankte. Lyda kannte solche Augen und hatte gelernt, sich vor ihnen zu hüten. Instinktiv griff sie nach der Stille und bekam tatsächlich einen Fitzel davon zu fassen, als sie einen Schritt rückwärts machte und dem nächtlichen Gast zunickte.
»Aralee«, sagte sie, so überrascht sie konnte. »Tretet ein - es ist doch kein Unheil geschehen in dieser Nacht, hoffe ich?« Es gelang ihr, die Angst zu überspielen. Aralee wußte, was Lyda wußte - aber sie konnte noch nicht sicher sein, daß auch Lyda wußte, daß sie es wußte. Natara war ihnen davongelaufen, sie konnten sich vielleicht denken, daß sie nun bei Lyda waren - aber solange sie es nicht genau wußten, konnte Lyda darauf aufbauen. Wenn sie Aralee nicht wie eine Mörderin behandelte, dann war sie vielleicht auch keine. Zumindest nicht für Lyda.
Aralee schüttelte den Kopf. Im Licht der Lampe, die sie mitgebracht hatte, brannten rote Flecken auf ihren Wangen, und Strähnen ihres Haares hingen ungebändigt in ihr Gesicht, statt sonst makellos und streng nach hinten gekämmt zu hängen. »Nein, das ist es nicht…«, sagte sie. »Darf ich eintreten?«
Lyda mußte es ihr gestatten. Alles andere hätte Verdacht erweckt - war doch Aralee immer noch die Herrin dieses Hauses, auch von Lydas karger Kammer und Regentin dieses Landes, deren Worten zu folgen war. Vielleicht machte sie sich die Sorgen auch für nichts. Alle vermeintlichen Erkenntnisse über die Königswitwe konnten auch Einbildungen und Trugschlüsse sein, und Nataras Panik die wilde Reaktion eines Gehirns, das von seinem ersten Rausch hilflos überrumpelt wurde. »Tretet ein«, sagte sie und lenkte die Frau dann zu ihrem Tisch hin, der am entgegengesetzten Ende zum Bett stand - das Licht der Laterne würde nicht ausreichen, um Natara zu verraten, wenn Aralee das Zimmer keiner Durchsuchung unterzog. Und dafür würde Lyda ihr keinen Grund geben.
»Danke«, sagte Aralee. »Ich hätte nicht erwarten dürfen, Euch um diese Zeit noch wach anzutreffen« - das gleiche hätte Lyda auch zurückgeben können - »aber Ihr werdet mir verzeihen, daß ich nicht bis morgen warten kann.«
Ihre Worte schürten Lydas Angst noch mehr an, und wo nicht ihre Worte, dann ihre Körperhaltung, den linken Arm dicht an den Körper gepreßt, als hätte sie Schmerzen darin, die andere Hand mit der Lampe hoch erhoben. Sie versuchte tatsächlich, das Zimmer abzuleuchten, ließ sich dann aber von Lyda das Licht aus der Hand nehmen und auf den Tisch stellen. Lyda sagte nichts. Sie wartete auf eine Erklärung, oder auf deren Versuch, sie wartete auf einen Angriff, sie wartete darauf, überrumpelt zu werden und sich nicht überrumpeln zu lassen. Und all das durfte man ihr nicht ansehen.
»Ihr werdet vielleicht gehört haben«, sagte Aralee mit ihrer leisen, hektischen Stimme, in der fast ein Hauch von Angst zu spüren war, »daß dieses Schloß heute ebenso unerwarteten wie unerwünschten Besuch erhalten hat.«
Lyda nickte. Aralee versuchte es also tatsächlich mit einer Erklärung, einer Ablenkung - das Spiel konnte weitergehen. Selten hatte Lyda weniger Lust aufs Spielen gehabt als in diesem Moment, wo es nicht nur um ihr eigenes Leben gehen konnte, sondern auch um das eines kleinen Mädchens. Aber sie sagte nichts, versuchte nur, mehr von der Stille zu ergreifen und langsam einen Mantel daraus zu spinnen, der groß genug war für sie und Natara, und am Besten auch noch gleich für Aralee.
Aralee seufzte und fixierte die Tischkante, statt sich Lydas Blick zu stellen. »Doubladir wird Koristan den Krieg erklären«, sagte sie dann und ließ den Satz einen Moment lang in der Luft stehen, denn damit hatte auch Lyda nicht gerechnet. Dachte sich Aralee das aus? Lyda schüttelte den Kopf. Wer sollte einen Krieg erfinden?
»Warum?« fragte Lyda. Sie wußte wenig über Doubladir, aus politischen Dingen hatte sie sich immer herausgehalten, bevor sie begann, Aralee nachzustellen, aber alles was sie wußte, betraf den Hof zu Koristan. Krieg in Doubladir, davon hatte sie gehört. Krieg in Loringaril. Aber Krieg in Koristan? Hatte es so etwas jemals gegeben?
»Lügen«, antwortete Aralee. »Aber wir können wenig dagegen tun, wenn Koristan einen Krieg will, soll es ihn haben…« Sie wirkte ehrlich in diesem Moment, und ehrlich besorgt, als hätte sie zuviel im Kopf, um an so etwas Belangloses wie einen Mord zu denken, weder den geschehenen, noch den auszuführenden.
»Warum kommt Ihr damit zu mir?« fragte Lyda und gab ihrer Stimme jene Sanftheit, mit der sie sonst Witwen tröstete.
»Nehmt es mir nicht übel, Lyda«, sagte Aralee. »Die Sicherheit dieses Hauses liegt in meinen Händen, nicht nur die unserer Königin, sondern auch die von allen anderen Menschen, die hier leben. Ich muß mich vergewissern, wer auf unserer Seite steht, und das gilt vor allem für die Ausländer, die sich in Koristan aufhalten.«
»Totenmägde stehen auf keiner Seite«, antwortete Lyda. »Wir sind so neutral wie der Tod.« Sie mußte sich fast zwingen zu diesen Worten. Der Tod war nicht neutral, wo er durch die Hände eines anderen Menschen kam, im Mord wie im Krieg, und doch wurden Totenmägde von beidem gebraucht.
»Ich muß nicht wissen, wo die Totenmägde stehen, Lyda.« Jetzt war wieder diese Schärfe in Aralees Stimme, für die sie bekannt war - die einer Frau, mit der man es sich nicht verscherzen wollte. Unbestimmter Zorn lag in der Luft und rieb sich an den Ecken des Schweigens. »Ich muß wissen, wo Ihr steht.«
Langsam begann Lyda zu verstehen. Vordergründig redete Aralee vom Krieg, um nicht zu verraten, was Lyda vielleicht doch nicht wissen konnte und durfte. Aber in Wirklichkeit meinte sie genau die Dinge, wegen derer Natara jetzt in Lydas Bett lag und sich tot stellte. Doch wie sollte sie nun darauf antworten, ohne die Scharade zu zerstören und aus dieser verzweifelten Frau eine Mörderin zu machen? »Ich darf keine Seite annehmen«, sagte Lyda mit stockender Stimme. »Ihr nennt mich eine Ausländerin, aber in Wirklichkeit sind wir staatenlos. Wir unterstehen nur dem Stillen Kodex.« Die Worte wollten ihr kaum über die Lippen. Sie hatte gegen den Kodex verstoßen, und wer war sie, um über Aralee zu richten? Was sie selbst getan hatte, wog schwerer als Mord. Mord nahm nur das Leben eines Menschen. Doch der Fehler einer Totenmagd konnte die Welt aus dem Gleichgewicht bringen. Wer war nun die Schuldige?
»Die Tatsache ist«, sagte Aralee mit ihrer schnellen, präzisen Stimme, »wie auch immer Ihr es drehen und wenden wollt, Ihr seid nicht aus Koristan. Das allein würde nicht ausreichen, daß ich Euch mitten in der Nacht aufsuche, aber darüber hinaus ist mir zu Ohren gekommen, daß Ihr heute einen Boten empfangen habt. Ihr lebt allein hier, zurückgezogen, man sieht Euch auf keinem Fest, nur zu Beisetzungen verlaßt Ihr Eure Kammer, und Besuche bekommt Ihr kaum - und das ausgerechnet heute, am gleichen Tag wie der Kriegsbotschafter - dem muß ich nachgehen.«
Lyda schluckte. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß Aralee sie so genau beobachten ließ, und schon so lange - war das die Vorsicht einer Frau, jeden Hausbewohner genau kennen zu müssen, oder hatte die Königswitwe es schon lange auf Lyda abgesehen?
»Es ist niemand gestorben«, sagte Aralee, und ihr Ton wurde schärfer. »Ihr könnt also reden - ich verlange es sogar!«
Lyda atmete durch, als könne ein Zögern sie retten. »Es war eine Nachricht für mich«, sagte sie schließlich. »Von meinen Schwestern. Es hatte nichts mit dem Krieg zu tun.«
»Und Ihr erwartet, daß ich Euch das glaube?« Aralees Augen waren jetzt so fest auf Lyda gerichtet, daß zumindest das Bett, in dem Natara sich als zerwühlte Decke tarnte, völlig ihrer Aufmerksamkeit entging, und auch auf das Thema war sie noch nicht zu sprechen gekommen. Vielleicht war es dann gut, bei der Sache zu bleiben.
»Ja, das erwarte ich«, antwortete Lyda fest. Für eine Spionin gehalten zu werden war besser als für eine Mitwisserin. Spione wurden hingerichtet, Mitwisser ermordet. Und niemand richtete eine Totenmagd hin. »Ihr wißt, daß ich immer die Wahrheit sage.«
»Vielleicht«, sagte Aralee. »Aber wer sagt mir, wie Eure Schwestern zu diesem Krieg stehen? Wollten sie Euch warnen und Euch aus diesem Land abziehen, um Euch nicht in Gefahr zu bringen? Wissen sie vielleicht schon lange, was Koristan bevorsteht?«
Lyda verlor ihre Ruhe und die Herrschaft über das Schweigen. Wenn Aralee sie jetzt in eine Ecke drängte, was sollte sie sagen? »Es ist wahr, ich werde Koristan verlassen«, sagte sie. »Aber das hängt nicht mit irgend etwas zusammen, daß Euch oder dieses Land beträfe. Und eine neue Schwester, die meinen Platz einnehmen wird, ist bereits auf dem Weg.«
Im flackernden Licht der Lampe wurde Aralees Lächeln verzerrt zu etwas raubtierhaften, und ebenso sah sie aus, als könne sie Lyda im nächsten Moment anspringen. »Und das sagt Ihr mir ins Gesicht?« flüsterte sie. »Schämt Ihr Euch gar nicht?«
»Ich schäme mich nicht. Es ist die Wahrheit.«
Aralee stützte sich mit den Händen auf den Tisch auf und kam Lyda noch ein Stück näher. »Ich will diesen Brief sehen!« verlangte sie.
Lyda schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.« Es war kein Brief. Und was Aralee meinte, war nicht sehen, sondern lesen - und das konnte sie nicht. Aber das durfte die Frau nicht erfahren. Die Botschaften der Totenmägde waren geheim und für kein sterbliches Auge zu lesen.
Aralee schoß hoch. »Ihr tut, was ich Euch sage! In diesem Hof lebt Ihr nur dank meiner Gnade, Ihr richtet Euch nach meinem Wort, und wenn ich es sage -« In diesem Moment war sie nicht mehr die Herrin ihrer Worte, und statt sie zu fürchten, fühlte Lyda in dem Moment nur Mitleid. Sie wußte nicht, was Aralee an diesem Tag durchgemacht hatte und an den Tagen davor, und wenn nun eines zum anderen kam, die Kriegserklärung, die Angst, daß ihre unter Schmerzen gehüteten Geheimnisse ans Licht kamen… Lyda hatte Frauen gesehen, die er Kummer um den Verstand brachte, und wenn es nur für einen Tag war, und nun sah sie das gleiche bei Aralee.
Sie stand langsam auf. Wenn Aralee dazu noch Kräuter genommen hatte, die sie aufputschten, machte sie das gefährlich und unberechenbar. Aber wenn Lyda eine Sache gelernt hatte in ihrem Leben, dann nicht die Ruhe zu verlieren. Sie trat um den Tisch herum auf die andere Frau zu, mir kleinen vorsichtigen Schritten, die Hände leicht erhoben, und als sie direkt vor der zitternden Frau stand, schloß sie sie in die Arme, als gäbe es keine andere Wahl im Leben.
Lyda wußte, daß sie sich in Gefahr begab, als Aralees Hand zu ihrem Ärmel zuckte und im nächsten Augenblick die schmale Klinge eines Dolches im Lampenschein aufblitzte. Sie wich zurück, was ein Fehler war, denn so gab sie der Frau den Freiraum, den sie brauchte, um anzugreifen. Aber seltsamerweise hatte Lyda keinerlei Angst. Sie war dem Abgrund näher gewesen, als ein lebender Mensch es sein sollte, ihr Leben war mit einer Nadel bedroht worden, nun also ein Messer… Lyda stand still, die Arme leicht zu den Seiten ausgebreitet, ihre Brust ohne Schutz vor der Klinge, Aralee mußte nur zustechen - hatte sie nicht die ganze Zeit mit einem Angriff gerechnet? Jetzt war sie bereit. Und tat das einzige, was eine Totenmagd in diesem Moment tun konnte: Sie ergriff die Stille.
Aralee erstarrte mitten in der Bewegung. Sie spürte es, die Wand, die Lyda zwischen ihnen errichtet hatte, die Stille, die wie eine schützende Glocke nach allen Seiten um Lyda lag und von dort aus langsam anfing, sich auszubreiten. Einen Moment lang stand sie wie eingefroren, dann ließ sie die Waffe sinken. Ihr Gesicht war erschrocken und zugleich seltsam erleichtert. Es verriet viel in diesem Augenblick. Aralee hatte getötet, doch nie mit eigenen Händen aus nächster Nähe. Und sie war froh, daß sie es jetzt immer noch nicht tun mußte. Dann fuhr sie herum, starrte das Bett an, und Natara starrte zurück.
Lyda traute sich nicht, die Stille sinken zu lassen, noch nicht. Nicht, solange das Messer in Aralees Hand war. Natara hatte geschrien, das war in ihrem Gesicht zu lesen, das jetzt klar und bleich zwischen den Decken hervorragte.
Das Mädchen hatte Angst, wirkliche Angst - um ihr eigenes Leben, oder um Lydas? Und Lyda konnte nichts tun, nichts sagen, solange sie in Stille gehüllt stand - was war ihr wichtiger, ihre eigene Sicherheit oder das Leben dieses Kindes? Eine falsche Bewegung, eine unbedachte Geste, und Aralee flog vorwärts mit dem Messer in der Hand, noch hatte sie es nicht weggesteckt…
Lyda ließ los. »Halt!« rief sie in den Raum hinein. »Es ist nichts geschehen!« Während sie sprach, glitt sie durch den Raum, an Aralee vorbei, und stellte sich zwischen die Frau und das Bett, jederzeit bereit, den schützenden Wall wieder hochzuziehen, diesmal um sich selbst und Natara. Die Stille war die mächtigste Waffe, über die sie verfügte, und die Einzige. Sie war schwer zu führen und konnte niemanden verletzen, alles was die Stille tat, war, den Zorn zu dämpfen und den Schrei zu ersticken. Aralee sah aus, als ob sie den Schrei dringender brauchte als die Stille. Aber Lyda durfte kein Risiko eingehen. Es war nicht nur ihr eigenes Leben.
»Aralee«, sagte sie sanft. »Gebt mir das Messer. Es ist nichts geschehen, und es wird nichts geschehen.«
War das der Moment, auf den es all die Zeit über hinauslaufen sollte? All das Umherschleichen wie ein rastloser Geist, das Fragenstellen, das Rätselraten, das Angsthaben - nur damit sie sich jetzt gegenüberstanden in der Nacht, die eine halb von Sinnen, die andere zu sehr bereit, zu verzeihen, solange nur niemandem mehr etwas geschah… Totenmägde logen nicht. Die Stille duldete keine Lügen, sie war bereit, selbst die Wahrheit zu ersticken, aber nun log Lyda, ruhig und ohne auch nur mit der Stille zu zittern.
»Es ist nichts geschehen.«
Vielleicht stimmte es sogar, für dieses Moment. Aralee hatte nur ein Messer gezogen, niemanden angegriffen, niemandem ein Haar gekrümmt. Sie konnte das Messer wieder wegstecken, und es machte keinen Unterschied, ob es jemals gezogen worden war oder nicht.
»Ihr habt mich betrogen!« sagte Aralee. »Ich habe geahnt, daß die Kleine hier ist.«
»Ihr habt nicht nach ihr gefragt«, erwiderte Lyda ruhig. »Und Ihr tatet gut daran, denn nach dem, was Euch heute widerfahren ist, kann es Euch egal sein, wo Eure Chronistin ist. Ihr werdet bald ganz andere Sorgen haben.« Sie sagte nichts über den Mord, der auch viele sein konnte, mit Absicht. Was nicht ausgesprochen wurde, existierte nicht. Nach allem, was Lyda getan hatte, um Aralee des Mordes zu überführen, hatte sie nun nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren, und den Toten konnte es egal sein. »Ihr wollt niemanden verletzen«, redete Lyda weiter. Niemanden mehr. »Niemand ist jetzt verletzt, gebt das Messer mir. Es ist nichts geschehen.«
Und als Aralee langsam den Dolch in ihren Ärmel zurück schob, wußte Lyda auch, daß in dieser Nacht nichts mehr geschehen würde.

Langsam füllte die Stille die Kammer, dehnte sich aus, bis es an die Decke stieß und die Wände, sickerte in die Ritzen und in die Herzen. Das Schweigen war friedlich und tröstend, es fraß die Angst auf und die Hektik. Für eine Weile standen sie da und sagten kein Wort.
Alle Farbe war aus Aralees Gesicht gewichen, selbst die unheilvollen Flecken, die eben noch auf ihren Wangen gebrannt hatten, waren verschwunden mit dem Funkeln aus ihren Augen. Lyda wagte nicht, sich ihr noch einmal zu nähern, sie noch einmal in den Arm zu nehmen, aus Angst, den Sturm des Zornes noch einmal zu entfachen. Aber sie sah nur eine Frau da stehen, die Hilfe brauchte, keine Gegnerin. Das war vielleicht das wichtigste in dieser Nacht: Daß sie keine Gegnerinnen waren.
Aralee blickte hin und her zwischen Lyda und Natara und sah aus, als ob sie etwas sagen wollte, doch solange Lyda die Stille aufrechterhielt, konnte niemand ein Wort sprechen in diesem Raum. Und um gegen die Stille anzukämpfen, fehlte Aralee die Kraft. Allein das Ziehen des Messers schien sie schon über das verfügbare Maß angestrengt zu haben. Sie konnte niemanden mehr verletzen - trotzdem, Lyda ließ nicht los. Nur langsam, ganz langsam endete der Spuk.
»Es tut mir Leid«, sagte Aralee, kaum daß sie wieder sprechen konnte, und ihre Stimme war leise - mit lauten Worten war die Stille nicht zu durchbrechen. »Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«
»Ihr seid übermüdet«, antwortete Lyda, als ob das eine Antwort war. »Dieser Tag war zuviel für Euch. Ihr könnt nicht in drei Kriegen gleichzeitig kämpfen. Vergeßt das Mädchen. Vergeßt mich. Ihr habt ein Land zu retten.« Mit sanften Gesten winkte sie Aralee zurück zum Tisch, hieß sie sich hinsetzen. Sie hoffte, daß Aralee wieder Herrin genug ihrer selbst war, um allein den Weg auf ihr Gemach zu finden. Um sie dorthin zu führen, fehlte Lyda der Mut. Nur in ihrer Kammer war sie sicher genug in dieser Nacht der Messer.
»Ihr wißt zuviel«, flüsterte Aralee. Jetzt war es heraus. »Ich habe keine Wahl.« Ein Tod führte zum nächsten - standen Lyda und Natara immer noch auf Aralees Liste, wenn sie morgen mit frischem Kopf erwachte?
Lyda schüttelte den Kopf. »Komm her, Natara«, sagte sie. »Du mußt dich nicht mehr verkriechen. Du bist in Sicherheit.« Zu Aralee sagte sie: »Und Ihr seid auch in Sicherheit. Vor mir und auch vor ihr.«
Aralee rieb sich die Augen. Ihre Drogen forderten ihren Tribut. Lyda durfte sie nicht in allzu lange Gespräche verwickeln, sonst hatte sie am Ende noch einen Gast mehr, der in ihrer Kammer übernachtete. Und es hatte wenig Sinn, jetzt mit Aralee über alle Geheimnisse und Schuld zu sprechen - die Frau war kaum noch aufnahmefähig. Selbst Natara war in besserem Zustand.
»Was mußtet Ihr auch herumschnüffeln?« fragte Aralee anklagend. »Ich will Euch doch nichts tun… und dem Mädchen…«
»Ich weiß«, sagte Lyda und legte eine Hand auf ihre. Eiskalte Finger, feucht von Schweiß, darunter ein flatternder Puls. »Ihr wolltet schon dem ersten Mädchen nichts tun.« Sie sprach den Namen nicht aus. Vielleicht hätte er gereicht, um noch einen Sturm zu entfachen. »Aber sie hat Euch erpreßt, nicht wahr? Wir tun das nicht. Ich gebe Euch mein Wort darauf.«
»Das ist nicht genug«, antwortete Aralee gepreßt. »Wenn ich Euch leben lasse…«
»Wenn eines sicher ist auf dieser Welt«, sagte Lyda, »dann das Schweigen einer Totenmagd.« Es stimmte nicht, und ausgerechnet Lyda durfte diesen Satz auch nicht aussprechen. Wer hatte denn das Schweigen gebrochen, ausgerechnet am Totenbett eines Königs? »Was Ihr getan habt, war falsch« - falsch, ein schönes Wort, um Mord herunterzuspielen! - »aber es ist an den Engeln, über Euch zu richten.«
Langsam begriff Lyda, was in diesem Moment von ihrem Schweigen abhing - nicht nur ihr Leben, oder, wenn sie sprach, nicht nur Aralees - sondern das Schicksal des ganzen Landes. Wenn herauskam, daß Aralee eine Mörderin war, was würde man mit ihr tun? Jeder Tote vor seiner Zeit war einer zuviel, und Lyda hatte zu oft am Abgrund gestanden, wenn die Leiche eines Hingerichteten dort drin versenkt wurde - Männer, die sie nicht kannte, die in der Stadt lebten, schändeten, starben. Sollte Aralee sterben? Und wenn sie es tat, wer herrschte dann über das Land? Amra allein? Das Kind war hübsch anzusehen, wenn man es auf den Thron setzte, aber es konnte einem Krieg nichts entgegensetzen. Doubladir würde Koristan überrollen wie ein Gewitter, und wie viele Körper waren dann des Abgrunds? Aralee hatte, vielleicht, eine Chance, dem Krieg etwas entgegenzusetzen. Vielleicht sogar Frieden. Sie durfte nicht sterben. Nicht jetzt.
»Wenn sie nicht versucht hätte, mich zu erpressen…« Aralee sprach keine ganzen Sätze mehr. Was sie sagte, war abgehackt und aus dem Zusammenhang - Lyda verstand es, verstand auch die Teile, die Aralee nicht mehr sagte: Zu geübt war sie, auf die Stille zu hören. Aber sie machte sich Sorgen, wie lange die Frau noch durchhalten würde, und wie sie jetzt am Schnellsten in ihr Bett zu bekommen war, ohne daß es Probleme gab. Man mußte sie irgendwie zum Gehen bringen, nur wie? Lyda wollte sie wirklich nicht über Nacht behalten. Am anderen Tag konnten die Dinge wieder schlechter stehen, konnte Aralee mit neuem Mut auf den Gedanken kommen, daß Lyda und Natara doch besser tot waren als lebendig.
Es war Natara, die zu ihrer Rettung herbeieilte. »Es wird alles gut, Aralee«, sagte sie so ruhig und verständnisvoll, daß man sich kaum an das zitternde Bündel Mensch erinnern konnte, das sie noch vor wenigen Stunden gewesen war. »Aber wir sollten jetzt alle schlafen gehen. Kann ich Euch begleiten? Ich habe Nachts immer Angst, wenn ich allein durch die dunklen Gänge muß.«
Lyda blickte Natara irritiert an. Sprach da doch noch der Wein aus dem Mädchen, oder war sie wirklich bereit, sich Aralee schutzlos auszuliefern? Bei dem Gedanken war ihr gar nicht wohl, und auch wenn Natara ihre Worte so gewählt hatte, daß die Königswitwe sich nicht schwach fühlen mußte, blieb doch immer noch die Gefahr, die von dieser Frau ausging.
»Am besten, Ihr gebt mir Euer Messer.« Sie konnte das sagen, ohne Aralee zu beschämen - sie war kein kleines Mädchen, sondern in Aralees Alter. Nach allem, was sie über die andere Frau wußte, war die nur ein Jahr älter als sie selbst, auch wenn sie gerade viel, viel älter aussah - unter einem anderen Stern hätten sie Freundinnen werden können, aber Totenmägde hatten keine Freunde, und Königswitwen wohl auch nicht. »Ich möchte nicht, daß Ihr Euch damit verletzt, oder jemand anderen.«
Zögerlich und mit zitternden Fingern gab Aralee ihr die Waffe. Es war ein langes, schmales Messer, mehr gedacht, einen Brief aufzuschlitzen denn eine Kehle, aber trotzdem fühlte es sich seltsam an in Lydas Hand. Sie führte keine Waffe, niemals, es war ihr verboten, Totenmägde nahmen kein Leben. Und für ihre stillen Botschaften brauchte es keine Brieföffner. Aber es war besser, die Schneide war bei Lyda als bei Aralee. Vor allem, wenn sie mit Natara unterwegs war.
»Ich werde… jetzt gehen«, sagte Aralee unbestimmt. »Danke - danke für alles.« Es klang mehr wie eine Abschiedsfloskel denn wie ehrlich gemeint. Wie viel von ihrer Unterredung bis morgen in Aralees Verstand haften bleiben mochte, wußten nur die Engel - und die Kräuter, die Aralee über den Tag geschluckt hatte.
»Ich komme mit«, wiederholte Natara fest. Vielleicht macht es ihr Mut, die Frau, vor der sie eben noch solche Furcht gehabt hatte, so schwach zu sehen - aber sie würde gut daran tun, sie am anderen Tag nicht mehr daran zu erinnern.
»Gut«, sagte Lyda. »Ich wünsche Euch eine gute, geruhsame Nacht. Ihr könnt sie brauchen.« Wie lang war der Morgen noch hin? Viel konnte von der Nacht nicht mehr übrig sein. »Und Natara«, fügte sie ganz leise hinzu, »es wäre schön, wenn du noch einmal bei mir vorbeischauen könntest.«
Natara nickte. Sie hatte verstanden. Auch wenn Aralee an der Nacht zusammengebrochen sein mochte - es war besser, wenn das Mädchen auch den Rest dieser Nacht nicht allein verbrachte. Denn übermüdet und entwaffnet mochte Aralee harmlos sein und für niemanden mehr eine Gefahr als für sich selbst - aber am anderen Tag konnte das wieder ganz anders aussehen. Und Lyda wußte, daß das letzte Wort hier noch nicht gesprochen war. Solange sie beide im Schloß waren, Lyda und Natara, würden sie Aralee jeden Tag daran erinnern, daß sie wußten, was niemand wissen durfte. Und daß ihre Anwesenheit Aralee in Gefahr brachte, egal wie oft sie ihr Schweigen auch versichern mochten.
Sie waren nicht mehr sicher in Koristir, keiner von ihnen.

Der andere Morgen begann mit Heulen und Zähneklappern. Das lag vor allem an Natara, der erst jetzt wirklich schmerzhaft bewußt wurde, was ihr in der vergangenen Nacht widerfahren war, aber auch Lyda war es alles andere als wohl.
»Es tut mir so Leid«, wimmerte Natara, als ob sie sich nicht schon während der Nacht hundertmal entschuldigt hätte bei Lyda und sich selbst, aber ihr kleiner Körper rächte sich jetzt für die durchgestandenen Zumutungen und brachte sie in eine jämmerliche Stimmung. »Ich weiß wirklich nicht, was da in mich gefahren ist…« Aber in Wirklichkeit wußte sie es nur zu gut, und es war zu erwarten, daß sie für die Zukunft die Finger vom Alkohol lassen würde und hoffentlich auch von dem, was Aralees Vertraute ihr danach noch eingeflößt hatte.
Lyda war vor allem froh, daß Natara noch heile zurückgekommen war - kaum daß das Mädchen mit Aralee aus der Tür war, begann Lyda schon, sich Vorwürfe zu machen, daß sie die beiden hatte alleine gehen lassen, und bis Natara dann endlich wieder an ihre Tür pochte, war Lyda wacher und aufgeregter als in jedem anderen Moment der Nacht: Aber es war alles gut gegangen. Zum Glück. Für den neuen Tag aber sah Lyda schwarze Wolken am Himmel, auch ohne daß es regnete.
»Natara«, sagte sie. »Hör mir zu! Fühlst du dich, als wärst du wieder ganz und gar klar im Kopf? Was ich dir zu sagen habe, ist wichtig!« So wichtig, daß das Leben des Mädchens daran hing…
Natara nickte still und verzichtete auch darauf, sich noch einmal zu entschuldigen - viel mehr davon konnte Lyda auch nicht mehr aushalten. Und auch wenn ihre Augen rot und verheult waren, sahen sie doch wieder wach und verständig aus.
»Wir hatten in der letzten Nacht großes Glück«, sagte Lyda, »daß Aralee in einem sehr schlechten Zustand war. Der Tag hatte sie zu sehr mitgenommen, als daß sie noch wußte, was sie tat - aber heute weiß sie es wieder, und wenn sie sich erinnert, was geschehen ist, oder wenn ihre Zofe ihr noch einmal sagt, was du ihr erzählt hast, wird es sehr gefährlich für uns. Zu gefährlich, als daß wir hier bleiben können. Aralee hat alle Möglichkeiten, zu versuchen, dich und mich aus der Welt zu räumen, sie hat schon einmal gemordet, wenn nicht öfter.«
Lyda vergaß nicht die Anschuldigungen, Aralee könnte auch den Tod des Königs verursacht haben, und auch wenn ihr dafür alle Beweise fehlten, es paßte zu dem, was sie ansonsten wußte. Aralees Waffe war nicht das Messer, auch wenn sie es in der Nacht mehr schlecht als recht damit versucht hatte, sondern der Hinterhalt. Das Schloß war groß und bot ihr jede Möglichkeit. Sie konnte in der Nacht ein Feuer legen, sie konnte Gift mischen, alles war ihr zuzutrauen, solange sie kein Blut an ihre Hände bekam - kleine Mordvorbereitungen nebenbei belasteten das Gewissen nicht mehr als die Toten, die ihr Herz schon mit sich trug.
»Wie - nicht hier bleiben?« fragte Natara, und die Stimme erstickte fast unter neuen Tränen. »Hier im Zimmer? Oder hier im Palast?«
»Hier in Koristir«, sagte Lyda. Sie hatte gut reden, ihre Zeit in der Hauptstadt, sogar im ganzen Land, waren gezählt. Wenn sie Glück hatte, kam schon an diesem Tag die Ablösung, und wenn nicht, würde sie zumindest noch einmal bei Naella in der Stadt Zuflucht suchen können, wie sie es schon einmal getan hatte. Doch was war mit Natara?
»Kann ich nicht wenigstens zurück zu meinen Eltern?« fragte das Mädchen. »Ich habe sie schon so lang nicht mehr gesehen - und sie können mich beschützen, das weiß ich!«
»Wohnen deine Eltern in Koristir?« Natara nickte. »Dann bist du auch da in Gefahr. Wenn Aralee kommt und ihnen sagt, du mußt zurück ins Schloß, weil du von deiner Arbeit davongelaufen bist - was sollen sie dann tun?«
»Aber wenn ich ihnen sage, was Aralee getan hat…«
Lyda hob hastig beide Hände. »Sie dürfen es nicht erfahren. Niemand darf das. Unsere einzige Möglichkeit, sicher aus der Geschichte herauszukommen, ist wenn wir schweigen, beide. Ich bin darin erfahren, es gibt nichts, was eine Totenmagd besser kann als das, aber du… du mußt auch schweigen. Dein Leben hängt daran.« Und ihres, und Aralee, und das des Friedens.
»Und wie sollen sie mich dann beschützen, wenn sie nicht wissen, vor was?«
»Sie können dich nicht beschützen«, sagte Lyda leise. Gab es etwas schrecklicheres, das man einem Kind sagen konnte, als daß seine Eltern machtlos waren? »Du kannst nicht zu ihnen. Wenn du es tust, bringst du sie nur auch noch in Gefahr.« Langsam merkte Lyda, daß sie keine Wahl hatte, daß es nur eine Möglichkeit gab, sie zu retten.
»Wo soll ich dann hin?« fragte Natara noch kläglicher als alle Entschuldigungen, die sie seit dem bitteren Morgentee von sich gegeben hatte.
Lyda seufzte bei sich. »Du kommst mit mir«, sagte sie. »Hast du gestern Nacht gehört, daß ich die Stadt verlasse?«
Mit großen Augen nickte das Mädchen, und ihre Hände krampften sich in den Rand ihrer Schürze.
«Ich werde dich mitnehmen«, sagte Lyda. »Gestern habe ich dir gesagt, bei mir bist du in Sicherheit, und das meine ich auch. Wir werden uns in dein Zimmer schleichen, um einige Sachen zu packen, aber viel brauchst du nicht. Da, wo ich dich hinbringe, ist kein Ort für saubere Schürzen und feine Kleider.« Es war am einfachsten, wenn sie eines ihrer eigenen Gewänder kürzte, damit Natara nicht auffiel, wenn sie erst einmal gemeinsam unterwegs waren. Eine Totenmagd mit einer Novizin fiel nicht auf, eine Totenmagd mit einer königlichen Chronistin dagegen schon.
»Aber wohin müßt Ihr - müssen wir denn?« fragte Natara.
Lyda nickte und lächelte leicht. Sie würde Natara nicht erzählen, daß sie nun ein Geheimnis erfuhr, von dem nur die wenigsten gewöhnlichen Menschen wußten. »Hast du dich schon einmal gefragt, wo die Totenmägde herkommen?«
»Ja, schon…«, sagte Natara und verzog das Gesicht zwischen angestrengt und schmerzverzerrt, weil das Denken vielleicht doch noch ein wenig zuviel war für ihren Kopf. »Ich habe gedacht, das ist ein Beruf - und Ihr habt Euch irgendwann entschieden, Totenmagd zu werden…« Ihr Blick sagte, daß sie sich nicht vorstellen konnte, wie irgend jemand freiwillig so einen Beruf ergreifen konnte, aber, wohl aus Höflichkeit, sagte sie das nicht.
»Wir werden dazu geboren«, antwortete Lyda. Das war nur ein Teil der Wahrheit, aber der einzige, den Natara wissen durfte, zumindest jetzt schon. »Es gibt einen Ort, weit von hier, den wir den Konvent nennen oder das Stille Haus, daher kommen wir.«
»Wie weit ist weit?« Nataras Stimme begann schon wieder zu zittern. Sie hatte die Stadt noch nie verlassen, und das Schloß war das weiteste, was sie jemals von ihrer Familie getrennt hatte - das alles zu verlassen, vielleicht für immer, mußte schwer für sie sein. Lyda dachte daran, wie sie selbst den Konvent verlassen hatte in der Erwartung, niemals wieder zurückzukehren - fast wäre es ihr lieber, wenn das immer noch die Wahrheit wäre. Sie konnte Natara erzählen, daß sie heimkehrte, aber nicht, daß es in Schande geschah.
»Es liegt in den Bergen von Elysir«, sagte Lyda. »Du weißt, wo Elysir ist, nicht wahr? Aralee hat dich vieles gelehrt, nicht wahr? Dann kennst du auch die Karten -«
»Am Rand der Welt«, flüsterte Natara. »Ganz oben, da wo Himmel und Erde zusammenstoßen.« Lyda nickte. Es war das weiteste Weit Weg, daß man sich nur irgendwie vorstellen konnte. »Aber dazwischen ist Doubladir!« Jetzt klang Nataras Stimme schrill. »Oder Loringaril, aber das ist egal, die haben beide den gleichen König, die wollen Krieg mit uns!« Sie begann wieder am ganzen Körper zu zittern. Lyda machte sich lieber daran, noch einen Tee aufzubrühen, als daß die Kleine auch noch anfing zu fiebern.
»Nicht mit uns«, sagte Lyda. »Miteinander, vielleicht. Oder mit Koristan.« Sie fragte nicht, was es mit dem König auf sich hatte. Das waren immer Dinge, die eine Totenmagd nicht viel angingen, wollte sie ihre Neutralität bewahren. »Und wir sind nicht Koristan.«
»Aber ich bin die Chronistin!« Natara regte sich immer weiter auf. »Und der Kriegsbotschafter hat mich gesehen! Was, wenn wir dem nochmal über den Weg laufen, und er erkennt mich wieder…« Er würde sie nicht wiedererkennen, selbst wenn ihn das interessieren sollte. Die Natara, die man ihm vorgesetzt hatte, war ein aufgetakeltes kleines Ding mit geschminktem Gesicht und einem Kleid, das sich kaum für ihr Alter geziemte - nicht ein scheues Geschöpf im Gewand einer Totenmagd. Sie mußte nur etwas tun mit Nataras Haar, das die falsche Farbe hatte, und ihren Augen - aber sie konnten immer noch darauf bauen, daß die Menschen zu wenig über Totenmägde wußten, um das zu merken. Sie konnten immer noch glauben, daß die Haare erst grau wurden, wenn sie ein gewisses Alter erreichten, und vielleicht galt das auch für die Augen…
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Lyda. »Doubladir ist so groß, wie glaubst du, ist dann die Wahrscheinlichkeit, daß du ausgerechnet diesem einen Mann über den Weg läufst?« Es gab ganz andere Sachen zu bedenken, auch ehe sie aufbrachen. Wichtig war erst einmal nur, Natara von dieser Panik zu befreien, und vom Kummer. Alles andere konnte später kommen.

Die Hektik, mit der sie dann den Rest des Vormittags verbrachten, hatte einen Vorteil: Man fand dabei wenig Zeit, sich zu grämen. Lyda hatte schon am Vortag damit begonnen, ihre Habseligkeiten zusammenzupacken - auch wenn sie nicht wußte, wie sehr ihr Aufbruch einer Flucht gleichen würde, ahnte sie ja doch, daß sie niemals hierher zurückkehren würde. Diese Kammer war der Raum der Totenmagd, doch wer das war, konnte ihr so egal sein wie dem Rest des Schlosses. Ihre Nachfolgerin konnte sich über die reparierte Tür wundern, aber die würde ihre Geschichte für sich behalten, und der Aufruhr konnte zu jeder Zeit gewesen sein, auch lang, lang zurückliegen - die neue Totenmagd würde dort weitermachen, wo Lyda aufgehört hatte, aber man konnte nur hoffen, daß sie ihre Aufgabe besser erledigen würde. Es war nicht schwer - sie hatte nur dann zu schweigen, wenn sie zu schweigen hatte.
Jetzt konnte Lyda den größeren Teil ihrer Energie dafür nutzen, zu planen, wie sie Natara heile aus dem Schloß bringen sollte, denn die war schon mit dem Gedanken völlig überfordert.
»Gibt es denn noch etwas in deinem Zimmer, daß dir so viel bedeutet, daß du es unbedingt mitnehmen möchtest?« Lyda wußte, daß diese Frage zu ungeduldig klang - nur weil sie selbst ihr Herz nicht an Dinge hing, wußte sie doch, daß andere es taten, und ob das nun das Angedenken war an einen Toten oder an ihr eigenes Leben, das fortan nicht mehr das gleiche sein sollte - was machte es für einen Unterschied?
Natara nickte, als ob es ihr peinlich war. »Ich habe da noch Dinge… von meiner Familie.« Sie schluckte. Eigentlich hatte sich Natara schon für immer von ihrer Familie verabschiedet, als sie ins Schloß berufen wurde. Aber es war trotzdem etwas anderes: Nicht nur würde Natara jetzt nichts mehr von ihrer Familie hören, sondern auch Nataras Familie nichts mehr von ihr. Für wie lange? Dieses Frage wagte das Mädchen nicht zu stellen, und Lyda war froh darum: Sie hätte keine Antwort sagen können. Soweit es sie betraf, war es für immer, aber für immer war zu lang für so ein Kind, und was sie im Stillen Haus anfangen sollte, darüber wollte sich Lyda lieber noch keine Gedanken machen müssen. So lange Aralee lebte, oder zumindest, so lange Aralee regierte, mußten sie ihr aus dem Weg gehen - aber das konnte eine Ewigkeit dauern, oder bis die Kindskönigin groß war, oder nur ein paar Wochen, wenn doch der Krieg über Koristan hereinbrach - aber selbst dann waren Lyda und Natara dann zu weit zum Umkehren, Lyda mußte heim, so oder so, und sie konnte das Mädchen schlecht auf halbem Weg sich selbst überlassen: Es war gut, daß Natara nicht fragte, wenn Lyda nicht wollte, daß sie weinte.
Da lenkten sie sich doch besser mit dem Versuch ab, an Nataras Schätze zu kommen, ohne dabei am Ende Aralee in die Arme zu laufen. Verstohlen schlichen sie den Gang entlang; Lyda hatte die Tasche halb unter ihrem Kleid verborgen: Wenn jemand sie sah, sollte es nicht allzu sehr danach aussehen, daß sie Dinge zusammenpackten. Und sie hatten Glück, unbeschadet zu Nataras Zimmer zu gelangen, auch wenn es bedeutete, das Schloß von einem Ende zum anderen zu durchqueren. Aber als sie dann vor der Tür standen, war das Glück schon wieder vorbei. Natara blieb stehen wie angewurzelt.
»Jemand ist hier gewesen«, flüsterte sie tonlos.
Lyda wußte nicht, woran sie das sah, aber sie glaubte ihr - für sie sah die Tür aus wie eine normale Tür, aber Natara war ein sensibles Mädchen, und vielleicht konnte sie Dinge spüren, die das Auge nicht erkennen konnte. Wenn ja, würde es zumindest das Leben unter Totenmägde leichter für sie machen. »Jetzt gerade?« fragte sie. »Oder heute Nacht?«
Natara zitterte. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich habe nur gerade…« Sie schüttelte sich und brach ab.
»Wir haben keine Wahl«, sagte Lyda. »Du hängst an deinen Sachen und sollst nicht ohne sie gehen müssen.« Und außerdem, aber das verschwieg sie lieber, um dem Kind nicht noch mehr Angst zu machen, war es jetzt sowieso zu spät. Wenn gerade noch jemand im Zimmer war, konnte der sie inzwischen gehört haben: Auch wenn sie leise sprachen, war doch jemand, der in ein fremdes Zimmer einbrach, immer wachsam für drei. Lyda griff nach der Türklinke, doch ehe sie sie berührte, ließ sie ihre Hand einen Fingerbreit über dem Messing ruhen. Sie spürte keine Wärme. Die Klinke war kalt. Lyda nicke Natara zu, die mit unsicheren Fingern ihren Schlüssel hervor zog und öffnete. Ihre erste Sorge war unbegründet. Das Zimmer war leer. Aber offenbar noch nicht lange.
»Jemand war an meinen Sachen!« Natara klang nicht mehr so erschrocken wie beim ersten Mal, sie hatte Zeit gehabt, sich auf den Anblick vorzubereiten, und es war nicht so, als ob jemand in Hetze oder Wut alles durchwühlt hätte - für Lyda sah das Zimmer aus wie jedes andere, in dem ein junges Mädchen wohnte, aber Natara, deren Augen geschult waren für die Aufgaben einer Chronistin und die auf jedes Detail achten mußte, erkannte sofort die Unterschiede.
»Da, an meiner Truhe - seht Ihr, der Griff steht hoch. Ich achte aber immer darauf, daß sie nach unten geklappt sind, sie haben so eine Spitze, wenn man da einmal mit dem Bein dran hängen bleibt, gibt das einen scheußlichen Kratzer…« Tatsächlich schien das Mädchen jetzt zu neuem Leben und neuem Mut zu erwachen. Vielleicht war es Zorn. Alles andere hatte sie mit resignierter Trauer oder Angst aufgenommen - aber hier, wo in ihren eigenen Lebensraum eingegriffen worden war, erwachte das, was in jedem Menschen schlief.
Lyda hielt die Tür im Auge, während Natara den Schaden begutachtete und dabei ein paar Dinge einpackte - ein Spiegel, ein Taschentuch, ein unförmiges Bündel, das eine in Stoff gewickelte Puppe sein konnte, Lyda fragte nicht danach. Es war Nataras Leben, das sie in einer Tasche verstauen mußte, nicht ihres. Wichtiger war, daß sie nicht noch einmal gestört wurden - wer auch immer hier gewesen war, konnte wiederkommen, und Lyda wußte nicht, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich das war.
»Glaubt Ihr, ich kann wohl meine alten Schuhe mitnehmen?« fragte Natara. »Sie passen mir eigentlich nicht mehr, aber das waren mal meine Lieblingsschuhe, und ich war so unglaublich stolz darauf…« So redete eine alte Frau, wenn sie die Schätze ihrer Kindheit begrub, aber aus dem Mund eines Mädchen, das kaum aus diesen Schuhen heraus gewachsen war, klangen die Worte seltsam.
»Nimm mit, was du möchtest«, sagte Lyda. Es war egal. Brauchen würden sie kaum etwas davon jemals wieder.
»Und die Blätter, auf denen ich schreiben gelernt habe - ich wollte mir unbedingt die Buchstaben unters Kopfkissen legen, damit ich sie nie vergesse, aber die Tinte war noch nicht ganz trocken und hat schwarze Flecken ins Bettzeug gemacht -«
Es war wirklich wie eine Mutter, die Lyda von ihrem toten Kind erzählte, Erinnerung an Erinnerung, keine von ihnen wichtig und jede von ihnen kostbar. Lyda wußte, daß sie eigentlich keine Zeit dafür hatte, aber sie war zu sehr daran gewöhnt, die Leute reden zu lassen - was hinaus wollte, mußte hinaus, und besser jetzt, als wenn sie einmal auf der Flucht waren. Ein Pferd… sie würden sich noch um ein Pferd für Natara kümmern müssen. Der Weg war zu weit, um ihn in einem Leben zu Fuß zu gehen, und zumindest bis an den Rand der Berge mußten sie reiten. Lyda würde Naella fragen, ob die ihr ein Pferd leihen konnte, ihr einziges, die Schwestern konnten ihr Ersatz schicken oder Geld dafür -
Und in dem Moment hörten sie beide, wie auf der anderen Seite der Tür der Schlüssel ins Schloß geschoben wurde.
Natara, die eben noch fast munter geklungen hatte, zuckte zusammen und warf hektische Blicke nach den Seiten, als suche sie ein Versteck, das groß genug war für sie beide. Lyda blieb ruhig stehen, hielt die Tür im Augen und sammelte sich, um im richtigen Moment Rettung in der Stille suchen zu können.
Der Schlüssel klackte und schabte im Schloß - wer immer es war, jetzt hatte er gemerkt, daß die Tür nicht mehr verschlossen war - und wurde dann wieder herausgezogen. Und dann, ganz langsam und vorsichtig, wurde die Klinke heruntergedrückt und die Tür geöffnet.
Lyda hatte mit Aralee gerechnet, sie nahm immer die größte Mögliche Gefahr an, man kam nicht umhin, wenn man den Abgrund zu hüten hatte, aber es war eine junge Frau mit rötlichem Haar, deren Gesicht Lyda einen Moment lang vertraut vorkam, ohne daß sie es recht einordnen konnte. Aber als sie das Erkennen in den blitzenden blauen Augen der Frau las, wußte auch Lyda wieder, wen sie vor sich hatte, noch bevor Natara »Roveen!« flüsterte.
»Aber - Ihr seid die Totenmagd!« entfuhr es der Frau. Dinge, mit denen sie nicht gerechnet hatte…
Lyda nickte. »Und Ihr seid die junge Frau aus Loringaril.« Mit einem leichten Lächeln setzte sie hinterher: »Die, die das Mädchen nicht umgebracht hat.« Einmal war es ihr erfolgreich gelungen, diese Frau daran zu erinnern, daß sie keine Mörderin war. Und sie würde alles daran setzen, das noch einmal zu tun.
Tatsächlich hatte Lyda sich manchmal gefragt, was aus dieser Frau und ihrer Gefährtin geworden sein mochte, aber sie war im Grunde ihres Herzens davon ausgegangen, daß Aralee die beiden irgendwann hatte laufen lassen - sie waren politisch als Geiseln kaum etwas wert, Loringaril gab auf Frauen nicht viel, und konnten sonst mit ihren sehr speziellen Stickkünsten auch nicht das, was Aralee für ihren Alltag brauchen konnte - aber offenbar waren sie, oder zumindest eine von ihnen, aus ihrer Isolation befreit worden. Lyda schüttelte bei sich den Kopf. Wenn Natara von einer Roveen sprach, war sie nie auf die Idee gekommen, daß das nicht irgend eine Hofdame war, sondern niemand anderes als diese Frau.
Roveen schien sich von ihrem ersten Schrecken erholt zu haben, denn sie nickte Natara zu, statt auf Lydas Worte einzugehen. »Da bist du ja, Natara - wir haben dich gesucht!«
Natara behielt die Nerven. »Und warum klopft Ihr dann nicht, sondern wollt gleich meine Tür aufsperren?«
Die Rothaarige strahlte, als ob sie kein Wässerchen trüben konnte. Lyda wußte, daß sie zumindest früher als Konkubine gearbeitet hatte - in dem Beruf lernte man sicher besser, sich zu verstellen, als wenn man Totenmagd wurde. »Dummchen!« sagte sie. »Ich war doch schon dreimal da und habe geklopft. Dann bin ich gegangen und hab Aralee um den Schlüssel gebeten - ich hab gedacht, du hast dich eingeschlossen und genierst dich wegen gestern.«
Aber sie fielen nicht darauf herein. Nicht, wenn Natara sicher war, daß schon vorher jemand in ihrem Zimmer gewesen war. Aber Natara hätte es besser angestanden, nicht ganz so spitzfindig zu reagieren, sondern Vorsicht walten zu lassen. »Und was ist mit Aralee? Geniert die sich auch?« Lyda versuchte, dem Mädchen noch ein Kopfschütteln zuzuwerfen - sie wollten keine langen Diskussionen und erst recht keine Erklärungen, es ging nur darum, daß die Frau sie heile ziehen ließ und vielleicht nicht gleich Aralee Bericht erstattete.
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte Roveen mit ernster Miene. »Ich kann dir ein paar Leute sagen, die sich genieren sollten, was das angeht - der feine Herr Kriegsbotschafter hat zumindest das Angebot dankend angenommen, und ich denke, da sollte er sich schon entscheiden was er will, Krieg oder Rumschlafen - wenn du mich fragst, beides geht nicht.«
Offenbar versuchte sie Schönwetter zu machen und lieber so zu tun, als wäre Natara allein.
»Roveen«, sagte Lyda leise und war froh, daß die Frau jetzt richtig ins Zimmer kam und die Tür hinter sich zumachte. »Wir wissen, was in der vergangenen Nacht passiert ist. Aralee wird es Euch erzählt haben. Natara erinnert sich an alles, und ich sowieso. Wir haben keine Zeit für einen Plausch. Könnt Ihr ein Geheimnis für Euch behalten und Aralee eine Botschaft überbringen?«
Roveen wich vor ihr einen Schritt zurück wie vor jemandem, den man fürchtet. »Ich verstehe Euch nicht…«, sagte sie ausweichend. »Was jetzt, ein Geheimnis oder eine Botschaft?« Wie auch immer Lyda bei ihrer ersten Begegnung den Kopf aus der Schlinge gezogen hatte, offenbar war es nicht ohne Eindruck geblieben - und dazu kam, was Aralee noch nach der Nacht erzählt haben mochte.
Lyda seufzte. »Beides. Sagt Aralee, daß wir nichts verraten werden. Ich habe es ihr gestern bereits versprochen, aber sie war nicht in der rechten Verfassung, mir zuzuhören oder zumindest zu glauben. Es ist sicher bei uns. Schweigen ist mein Leben. Wenn ich es verspreche, halte ich es auch.«
»Und ich auch!« setzte Natara hinterher, auch wenn niemand von ihr erwartete, daß sie viel vom Schweigen verstand aber dafür das, was sie sah und hörte. »Von mir erfährt niemand etwas.«
Roveens Gesicht war so seltsam, daß sich Lyda fragte, ob sie vielleicht einen Fehler gemacht hatten und die Frau überhaupt nicht wußte, nicht wissen durfte, um was es überhaupt ging. Sie nahmen wie selbstverständlich an, daß Roveen Aralees Vertraute war, aber selbst wenn, wie viel vertraute Aralee überhaupt jemandem an? Konnte diese Frau, die den Tod der Zofe so weit von sich gewiesen haben, damit leben, daß eine Freundin, um Aralee als solche zu bezeichnen, ein Kind getötet hatte? Oder hatte Aralee am Ende noch ganz andere Geheimnisse, von denen sie überhaupt nichts ahnen konnten? »Das kann ich ihr wohl sagen…«, sagte Roveen langsam. »Und sie wird dann wissen, was Ihr meint?« Nein, sie spielte nur. Kein Zweifel, das Zögern war nicht echt.
»Wir wollen ihr nichts böses«, sagte Lyda. »Alles was wir wollen ist sicheren Abzug.«
Jetzt zog sich ein Lächeln in Roveens Gesicht, und es war nicht allzu freundlich. »Ja, das hat sie mir gesagt - daß Ihr ins Ausland wollt. Damit Ihr unsere Geheimnisse an den Feind verraten könnt.« Jetzt waren die Geheimnisse schon ihre? Und wer sollte der Feind sein, war die Frau nicht ebenso das, was Aralee vor Lyda als Ausländerin bezeichnete?
»Niemand wird irgend etwas erfahren«, sagte Lyda noch einmal. »Die Wahrheit ist, wir trauen Aralee nicht und fürchten uns vor ihr. Ich will dieses Mädchen außer Landes bringen, in Sicherheit, damit es ihr nicht ergeht wie der letzten.« Da, jetzt hatte sie es wirklich verraten - aber noch nicht ganz, darauf kam es an.
»Und das soll ich Euch glauben?« fragte Roveen argwöhnisch, aber nicht ganz feindselig.
Lyda wußte, jetzt hatten sie so gut wie gewonnen, als sie sagte: »Letztes Jahr habt Ihr versucht, mich umzubringen, und ich habe es niemandem verraten. Ihr könnt mir vertrauen, und Ihr wißt es - und ich weiß, daß ich Euch vertrauen kann.«
Roveen trat an das Fenster und blickte eine Weile hinaus. »Und mit Geheimnis bewahren meint Ihr, ich soll Aralee nicht von Eurem Aufbruch berichten - obwohl sie schon weiß, daß Ihr fort wollt? Wo ist da das Geheimnis?«
»Wir brechen sofort auf«, sagte Lyda. »Natara hat ein paar Dinge zusammengepackt, das ist das letzte, was uns noch fehlt. Und Aralee weiß auch noch nicht, daß ich das Mädchen mitnehme. Ich habe wenig Angst um mein eigenes Leben.«
»Wie schön die Sonne draußen scheint«, sagte Roveen abrupt. »Hat es nicht eben noch geregnet? Ich kann mich verrenken, wie ich will, aber ich vermag keine einzige Wolke am Himmel zu sehen.« Sie machte eine Pause, als würde sie auf etwas warten. »Vielleicht kommen gleich noch ein paar Vögel hinaus, dieses Fenster geht zwar nicht in den Garten, sondern in den Hof, aber ich bin mir sicher, ein paar Vögel werde ich hier noch zu sehen bekommen…« Lyda hörte ihr geduldig zu und Natara verwirrt, und beide konnten sich keinen rechten Reim darauf machen, bis Roveen sie ärgerlich anfuhr: »Hört mal, wie lang soll ich euch hier noch den Rücken zukehren und so tun, als ob ich euch nicht sehen und hören könnte? Da draußen ist nichts, wirklich nichts, ich langweile mich jetzt schon zu Tode - also macht schon, verschwindet endlich.«
»Danke«, sagte Lyda, aber selbst dieses Wort war schon zuviel.
»Spart Euch den Dank«, zischte Roveen. »Wie solltet Ihr auch, als ich hier im Zimmer gucken gekommen bin, wart ihr ja schon längst über alle Berge, aber ich kenne mich mit Nataras Sachen nicht aus, da merke ich natürlich nicht, ob was fehlt und wenn ja, was…« Weiter kam sie nicht, als sie von Natara heftig umarmt wurde. Lyda verzichtete darauf. Sie nickte nur noch einmal, als sie das Zimmer verließ. Vielleicht konnte die Frau es ja im Spiegelbild der Fensterscheibe sehen.
»Sie ist besser als Ihr denkt«, hörte sie Roveen noch sagen. Dann waren sie draußen. Aus dem Zimmer, aus dem Gang, aus dem Schloß. In dieser Nacht sollte der Abgrund unbewacht sein, aber Lyda hatte sich schon zuviel zuschulden kommen lassen, um sich deswegen noch Sorgen zu machen. Der erste Teil ihrer Flucht war geglückt, und in ein paar Tagen sollte es auch der zweite Teil sein, wenn Aralee nicht auf die Idee kam, daß sie bei Naella waren und nicht längst auf der Landstraße…
Und dann, wenn sie erst einmal da waren - dann würde Lyda sich wünschen, niemals dort angekommen zu sein. Ja, sie konnte ein Geheimnis bewahren, vor Aralee, vor Natara, nur, so sehr sie es auch versuchte, nicht vor sich selbst. Die letzten Worte der Botschaft hatten sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt. ‘Die Welt ist in Gefahr. Etwas ist aus dem Abgrund gestiegen.’

Fortsetzung folgt